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HerzlsHerzl, Theodor Tod

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Im Juli 1904 starb Theodor HerzlHerzl, Theodor. Er wurde nur 44 Jahre alt. Als offizielle Todesursache wurde Herzschwäche angegeben. Aber KellnerKellner, Leon meinte, er sei schon lange in einem Zustand von Verzückung, Verzweiflung, ja Besessenheit gewesen, der an Irrsinn gegrenzt habe.[78] PaulaKellner, Paula, inzwischen 19, hatte ihn zuletzt beim Chanukka-Ball einer jüdischen Studentenverbindung gesehen – »blass, still, gelb und erschöpft«.[79] In ihren Erinnerungen deutet sie an, dass ihr VaterKellner, Leon eine Mitschuld an seinem Tod gehabt haben könnte, weil er nicht loyal genug gewesen sei:

Kurz vor seinem Tod hatte HerzlHerzl, Theodor die Idee, seinen Judenstaat auf der Sinai-Halbinsel zu gründen. Kellner hielt diese Idee für undurchführbar, weil diese Halbinsel eine reine Wüste war. HerzlHerzl, Theodor fuhr auf und bezichtigte KellnerKellner, Leon des Verrats. Trauriger Abschied. Die Idee wurde dann aber auch vom britischen Hochkommissar Ägyptens, Lord CromerBaring, Evelyn 1. Earl of Cromer, abgelehnt.[80]

HerzlHerzl, Theodor wurde in seinen letzten Jahren aber nicht nur von KellnerKellner, Leon, sondern auch von vielen anderen kritisch gesehen, besonders seit dem sechsten zionistischen Kongress in Basel 1903, der im Zeichen der Pogrome im russischen Kischinew stand, bei denen Tausende von Juden misshandelt oder getötet worden waren. Sowohl die »assimilierten« als auch die sozialistischen und orthodoxen Teilnehmer sprachen über kaum etwas anderes und fühlten sich durch den selbstherrlich agierenden HerzlHerzl, Theodor nicht vertreten. Immer mehr drängte sich das Gefühl auf, dass den Juden im Hier und Jetzt geholfen werden müsse anstatt in einem hypothetischen Zion. In Wien lebten um diese Zeit etwa 147000 Juden, von denen nur 872 Mitglieder der zionistischen Weltorganisation waren und den Mitgliedsbeitrag, den »Schekel«, zahlten, ein denkbar schlechtes Ergebnis.[81] Bei so viel Kritik aus allen Lagern scheint HerzlHerzl, Theodor KellnerKellner, Leon noch am meisten vertraut zu haben, sonst hätte er ihn nicht zum Herausgeber seines Nachlasses bestimmt, was KellnerKellner, Leon offenbar selbst überrascht, ja schockiert hat, denn es waren ungeheure Materialmengen aufzuarbeiten: »Eindrücke, Einfälle, Lesefrüchte, Dialogfetzen, geflügelte Worte, Keime zu Feuilletons, Erzählungen, Entwürfe zu Theaterstücken« und eine Korrespondenz, die sich über ein Vierteljahrhundert erstreckte.[82]

Die Zeit um HerzlsHerzl, Theodor Krankheit und Tod fiel zusammen mit einer Zeit großer Umbrüche in der Familie Kellner. PaulaKellner, Paula ertrotzte sich die Erlaubnis, eine Schule besuchen zu dürfen, das relativ neu eröffnete Mädchenlyzeum am Kohlmarkt Ecke Wallnerstraße. Es gehörte einer Germanistin namens Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie, auch »Genia« oder »Frau Doktor« genannt, weil sie in Zürich über Berthold von Regensburg promoviert hatte. Wie KellnerKellner, Leon stammte sie aus einer jüdischen Familie in Galizien, war aber in Czernowitz aufgewachsen, wo ihr Vater ein Büro für Reklame und Arbeitsvermittlung betrieb. Nach der Heirat mit dem Juristen Hermann SchwarzwaldSchwarzwald, Hermann kaufte sie ein altes Schulgebäude und verkündete mit großer Emphase ihr Programm, das für eine gewaltfreie Pädagogik stehen sollte, für Förderung von Weltoffenheit, Phantasie und Gestaltungskraft:

Ich habe ein System der individualisierenden […] Behandlung eingebürgert und dadurch die Schule für alle Schülerinnen zu einem Heim gemacht, in das sie mit Freude kommen und das sie ungern verlassen – eine Gemütsverfassung, welche die Hauptquelle der hohen Lernerfolge ist. […] Den hygienischen Bedürfnissen ist durch einen rationellen Turnunterricht und die zahlreichen Klassenausflüge im Frühling und Sommer genügt.[83]

Das Institut von Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie war nur eins von mindestens sieben Mädchenlyzeen, die seit Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien eröffnet worden waren. Sie alle verdankten ihre Entstehung den »Kämpfe(n) um die Mädchenbildungsreform«, die in einem »Trommelfeuer von Pamphleten und Petitionen« ausgetragen wurden, nicht nur seitens der Frauenbewegung, sondern auch von den »liberalen und sozialistischen Parteien«.[84] Oft wurde dabei der Vergleich mit Deutschland bemüht: Sogar in Preußen, einem Hort der Reaktion, gebe es weiterführende Schulen für Mädchen, in Österreich aber so gut wie gar nicht.

Das Prinzip war überall dasselbe: in sechs sogenannten Lyzealklassen wurden die üblichen Fächer wie Deutsch, Englisch, Französisch, Mathematik, Naturwissenschaften, Religion und Geschichte gelehrt. Danach konnte eine »Lyzeal-Matura« abgelegt werden, die zum Besuch eines Lehrerinnenseminars oder zur Gasthörerschaft an der Universität berechtigte. Schülerinnen, die »richtig« studieren wollten, was seit 1897 gesetztlich möglich war, mussten darüber hinaus Latein und Griechisch lernen und das Abitur als Externe an einem Jungengymnasium machen.

Die neue Schulform des »Mädchen-Lyzeums« war so beliebt wie umstritten. Viele, besonders jüdische Eltern freuten sich, dass ihre Töchter endlich etwas anderes lernen konnten als Zeichnen, Singen und Sticken. Es gab aber auch Pädagogen, die strikt dagegen waren, weil »das weibliche Nervensystem […] zarter (und) reizbarer« sei als das männliche. Da Mädchen in der Regel langsamer lernten als Jungen, müssten sie sich doppelt so stark anstrengen. Sie müssten Tag und Nacht über ihren Büchern sitzen, anstatt sich an der frischen Luft zu bewegen oder zu schlafen. Die »Rosen« auf ihren Wangen würden erbleichen, und an die Stelle von Frohsinn träten »Mattigkeit, Missmut und Verdrossenheit«.[85]

PaulaKellner, Paula spürte davon allerdings nichts. Ganz im Gegenteil. Sie war glücklich auf dem Lyzeum.

Mein gedrücktes Selbstvertrauen richtete sich auf, […] ich wurde ein ganz normales Mädel, wenn auch noch immer ein wenig prüde. Ich freundete mich zum ersten Male mit Menschen an.[86]

Im Sommer 1903 machte PaulaKellner, Paula die »Lyzeal-Matura« und hielt in der Prüfung einen Vortrag über »Die Bühne Shakespeares«, der sogar in den Jahresberichten der Schule erwähnt wurde.[87] Sie wollte nun Schriftstellerin oder Übersetzerin werden wie ihre MutterKellner, Anna (geb. Weiß). Doch ihr VaterKellner, Leon war dagegen. Das sei zu unsicher, nichts für ein Mädel. Also gab sie nach und ging auf das Lehrerinnenseminar, trat aber der zionistischen Studentenverbindung »Bar Kochba« bei und nahm Kurse in Hebräisch und Säbelfechten.[88] Denn für sie als noch immer überzeugte Herzl-Anhängerin war klar: Eines Tages würde sie nach Palästina gehen und beim Aufbau einer neuen Gesellschaft helfen. Als sie eines Tages ihr Diplom in der Hand hielt, war die MutterKellner, Anna (geb. Weiß) stolz, die Großmutter, Klara WeißWeiß, Klara, dagegen gar nicht. Denn obwohl sie selbst äußerst tatkräftig war, ihrem Mann immer im Geschäft geholfen hatte und einen gut gehenden Konfektionsladen auf der Bielitzer Tempelstraße betrieb, seitdem es mit dem Wollhandel bergab ging, war sie – zumindest verbal – gegen jede Frauenemanzipation. Sie hoffe, PaulaKellner, Paula werde einen guten Mann finden und es nie nötig haben, zu unterrichten, schrieb sie an ihre Tochter.[89] PaulaKellner, Paula behauptet sogar, sie habe versucht, das frisch erworbene Diplom zu zerreißen.[90] Doch das mag Übertreibung gewesen sein, denn PaulaKellner, Paula hatte ein sehr schlechtes Verhältnis zu Klara WeißWeiß, Klara, während sie LeaKellner, Lea, die Großmutter väterlicherseits, innig liebte.

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