Читать книгу Unsere Flotte im Weltkriege 1914/1916 - Eugen Kalau vom Hofe - Страница 6
Gewitterwolken.
ОглавлениеMit der Anfang dieses Jahrhunderts begonnenen Zusammenziehung der englischen Flotte in der Nordsee, unter Schwächung der auswärtigen Stationen und fast völliger Entblößung des Mittelmeeres von englischen Kriegsschiffen, ging eine gewaltige Vermehrung des Schiffsbestandes einher, die ungewöhnliche Anforderungen an die englischen Steuerzahler stellte. Die Gutwilligkeit der letzteren suchte die englische Regierung durch Zeigen des Invasionsgespenstes, durch gefälschte Angaben über die deutschen Rüstungen und Rüstungsabsichten zu erwecken und zu stärken. Denselben Zweck, aber auch die Täuschung des Auslandes und besonders den Fang deutscher Friedensfreunde jeder Gattung, hatten die Vorschläge des phantasievollen Marineministers Churchill, die beiderseitigen Flottenrüstungen im Verhältnis 16 : 10 zu beschränken und mit einem Werft- und Schiffbaufeierjahr die „unter dem Joch der schweren Kriegsrüstungen keuchend sich hinschleppenden Völker“ zu erfreuen. Die deutsche Marineverwaltung sollte dadurch zu falschen Maßnahmen bei der Ausführung des Flottengesetzes verführt und den deutschen Politikern der Gedanke beigebracht oder, wo er schon vorhanden war, gestärkt werden. Gegen Englands Macht ist und bleibt Deutschland hilflos, so sehr es auch seine Flotte vermehrt, die so viel Geld kostet; England kann immer das Doppelte dagegen setzen. Gebt ihr hingegen das Flottengesetz auf und schafft die Flotte ab, so ist Englands Wohlwollen mit allem Schönen, das ihr euch wünscht, euch sicher — natürlich keine neuen Kolonien oder dergleichen Sachen, von denen ihr nichts versteht und die nur für Engländer von Gott bestimmt sind. Eine Änderung der bewährten Marinepolitik des Großadmirals v. Tirpitz, die deutsche Flotte zu einer harten Nuss zu machen, die man lieber ungeknackt lässt, war natürlich ausgeschlossen. Das gesamte deutsche Volk trat in seltener Einmütigkeit und mit erfreulichem politischen Verständnis für diese Politik ein. Das Denken an die harte Nuss wird gewöhnlich als der Risikogedanke des Flottengesetzes bezeichnet, d. h. wir bauen und halten unsere Flotte so stark, dass selbst die größte Seemacht bei einem Angriff auf uns empfindlichen Schaden leiden muss.
Das hatten auch die Engländer begriffen und danach ihre Politik eingerichtet, die den jetzigen Weltbrand erst entfachte, nachdem die zahlenmäßige Überlegenheit des Dreiverbandes in Vielfachheit festgestellt und die Vernichtung der verbündeten Kaiserreiche über jeden Zweifel gesichert schien. Die diplomatische Vorbereitung des Sieges durch die Engländer nach dem Grundsatz: „Der Zweck heiligt die Mittel“ ist geradezu staunenerregend. England und seine Verbündeten haben sich damit aber nicht begnügt, sondern sich auch die Vorteile der frühen Schlagfertigkeit und des Überfalls zu sichern gesucht — freilich ist ihnen dies nur zum Teil gelungen, am wenigsten oder gar nicht auf maritimem Gebiete.
Unsere Marine war seit den Erfahrungen des heißen Sommers 1911 mit dem englischerseits geplanten Überfall auf unsere von Norwegen heimkehrenden Geschwader ans der Hut? sie wusste, dass früher oder später der Kampf mit England kommen würde, dass er mitten im Frieden plötzlich über sie hereinbrechen könnte.
Um auf dem unter diesen Umständen wichtigsten Kriegsschauplatz, den durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal verbundenen deutschen Küstenmeeren, jederzeit in möglichst hoher Stärke schlagfertig zu sein, war es notwendig, alle kriegsbereiten Schiffe in der Heimat in Dienst zu halten und für Entsendungen ins Ausland nur solche Schiffe zu verwenden, die keinen hohen Gefechtswert hatten oder wegen der Eigenart ihrer Konstruktion nicht in die großen Verbände unserer Flotte passten. Diese Zwangslage führte dazu, dass in den letzten Jahren unsere Auslandsinteressen in der Regel einem unverhältnismäßig kleinen Bruchteil unserer Motte anvertraut blieben. In dieser Hinsicht den Engländern die Stange halten zu wollen, würde zu einer gefährlichen Schwächung unserer Heimatsflotte auf dem wahrscheinlichen Hauptkampfplatz geführt haben. Gerade in den für den auswärtigen Dienst brauchbaren Kriegsschiffen besaß die englische Flotte von jeher eine unbestrittene Überlegenheit.