Читать книгу Der Verdrüssliche - Eva Holzmair - Страница 9
III.
ОглавлениеDas Festnetztelefon läutet. Es ist Paul. Er wird heute Abend nicht kommen, erst morgen Mittag, weil er noch einen Termin hat.
- Ich nehme die Swissair. Ankunft 11.50 Uhr. Aus Zürich. Merk’s dir!
Gitta legt den Hörer auf, hat fast nur genickt, nicht gesprochen. Eine stumme Reaktion auf allzu Bekanntes. Selten genug wartet Paul ihre Antworten ab, die zumeist ohnedies ausbleiben, bestimmt lieber, was seines Erachtens geschehen soll. Gitta hat wieder einmal keine Zeit, darüber nachzudenken. Sie muss Bernhard von einem Geburtstagsfest abholen. An sich kann Bernhard recht gut allein nach Hause gehen, aber von Kinderpartys ist er abzuholen, denn es schickt sich, ein paar Dankesworte an die Gastgeber zu richten. Eine dieser Regeln, mit denen Paul aufgewachsen ist, doch Paul ist nicht da, um sie zu befolgen. Und Gitta tut es gut, zwischendurch hinauszukommen, weg von der Staffelei. Einer der Punkte auf der täglichen To-do-Liste.
Als Gitta kurz darauf die fremde Wohnung betritt, kann sie Bernhard in dem Gewühl nicht gleich ausnehmen. Sie kreuzt die Arme vorm Oberkörper, um das beklemmende Gefühl in ihrer Brust wegzudrücken. Hilfesuchend schaut sie sich um. Papierschlangen fliegen durch die Luft. Eine bleibt an Gittas Pulli hängen. Unwillig reißt sie an dem bunten Papierstreifen. Endlich entdeckt sie Bernhard in einem Knäuel balgender Buben. Sie zerrt ihn hoch, doch er will bleiben, weil es gerade so schön ist.
- Na gut. Aber nur fünf Minuten. Nicht mehr. Verstanden?
Um die Zeit zu überbrücken und vor allem um dem Geschrei zu entkommen, bietet Gitta der hektisch hin- und hereilenden Mutter des Geburtstagskindes ihre Hilfe an.
- Nicht nötig. Machen Sie es sich gemütlich!
Gitta verzieht den Mund, wendet sich ab von angebissenen Krapfen, zerbröselten Keksresten, verschmiertem Ketchup und nimmt auf dem äußersten Rand einer Couch Platz, die mit Kinderrucksäcken, Jacken und Mänteln vollgeräumt ist. Die Gastgeberin begreift. Vielleicht doch helfen, das Geschirr in die Küche tragen. Essen eh nicht mehr, die Kleinen. Die Küche? Dort drüben links. Einfach irgendwo abstellen. Zwischen johlenden Kindern schleppt Gitta leere Plastikflaschen, Gläser, Tassen und Teller. Der Wirbel verfolgt sie bis in die Küche. Ein Kind jault auf. Bernhard! Maxi hat ihn in den Bauch getreten. Warum?
- Der Berni hat …
- Nein, der Maxi …
- Du lügst!
Bernhard ist nun bereit, das Fest zu verlassen, weil es nicht mehr schön ist und außerdem andere Mütter und ein Vater in der Tür stehen, um ihre Kinder abzuholen. Er ist somit nicht der Einzige, der fort muss. Nichts wie weg von hier! Hoffentlich hat sie den Anruf des Galeristen nicht überhört. Sie schaut aufs Handy: keine Nachricht.
Auf dem Heimweg vernimmt sie Bernhards Geplapper nur undeutlich. Seine helle Stimme kann den Nachhall des Kinderlärms nicht durchdringen. Erst, als er empört ausruft – Mama, du hörst gar nicht zu! –, lässt das ständige Summen in Gittas Ohr und dieses schwammige Gefühl im Kopf nach.
- Entschuldige! Ich war mit meinen Gedanken woanders.
- Das bist du immer.
Schweigend setzen sie den Heimweg fort, biegen in die schmale Gasse ein und betreten das alte Gründerzeithaus mit dem schmiedeeisernen Treppengeländer. Gitta blickt auf den gesenkten Wuschelkopf ihres Sohnes. Zu Fuß oder Lift? Zu Fuß, lacht er und flitzt los. Sie hinterher. Natürlich wird er das Rennen gewinnen. Erster, schreit er ihr entgegen, als sie außer Atem zur massiven Flügeltür im dritten Stock sprintet. Bernhards Stimme, die hört Gitta gern, egal, wie laut, es macht ihr nichts aus. Bernhard ist die Ausnahme, die große. Trotzdem legt Gitta den Finger an den Mund, bevor sie aufsperrt. Mit Blick auf die Nachbartür gluckst Bernhard in beide Hände und stakst mit übertrieben ausholenden Schritten ins dunkle Vorzimmer. Während er auf dem Boden sitzend die Schuhe auszieht, fragt er:
- Musst du noch den Papa abholen?
- Nein, er kommt erst morgen.
- Wann?
- Zu Mittag.
- Aber er wollte doch zur Lehrerin gehen!
Richtig, auch das noch! Bernhard ist ein schlechter Schüler. Morgen um neun will die Lehrerin einen Elternteil sprechen. So steht es im Mitteilungsheft. Einen Teil fordert sie an, nicht das Ganze. Paul wollte diesen Part übernehmen. Wie immer. Denn das gehört nicht zu ihrer Agenda. Nur Paul wird erst um 11.50 Uhr landen. Merk’s dir!
- Dann geh eben ich.
- Sicher?
- Ja.
Nein. Aber hat sie eine Wahl? Sie wird das schon schaffen, ihren morgigen Aufgabenbereich erweitern und Paul damit überraschen. Nachdenklich steht Bernhard auf und trottet in sein Zimmer. Gitta will noch etwas sagen, ihren Entschluss bekräftigen, doch da läutet das Telefon. Hat sie diesem Ivo beide Nummern gegeben? Nein, hat sie nicht. Es ist Gittas Mutter, die wissen will, ob Gitta mit Bernhard und Paul am Samstag zum Essen komme.
- Oba rechtzeitig! Weißt eh, der Papa woart net gern.
- Is’ gut, Mama.
Um sieben versucht Gitta, den Galeristen zu erreichen, und erfährt, dass er sich heute noch nicht hat blicken lassen. Er ist verliebt, kichert seine Assistentin. Von mir aus, aber er soll verdammt noch mal anrufen, murmelt Gitta, nachdem sie auf die rote Taste gedrückt hat. Die Ausstellung ist in ein paar Tagen, und der Kerl hat noch keine Bilder ausgesucht. Was ist schon von einem zu erwarten, der Ivo Ungemach heißt? Nervös geht Gitta auf und ab. Eine Ausstellung. Die erste nach so vielen Jahren. Und das auch nur, weil Michi die Assistentin des Galeristen kennt. Paul war dagegen. Gitta widersprach. Sie wollte das unbedingt machen, nicht nur die täglichen Tasks auf der Liste abarbeiten, sondern endlich rauskommen.
Gegen acht klopft sie an Bernhards Tür. Du musst ins Bett, mahnt sie durch den geöffneten Spalt. Soll ich dir noch ein Brot streichen?
- Hab keinen Hunger.
- Na, dann Abmarsch!
Er diskutiert nicht, geht tatsächlich ins Bad, während Gitta aufs Mobiltelefon starrt, das sie seit dem Gespräch mit Ivos Assistentin nicht aus der Hand gelegt hat. Als Bernhard nach verdächtig kurzer Zeit zurückkommt, fährt sie mit den Fingern durch sein Haar, um zwei Konfettiplättchen zu entfernen. Paul hätte die Bürste geholt. Oder den Buben erneut ins Bad geschickt. Gute Nacht! Er drückt seinen Kopf gegen ihre Leiste und tapst barfuß zum Bett. Wo hat er bloß wieder die Socken gelassen? Gitta bleibt im Korridor stehen und beobachtet durch die offene Tür, wie Bernhard das Pyjamaoberteil verkehrt rum anzieht. Ronaldos Sieben groß vorne statt hinten. Nun muss er noch die Wächter für die heutige Nacht aussuchen. Er postiert einen Teddy und zwei Hasen am Fußende des Betts.
- Wann gehst du schlafen, Mama?
- Spät.
Sie weiß, das ist das beruhigende Zauberwort für ihren Buben, der zuweilen schlecht träumt. Da kommt die Mama schneller, wenn er verängstigt aufweint. Gitta beobachtet, wie er die kleine Lampe aufdreht, sich unter der Decke einrollt und die Augen schließt. Gleich darauf reißt er sie wieder auf.
- Geh nicht weg.
- Nein, ich bleib.
Gitta wartet ab, bis er tatsächlich eingeschlafen ist, ehe sie ins Atelier schleicht. Sie legt das Handy ins Ablagefach der Staffelei und greift zu einem der runden Pinsel. Nein, doch lieber den schmalen, flachen. Auch den steckt sie zurück in den Pinseltopf. Ivo wird sicher gleich anrufen. Sie nimmt das Handy, geht zum großen Fenster und starrt auf die aufflammende Straßenbeleuchtung. Eine geballte Ladung Strom schießt bis in die äußersten Winkel Wiens, nimmt dem hereinbrechenden Dunkel seinen Schrecken und dem Nachthimmel seinen Zauber. Vereinzelt blinken Sterne. Wahrscheinlich sind es die bereits erloschenen. Ihr Licht ist stärker als das künstliche. Gitta zieht einen Sessel ans Fenster und lässt sich hineinplumpsen. Sie schaltet das Handy auf Vibrieren und legt es in ihren Schoß. Die Sterne. Gitta beginnt, sie zu zählen. Schon als Kind ist sie daran gescheitert, aber so vergeht die Zeit auch heute noch.
Nach zehn ruft Ivo endlich an – ich steh vorm Haus –, rennt sie beim Betreten der Wohnung fast um – du, ich hab’s eilig –, begutachtet dann doch eingehend sämtliche Bilder, von denen er an die 30 Stück aussucht: Aquarelle, Gouachen und vor allem Ölgemälde. Gitta hört zum ersten Mal, dass eine Gemeinschaftsausstellung vorgesehen ist, nicht sie alleine der Öffentlichkeit präsentiert wird.
- Der Reinhard ist im Kommen, er malt gerade eine Kirche aus.
Reinhard! Ausgerechnet. Warum bleibt er nicht in der Kirche? Mit seinen Großformaten wird er Gittas Bilder bestimmt erdrücken. Das Ganze findet auch nicht in Ivos Galerie statt, sondern in einem neu eröffneten Golfclub außerhalb Wiens.
- Viele wichtige Leute werden kommen. Und Geldsäcke. Glaub mir, das ist der Durchbruch.
Für wen? Gittas Sujets, naturalistische Stillleben, verkaufen sich schlecht. Außer an Michi hat sie noch kein einziges Bild verkauft, und Michi zählt irgendwie nicht. Kindchen, du bist aus der Zeit gefallen. Vor 200 Jahren hätten sich ein paar aufstrebende Bürger deine Arbeiten zugelegt, aber heute? Dieses Urteil von Pauls Vater nagt immer noch an ihr. Er hat es laut verkündet. Vor zahlreichen Gästen. Und Paul hat so getan, als hätte er es nicht gehört. Ist sie tatsächlich bloß oldschool ohne eigene Handschrift?
- Erde an Mond. Ivo muss gehen.
- Was, wie bitte?
- Gitta, ich bin hier fertig.
- Ach so. Ja. Danke.
- Ich schick dann jemanden vorbei, um die Bilder zu holen.
- Wann?
- Ich melde mich.
Sie blickt dem feisten Mann nach, wie er die Stufen hinunterläuft, während sie sich kaum mehr auf den Beinen halten kann. Es ist fast Mitternacht. Ivo kann blaumachen, wann er will. Sie muss in der Früh aufstehen, ob sie will oder nicht. Punkt eins auf der To-do-Liste. Der wichtigste.