Читать книгу Der Verdrüssliche - Eva Holzmair - Страница 22
XVI.
ОглавлениеDer grau verhangene Himmel nimmt den Häusern, Straßen und Menschen jegliche Farbe. So zumindest kommt es Gitta vor, als sie verschlafen aus dem Fenster blickt. Was Licht nicht alles ausmacht! Den Verdrüsslichen einen Schatten auf den Kinderkopf werfen lassen, das könnte einen speziellen Effekt hervorrufen. Aber was will sie damit bezwecken? Doch nicht, dass das Kind im Dunkeln ist. Wie kommt sie überhaupt auf diese absurde Idee? Gitta schüttelt den Kopf.
- Mama, was hast du?
Bernhard schaut sie über den Frühstückstisch hinweg groß an.
- Ach, nichts, ich habe mich nur über das Wetter gewundert.
- Wieso?
- So halt.
Sie essen schweigend weiter. Gitta hat die Tablette neben die Kaffeetasse hingelegt. Zum Frühstück soll sie eine nehmen, nicht schon davor, und mit viel Wasser, damit sie in den Magen gespült wird, nicht in der Speiseröhre hängen bleibt oder am Gaumen klebt und wieder ausgespuckt wird. Gestern die Hebel, hat mit ihr gesprochen, als ob sie ein Kind wäre und nicht wüsste, wie Pillen geschluckt werden. Was macht dieses kleine flache Ding? Fröhlichkeit ins Hirn schießen? Alles abtöten, was nicht normgerecht ist?
- Mama, du hast schon wieder so gemacht.
Bernhard schüttelt den Kopf wie ein regennasser Pudel. Gitta lacht.
- Ach, Bernhard. Das sind bloß meine Gedanken. Wenn zu viele auf einmal anklopfen, muss ich ihnen sagen, dass sie mich in Ruh lassen sollen.
- Wo klopfen sie an?
Mit übertrieben ausholender Bewegung führt Gitta die geballte Faust an ihre Schläfe.
- Hier.
Aufmerksam betrachtet sie der Bub.
- Von drinnen?
- Das kommt drauf an. Wenn es meine Gedanken sind, klopfen sie von drinnen an. Wenn es deine sind, von draußen.
- Meine klopfen auch an?
- Natürlich. Wenn du mir etwas erzählst, lässt du deine Gedanken raus, und ich lass sie rein. Wenn die Frau Lehrerin etwas sagt, klopfen ihre Gedanken bei dir an und du lässt sie rein. Du hast schon ganz viele da drin.
Gitta tippt auf Bernhards Stirn.
- Aber nun iss fertig.
Nachdem der Bub gegangen ist und sie das Frühstücksgeschirr abgeräumt hat, ruft Gitta in der Galerie an, doch es schaltet sich nur der Anrufbeantworter ein. Klaro, vor neun ist dort niemand. Die Assistentin hat ihr nicht gesagt, wann Ivo kommen und die Bilder holen wird. Hoffentlich noch am Vormittag, sonst wird es spät und endet in einer Sauferei. Sie wird auf alle Fälle das eigene Auto nehmen. Bloß nicht von Ivo abhängig sein.
Minuten später steht Gitta immer noch mit dem Mobiltelefon in der Hand vorm Vorzimmerspiegel. Sie betrachtet ihr Gesicht. Das straff zu einem Pferdeschwanz zusammengebundene Haar gibt den Blick frei auf die breiten Backenknochen und die niedrige Stirn unterm tiefen Haaransatz. Ohne die großen Augen hätte sie ein recht banales Mondgesicht mit spitzer Nase und kleinem Mund. Aber so? Wie würde sie das ungewöhnlich helle Braun der blaugrau umrandeten Iris malen? Durchsichtig funkelnd wie Kristall? Oder matter, wärmer? Halt! Ihre Augen. Sie sind klar, die Lider nicht verschwollen. Ha, kein neuer Arztbesuch! Gitta grinst ihr Spiegelbild an und legt das Mobiltelefon auf die Ablage.
Sie will etwas tun, egal, was. Sie spürt, dass sie die Tür zum Atelier nicht öffnen, keinesfalls hineingehen will. Auf dem Parkettboden entdeckt sie Wasserflecken, Lurch in den Ecken, Erdklümpchen und Kieselsteine im Eingangsbereich. Sie sieht Paul, wie er mit spitzen Fingern Staubpartikel von seinem Anzug schnippt. Niemand zwingt mich zu malen, überlegt Gitta und holt Kübel, Fetzen und Besen. Zuerst das Badezimmer. Dort fischt sie Handtücher und Baumwollshirts aus dem Korb und gibt sie in die Waschmaschine. Während das Programm läuft und Gitta putzt, wird sich Ivo melden. Sie drückt auf den Einschaltknopf. Der Countdown beginnt. Gitta schrubbt Badewanne und Becken, wischt die Fliesen und poliert die Armaturen. Danach arbeitet sie sich mit dem Besen durch sämtliche Räume. Keine Fluse, kein Brotkrümelchen entgeht ihrem Blick. Bloß das eigene Atelier lässt sie aus. Sie will die Bilder nicht sehen, will sie nur zur Ausstellung bringen, und das möglichst bald. Als sie im Bad die digitale Anzeige der Waschmaschine kontrolliert, hält diese bei 0:08. Gleich wird die Trommel zum Schleudern ansetzen. Hat Gitta Ivos Anruf überhört? Nein, sie hat extra deswegen den Besen, nicht den Staubsauger genommen. Sie rennt zum Mobiltelefon, schaut nach. Nichts. Gut, dann ruft eben sie an. Diesmal antwortet die Assistentin. Ivo sei nicht da, sie wisse auch nicht, wann er komme. Gitta solle sich keine Sorgen machen, er werde zurückrufen.
Gitta wirft das Handy auf den Küchentisch. Ein sich quer durch die Kunstszene fickender Galerist muss nicht zu einer bestimmten Zeit zu Hause sein. Shit: Bernhard. Sie hat vergessen. Bernhard kann doch nicht alleine … nicht einmal einen Schlüssel hat er.
Ich komm, wenn du mich brauchst. Aber gleich am nächsten Tag? Das wäre eine Bankrotterklärung. Außerdem würde Paul sie erneut damit nerven, die Ausstellung abzusagen. Ihre Mutter? Zu kurzfristig. Außerdem würde Mutter nach Paul fragen. Und Gitta will nichts erklären. Nicht jetzt. Sie merkt, wie sie ihre Zähne aufeinanderpresst. Nur nicht verkrampfen! Sie muss eine andere Lösung finden. Michi! Wo ist bloß die eingespeicherte Nummer? Unter M kann Gitta sie nicht finden. Michi hat sie doch erst unlängst angerufen. Gitta schaut in den Gesprächsprotokollen nach, wo zwischen der Endlosreihe der Ivo-Versuche einmal Iggi aufscheint. Natürlich, wie konnte sie das nur vergessen! Iggi. So hat sie Bernhard gerufen, als er Michi noch nicht aussprechen konnte. Schmetterling war Mekasing. Opa Hausladen war Opa Asaden. Und Michi war Iggi. Erleichtert tupft Gitta auf den Eintrag.
- Michi, ein Notfall!
- Gitta! Geht’s dir nicht gut?
- Nein.
- Was nein?
- Ich nehm Tabletten, seh keine Gespenster, zumindest heute nicht, wenn du das meinst, aber sonst hab ich ein Problem. Michi, bitte! Kannst du herkommen und auf Bernhard aufpassen?
- ¿Ist er krank, tu pequeñito?
- Nein. Er kommt um eins aus der Schule, aber da bin ich hoffentlich schon weg und helfe beim Hängen der Bilder.
- Gitta, wie stellst du dir das vor? Ich sitz in einem Büro mit Bossen, die Leistung einfordern. Ich muss performen, from nine to five, am besten noch länger.
- Was soll ich denn tun?
Gittas Stimme kippt ins Weinerliche.
- Wie alt bist du?
- 36. Warum?
- Dann überleg auch mal wie ein erwachsener Mensch.
- Red nicht so mit mir!
- Du forderst es heraus. Apropos, wo ist Paul? Du hast doch gesagt, dass er die nächsten Tage hier ist.
- Er ist aber weg.
- Was heißt weg?
- Er hat mich verlassen.
Das ist ihr so rausgerutscht. Gitta will doch gar nicht über Paul reden, sondern darüber, dass jemand da sein muss, wenn Bernhard heimkommt.
- Und dir geht’s gut, sagst du?
- Ja, schon. Paul braucht bloß Abstand, wird aber wiederkommen, denk ich, nicht gleich, bald, und ich brauche jemanden für Bernhard, weil der um eins kommt, heute. Ist das so schwer zu verstehen?
- Deine Prioritätensetzung ist bestechend. Ich komme gleich nach der Arbeit zu dir.
- Dann ist es zu spät.
- Für Davor versuch ich was zu organisieren. Der Joe kennt jemanden.
- Wer ist Joe?
- Sitzt im Nebenzimmer. ¡Espérate un momentito!
Gitta hört Gemurmel im Hintergrund.
- Sie verlangt acht Euro die Stunde.
- Wer?
- Seine Babysitterin.
- Bernhard ist kein Baby.
- Joes Sohn auch nicht mehr. Halt die Daumen, dass sie Zeit hat.
- Danke, Michi.
Einige Minuten später die beruhigende Nachricht:
- Sie kommt! Wann kann sie sich den Schlüssel holen?
- Am besten gleich.
- Fahrt ihr schon los?
- Nein.
- Wann werden denn die Bilder geholt?
- Ich weiß es nicht. Ich warte schon die ganze Zeit, womöglich bin ich sogar noch selbst da, wenn Bernhard nach Hause kommt. Ivo meldet sich nicht. Und ich kann doch nicht alles alleine machen, kenn nicht einmal den Weg.
- Na, die Adresse der Galerie weißt du doch!
- Ich werde aber in einen Golfclub ausgesiedelt. Gemeinsam mit dem Reinhard Schöller.
Michis Empörung überträgt sich auf Gitta. Was glaubt denn dieser Ungemach? Verspricht eine Personale und hat nun die Stirn, sie mit diesem Nichtskönner in einem Provinzkaff zusammenzuspannen. Golfclub! Eine Frechheit! Gerade, als sie sich in eine wohltuende Wut hineingeredet hat, läutet es an der Tür.
- Hast du gehört? Der Arsch ist nun da.
- Sei nicht zu freundlich. Ich sag der Babysitterin, dass sie sich beeilen soll. Sie heißt übrigens Daniela. Ich komm dann nach der Arbeit zu dir und lös sie ab, falls du noch nicht zurück bist.
- Danke, Michi. Bis dann!
Um nicht aus dem befreienden Furor herauszukommen, schreit Gitta auf dem Weg zur Tür mehrmals – du Arschgesicht! – und reißt sie mit Schwung auf.
- Hab ich Sie erschreckt?
Verdattert schaut Gitta auf ihre Nachbarin, die breitbeinig auf der Matte steht.
- Nein, ich hab bloß jemand anderen erwartet.
Frau Bergers Antwort, dass sie sich das gedacht habe, belustigt Gitta, ebenso der Versuch, an Gitta vorbei in die Wohnung zu linsen. Wo ist das Arschgesicht, wo, Frau Berger, wo? Suchen Sie’s doch! Kalt, kälter, ja, schon besser, hier wird’s wärmer, aber erst wenn Sie sich im Spiegel sehen, ist’s brennofenheiß.
- Ich will Sie nicht aufhalten, will Ihnen nur etwas geben. Ich glaube, es gehört Ihrem Mann.
Frau Berger hält Gitta einen hellen Handschuh unter die Nase.
- Er lag im Lift.
Höflich bedankt sich Gitta. Etwas abrupt schließt sie die Tür und geht nun doch ins Atelier. Sie befingert das weiche Leder. Einer von Pauls Autofahrer-Handschuhen. Gitta legt ihn aufs Fensterbrett, zieht den Arbeitsmantel an und schlendert zur Staffelei. Nachdenklich schaut sie auf Bernhard, Paul und den Verdrüsslichen, dann über den Handschuh hinweg zum Fenster hinaus. Dieser Himmel! Sie muss ihn einfangen. Mit leicht zusammengekniffenen Augen studiert sie die dichte Wolkenbank, die zwischen den beiden gegenüberliegenden Häusern zu sehen ist. Diesmal braucht sie sehr lange, bis sie mit ihrem Entwurf zufrieden ist. Schwer drückt der Himmel auf die drei. Es sind aber keine Regenwolken. Trotzdem gehört Wasser ins Bild, entscheidet Gitta und skizziert Wellen. Bedrohlich umspülen sie die unsichtbaren Beine des Mannes, aber auch den Hals des Verdrüsslichen, allein das Gesicht des Jungen bleibt unberührt. Es schwebt zwischen Mann und Plastik, der eine schemenhaft, die andere überdeutlich. Eine schmutzig braune Farbe wird sie den Wellen geben und nach Chemie aussehende Schaumkronen. Genau!
Als Gitta auf die Uhr schaut, ist es halb zwölf. Sollte die Studentin nicht schon längst hier sein? Und wo bleibt Ivo? Ob er überhaupt noch auftaucht? Das ist ja nicht zum Aushalten! Gitta legt den Stift weg und hastet ins Vorzimmer. Wer kommt als Erster durch die Tür? Bernhard? Ivo? Oder diese Daniela? Blöde Warterei! In Gittas Beinen kribbelt es. Sie will raus. Sofort. Hektisch beginnt sie auf und ab zu gehen, zählt die Schritte, sieben vor, sieben zurück, sieben vor, sieben zurück. Die Stirn brennt. Der Kopf brummt. Kein Wunder, sie will ja mit ihm durch die Wand. Is’ sinnlos. Des tuat nur weh und hilft net.– Ja, Mama. Was dann? Etwas kaputtmachen. So richtig dreinschlagen. Pauls kostbare Vasen? Er hat den Engel mitgenommen, das chinesische Porzellan ist noch da. Gitta reißt die Tür zu Pauls Zimmer auf. Hier sind sie, die weißblauen Ungetüme. Der Gong ertönt. Ran an den Feind! Erneut der Gong. Wieso? Die erste Runde hat doch noch gar nicht begonnen. Verwirrt blickt Gitta auf die Vase vor ihr. Sie steht immer noch heil auf dem Boden. Wieder der Gong, nein, das Mobiltelefon! Sie rennt in die Küche. Ivo!
- Gitta, der Reinhard holt dich ab. Wir treffen uns draußen. Muss mich beeilen, tschüss!
Gitta will protestieren, doch Ivo hat sie bereits weggeklickt, nur Gitta kann nichts wegklicken. Fuck! Das nennt er Künstlerbetreuung. Kassiert dafür 50 Prozent Provision! Mit ihr wird er allerdings kein Geschäft machen. Null Prozent für null Verkauf. So wird die Endabrechnung aussehen. Als Gnadenakt hat er es hingestellt, dass er fürs Ausstellen nichts verlangt. Bezahlen hätte sie auch noch sollen. Gitta schlägt mit der Faust auf den Küchentisch. Falsches Werkstück. Sie ist Malerin, keine Möbelmacherin. Sie stürzt ins Atelier. Wo beginnen? Ihr Blick fällt auf das halbfertige Gemälde. Sie packt den nächstbesten Pinsel, fährt in den Farben herum, trägt unvermischt knalliges Blau, Gelb, Schwarz, Weiß, Rot auf. Am Verdrüsslichen rinnen die Farben herab, doch auch das ist Gitta zu wenig. Sie nimmt eine Spachtel und übermalt den armen Mann mit immer dicker und gröber aufgetragenen Schichten. Ihr Rasen geht in methodisches Arbeiten über. Einzig die Nasenlöcher, den Mund und das Kinn lässt sie frei. Auch das Kindergesicht bekommt ein paar Striche ab, aber nur wenige. Der Rest des Bildes bleibt verschont. Vornübergebeugt steht Gitta da. Eine irre Heiterkeit erfasst sie, während sie das Bild betrachtet. Sie hat die Spachtel viel zu stark aufgedrückt, als wollte sie die Farben durch die Leinwand pressen. Obwohl sie grelle genommen hat, ist durch deren Ineinanderlaufen ein violett-grün-graues Gemisch entstanden. Vogelscheiße, nichts als Vogelscheiße. Wer beschissen wird, hat nichts zu lachen. Der muss etwas dagegen tun. Gitta will schreien, doch aus ihrem Mund kommt nichts als ein Krächzen. Das ist zu wenig. Sie holt tief Luft. Und los! Gitta klagt wie ein verwundetes Tier, der Ton verselbstständigt sich, ist nicht zu bändigen, schwillt an, während es an der Tür Sturm läutet.
- Mama! Mama! Mach auf!
Bernhards angstvoller Kindersopran inmitten von Gittas mächtigem Wutmezzo. Ein Vögelchen, das mit hektischem Flügelschlag durch Sturmwolken flattert. Keine Angst, Spatz, ich hör schon auf. Ich hör auf, hör ganz auf. Mit dem Handrücken wischt Gitta über Augen und Wangen. Nein, geweint hat sie nicht, aber laut ist sie gewesen. Wie ein brüllender Stier. Nein, wie eine Kuh, eine dumme noch dazu. Das reimt sich ja. Gitta ist entzückt. Unter Gelächter öffnet sie die Tür, vor der nicht nur Bernhard steht, sondern auch eine junge Frau mit neongrün gefärbten Haarsträhnen und dahinter die Nachbarin. Schon wieder diese Berger.
- Ha-, ha-, hallo.
Gitta kann sich nicht einbremsen. Sie lacht und lacht. Da hört sie Bernhard fragen:
- Mama, übst du?
Was meint er? Gittas Lachen bricht ab. Sie nickt, schaut auf ihre farbverschmierten Hände. Einem Piepmatz will sie nicht widersprechen. Und wehtun schon gar nicht.
- Hab ich mir eh gedacht.
Gitta hat noch immer keine Ahnung, wovon Bernhard spricht, stellt aber beruhigt fest, dass die Angst aus seiner Stimme gewichen ist. Für ihn haben sich die Wolken verzogen, bloß die beiden Frauen starren sie immer noch groß an. Deshalb stottert sie:
- Ich, ich habe geübt. War etwas laut. Tsch… tschuldigung.
Frau Berger murmelt etwas Unverständliches und geht zurück in ihre Wohnung. Fragend schaut Gitta auf das grün-blonde Mädchen:
- Und du bist Daniela?
- Ja.
- Komm rein.
Zögernd folgt die junge Frau der Aufforderung.