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3. Die Pfarrkirche als Identifikationsraum

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Franz Jägerstätter, der seit seiner Hochzeit am 9. April 1936 mit Franziska Schwaninger häufiger, ja täglich zur Messe in die Pfarrkirche ging, übernahm im Herbst 1941 auch den Mesnerdienst, nachdem der bisherige Mesner gestorben war.36 Als Mesner kannte er den Kirchenraum und die ihn prägende künstlerische Gestaltung wie kaum ein anderer. Es ist davon auszugehen, dass für ihn die ikonographische Gestaltung auch eine spirituelle Komponente war. Wenn seine Reliquien nunmehr in die Pfarrkirche übertragen und unter dem Altar beigesetzt worden sind, reiht sich dieses Ereignis ein in die lange Tradition der Kirche, auch der Pfarrkirche von St. Radegund. Am 15. April 1422 waren in dieser nach entsprechender Bautätigkeit drei Altäre geweiht worden.37 Der erste im Chor zu Ehren der hl. Radegundis und des hl. Laurentius, auf der rechten Seite der zweite zu Ehren Mariens und der dritte zu Ehren der hl. Leonhard, Sigismund und Wolfgang, dem Bekenner.38


Abb. 4: Historische Innenansicht der Pfarrkirche St. Radegund mit den drei Altären, o. D.

Die Pfarrkirche von St. Radegund heute ist geprägt von nicht wenigen Märtyrer/innengestalten. Zunächst ist das Patrozinium selbst zu nennen, die hl. Radegundis mit Kreuz und Krone (4. Viertel 17. Jahrhundert), links und rechts von ihr die beiden römischen Märtyrer Johannes und Paulus jeweils mit Märtyrerpalme und Schwert und den Attributen Sonne und Wolke, die sie als Wetterheilige ausweisen (um 1770). In der Mitte des Hochaltares befindet sich die Himmelskönigin Maria, das Zepter in der rechten Hand und auf dem linken Arm das gekrönte Jesuskind (Gnadenmadonna, 18. Jahrhundert). In den beiden Fenstern des Presbyteriums sind die beiden Märtyrergestalten der frühen Kirche, der hl. Stephanus und der hl. Laurentius, abgebildet; beide Fenster sind im Kriegsjahr 1916 datiert. In den Aufbau des Hochaltares sind links und rechts vom Drehtabernakel, in welchem ein Standkruzifix steht (3. Viertel 18. Jahrhundert), zwei Reliquiare mit einer nicht unbeachtlichen Anzahl an Reliquien eingesetzt. Im Reliquiar links sind Reliquien der hl. Magdalena, des hl. Koloman, der hl. Apollonia, des hl. Patiens, des hl. Fructuosus, der hl. Kunigunde, des hl. Papstes Felix, des hl. Apostels Bartholomäus und des hl. Jacintus eingefügt; hinzu kommen Erinnerungselemente vom Ölberg und ein Stück der Rute Christi (virga). Im Reliquiar auf der rechten Seite vergegenwärtigen Reliquien den hl. Georg, die hl. Radegund, die hl. Kunigunde, den hl. Liberatus, den hl. Clemens, den hl. Benedictus und den hl. Pinctus; eine weitere Reliquie ist aus einem tragbaren Altar eingefügt gemeinsam mit einer Partikel vom (Kreuzes-)Holz Jesu, vom (Abendmahls-)Tisch des Herrn und von den Kleidern der seligen Jungfrau Maria.


Abb. 5: Heutige Gesamtansicht des Hochaltars der Pfarrkirche mit Märtyrerfenster

Nachdem das ikonographische Programm zur Prägung der Gläubigen in ihrer Spiritualität geschaffen wird, sei auch die weitere Gestaltung angemerkt. Der linke Seitenaltar zeigt die Kreuzigung Jesu mit Maria, der Mutter Jesu, in ihrem Schmerz, begleitet von Johannes, dem Lieblingsjünger; Longinus, einer der römischen Soldaten, sticht in die Seite Jesu, aus der Blut und Wasser fließen, ein Bild für die Sakramente der Kirche. Darüber im Medaillon der aus Reue über seine Verleugnung weinende Petrus, mit dem krähenden Hahn im Hintergrund, und einem Putto, der das Tränentuch zum Trost reicht (2. Viertel 19. Jahrhundert).


Abb. 6: Der Seitenaltar

Aus dem 1975 entfernten rechten Seitenaltar hängen an der Nordwand der Kirche das Altarblatt mit der schmerzhaften Muttergottes und dem toten Sohn in ihrem Schoß (Vesperbild, Anfang 18. Jahrhundert) sowie das Medaillon mit der hl. Büßerin Maria Magdalena (Anfang 18. Jahrhundert).


Abb. 7: Das Altarblatt des ehemaligen rechten Seitenaltars

An einer Säule des Mittelschiffes angebracht ist die Skulptur Christi (um 1520), aus dessen Seitenwunde Blut fließt, das der Herr selbst in einem Kelch in seiner Rechten auffängt (Herz-Jesu-Motiv; Hinweis auf die Eucharistie; Hl.-Blut-Verehrung).


Abb. 8: Skulptur Christi mit Kreuz und Kelch, der das Blut Christi auffängt

In seiner Linken hält er das Kreuz, das Zeichen der Erlösung und der Liebe zu den Menschen. Sodann eine Skulptur Anna Selbdritt (spätgotisch) und die Mater dolorosa, Maria mit dem Schwert durchbohrt (4. Viertel 15. Jahrhundert). Über dem gotischen Eingangsportal auf der Südseite befinden sich der hl. Leonhard, die hl. Notburga und der hl. Isidor. Diese drei Skulpturen wurden von Josef Moser 1950 geschaffen, später wegen Diebstahls in die Sakristei gegeben und nach einer Restaurierung im Juli 1987 wieder über dem Portal eingesetzt (siehe Einlage in der Pfarrchronik), neuerdings restauriert.

Abb. 9 und 10: Anna Selbdritt (l.); Mater dolorosa (Schmerzensmutter; r.)

In der oberen Sakristei befinden sich eine Skulptur des hl. Laurentius (18. Jahrhundert) vom abgetragenen rechten Seitenaltar, ein Bild der Mutter vom guten Rat, genannt von Canazzano (signiert I. Sch. 1866) und ein Vortragekreuz. In der Sakristei steht eine durchaus wertvolle barocke Reliquien-Monstranz mit einer Kreuzpartikel, wohl zum Mittragen bei Kreuzgängen und nichteucharistischen Flurprozessionen.


Abb. 11: Reliquien-Monstranz mit Kreuzpartikel

In der Sakristei befindet sich auch eine Skulptur des auferstandenen Christus (2. Hälfte 18. Jahrhundert), die in der Osterzeit auf den Hochaltar gestellt wird. Ein ursprünglich spätgotisches Relief mit dem Letzten Abendmahl, vielleicht ein Relikt aus einem der früheren Altäre aus dem Umkreis von Hans Leinberger (um 1520), hängt heute in Gestalt einer Kopie von Alois Wengler (1962) im Altarbereich an der Nordwand; das Original befindet sich heute als Leihgabe im OÖ Landesmuseum in Linz.39 1948 merkt Pfarrer Josef Karobath an, dass die Herz-Jesu-Statue entfernt und durch eine Ecce-homo-Statue ersetzt worden sei.40

An der Südwand über dem neu geschaffenen Taufbrunnen hängt der von der Kanzel verbliebene Kanzelkorb mit dem Guten Hirten in der Mitte und Petrus und Paulus auf Ölgemälden aus der Zeit um 1730.

Während die Altarplatten der beiden Seitenaltäre und die Altarretabeln nicht mehr existieren, hat sich die ursprüngliche Altarplatte des Hochaltares erhalten. Dieser ist durch die Weihe des neuen Jägerstätter-Altares für die Feier der Eucharistie nach dem Messbuch von 1975 für den ordentlichen römischen Ritus außer Funktion, da die Messe mit der Gemeinde auf dem neuen Altar gefeiert wird. Weiterhin bestehen bleibt der Tabernakel, in dem die Eucharistie aufbewahrt wird.

Jägerstätter war wohl von diesem ikonographischen Programm und den damit verbundenen Impulsen, die von den dargestellten Heiligen ausgehen, geprägt, da Heiligenviten ja ein zentraler Bestandteil seiner täglichen Glaubenspraxis waren. Nunmehr ist er selbst in den Reigen der vergegenwärtigten Märtyrer/innen hineingenommen und selbst Vorbild für jene, welche in diese Pfarr- und Wallfahrtskirche kommen, um Trost, Kraft und Hoffnung im Ringen um die rechte Lebens- und Glaubensgestaltung zu suchen. In seinen allerletzten Mitteilungen an seine Familie aus dem Gefängnis schreibt er noch, er hätte diesen Weg nicht gehen können, „hätte mir Gott nicht Kraft und Gnade verliehen“41 – eine biografisch-theologische Notiz von höchster Relevanz für das Selbstverständnis des Propheten, Bekenners und Märtyrers.

Vom Schafott zum Altar

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