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I.

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Carola Broggiato kramt umständlich nach dem Tablet. Schon wieder hat es sich verheddert. Weil sie immer alles ins gleiche Fach geben muss! Energisch schüttelt sie den kleinen PC, bis der Schlüsselbund runter und zurück in die Tasche fällt. Schön pomali, Frau Hofrat, hat der Arzt gesagt. Der hat gut reden. Viel Zeit bleibt ihr nicht. Doch so hektisch braucht sie auch wieder nicht zu sein. Was macht sie überhaupt hier? Antworten auf die Fragen, die sie seit heute Morgen bedrängen, wird sie keine finden, aber Hilfe beim Ordnen der Gedanken. Carola atmet tief durch und streicht kreisend über die unangenehm spannenden Operationsnarben, ehe sie zu den Plastiken im hinteren Teil der Eingangshalle schlendert.

Links der Mann. Rechts die Frau. Ein vertrauter Anblick. Auch Wilfried bevorzugte die linke Seite. Im Bett. Eigentlich die rechte, von ihm aus gesehen, aber links, wenn sie davorstand und ihn anschaute. Anfangs erregt, später resigniert. Die Übergänge zwischen – endlich! – und – nicht schon wieder! – waren unmerklich aber stet verlaufen, während sie zusehends die Orientierung verlor. Aus diesem Irrgarten musste sie erst finden. Das hat sie geschafft. Ja doch! Oder bildet sie sich das bloß ein? Heute Morgen ihr Leeranruf. Hat sie tatsächlich geglaubt, Wilfried würde abheben?

Schluss damit! Darüber nachzudenken, bringt nichts. Nur irgendwie hängt alles zusammen. Wilfried. Der Messerschmidt­-Kopf. Die beiden Statuen vor ihr. Als eherne Zeugen einer anderen Welt haben sie Carola begleitet, neue Sichtweisen eröffnet und so manches emotionale Chaos geklärt. Es gibt immer einen Weg. Doch was erwartet sie dort, wo er aufhört? Zweifelt sie nun nicht genauso an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns, wie es Maria Theresia gegen Ende ihrer Regentschaft tat? Die alte Kaiserin hatte wenigstens ihren Glauben. Sie war reaktionär, intolerant, aber gefestigt. Kreuzkatholisch eben. Und Carola? Woran kann sie sich halten? An den erkenntnisreichen Rückblick vorm endgültigen Exit? Den kann sie vergessen. Sie muss froh sein, wenn sie palliativ sediert die richtige Kurve nimmt, nicht wieder aufwacht. Nur das nicht!

Davor will sie noch einmal tätig werden. Schwaches Fleisch, williger Geist. Ihr Gedächtnis ist trainiert. Nur manchmal diese blinden Flecken, die verunsichern. Ach was! Es geht um den Überblick, nicht ums Detail. Sehr richtig! Und was sie nicht im Kopf hat, findet sie im Tablet, ihrem ausgelagerten Wissensdepot. Praktisch und viel handlicher als die dicke Aktentasche, die sie in ihrer aktiven Zeit zu Besprechungen und Begehungen schleppte.

- Meine Verehrung, Frau Hofrat! Auch wieder einmal hier?

Der alte Vitochyl! Ein verhutzeltes Männlein, aber agil. Beneidenswert flott bewegt er sich auf Carola zu.

- Grüß Sie, Herr Doktor! Ich schau nach, was sich so getan hat. Und Sie?

- Ich besuch meinen Enkel.

- Ihr Nachfolger in der Mittelalter-Sammlung?

- Geh, der und kuratieren! Er macht’s Catering. So was wie a besserer Oberkellner is’ er, aber das darf i vor seiner Mutter net sagen. Schließlich wieselt er einmal hinter einem Ölscheich her, der den Schlossgarten für a Hochzeit gemietet hat, ein anderes Mal hinter der Direktorin, die Sponsoren zu einem Event begrüßt. Event, wenn i das schon hör!

- Na ja, auch Museen müssen sich immer wieder neu erfinden. Übrigens, seit wann sind denn die nicht mehr im Unteren Belvedere?

Carola deutet auf die Statuen. Herr Dr. Vitochyl senkt den Kopf und zählt an den Fingern etwas ab. Jahre? Ereignisse? Das begleitende Gemurmel ist zu leise, um erkennen zu lassen, wie er sich ans Datum herantastet. Als er bei sechs angelangt ist, betrachtet er nachdenklich den hochgereckten Daumen.

- Anfang 2008. Richtig. Damals wurden die zwei Standbilder ins Obere Belvedere verbracht.

Was, so lange ist Carola nicht mehr hier gewesen? Genau zu der Zeit ging der Verdrüssliche nach Los Angeles. Zufall? Ja! Aber ein eigenartiger. Von den Akteuren sicher nicht bedacht. Bloß kein Aufsehen, alles schön glatt über die Bühne bringen. Ohne ihr morgendliches Stöbern im Netz wäre Carola nach wie vor ahnungslos. Keine einzige Zeitung hat damals den Verkauf vermeldet. Vor vier Jahren wäre ihr das nicht entgangen. Da war sie noch gesund.

- Kann ich sonst mit etwas dienen?

Freundlich schaut sie der ehemalige Kurator an.

- Danke, ich will Sie nicht weiter aufhalten. Ich hab ja meinen Aktenordner.

Carola hält ihr Tablet hoch. Herr Dr. Vitochyl nickt anerkennend.

- So ist’s recht. Hat mich g’freut.

- Mich auch.

- Servus, Frau Hofrat.

- Auf Wiedersehen, Herr Doktor.

Carola blickt dem davoneilenden Mann nach. Rennt, als ob er silberne Löffel gestohlen hätte. Von Vitochyls Energiereserven würde Carola gerne einige Liter abzapfen. Damit könnte sie anders an ihre Recherchen herangehen.

Verloren schaut sie auf die Statue, nein, ins Narrenkastl. Sie ist aber nicht gekommen, um zu träumen. Carola schaltet das Tablet ein. Wie lang das immer dauert, bis so ein Ding einsatzbereit ist. Ihre Finger steppen auf dem Touchscreen. Der Verkauf des Verdrüsslichen. Das muss eine strategisch geplante Transaktion gewesen sein. Sonst hätte es doch einen Aufschrei gegeben. Von Museumsdirektoren, die selbst daran interessiert waren. Von der Öffentlichkeit. Na ja, die soll man nicht überschätzen, aber irgendein Kulturjournalist hätte sich die Story gekrallt. Carolas Finger verlangsamen den Rhythmus. Keine Auktion. Damit hätte der Rekorderlös die Runde gemacht. Nein, es war ein simples Geschäft. Hier die Ware, da das Geld.

Gut eingefädelt, ein Deal in Wilfried-Manier, aber 2008 war Wilfried schon tot. Wilfried Hausladen, der Strippenzieher. Er hat so vieles bestimmt in ihrem und anderer Menschen Leben. Sie lernte Ja zu sagen und Nein zu meinen, sehr spät hingegen das zu sagen, was sie meinte, heftig noch dazu. Sie ertappt sich, wie sie bekräftigend nickt und der Statue zulächelt. Von Frau zu Frau. Die Hofrätin und die Herrscherin! Etwas hat sie der großen Monarchin voraus. Im Gegensatz zur sogenannten Kaiserin trägt Carola ihren Titel zu Recht, das Ernennungsdekret, unterzeichnet von Bundespräsident Klestil, ist zu Hause in der Dokumentenmappe, abgelegt zwischen Gehaltszetteln und dem Abschiedsschreiben zur Pensionierung. Sehr geehrte Frau Hofrat Broggiato, liebe Carola. Vorbei. Das eine wie das andere. Keine Sentimentalitäten. Sie war es doch, die alle Verbindungen gekappt hat. Nur jetzt bräuchte sie Verbündete. In ihrem Zustand kann sie die Nachforschungen nicht alleine anstellen.

Zwischen Carola und das Standbild drängt sich ein Pärchen. Der junge Mann liest laut die Inschrift auf dem Sockel vor:

- Franz Xaver Messerschmidt, 1736–1783. Maria Theresia als Königin von Ungarn, 1764–1766 … Die Alte hat aber net lang regiert.

- Das ist die Entstehungszeit der Statue.

Mit Genugtuung beobachtet Carola, wie das Gesicht des Burschen signalrot anläuft. Sanft und boshaft zugleich setzt sie nach:

- Zuerst die Angaben zum Künstler, dann zum Werk. Ist doch logisch, oder?

Er nickt, während seine Freundin ihn am Ärmel zupft. Rasch entfernen sie sich. Warum hat sie die jungen Leute vertrieben? Sie hätte mit ihnen auch über die Statue reden können. Da, schauen Sie, der Krönungsmantel: Heiligenfiguren und fechtende Soldaten! Was, glauben Sie, hat sich Messerschmidt dabei gedacht? War es ein Hinweis, nur worauf? Oder war es allein die Lust am Fantasieren? So oft hat sie schon darüber sinniert, ist aber zu keinem schlüssigen Ergebnis gekommen. Vielleicht hätten die beiden einen frischen, unverbildeten Vorschlag gemacht. Den Versuch wäre es wert gewesen. Aber sie musste die Kunsthistorikerin raushängen lassen!

Carola geht hinüber zum römisch-deutschen Kaiser. Auch diese Statue ist rätselhaft. Die tradierten Posen offizieller Herrscherporträts hat Messerschmidt übernommen, doch er interpretierte sie auf seine Weise. Hier die schreitende Gestalt Franz Stephans, dort die leichtfüßig schwebende Figur Maria Theresias, hier der Mann, dort die Frau. Auch der Umgang mit den Insignien der Macht ist eigenwillig. Von Franz Stephans kostbar behandschuhten Händen sind sie fest umschlossen, der Reichsapfel sogar theatralisch gegen die Brust gepresst, wohingegen Maria Theresia recht lässig damit umgeht: der Feldherrenstab quergestellt, so als ob sie damit jonglieren wollte, der Reichsapfel auf der Hüfte liegend, locker gehalten, der kleine Finger abgespreizt, Hände und Arme bis zum Ellbogen nackt. Eine mädchenhafte Frau, die mit dem Regieren zu spielen scheint, im Gegensatz zu ihrem willensstarken Mann, der sich nicht von seinem Ziel abbringen lässt.

Carola öffnet eine Seite auf ihrem Tablet … Erwerb von Besitztümern … verfügte bald über ein riesiges Privatvermögen … auf seinen oberungarischen Domänen … Sie legt die Hand aufs Display. Nicht weiterlesen. Diese Namen sind abrufbereit in ihrem Hirn gespeichert. Holitsch und Sassin, ja, so hießen sie, Franz Stephans Herrschaften in Oberungarn. Carola atmet auf. Ihr Anruf bei Wilfried heute Morgen. Das war im Schock. Sie weiß doch, wer wann gelebt und was getan hat, und vor allem, wer schon verstorben ist. Sie ist orientiert. Ihr Hirn funktioniert. Sie muss es nur fordern. Noch hat die Chemo ihre Krankheit im Griff. Dieses Zeitfenster muss Carola nutzen.

Sie schaut vom Tablet auf zu Franz I. Stephan von Lothringen. Dieser zum Nichtregieren bestimmte Kaiser wusste, wie man Macht anhäuft. Ein Kapitalist mit vielen Interessen, aber vor allem lukrativen Geschäften, einem eigenen Parallelimperium, das es ihm erlaubte, dem Staat Geld zu leihen und den Grundstein für den Versorgungsfonds der Habsburger zu legen. Das hat Messerschmidt erkannt und dargestellt, nicht nur in der tradierten Haltung, sondern vor allem in den Gesichtszügen des Mannes. So sehen fokussierte Manager aus. Auch Wilfried hatte diese leicht brutalen Mundwinkel. Auch er sah sich als Herr über eine Welt, von der viele keine Ahnung hatten, und die, die davon wussten, schwiegen, sie eingeschlossen.

Carola wechselt zurück zur Augusta Imperantibus, als die sich Maria Theresia selbstbewusst auf dem Nordgiebel der Schönbrunner Gloriette hatte eintragen lassen. Was für ein Unterschied! Das Gesicht, ja, das zeigt die Entschlossenheit einer Frau, die Friedrich von Preußen Paroli bieten musste. Der Kampf um Schlesien hatte bereits begonnen. Aber sonst? Carolas Blick fällt auf die schmale Taille der Dargestellten. Auch wenn hier die junge Maria Theresia am Tag ihrer Krönung zur Königin von Ungarn gezeigt wird, hat ihr Messerschmidt einen ungestüm unschuldigen Elan verpasst, der die Erfahrungen dieser Frau ausblendet. Mit ihren damals 24 Jahren hatte Maria Theresia bereits vier Kinder geboren, eines davon war verstorben. Sie war mittendrin in den Erbfolgekriegen, angezettelt von Männern, die ihren Regierungsantritt nach dem Tod Karls VI. nicht akzeptieren wollten. So spielerisch und mit tänzerischem Schwung, wie es Faltenwurf und Gehbewegung andeuten, konnte sie zu diesem Zeitpunkt weder als Frau noch als Herrscherin gewesen sein. Nur, was verstand Messerschmidt schon von Frauen! Allein, das tut der außerordentlichen Qualität der Statue keinen Abbruch. Carola wischt noch einmal übers Tablet, automatisch und ohne darauf zu achten, ehe sie es aus alter Gewohnheit wie ihre vormalige Aktentasche unter die Achsel klemmt und über die Prunkstiege hinauf in den ersten Stock des Oberen Belvedere geht.

Zielstrebig marschiert sie zu einem barocken Tischchen, auf dem ein alter Gipsabguss des Verdrüsslichen steht. Der echte hätte die Sammlung grandios ergänzt. Warum, verdammt noch mal, haben ihn die Belvedere-Leute nicht gekauft? Und warum hat das Bundesdenkmalamt eine Ausfuhrbewilligung erteilt? Kopien von Messerschmidts Charakterköpfen gibt es viele. Um die vorletzte Jahrhundertwende standen sie auf den Kaminsimsen, Schreibtischen oder in den Eingangsnischen bürgerlicher Häuser. Die Originale waren in Museen und private Sammlungen gewandert, eine der größten davon die des Bronzewarenfabrikanten Josef Klinkosch. Er besaß die nahezu komplette Originalserie, nur, ob der Verdrüssliche darunter war, ist nicht gesichert. 1889 war das Jahr, als Klinkosch starb und seine Sammlung versteigert wurde. 1889. Carola blickt sich um. Jetzt hat sie doch glatt Applaus erwartet, weil ihr auch das eingefallen ist, aber die Museumswärterin schaut zum Fenster hinaus, und sonst ist niemand hier.

Vielleicht haben es die Ungeheuer gar nicht auf ihr Gedächtnis abgesehen, sondern aufs Sprachzentrum? Oder den Sehnerv? Wenn Carola die Wahl hätte, würde sie … nein, nichts würde sie. Zwischen Skylla und Charybdis wird sie in jedem Fall aufgerieben. Skylla mit den sechs Hundeköpfen, die sich von der einen Seite durch ihren Körper frisst, und der Strudel der Charybdis, der von der anderen heranrollt. So geht das nicht! Sie wird ihrem Lungenkrebs und seinem Nachwuchs andere Namen geben. Schließlich muss sie mit dieser Kanaille noch ein kleines Weilchen leben. Wie wär’s mit Laurel und Hardy? Nein, das Bild mit den Ungeheuern stimmt schon.

Aufhören! Sie ist hier, um das Hirn durchzuputzen, und nicht, um es zu belasten. Klare Gedankengänge will sie haben, keinen Irrgarten mit lauernden Monstern. Carola öffnet den gespeicherten Link zu den Provenienzangaben des Getty Museums. Dass da nahezu nichts stimmt, ist ihr schon heute Morgen aufgefallen. Korrekt ist bloß, dass der Verdrüssliche von Franz Xaver Messerschmidt geschaffen, von seinem Bruder übernommen und später an einen Mister Strantz weiterverkauft wurde. Der hieß doch Strunz, Franz Friedrich Strunz, nicht einmal das haben die Getty-Experten hingekriegt. Außerdem war’s nicht der Bruder, sondern dessen Tochter, die den Verdrüsslichen nebst allen anderen Charakterköpfen abgestoßen hat, aber bitte, es handelt sich immer noch um die gleiche Familie. Der Rest der Angaben ist allerdings fragwürdig. Wann hören die Fachleute endlich auf mit dem G’schichterl, dass der Verdrüssliche Ende des 19. Jahrhunderts vom Wiener Architekten Camillo Sitte erworben wurde? Dafür gibt es nicht den geringsten Hinweis. Carola hat das mehrmals überprüft. Unter dem von Sitte initiierten Ankauf von zehn Alabasterköpfen durch die Wiener Staatsgewerbeschule war er dezidiert nicht, der Mann mit dem ungewöhnlich langen Nackenhaar. Einer der besten Charakterköpfe Messerschmidts, und diese Deppen ließen ihn ziehen! Das stinkt zum Himmel.

- Schon wieder die!

Carola sieht gerade noch, wie die jungen Leute von vorhin in den angrenzenden Saal hasten. Ist sie das Schreckgespenst, vor dem sie flüchten? Oder haben die Italiener, die nun hinter einem Fremdenführer hereindrängen, die beiden verscheucht? Übergangslos stimmt der Mann seine mit zahlreichen -issimo, -issima, -issimi durchsetzte Suada an, während die Menschentraube um ihn herum ständig wächst. Als die letzten versprengten Mitglieder seiner Gruppe eintrudeln, marschiert er bereits weiter, ohne den Gipsabguss, vor dem Carola steht, überhaupt erwähnt zu haben. Und dabei hätte sich diese Kopie durchaus einen Superlativ verdient, gibt sie doch recht gut das Original wieder, dessen verkniffenen Mund sie einst berührt hat.

Carola hätte den Getty-Experten auch sonst einiges sagen können, nicht nur, bei wem der Verdrüssliche jahrelang im Salon stand. Erstmals gesehen hat sie ihn dort im Sommer 1962. Da hatte sie den Wiener Antiquitätenhändler bereits gut gekannt und geglaubt, er wäre ›ihr Wilfried‹. Dumme Gans! Carola spürt, wie ihre Stirn heiß wird, so sehr ärgert sie ihre damalige Naivität noch heute. Wie konnte sie nur annehmen, dass dieser Mann sie liebte, sie, die unbedeutende Studentin, die gerade an ihrer Doktorarbeit über barocke Gartenarchitektur schrieb. Sie wertete die Tatsache, dass Wilfried sie noch vor Studienabschluss im Bundesdenkmalamt unterbrachte, als Beweis für seine Zuneigung. Er hatte schon damals einen Plan. Einer wie Wilfried hatte immer einen Plan, suchte gezielt nach Subjekten und Objekten, die ihm nützlich sein konnten. Doch beim Verdrüsslichen haben andere den Reibach gemacht. 4,3 Millionen Euro war der Kopf den Amerikanern wert. Wilfried hatte ihn um einen Bettel gekauft. Waren es 8.000, 9.000 Schilling gewesen? Er hat ihr den Kaufbeleg einmal gezeigt, datiert mit August 1960. Die Verkäuferin hatte das Geld gebraucht. Dringend. Wilfried hatte es nicht gebraucht, er konnte warten. Das war sein Geschäftsmodell: kaufen, einbunkern und warten. Nur nicht zu viel herzeigen. Die Auslagen seines Geschäfts in der Wiener Innenstadt waren spartanisch geschmückt. Ein Ölbild. Zwei Leuchter. Mehr nicht. Im Laden einige Putti, eine Mappe mit Zeichnungen auf dem Biedermeiersekretär, vier oder fünf Gemälde an der Wand. Die Sammler und Museumsleiter kamen auch so. Ins Souterrain, wo die wahren Schätze lagerten.

Carola klickt den Link zum Getty-Museum weg. Diesen Deal, den hast du nicht mehr über die Bühne gebracht. Bist zu früh gestorben, nur irgendjemand hat in deinem Sinn weitergemacht. Wer aller wurde hier betrogen? Und nun ist der Verdrüssliche außer Landes, raunzt in Los Angeles still vor sich hin, rümpft die Nase wegen der falschen Provenienzangaben. Wer hat den Getty-Leuten eingeredet, der Kopf wäre seit den 1920er-Jahren im Besitz deiner Familie gewesen? Dein Sohn? Die Stiftung? Du warst es jedenfalls nicht, hättest es aber kühl lächelnd getan, denn wer außer mir hätte widersprechen wollen und vor allem können?

Der Verdrüssliche

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