Читать книгу Der Verdrüssliche - Eva Holzmair - Страница 14

VIII.

Оглавление

Im Schweizertrakt der Hofburg öffnet Carola das vertraute Tor, über dem in dünnen Lettern Säulenstiege steht. Die altbekannten Stufen liegen vor ihr. 89. Erstmals gezählt bei ihrem Vorstellungsgespräch. So nannten es damals die zwei verknöcherten Herren, die sie in einem mit Akten, Büchern und Folianten vollgestopften Raum empfangen hatten. Die beiden plauderten entspannt über Carolas Dissertation, den voraussichtlichen Zeitpunkt der Fertigstellung und darüber, was sie ihr bieten konnten: einen B-Posten, später natürlich A, keine Frage. Ein Fräulein Doktor müssen wir dann schon neu einstufen. Das würde heute niemand mehr sagen, und sicher nicht in diesem wohlwollend herablassenden Ton. Sie wurde auch befördert, aber erst, als sie mit dem Doktoratszeugnis in der Hand auf dieser Zusage und ihrem Recht beharrt hatte. Im Staatsdienst hatten Männer wie Frauen mit Universitätsabschluss einen A-Posten zu erhalten und damit mehr Geld. Zu diesem Zeitpunkt kannte sie sich mit Gesetzestexten schon sehr gut aus. Dank Wilfried.

Carola verlangsamt für einige Augenblicke den Schritt und blinzelt nach oben. Dort hat sie gearbeitet, mit Freude gearbeitet, bis zur Pensionierung vor nunmehr, Carola stockt, Wahnsinn, acht Jahre ist das schon wieder her. Sie ist doch eben erst zum Bewerbungsgespräch hier hinaufgegangen. Immer noch kann sie die Aufgeregtheit spüren, die sie mit dem Stufenzählen niederzuringen versucht hatte. Nun pocht ihr Herz auch, aber vor Anstrengung. Gestern im Museum war sie trotz des morgendlichen Schocks besser beisammen. Zuerst der Spaziergang im Garten des Belvedere, dann die Begegnung mit dem energiegeladenen Vitochyl und den wohlbekannten Exponaten. Alles anregend, belebend. Heute hingegen fühlt sie sich schlapp. Auf dem Treppenabsatz unterm Eingang zur Burghauptmannschaft bleibt sie stehen und starrt auf den gusseisernen Fußabstreifer. Wer aller hier wohl seinen Dreck hinterlassen hat! Seit 1780 gibt es die Säulenstiege bereits. Einst führte sie zu den Privaträumen der Habsburger, zu denen von Kaisern, Erzherzögen und in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Appartement von Kronprinz Rudolf. Diesen viel zu gut bewachten Treppenaufgang benutzten Rudolfs zahllose Liebschaften wohl kaum, und trotzdem kommen Carola herausgeputzte Frauen in den Sinn, die hier heraufschlichen und rasch an der eisernen Querstange den Schmutz von den Schuhsohlen abstreiften, weil sie heimlich zu Fuß hierhergetrippelt und nicht in der Kutsche vorgefahren waren. Wie viele von ihnen steckte der Kronprinz mit Syphilis an? Und wer war diejenige gewesen, die ihn angesteckt hatte? Carola ist überzeugt, dass sich der Thronfolger nicht aus politischem Protest oder gar unglücklicher Liebe umbrachte, sondern schlicht aus Angst vorm Zerfressenwerden durch die damals unheilbare Krankheit.

Auch sie hat schon mit Suizidgedanken gespielt. Sie würde es weniger theatralisch anlegen, ohne romantisches Pipapo, ohne Kutschenfahrt, Abendessen, Abschieds­schnacksler, nicht bloß, weil sie keinen Mann hat, nein, aus Prinzip. Die kleine Vetsera mit hineinzuziehen, war doch letztklassig! Carola würde einfach den gesamten Tablettenvorrat schlucken und sich zu den Klängen von Schuberts Arpeggione-Sonate, ihrem einzigen sentimentalen Zugeständnis, ins Bett legen. Aber sie kann doch Jari nicht im Stich lassen. Und außerdem ist noch einiges zu erledigen.

Carola steigt weiter in den zweiten Stock. Toni wird ganz schön verblüfft sein, dass sie aufkreuzt, die alte Hofrätin. Vielleicht ist er nicht einmal im Haus. Sie wollte keinesfalls anrufen und sich am Telefon verplappern. Ihr fällt es leichter, direkt mit Menschen zu sprechen als über den Umweg eines Anrufs. Da hat sie oft aus Konzentrationsmangel etwas Falsches oder sogar kompletten Unsinn gesagt. Wenn sie aber jemandem gegenübersitzt, ihn ansieht, dann ist sie fokussiert. Sie braucht den Blickkontakt, das Lesen im Gesicht, die intuitive Erfassung der Körpersprache ihres Gegenübers. Toni wird sie nicht überraschen. Wenn er verlegen ist, verschwindet sein Hals zwischen den hochgezogenen Schultern. Bei echter Freude breitet er die Arme aus wie ein Schauspieler, der am Schluss der Vorstellung das Publikum umarmen möchte. Während heikler Gespräche zeichnet sich Toni die Konzentration herbei. Sie hätte schon immer gern seine Kritzeleien analysieren lassen, hat es aber letztlich doch nicht getan. Zu Toni passt das altmodische Wort rechtschaffen. Er wird sie nicht anlügen. Und wenn er gar nichts weiß? Das ist unmöglich. Er ist für die Ausfuhrbewilligungen durchs Bundesdenkmalamt zuständig.

Sie öffnet die Glastür und schleicht durch die altbekannten Korridore zum Zimmer von Dr. Anton Mandl. Sie weiß, wie sie die Sekretärin umgehen und ungesehen zu ihm kommen kann. So etwas wäre in modernen Bürogebäuden unmöglich, aber in der Hofburg mit ihren Tapetentüren und versteckten Gängen … Vorsichtig dreht sie am Messingknopf und späht hinein. Da sitzt er, ihr Toni, den sie wie ein Ziehkind hochgepäppelt und als ihren Nachfolger aufgebaut hat. Er war ihr vom ersten Tag an sympathisch gewesen, der blonde Mann mit seinen durch die dicke Brille noch größer wirkenden Kinderaugen. Einige Frauen im Haus hatten ihr vorgehalten, auf Männer fixiert und mit Frauen nicht solidarisch zu sein. So ein Unsinn. Sie ist heute noch überzeugt, dass ihr Anschieben bei Tonis Karriere gut war. Er ist der richtige Mann am richtigen Ort.

- Servus, Toni.

Irritiert schaut er auf und erschrickt. Carola weiß, warum. Ihr Gesicht. Die fahle Haut. Die eingefallenen Wangen. Doch rasch fängt sich Toni, springt hoch und eilt mit weit geöffneten Armen auf sie zu.

- Carola! Was für eine Überraschung! Wie geht’s dir?

- Wie soll’s schon gehen. Frag lieber was anderes.

- Das wird schwer. Ich weiß doch nichts von deinem jetzigen Leben.

- Na, dann frag, was ich gerade mache, außer still vor mich hin zu leiden.

- Carola, still leiden ist noch nie deine Stärke gewesen.

- Ich hab doch niemanden, den ich ankeifen könnte.

- Du findest immer jemanden.

Carola lacht. Wie gut er sie kennt. Im Amt gab es genug Auswahl. Heute muss sie sich an den Arzt oder die Hausverwalterin halten. Die beiden liefern immer einen Grund zur Beschwerde, der eine aus Ohnmacht, die andere aus Inkompetenz. Wenn ihr das zu blöd ist, brüllt sie Jarolim oder die Wand an, aber raus müssen sie, die Wut, der Frust und die Angst vor dem, was kommen wird. Sie ist nicht fügsam, selbst wenn sie weiß, dass die Ungeheuer sie niederringen werden, egal, wie sehr sie sich dagegen wehrt.

- Na, dann frag, was ich von dir will.

Während er sie übertrieben besorgt zum Besuchersessel führt, lächelt er aufmunternd:

- Ich höre.

- Ich will Auskunft zu einem von Messerschmidts Charakterköpfen, der nicht mehr im Land ist.

- Zu welchem?

Was soll die Frage? Er weiß genau, um welchen es geht. Doch so leicht lässt sie sich nicht beirren, zumal Toni nun nach seinem Notizblock greift.

- Na, wie viele hast denn in den letzten Jahren ausreisen lassen? Oder ausreisen lassen müssen?

Toni schaut auf das rechteckige Blatt, das bereits einige seiner Girlanden zieren, dann auf Carola:

- Du meinst keinen restituierten Kopf.

- Nein. Beim Mismuthigen und dem Unfähigen Fagottisten war ich noch im Amt, g’rad noch.

- Stimmt. Schad, dass s’ nimmer im Wien-Museum sind. Jetzt haben s’ dort nur noch einen Original-Messerschmidt.

- Ja. Die Einfalt im höchsten Grade. Irgendwie passend. Meinst nicht, Toni?

- ’s war halt ein klarer Fall. Die zwei anderen mussten an den Erben nach Richard Beer-Hofmann restituiert werden.

- Und der hat s’ gleich über Sotheby’s versteigern lassen.

- Ja.

- Mit einem tollen Auktionsergebnis. 3,7 Millionen Euro hat der Louvre für den Mismuthigen hingeblättert und 1,9 Millionen Euro die Mailänder Etro-Sammlung für den Unfähigen Fagottisten. So haben auch andere Lust gekriegt, Messerschmidt-Büsten auf den Markt zu werfen.

- Leute, die du gut kennst, meine Liebe.

- Nicht mehr.

Die letzten Worte hat Carola so bestimmt gesagt, dass Toni von seinem nahezu vollgekritzelten Notizzettel aufblickt.

- Hast gar keinen Kontakt mehr?

- Nein.

Carola schielt auf das Blatt, das Toni soeben vom Block gerissen hat. Konzentrische Kreise aus Spiralen, Blättern und Zweigen, ein bisschen wie die Deckenrosette draußen im Stiegenhaus. Vielleicht hätte sie doch einmal … eine Analyse … nur so … nein, das wäre nicht recht gewesen.

- Was ist da gelaufen, Toni?

- Wir wurden sehr spät informiert.

- Ja und?

- Es konnte nicht festgestellt werden, dass die ›Erhaltung im Inland im nationalen Interesse gelegen ist‹.

- Zitier nicht aus dem Denkmalschutzgesetz. Das kenn ich selber. Sag mir lieber, warum ein wertvoller Messerschmidt-Kopf an ein ausländisches Museum gegangen ist und alle gekuscht haben: ihr, die Museumsdirektoren, die Bildungsministerin.

- Der Verkauf lag in aller Interesse.

- Was heißt das?

- Es wurde ein bisserl interveniert. Ein bisserl sehr.

- Von wem?

- Von höchster Stelle.

Carola weiß, dass sie Toni in einen Loyalitätskonflikt treibt. Hier die ehemalige Förderin und irgendwo da oben, da draußen, vielleicht bloß ein paar Zimmer weiter diejenigen, die sich eingemischt und ein Geschäft begünstigt haben, das so nie hätte stattfinden dürfen. Diese Bewilligung hat ihm sicher schlaflose Nächte beschert. Und nun kommt auch sie noch daher, erinnert ihn an etwas, an das er nicht erinnert werden möchte.

- Wieso hast dich nicht früher erkundigt?

Tonis aggressiver Tonfall lässt sie zusammenzucken. War das jetzt ein Vorwurf oder aber eine simple Frage?

- Toni, ich hab’s erst gestern erfahren. Im Internet war ein Bericht über die geplante Ausstellung Messerschmidt and Modernity im Getty Museum. Ich dachte, ich seh nicht recht, als mir der Verdrüssliche, The Vexed Man, vom Plakat entgegengrantelt. So wie mir wird’s auch anderen ergehen.

- Wieso? Davor haben s’ den Verdrüsslichen schon im Pariser Louvre und in der Neuen Galerie in New York gezeigt. Der war auf Tournee. Für jedermann sichtbar.

Tonis Stimme klingt immer noch angriffig. Verunsichert fragt Carola:

- Wann?

- Letztes Jahr.

Das wäre ihr früher nie passiert, sich so konfus, so unvorbereitet auf ein Gespräch einzulassen. Davor gehört recherchiert, ein Akt angelegt und erst dann gehandelt. Ganz heiß wird ihr plötzlich, so sehr geniert sie sich.

- Carola, niemand hat sich aufgeregt. Ein Kunstwerk ist vor ein paar Jahren aus einer österreichischen Privatsammlung in ein amerikanisches Museum gewandert.

Privatsammlung! Ein Witz! Wilfried hatte nie eine Sammlung, sondern ein Geschäft. Vielleicht haben es die Erben so genannt. Sie muss sich zusammenreißen, dem etwas entgegensetzen. Irgendetwas.

- Vor vier Jahren, um genau zu sein.

- Eben. Das ist schon eine Weile her. Wo ist das Problem?

- Das ist jetzt nicht dein Ernst!

Entgeistert schaut Carola in Tonis verschlossenes Gesicht. Und sie dachte immer, sie könne in seinen wasserblauen Augen lesen. Doch heute hat er keine Augen, nur Brillen.

- Es ist mein voller Ernst.

- Du weißt, dass ein Ausfuhransuchen für den Verdrüsslichen schon einmal auf diesem Schreibtisch gelegen ist.

- Ja. Damals wurde keine Bewilligung erteilt. Aus … wie soll ich sagen …

- Sag’s ruhig.

- Aus persönlichen Gründen.

- Nicht nur. Außerdem hab nicht ich die Bewilligung verweigert, sondern der Antragsteller hat sein Ansuchen zurückgezogen.

- Dafür hast du den Kopf nicht unter Denkmalschutz gestellt und damit ein Hintertürl für eine spätere Ausfuhr offen gelassen.

Ist das nun ein mitleidiger Blick, den Toni auf sie richtet, auf sie, die einen faulen Kompromiss schloss? Wilfried war fuchsteufelswild. Schon davor hatte sie begonnen, sich zu emanzipieren, seine Wünsche zu ignorieren. Der Verdrüssliche war nicht das erste Kräftemessen, aber ein entscheidendes. Mit dem Ausfuhrantrag für diesen Kopf hätte Wilfried sie nie behelligen dürfen. Reichte es nicht, dass er sein Versprechen gebrochen hatte? Musste er noch weitergehen? Vom Vertrauensbruch zum Verrat? Die Genugtuung, ihm erneut und gerade hier Grenzen aufgezeigt zu haben, war groß. Auch seine Drohungen beeindruckten sie nicht. Ich zeig dich an. Anonym. – Und ich zeige mit dem Finger auf dich. Offiziell. Hat da nicht soeben eine Tür geknallt? Nein. Wilfried ist tot. Er stürmt nicht mehr aus diesem Raum. Ihre soeben noch verspürten Hitzewallungen wechseln in Fröstelschauer über. Das sind die alten Mauern. Sonst nichts. Sie strahlen die Kälte aus, die sich auf Carola überträgt. Haltung, Frau Hofrat, Haltung bewahren! Einfach ein Gespräch beenden, das zu nichts führt. Was will sie überhaupt? Die Wahrheit? Wen interessiert die schon? Carola friert nicht nur, sie ist auch müde. Warum wurde sie nicht in einem dieser baufälligen alten Denkmäler, die sie so gerne beging, von einem abbröckelnden Stein erschlagen? Aus. Vorbei. Nichts mit schön pomali. Wie sie diese plötzlichen Ermüdungsanfälle hasst. Schonung. Ein Unwort für eine wie sie. Aber es hilft nichts. Sie ist erschöpft. Von dem bisschen Stiegensteigen und einem kurzen Gespräch! Möglichst unauffällig stützt sich Carola an der Schreibtischkante ab, während sie aufsteht.

- Danke, Toni.

- Wofür?

Wo, verdammt noch mal, ist ihre Konzentration geblieben? Was plappert sie denn da? Sagt Danke, statt Toni zur Schnecke zu machen! Er hätte für den Verdrüsslichen doch selbst ein Unterschutzstellungsverfahren einleiten können. Sich auf Carolas Versäumnis auszureden, ist wirklich stark. Egal. Sie kann es ja doch nicht ändern. Resigniert antwortet sie:

- War bloß so dahingesagt.

Im Hinausgehen stolpert sie über den Perserteppich, den sie noch nie leiden konnte. Toni springt auf und ergreift ihren Arm.

- Alles in Ordnung?

- Nein.

Er will sie zur großen Flügeltür begleiten, doch dann meint er:

- Geh lieber so, wie du gekommen bist.

Carola versteht. Sie ist nie hier gewesen.

- Toni, das hättest du nicht bewilligen dürfen.

- Ich weiß. Ciao, Carola.

Er öffnet für sie die Tapetentür. Carola lächelt. Ein bisschen traurig, ja, aber auch erleichtert. Da ist er wieder, der alte Toni, so wie sie ihn kennt. Ciao hat er gesagt. Carolas Codewort für Machenschaften, bei denen sich Staatsbedienstete besser raushalten, wollen sie keine Scherereien bekommen. Deshalb flüstert sie noch schnell durch den Türspalt:

- Ciao, Tonio.

Der Verdrüssliche

Подняться наверх