Читать книгу Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz / Verwaltungszustellungsgesetz - Eva-Maria Kremer - Страница 33
1. Der Selbstschuldner
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Vollstreckungsschuldner ist nach Absatz 1 Buchst. a zunächst der Selbstschuldner. Er schuldet eine Leistung als persönliche Schuld. Das gilt auch für den Fall einer Pfändungsverfügung nach § 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. § 309 Abs. 1 S. 1 AO (vgl. VG Mainz B 21.4.2010 – 3 L 233/10, juris = NVwZ-RR 2010, 631). Selbstschuldner kann auch eine Personenmehrheit, etwa eine Wohnungseigentümergemeinschaft, sein (OVG Lüneburg B 1.7.2010 – 9 ME 15/10, juris = ZWE 2010, 426, DVBl. 2010, 1060 L). Außer dem ursprünglichen Schuldner ist auch der Gesamtrechtsnachfolger Selbstschuldner, zum Beispiel bei Verschmelzung von Gesellschaften und bei Erbfolge (vgl. § 45 AO).
Nach § 45 Abs. 1 S. 2 AO gilt das jedoch bei der Erbfolge nicht für Zwangsgelder. Denn diese sind höchstpersönlicher Natur. Hier besteht die gleiche Rechtslage wie bei Geldbußen (§ 101 OWiG).
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Der Erbe ist gemäß § 1922 BGB Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers. Er ist Selbstschuldner und nicht Haftungsschuldner nach Absatz 1 Buchst. b. Eine Nachlassverbindlichkeit gemäß § 1967 BGB ist eine persönliche Schuld des Erben. Infolgedessen kann er nicht für die Leistung, die ein anderer schuldet, haften: Der verstorbene Rechtsvorgänger schuldet nichts mehr.
Beispiele für Nachlassverbindlichkeiten:
– | BVerwG U 18.9.1981 – 8 C 72/80, juris = BVerwGE 64, 105. |
– | BVerwG U 9.1.1963 – 5 C 74/62, juris = BVerwGE 15, 234. |
– | BSG U 17.12.1965 – 8 RV 749/64, juris = BSGE 24, 190. |
– | Zahlungsverpflichtung des Erben gemäß § 12 Abs. 4 des Bundesbesoldungsgesetzes. |
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Ebenfalls Selbstschuldner ist der Sicherungseigentümer (vgl. BVerwG U 16.7.1968 – 1 C 5/68, juris L, DÖV 1969, 471).
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Selbstschuldner können auch Gesamtschuldner sein. Das Wesen der Gesamtschuld ergibt sich aus § 421 BGB: Mehrere schulden eine Leistung in der Weise, dass jeder verpflichtet ist, die ganze Leistung zu bewirken. Aber der Gläubiger darf die Leistung nur einmal fordern (BVerwG B 4.10.2010 – 3 B 17/10, juris, NVwZ-RR 2011, 45). Der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner ganz oder teilweise fordern. Bis zur Bewirkung der ganzen Leistung bleiben sämtliche Schuldner verpflichtet. Für die Gesamtschuld im Steuerrecht gilt § 44 AO.
§ 421 BGB ist eine allgemein gültige Rechtsgrundlage der selbstschuldnerischen Haftung. Hierbei haben in der Verwaltungsvollstreckung an die Stelle der Worte „nach seinem Belieben“ sinngemäß die Worte „nach seinem Ermessen“ zu treten. Maßstab der Ermessensbildung haben die Zweckmäßigkeit und die Billigkeit zu sein (BVerfG U 29.9.1982 – 8 C 138/81, juris Rn. 21 = NVwZ 1983, 222 (223)).
Beispiele:
– | Mehrere Wohnungsinhaber für Fehlbelegungsabgabe (BVerwG U 22.1.1993 – 8 C 57/91, juris = NJW 1993, 1667. |
– | Erben gemäß § 2058 BGB (VGH München U 19.7.1976 – 219 VI 74, juris L, BayVBl. 1976, 756). |
– | Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft für Ausgleichsbetrag nach § 154 BauGB (VG Koblenz B 16.12.1993 – 8 L 4832/93, juris = NVwZ-RR 1994, 637). |
– | Mehrere Gesellschafter für die offene Handelsgesellschaft (OVG Münster U 18.9.1974 – 2 B 508/74, juris = OVGE Münster 50, 54 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwVG NRW). |
– | Mehrere Grundstückseigentümer für Schornsteinfegergebühren (BVerwG U 21.10.1994 – 8 C 11/93, juris = NVwZ-RR 1995, 305). |
– | Wohnungseigentümergemeinschaft für Grundbesitzabgaben (BVerwG B 11.11.2005 – 10 B 65/05, juris = NJW 2006, 791; VGH Mannheim U 26.9.2008 – 2 S 1500/06, juris = NJW 2009, 1017; BGH U 18.6.2009 – VII ZR 196/08, juris = BGHZ 181, 304; BGH U 11.5.2010 – IX ZR 127/09, juris = NZM 2010, 672). |
– | Ehegatten für Straßenreinigungsgebühren (BVerwG B 25.3.1996 – 8 B 48/96, juris = NVwZ-RR 1997, 248). |
– | Mehrere Veranlasser der Gefahr für das Grundwasser auf einem ehemaligen Tankstellengrundstück (VGH München U 15.3.1999 – 22 B 95.2164, juris = NVwZ 2000, 450). |
– | Miteigentümer für Grundbesitzabgaben (OVG Münster B 27.2.2001 – 9 B 157/01 –, juris = NVwZ-RR 2001, 596; OVG Münster U 15.12.1995 – 9 A 3413/95, juris = NVwZ-RR 1997, 121). |
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Selbstschuldner, die als Gesamtschuldner haften, werden nach öffentlichem Recht in Anspruch genommen. Denn das Verwaltungsvollstreckungsverfahren ist von hoheitlicher Natur. Vollstreckungsgrundlage kann zum Beispiel ein Leistungsbescheid sein, der auf Grund einer Gemeindesatzung über die gesamtschuldnerische Haftung von Eltern für Gebühren erlassen wird, die wegen der Benutzung einer Kindertagesstätte durch ihr Kind fällig werden. Dieser Anspruch der Behörde ist vom bürgerlichen Recht unabhängig. Daher ist ein Elternteil auch dann Schuldner der Behörde, wenn er gleichzeitig Unterhalt für sein Kind zahlt (VG Braunschweig U 21.2.2005 – 5 A 319/04, juris Rn. 13 = NJW 2005, 2170 (2171)).
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Die Entscheidung der Behörde über die Auswahl unter mehreren gesamtschuldnerisch haftenden Personen darf nicht ermessensfehlerhaft, insbesondere nicht offenbar unbillig sein (VGH München U 1.7.1998 – 22 B 98.198, juris = NVwZ-RR 1999, 99; OVG Bautzen U 11.1.1999 – 2 S 518/98, juris = NVwZ-RR 1999, 788; VGH Mannheim B 25.3.2003 – 1 S 190/03, juris = NJW 2003, 2550; BFH U 11.3.2004 – VII R 52/02, juris = NJW 2004, 3061; OVG Greifswald B 17.11.2003 – 1 M 169/03, juris = LKV 2004, 230; VGH München B 14.8.2003 – 22 ZB 03.1661, juris, ZUR 2004, 51 L; OVG Hamburg U 4.5.2001 – 1 Bf. 388/98, juris = NVwZ-RR 2002, 458; VG Chemnitz B 29.1.1997 – 1 K 1996/96, juris = NVwZ-RR 1998, 414; VG Schleswig U 14.6.2004 – 14 A 344/02, juris, NVwZ-RR 2005, 86 L).
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In den Leistungsbescheiden, die an mehrere Adressaten gerichtet sind, muss die Gläubigerbehörde nicht wörtlich auf die gesamtschuldnerische Haftung hinweisen. Sie sollte es zwar tun. Aber für die gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG hinreichende Bestimmtheit eines Leistungsbescheides genügt es, wenn sich durch seine Auslegung eindeutig ermitteln lässt, dass der geforderte Betrag von jedem Adressaten in voller Höhe geschuldet wird, jedoch insgesamt nur einmal zu zahlen ist (BVerwG B 25.3.1996 – 8 B 48/96, juris Rn. 6 = = NVwZ-RR 1997, 248).
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Eine selbstschuldnerische Haftung scheidet aus, wenn die Inanspruchnahme des Betreffenden grob unbillig wäre (vergleichbar §§ 1579, 1611 Abs. 1 BGB). Dann läge nämlich eine unbillige Härte vor. So haftet zum Beispiel die Tochter nicht für die Bestattungskosten bei dem Tod ihres Vaters, den sie niemals gesehen und der auch nie Unterhalt für sie gezahlt hat (OVG Münster B 2.2.1996 – 19 A 3802/95, juris =NVwZ-RR 1997, 99). In einem solchen Fall ist das Ermessen der Behörde derart auf „Null“ reduziert, dass sie davon absehen muss, ihre Bestattungskosten geltend zu machen.
Die Entscheidung der Behörde über eine unbillige Härte ist nach Feststellung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zwar von den Gerichten nach den für Ermessensentscheidungen geltenden Grundsätzen zu prüfen. Jedoch kommt es zu einer weitgehenden Nachprüfbarkeit. Denn der Maßstab der Billigkeit bestimmt Inhalt und Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens (GmS-OGB B 19.10.1971 – GmS-OGB 3/71, juris = BVerwGE 39, 355).
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Mitunter ist unklar, wer Pflichtiger und damit Vollstreckungsschuldner ist. Dieser muss einwandfrei bestimmt sein. Denn er ist Adressat des Leistungsbescheides nach § 3 Abs. 2 Buchst. a. Eine solche Ungewissheit besteht zum Beispiel, wenn die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück nicht feststehen, auf welches sich der Vollzug bezieht. Man denke an Kosten einer Ersatzvornahme. Dann wird zweckmäßigerweise dem Betroffenen eine angemessene Frist gesetzt, diese zivilrechtliche Vorfrage gerichtlich klären zu lassen (VGH München B 9.4.2003 – 20 CS 03.525, juris = NVwZ-RR 2003, 542).
Bei einer Bestattung im eiligen Notfall durch eine Gemeinde kann regelmäßig nicht gleich ermittelt werden, wer für die Bestattung primär verpflichtet ist und folglich deren Kosten zu tragen hat. Sobald die Behörde den Verantwortlichen gefunden hat, nimmt sie ihn als Selbstschuldner in Anspruch.