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Vorbemerkung

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Die Paulusforschung steht vor einer fast übergroßen Aufgabe, nachdem sie von Ed Parish Sanders gelernt hat, bei Paulus eine exoterische, für seine Missionspredigt bestimmende Außenseite von seiner esoterisch-mystischen Innensicht zu unterscheiden. Denn rührte sie bisher unter dem Eindruck der elaborierten Außenseite nur gelegentlich und zögernd an seine mystische Position, so wird es fortan darum zu tun sein, den im Briefwerk dominierenden Botschafter aus der Sicht des Mystikers zu begreifen. Und sie wird das mit allen sich ergebenden Konsequenzen im Bewusstsein der eklatanten Widersprüche tun müssen, mit denen sich Paulus in seinem Briefwerk präsentiert.

Dabei wird sie nicht übersehen dürfen, dass das Lebenswerk des Apostels in dem Augenblick abbrach und in ein irritierendes Dunkel versank, als er am Ende des Römerbriefes den Entschluss einer dann freilich nicht mehr zustande gekommenen Spanienmission fasste, mit der er auch die Westhälfte des Römischen Reiches „dem Gehorsam gegenüber Christus“ unterwerfen wollte. Wenn zudem angenommen werden darf, dass die sich ihm damit stellende denkerische Aufgabe nicht zuletzt in der Auflösung der von ihm stehen gelassenen Widersprüche bestanden hätte, tritt die angesprochene Aufgabe erst in ihrer vollen Schärfe ans Licht. Sie besteht dann darin, im Gespräch mit ihm das ins Werk zu setzen, was er selbst nicht mehr zu leisten vermochte.

Wenn das mehr als eine bloße Konjektur sein soll, muss der Nachweis dafür erbracht werden, dass Paulus, entgegen dem von ihm wiederholt erweckten Anschein, mit sich reden lässt. Diesen Nachweis suchen die folgenden Ausführungen zu erbringen. Mit ihrem Schwerpunkt suchen sie zu beweisen, dass der vielfach in unerreichbarer Autarkie, wenn nicht geradezu in abweisender Schroffheit erscheinende Apostel in Wahrheit ebenso dialogbereit wie dialogwillig ist. In seiner Widersprüchlichkeit und Fragmentarität scheint er sogar darauf angelegt zu sein, erst im Dialog mit seinen Interpreten zu jener Vollständigkeit zu gelangen, die ihm selbst aufgrund des zu früh abgebrochenen Lebenswerks versagt blieb.

Je mehr sich die Gegenwartstheologie auf diese Herausforderung einlässt, wird sie sich dadurch ebenso beansprucht wie beschenkt sehen. Denn Paulus kann mit nichts bedacht werden, was er nicht, wie es in der Bergpredigt heißt, mit „überfließendem Maß“ zurückerstatten würde. Als ihr Dialogpartner und Fürsprecher würde er die Theologie vor allem an die mit dem „Vater des Erbarmens und Gott allen Trostes“ gegebene Mitte des Evangeliums und an das Motiv der Einwohnung Christi im Herzen der Seinen erinnern, um sie darin die Quelle der Kraft finden zu lassen, aus der er selbst bei der Verwirklichung seiner stupenden Lebensleistung schöpfte. So aber würde die Theologie, ungeachtet aller Hemmnisse und Irritationen, inspiriert und ermutigt durch ihn wieder an ihre Zukunft glauben lernen.

Ich widme dieses Werk der Theologischen Fakultät der Universität Graz und meinem Freund Prof. Dr. Karl Woschitz in aufrichtiger Dankbarkeit für die Verleihung des Ehrendoktorats am 14. November 2002. Mein besonderer Dank gilt auch Herrn Lektor Dr. Bruno Kern für seine Bereitschaft, dieses Paulusbuch als Pendant zu der im Vorjahr erschienenen Untersuchung „Nietzsche – Zerstörer oder Erneuerer des Christentums?“ zur Veröffentlichung zu empfehlen.

München, 6. Januar 2003

Paulus

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