Читать книгу Der Verdrüssliche - Eva Holzmair - Страница 18
XII.
ОглавлениеGitta knallt die Tür hinter sich zu, schleudert ihre Handtasche in die eine Ecke, die Schuhe in die andere Ecke des Vorzimmers. Da geht sie extra zur Hebel, will neu eingestellt werden, und diese Ziege lächelt bloß, meint, es wäre alles in Ordnung. Hin und wieder ein kleiner Ausrutscher – Ausrutscher, hat sie gesagt, so als ob Gitta keinen geraden Schritt machen könnte –, das wäre kein Malheur. Es ist aber eines! Gitta keucht, ihr Brustkorb schmerzt, weil das Herz so sehr dagegen hämmert. Und dabei ist sie bloß zur Psychiaterin gegangen, nicht gerannt, doch genau das wird sie demnächst tun, richtig trainieren, damit sie einen Grund hat, erschöpft zu sein. Körperlich, nicht seelisch. Diese Psychiaterinnen, Psychologinnen, Therapeutinnen, und wie sie alle heißen, sitzen da, schauen dich oder deine Zeichnungen an und ziehen die blödesten Schlüsse. Sie hat das satt, so was von satt!
Im Spiegel sieht sie eine vornüber gebeugte Gestalt, die Hände auf den Oberschenkeln abgestützt. Breitbeinig steht sie da wie eine ausgepumpte Leichtathletin im Zielbereich. 20 Minuten für ein paar Häuserblocks. Lächerlich. Was kann man schon von einer Schnecke erwarten? Richtig! Schneckentempo. Mehr nicht. Das nächste Mal wird sie die Strecke in einer besseren Zeit zurücklegen. Am liebsten würde Gitta erneut losrennen, um das Vorhaben augenblicklich umzusetzen, aber es ist schon fünf. Bald wird Bernhard zurück vom Fußballspielen kommen. An so viel muss sie denken. Morgen könnte sie doch, gleich nach dem Frühstück, während Bernhard in der Schule ist. Nein, da werden die Bilder geholt. Die Bilder! Sie muss sie noch einmal durchsehen. Schließlich ist sie die Künstlerin. Genau. Sie hat etwas mitzureden bei der Auswahl, nicht nur Ivo Ungemach.
Gitta streckt den Rücken und schüttelt die Beine. Immer noch fühlt es sich an, als ob sie einen Wettkampf hinter sich hätte, nicht gewonnen, nicht haushoch verloren, bloß verausgabt im Pulk über die Ziellinie gelaufen. Dort ist ihr Platz. Die Ausstellung wird nichts daran ändern. Ob und was in diesem Golfclub gezeigt wird, ist scheißegal. Was glaubt sie denn, wer sie ist! Sie und große Künstlerin. Lachhaft. Nichts als eine mittelmäßige Malerin ist sie. Mit Angstzuständen und Halluzinationen.
Gitta geht ins Atelier. Für sie ein Ort der Zuflucht, für Paul ein Ort, der sie verrückt macht. Und allergische Reaktionen hervorruft. Vielleicht bei ihm, sicher nicht bei ihr! Er will, dass sie vom Malen loskommt, eine Beschäftigung sucht. Wie stellt er sich das vor? Was kann sie mit ihrem Kunststudium anfangen? Schon jetzt nichts. Gitta ignoriert die ausgesuchten Bilder, setzt sich an die Staffelei und schaut prüfend auf den Verdrüsslichen. Es dauert lange, bis sie einen sauberen Pinsel nimmt und Farben zu mischen beginnt. Paul hat das immer bewundert, ihre Sicherheit in der Farbfindung. Es bereitet ihr keinerlei Schwierigkeiten, eine Stelle fertigzumalen in genau jenem Ton, mit dem sie vor Tagen begonnen hat. Ja, handwerklich hat er ihr große Qualität bescheinigt. Du malst wie die alten Meister. Aber angesprochen haben ihn die Bilder nie.
Ist sie nichts als eine gute Handwerkerin? Wenigstens das hat sie einigen anderen voraus. Mit dem Reinhard hat sie die Gemeinschaftsausstellung. Gitta kennt ihn kaum, obwohl sie mit ihm an der Akademie studiert hat. Er projiziert Landschaftsdias auf eine Leinwand, zeichnet deren Konturen nach und malt sie fauvistisch aus. Und die Leute kaufen seine Bilder. Er weiß, wie er den Markt bedienen muss, behauptet Michi. Du hingegen malst weder gefällig noch wild genug. Trotzdem ist es gut. Den letzten Satz hat Michi aber erst nach einer langen Pause hinzugefügt. Welke Mohnblüten in einem verstaubten Gurkenglas. Wer hängt sich das schon an die Wand? Die privaten Kunden würden Gittas Bilder sicher nicht schätzen, die Spruchmacher in der Kunstszene, wenn sie sich überhaupt die Mühe machten, in dieses Schloss zu fahren, noch weniger. Gittas Werke sind unspektakulär. Sie kommt ohne Großformate, grelle Farben und wilde Pinselstriche aus. In den Riesenhallen moderner Museen würden ihre Arbeiten verloren wirken, im Golfclub werden sie es ebenso.
Sie lässt den Pinsel fallen, der nach kurzem, unangenehm hellem Holpern auf dem Holzboden liegen bleibt. Das erste laute Geräusch, seit sie hereingekommen ist. Andere schweißen Schienen, tippen auf Tastaturen, mähen Wiesen, leeren Mistkübel, reden in Konferenzgesprächen und Meetings. An ihrer Arbeit ist alles leise, gedämpft. Sie stört niemanden, fällt niemandem auf. Hört auch Bernhard nichts von ihr? Aus ihrer Malhöhle dringt kein Geräusch zu ihm. Ist die stille Mutter so bedrohlich, dass er sich in der Wiese verstecken muss?
Gitta heftet den Blick auf den bereits deutlich herausgearbeiteten Kopf des Verdrüsslichen, dann auf die teilweise noch unbehandelte Fläche, die ihn umgibt. Bernhards Augen tauchen auf, die grauen, träumenden, seine sommersprossige Stupsnase, der kleine Mund. Dahinter, etwas verschwommener, nimmt sie Paul aus. Gebeugten Rückens entfernt er sich vom Buben und dem Verdrüsslichen, der ihm gar nicht so unähnlich ist. Pauls angegrautes dunkles Haar bildet im Nacken ein paar Kringel, so wie vor Jahren, als er die Friseurbesuche endlos aufschob. Jetzt trägt er es kaum mehr als streichholzlang, findet, dass in seinem Alter ein Kurzhaarschnitt die passendere Lösung sei, aber in ihrer Vorstellung ist sein Haar lang, erinnert an Zeiten, in denen sie damit spielte, sich zärtlich darin verfing. In der Hand hält er ein paar vertrocknete Blumen, die er behutsam, eine nach der anderen, zu Boden fallen lässt. Hastig greift Gitta zu einem Stift, skizziert den Bubenkopf und die Männergestalt direkt neben dem Verdrüsslichen auf die Leinwand, so wie sie sich ihr zeigen. Während sie erneut Farben mischt, verblassen die beiden, übrig bleiben die gezeichneten Umrisse. Sie beginnt mit Bernhard, der eigentlich nur aus einem übergroßen Gesicht besteht, während sein Kraushaar schon in den Bildhintergrund und damit in Pauls Rückenansicht übergeht. Sicher führt Gitta den Pinsel, lässt Pauls Hand aus, mit der sie vorläufig nichts anzufangen weiß. Auch die Blumen, die er hält, machen ihr Kopfzerbrechen. Sind es Rosen? Es sind definitiv weiße Blüten, die zu Boden sinken. Vielleicht erscheint das Bild noch einmal, damit sie die Blumen genauer betrachten kann.
Als es an der Tür läutet, schreckt Gitta hoch. Sie öffnet und ist erstaunt, dass Bernhard vor ihr steht.
- Wieso bist du schon zurück? Hat dir das Fußballspielen nicht gefallen?
- Aber Mama. Du hast doch gesagt, ich soll um halb sieben zu Hause sein.
Einem ersten Impuls folgend, will Gitta den Buben wieder in den Park schicken. Sie will weiterarbeiten am Kindergesicht, am Männerrücken, am Nacken mit den in Wirklichkeit längst verschwundenen Locken. Doch sie erinnert sich an Pauls Vorwürfe. In der Sache hat er nicht unrecht. Ein bisschen Regelmäßigkeit, zumindest ausreichend Schlaf, muss sie Bernhard bieten.
- Komm nur. Ich hab die Zeit vergessen.
- Das ist immer so bei dir.
Warum sagt Bernhard das? Sie ist doch nicht dauernd weggetreten! Oder schon? Das wäre ja furchtbar. Sie folgt dem Buben in die Küche. Bernhard ist durstig, schenkt sich zum dritten Mal Saft nach, während Gitta Brote mit Butter bestreicht. Sein verschwitztes Gesicht sieht nun überhaupt nicht verträumt, vielmehr frech und unternehmungslustig aus. Mit ungewaschenen, sand- und drecküberzogenen Händen greift er nach den Broten. Gitta schweigt. Sie hat noch nie etwas wie – wasch dir die Hände vor dem Essen – gesagt. Paul schon. Hat Paul in der Erziehung übertrieben, weil sie praktisch nicht erzogen, sich bloß zurückgezogen hat? Sie betrachtet Bernhards braungrau verschmierten Mund, dann ihre eigenen farbbekleckerten Fingerkuppen. Gut, dass sie nichts gesagt hat.
Nach dem Essen lässt sie Bernhard die Badewanne ein, schaut ihm beim Ausziehen zu, wirft seine verdreckten Sachen in den übervollen Wäschekorb und legt den Pyjama bereit. Mit der Hand prüft sie noch einmal die Wassertemperatur. Erst dann darf er in die Wanne steigen. Pass auf, dass d’ ihn net z’ heiß bad’st! Die vielen Ratschläge ihrer Mutter. So als ob sie das nicht von alleine gewusst hätte. Trotzdem die Angst, sie könnte doch … In ihrer Brust zieht sich etwas zusammen. Rasch greift sie ins Wasser, obwohl Bernhard schon fröhlich darin planscht. Alles in Ordnung.
Unter Gekicher und Gejohle lässt er sich von Gitta den Kopf waschen, den Rücken schrubben und abbrausen. Zu nass, japst er und spritzt sie an. Sie rangeln um den Brausekopf, der schließlich ins Wasser plumpst und es aufwirbelt. Bernhard, jetzt ist aber Schluss! Gitta dreht den Hahn zu, hilft ihrem Buben aus der Wanne und wickelt ihn ins Badetuch. Wie dünn er ist! Beim Abrubbeln spürt sie jede Rippe. Sie muss wirklich achtgeben, dass er regelmäßig isst. Während er in den Pyjama schlüpft, schaut Gitta auf die Armbanduhr. Knapp vor acht. Perfekt.
- Abmarsch, mein Großer.
- Ich hab noch nicht Zähne geputzt.
- Dann aber flott.
Gitta geht voraus in Bernhards Zimmer. Draußen ist es noch hell. Sie zieht die Vorhänge zu und schaltet die kleine Lampe am Kopfende des Betts ein. Das hat auch Paul immer erlaubt. Das Licht. Einen unaufgeräumten Schreibtisch hätte er allerdings nicht gutgeheißen. Schon kommt Bernhard angerannt und springt ins Bett, dass die Matratze wackelt. Der Schreibtisch! Ach was! Gitta deckt den Buben zu. Wichtig ist, dass er jetzt schläft, was er binnen kurzer Zeit tut. Nicht einmal Wächter für die Nacht hat er aufgestellt. Was Frischluft alles ausmacht. Gitta betrachtet sein Gesicht. Der Spruch, dass Kinder im Schlaf wie Engel aussehen, fällt ihr ein. Wie Putti vielleicht. Nein, auch das nicht! Putti sind Schablonen, Bernhard ist Bernhard. Einzigartig. Und nun so gelöst. Das muss sie festhalten. Gitta holt ihren Skizzenblock, setzt sich ans Bett und zeichnet das schlafende Kind im Dämmerlicht der abgeschirmten Lampe. Das Fantasiebild am Nachmittag ist ihr so leichtgefallen, den echten Bernhard zu erfassen, will hingegen nicht gelingen. Auf einmal merkt sie, dass der Bub gar keine Stupsnase hat. Wann ist denn die verschwunden? Sein Nasenrücken ist vielmehr breit, flach und hat weniger Sommersprossen als im Tagtraum. Die Augenbrauen schauen dunkler aus. Oder macht das die schwache Glühbirne? Vorsichtig beugt sich Gitta über das Kind, studiert die entspannten Züge. Ja, im Ausdruck, in den Proportionen hat sie Bernhard an der Staffelei richtig und trotzdem bloß als Erinnerung wiedergegeben. So sah er einmal aus. Versagt sie beim Skizzieren, weil die Vorstellung, die sie von ihm hat, das überlagert, was vor ihr ist? Oder liegt es an den geschlossenen Augen? Auf der Leinwand sind sie offen, der Blick versonnen. Nun sind sie unter den Lidern versteckt. Vielleicht träumt er gerade etwas Schönes. Wie soll sie das Wesentliche erfassen, wenn so vieles verborgen bleibt? Gitta blättert das Ergebnis ihrer Bemühungen durch, bessert aus, beginnt von Neuem. Schauen, genau hinschauen, und dann zeichnen. In der Realität bleiben, keinen imaginierten Bildern nachhängen.
Es ist nach Mitternacht, als sie den Skizzenblock aus der Hand legt.