Читать книгу Tod in Winterthur - Eva Ashinze - Страница 8

Оглавление

3

Claire und Manfredo Corazolla verliessen meine Kanzlei. Bald würden sie um 10 000 Franken ärmer sein. Ich hatte den Auftrag angenommen und sie in aller Eile entsprechende Formulare ausfüllen lassen. Wie ich genau vorzugehen gedachte im Fall der verschwundenen Eizellen, das wollte ich mir später überlegen. Ich wollte im Moment nur eines: Béjart zurückrufen. Es war kurz nach elf Uhr, als ich endlich seine Nummer wählte. Er ging sofort ran.

«Guido? Was ist los?» Meine Stimme klang belegt, mir war beklommen zumute, und mein Herz schien nur mehr unregelmässig zu schlagen.

«Es tut mir leid», sagte Béjart. «Ich habe schlechte Nachrichten.»

«Wer?»

«Jan Krüger. Ich glaube, du kanntest ihn.»

Ich blieb seltsam ruhig. So, als hätte ich Bescheid gewusst.

«Moira? Moira?»

«Ich bin noch da», sagte ich.

«Ist alles in Ordnung?»

«Mir geht es gut.»

Béjart schwieg einen kurzen Moment. «Komm hierher. Komm zu Jans Haus. Seine Frau … Sie hat gesagt, ich soll dich anrufen.»

«Norah», unterbrach ich ihn.

«Ja, Norah Krüger. Norah könnte deine Unterstützung gebrauchen.»

Nun schwieg ich. «Ich komme», sagte ich dann.

«Gut», antwortete Béjart. «Und, Moira, das Haus ist auch der Tatort.»

Keine halbe Stunde später traf ich bei Jan und Norah ein. Sie bewohnten ein Haus mit grossem Garten und Swimmingpool, obwohl sie kinderlos waren. Aber das war vielleicht anders geplant gewesen, damals, als sie das Haus kauften. Anfangs der 1970er-Jahre war es von einem namhaften Architekten erbaut worden; nun galt es als Designklassiker. Nicht hässlich anzusehen, aber nicht mein Geschmack. Zu massiv, zu sehr für die Ewigkeit gebaut. Nichts ist für immer. Panta rhei. Alles fliesst. Davon hatte der Architekt mit Sicherheit nichts wissen wollen.

Béjart und sein Kollege rauchten gerade vor dem Haus, als ich vorfuhr. Gute Idee. Ich würde mich ihnen anschliessen. Ich stieg aus und nickte den beiden grüssend zu, während ich mir eine Zigarette anzündete.

«Gut, dass du da bist», sagte Béjart.

Ich trat zu ihm und streckte ihm die Hand entgegen.

Wir verzichteten darauf, unsere Freundschaft in Polizeikreisen gross publik zu machen. Wie eng unsere Bekanntschaft war, ging nur uns beide etwas an. Obwohl wir uns selbst nicht schlüssig darüber waren.

«Becker, das ist Moira van der Meer, die Anwältin. Moira, das ist mein Kollege Daniel Becker.» Wir schüttelten ebenfalls die Hände. Dann war der Höflichkeiten genug getan.

«Na?», fragte ich und stiess gleichzeitig den Rauch aus.

«Was ist passiert?»

«Sieht nach Raubmord aus», sagte Becker.

«Ach ja? Hier im Brühlbergquartier?» Ich deutete mit der Zigarette auf die idyllische Umgebung, die schmucken Häuser, die gepflegten Gärten. «Dann sind das wohl die berüchtigten Bloods and Crips des Viertels?» Wieder deutete ich mit der Zigarette, diesmal auf ein paar kleine Jungs, die in einer Einfahrt Ball spielten. Meine Ironie perlte an Decker ab wie Wasser an einem Gummistiefel.

«Winterthur hat sich verändert», sagte er gleichmütig. «Und gerade in dieser Gegend haben in letzter Zeit einige Einbrüche stattgefunden.»

Einbrüche vielleicht, aber wohl ohne Mordopfer. Das hier war schliesslich nicht Caracas. Ich hatte eine harsche Entgegnung auf der Zunge, doch ein Blick von Béjart liess mich innehalten. Besser, ich zerbrach nicht gleich am Anfang zu viel Porzellan. Ich nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette und schnippte den Stummel weit von mir. Kein Wunder, dachte ich, kein Wunder brauchte Norah Unterstützung.

«Wo ist Norah?», fragte ich.

Béjart deutete mit dem Daumen Richtung Garten. Nach einigem Suchen konnte ich in einer Ecke eine Gestalt ausmachen, die in einem von grünen Ranken überwucherten Pavillon sass.

«Steht sie unter Verdacht?», fragte ich.

«Die Ehefrau steht immer unter Verdacht», antwortete Becker. Wohl war.

«Aber sie scheint ein ziemlich wasserdichtes Alibi zu haben. Schmauchspuren sind ebenfalls negativ, wie ich gehört habe.» Béjart nickte mit dem Kinn zum Haus, in dem sich die Kriminaltechniker tummelten.

«Todeszeitpunkt?», fragte ich.

Becker sah Béjart warnend an. Der ignorierte den Blick.

«Vor mehr als sechs und weniger als zwölf Stunden.» Béjart zuckte mit den Schultern. «Genauer geht es im Moment nicht.»

Es war kurz nach elf Uhr vormittags. Das hiess, Jan war nach Mitternacht erschossen worden. Irgendwann in den sehr frühen Morgenstunden.

«Keine weiteren Details», sagte Becker mit fester Stimme. «Immerhin steht die Ermittlung noch ganz am Anfang.» Hinter seinem Rücken schnitt ich ihm eine Grimasse, Béjart grinste mich an.

«Hat sie ihn gefunden?», fragte ich.

«Ja. Sie hat die Nacht auswärts verbracht und ist heute Morgen nach Hause gekommen. Schon an der Tür hat sie gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Im Wohnzimmer hat sie dann ihren Ehemann aufgefunden. Tot. Erschossen mit mehreren Schüssen. Diverse Sachen sind weggekommen. Es scheint sich vor allem um Schmuck zu handeln und um ein paar kleinere Kunstgegenstände. Wir sind mit der Frau durchs Haus gegangen und haben sie eine möglichst genaue Liste erstellen lassen, aber sie … Sie war natürlich vollkommen durcheinander. Du weisst schon.»

Jan war ein Kunstbeschaffer, sofern es diesen Begriff überhaupt gibt. Nach dem Studium hatte er sich bald selbstständig gemacht. Er hatte viele namhafte Klienten, die sich für Kunst interessierten. Wenn deren Herz ein Kunstobjekt begehrte, von dem sie gehört oder gelesen hatten, machte Jan sich auf die Suche danach oder zumindest nach etwas Vergleichbarem. Er musste gut Geld verdient haben mit dieser Tätigkeit. Nebenbei machte er Expertisen und Schätzungen. Vor einiger Zeit hatte ich anlässlich einer Scheidung kurz beruflich mit ihm zu tun gehabt. Das war das erste und einzige Mal seit unserer Lovestory, dass wir uns länger als zehn Minuten am Stück unterhalten hatten. Es war interessant gewesen. Jan war ein spannender Mann gewesen.

«Wo hat Norah die Nacht verbracht?»

«Sie war an einem Treffen in Zürich. Hat in einem Hotel übernachtet.» Béjart sah mich an.

So wasserdicht klang das Alibi in meinen Ohren nicht.

«Es gibt offenbar viele Zeugen, die das bestätigen können», mischte sich Becker ein. Er schien meine Zweifel gespürt zu haben.

Ich nickte, sagte nichts. Dann zündete ich mir eine weitere Zigarette an. Ich überlegte. «Mehrere Schüsse, ja?», hakte ich nach.

Becker und Béjart nickten unisono.

Nicht gut, dachte ich. Mehrere Schüsse hiess meistens, es war etwas Persönliches. Es hiess, jemand war wütend. «Wie ist der Täter ins Haus gekommen?», fragte ich.

«Durch die Hintertür, die direkt in den Garten führt.» Becker wies mit dem Kinn die Richtung.

«Aufgebrochen?»

Becker schüttelte den Kopf. «Es hat Werkzeugspuren am Rahmen. Aber dann hat der Einbrecher gemerkt, dass er die Tür auf ganz normale Art und Weise öffnen kann.»

«Sie war nicht abgeschlossen?» Ich sah ihn ungläubig an.

Wieder schüttelte er den Kopf. «Er hat wohl immer erst abgeschlossen, wenn er zu Bett gegangen ist.»

«Zufällig war die Tür offen», sagte ich. «Zufällig wusste der Einbrecher, dass da viel zu holen war. Zufällig hatte er eine Waffe in der Tasche. Ein bisschen viele Zufälle für meinen Geschmack.» Ich wartete nicht ab, ob einer der beiden etwas darauf erwidern wollte, sondern wandte mich ab. «Ich werde dann mal zu Norah gehen.»

Tod in Winterthur

Подняться наверх