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»Ein infames Luder«
ОглавлениеViele Mädchen verblieben nach dem Abitur im Bannkreis SchwarzwaldsSchwarzwald, Eugenie, die mit ihrem Mann einen großen Salon führte, in dem SchönbergSchönberg, Arnold, KokoschkaKokoschka, Oskar, Adolf LoosLoos, Adolf und andere Wiener Künstler verkehrten. Es wurde zwar kein Alkohol getrunken, aber hoch her ging es trotzdem. Ehen, ob zu zweit oder zu dritt, wurden gestiftet und wieder auseinandergebracht. Die Geschlechterrollen vermischten sich. Frau SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie hatte ihre speziellen jungen Schützlinge, von denen man nie recht wusste, was sie eigentlich für sie waren: Ersatztöchter? Mitarbeiterinnen? Oder Geliebte? Wenn der berühmte Architekt Adolf LoosLoos, Adolf, Innenausstatter ihrer Villa, sich an kleine Mädchen heranmachte, drückte sie gerne mal ein Auge zu. Seine Frau ElsieLoos, Elsie war mehr als 30 Jahre jünger als er und ebenfalls Absolventin der Schwarzwald-Schule. Er kannte sie schon, seitdem sie sechs war. Doch eines Tages war sie ihm nicht mehr »jung« genug. Deshalb verging er sich immer wieder an kleinen Mädchen, bis er 1928 endlich angezeigt wurde, ein großer Schock für die Wiener Boheme. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnung wurden Hunderte pornographischer Bilder von Fünf- und Sechsjährigen gefunden. Viele Kinder, die er missbraucht hatte, sagten gegen ihn aus, aber sein Anwalt Gustav ScheuScheu, Gustav, ein guter Freund SchwarzwaldsSchwarzwald, Eugenie, verstand es, sie unglaubwürdig zu machen, sodass er mit vier Monaten auf Bewährung davonkam. Zu seiner Rechtfertigung erklärte er, Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie persönlich habe ihn beauftragt, »die Mädchen […] auf ihre sittliche Tauglichkeit für eine ihrer Kinderverschickungsaktionen« zu prüfen.[123]
»War SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie hoffnungslos naiv?«, fragt sich ihre englische Biographin Deborah HolmesHolmes, Deborah. »Oder hielt sie die Gefahren, die die aufgeladene Atmosphäre mit sich brachte, für Betriebsunfälle, für einen unvermeidlichen Bestandteil ›schöpferischer Bildung‹?«[124]
Nein, sie glaubte wohl zu sehr an Sigmund FreudFreud, Sigmund, der zwar 1896 vor dem »Verein für Psychiatrie und Neurologie« erklärt hatte, dass »Ausschreitungen von Wüstlingen« gegenüber Kindern zur »lebenslangen seelischen Verstümmelung« der Betroffenen führen würden,[125] spätestens 1905 – in den Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie – aber offiziell davon abgerückt war, indem er behauptete, Kinder hätten eine voll entwickelte sexuelle Libido und das Recht, diese befriedigt zu sehen. Kindliche Berichte über sexuellen Missbrauch seien in der Regel nur imaginiert oder Ausdruck von Wunschphantasien.[126] FreudFreud, Sigmund fand viel Widerspruch, etwa von William SternStern, William, einem Verwandten Walter Benjamins, der die »Anwendung der sogenannten ›Psychoanalyse‹« auf Kinder kategorisch ablehnte: »Diese Richtung will durch eine fessellose Deuterei in die unbewussten Tiefen der Kinderseele hineinleuchten, in denen sie nichts als ›infantile Sexualität‹ zu finden meint.«[127] Aber dennoch: FreudsFreud, Sigmund »Erkenntnisse« wurden von anderen hoch gepriesen, so auch von dem Kreis um Karl KrausKraus, Karl, der an die revolutionäre Kraft der Drei Abhandlungen glaubte und in ihnen den schlüssigen Beweis sah, »dass wir von den biologischen Vorgängen, in denen das Wesen der Sexualität besteht, (noch) lange nicht genug wissen«.[128] Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie hegte eine große Bewunderung für Karl KrausKraus, Karl. Wahrscheinlich glaubte sie, ihren Schützlingen Gutes zu tun, indem sie FreudsFreud, Sigmund Sexualtheorie in die Tat umsetzte.
Im Privathaus der Schwarzwalds fanden Führungen statt, an denen vermutlich auch Dora teilnahm. Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie selbst nannte ihr Heim gern ein »Häusel«. Aber es war ein Museum der Dekadenz und des Luxus. Stiche von RaffaelRaffael hingen an den Wänden, ein Blüthner-Flügel stand im Musikzimmer, die Loggia war mit japanischen Matten tapeziert, ein blauer Salon barg eine erlesene Bibliothek, englischer Chippendale traf sich mit italienischer Renaissance und Korbmöbeln der Wiener Sezessionisten. Das Seltsamste aber war ihr gelbseidenes Schlafzimmer, das nur durch einen Vorhang vom Salon getrennt war, sodass sie immer kontrollieren konnte, was dort vorging. Halbwüchsige Mädchen saßen zwischen großen Künstlern und aßen Brötchen mit braunem Aufstrich, denn bunte Sandwiches waren LoosLoos, Adolf, einem Feind jeder Ornamentik, zuwider.[129]
Dora muss in diesem Haus Schlimmes erlebt haben. Denn trotz der guten Noten, die sie ihr zu verdanken hatte, hasste sie »die SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie« von ganzem Herzen, womit sie übrigens nicht allein dastand. Für die einen war sie eine der besten Pädagoginnen der Neuzeit, für die anderen eine fette neureiche Galizierin, die skrupellos über die »Scherben gequälter Mädchenseelen« hinwegging.[130] Als SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie 1938 ins Exil gehen musste, weil ihre Schule »arisiert« worden war, zeigte Dora keine Spur von Mitleid, sondern schrieb an Benjamin:
Die Akten über Genia SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie sind nun geschlossen. Sie ist und bleibt ein infames Luder, wird niemand mehr nützen, aber hoffentlich auch niemand mehr schaden.[131]
Dieser Hass ist eigentlich nur durch sexuellen Missbrauch zu erklären, ob er nun von Eugenie SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie selbst oder einem ihrer männlichen Gäste ausgeübt wurde. Dora war groß, blond und schön, ein Typus, den die SchwarzwaldSchwarzwald, Eugenie besonders liebte. Zur Erklärung des Phänomens »Antisemitismus« soll sie einmal gesagt haben:
Wenn ihr euch nebeneinander ein hochgewachsenes, blondes, blauäugiges Paar vorstellen könnt aus dem hohen Norden, Schweden vielleicht, und daneben ein kleines, verhutzeltes, jüdisches ostpolnisches Ehepaar und dazu beider Paare Bewegungen, Sprache und Gehaben, ist es da nicht vielleicht ein wenig zu verstehen, wem von der Welt […] bei weitem der Vorzug gegeben wird?[132]
Was immer Dora in dieser schwülen Atmosphäre erlebt haben mag, es muss schrecklich gewesen sein. Denn zu solcher Aggressivität hat sie sich sonst selten hinreißen lassen.