Читать книгу Vom Schafott zum Altar - Ewald Volgger - Страница 14
3. Pfarrer Josef Karobath und das Gedenken in St. Radegund
ОглавлениеWie im Wochenverkündbuch der Pfarre St. Radegund nachzulesen ist, teilte Vikar Ferdinand Fürthauer68 am 9. Sonntag nach Pfingsten, zugleich dem Hochfest Mariä Himmelfahrt, 15. August 1943, den Tod Franz Jägerstätters mit der für alle im Krieg Verstorbenen üblichen Formulierung öffentlich mit: Es wird gebetet und die Sterbeglocke geläutet für […], für Franz Jägerstätter, welcher im 36. [sic] Lebensjahre selig im Herrn verstorben ist.69
Fürthauer vermied hier jeden Hinweis auf die näheren Umstände seines Todes, welche der Radegunder Bevölkerung allerdings bekannt waren. Für Dienstag, 17. August 1943, wurden Rosenkranz, Requiem und Libera für den Verstorbenen angekündigt und auch gehalten; vielleicht wusste man um die Bestattung der Urne am Friedhof in Brandenburg, oder es ist die Datumsgleichheit ein Zufall, die Einäscherung hatte bereits am 11. August stattgefunden.70 In den folgenden Tagen wurden eine Reihe von hl. Messen für Franz Jägerstätter ins Intentionenbuch71 eingetragen, und in den folgenden Jahren und Jahrzehnten wurde am 9. August jeweils eine von Franziska Jägerstätter für ihren verstorbenen Ehemann bestellte Messe gelesen.
Im Juli 1945 kehrte mit Josef Karobath jener Pfarrer nach St. Radegund zurück, der Franz Jägerstätter persönlich über viele Jahre als Seelsorger betreut hatte und sich das Andenken Jägerstätters zu seiner Lebensaufgabe machte.72 In den Unterlagen im Pfarrarchiv liegt für diese Zeit ein Curriculum vitae vor, das Karobath selbst geschrieben hat:
Geboren bin ich in Neukirchen bei Altmünster am 9.1.1898. Mein Vater war Mesner und Drechsler. Wir waren 7 Geschwister; 3 Schwestern wurden Klosterfrauen. Das Gymnasium machte ich im Kollegium Petrinum. 1910 bis 1918. 1917 bis 1918 musste ich Kriegsdienst leisten, wobei ich 1918 den rechten Fuß verlor. Trotzdem konnte ich Priester werden. 1918–1923 Theologiestudium im Linzer Priesterseminar. Am 24.6.1923 wurde ich zum Priester geweiht. Ich hatte folgende Posten in der Seelsorge: Mehrnbach 15 Tage, Hofkirchen i. M. 7 Monate, St Peter b. Linz 3 Jahre 5 M. Haag a H 1 Jahr 10 Monate, dann Provisor in St. Radegund 9 Monate. Koop. in Perg 2 Jahre, Provisor in Dorf a Pram 6 Monate. Kooperator und dann Provisor in Gunskirchen ca 2 Jahre. Pfarrer in St. Radegund bin ich seit 1.11.1934. 1940 erzwang ich eine Verhaftung durch eine Predigt über die 10 Gebote Gottes. Nach 2 Monate Haft bekam ich Bezirksverbot. Ich war dann Kooperator in Wolfern und 1941 bis 1945 Kooperator in Laakirchen. Im Juli 1945 kam ich wieder in meine Pfarre St. Radegund und wurde sehr enttäuscht. Josef Karobath, Pfarrer.73
Nach St. Radegund zurückgekehrt fuhr Karobath mit jenem Predigtzyklus über die Zehn Gebote fort, deren Beginn im Jahr 1940 seine Verhaftung zur Folge hatte.74 Als Vorlage diente ihm die in Münster in deutscher Übersetzung veröffentlichte Predigtsammlung zu den Zehn Geboten von Tihamér Tóth, einem Professor der Universität Budapest. Inhalt dieser ersten Predigt in Fortsetzung des Predigtzyklus war das Gebet als Quelle der Kraft, wobei in der Zusammenfassung das Beispiel des Märtyrers Ignatius erläutert wird, von dem berichtet wird, dass er im Gebet alle Kraft für sein Martyrium schöpfte.75
In das Taufbuch der Pfarre (Tomus V, pag. 10) vermerkte dieser mit fester Überzeugung: Franz Jägerstätter starb am 9. August 1943 in Brandenburg den Märtyrertod.76
Abb. 15: Pfarrer Josef Karobath
Als Karobath im Dezember wegen einer Erkrankung längere Zeit das Bett hüten musste, trug er in die besagte Pfarrchronik77 am 19. Dezember 1945 eine kurze Lebensbeschreibung von Franz Jägerstätter nach, die deutlicher und prägnanter nicht sein könnte und bereits auf eine künftige Seligsprechung verwies:
Jägerstätter. Wenn es in diesem gemeinen Krieg einen Helden gegeben hat, dann war es Jägerstätter Franz. Er war ganz sicher ein Heiliger von Format. Geboren ist er am 20.5.1907. In seiner Jugend war er, vor allen anderen Burschen, etwas rauflustig u. auch leichtsinnig. 1934 wurde er ernst. Damals hatte er vor, in ein Kloster als Laienbruder zu gehen. Ich habe ihm abgeraten. Am Gründonnerstag 1936 heiratete er ein sehr braves, ideales Mädchen. Die Trauung war in aller frühe, dann machte er eine Hochzeitsreise nach Rom. Er übernahm dann den kleinen Bauernhof (Lehenbauer)[sic]. Er las jetzt viel, bes. Heiligenlegenden. (Hümmeler, Helden u. Heilige.)78 Er wollte ein Heiliger werden. Mann und Frau waren sich in diesem Ziel ganz einig. Täglich geht er mit seiner Frau zur hl. Kommunion. Der Einmarsch der Nazi in Österreich 1938 machte ihn tief traurig. Er kannte die Gottlosigkeit u. das Neuheidentum dieser Eindringlinge. Bei der Abstimmung wählte er ungültig; er nahm keine Kinderbeihilfe für seine 3 Kinder an, er gab auch keine Spenden für den Nazismus. Aber den Armen half er, wo er konnte. Schon 1939 sagte er, dass er das Ende dieses Systems nicht erleben möchte. 1940 musste er zum 1. Mal einrücken, kam aber bald wieder zurück. 1941 rückte er das 2. Mal ein, diesmal nach Enns; er besucht mich in Wolfern. Er erzählte mir von der Gottlosigkeit u. Sittenlosigkeit des Militärismus. Für dieses System wollte er nicht kämpfen. Wieder kommt er frei, aber sein Vorsatz war auch schon gefaßt: wenn ich wieder Befehl zum Einrücken bekomme, so werde ich nicht Folge leisten. Ich habe diesen Vorsatz nicht so ernst genommen. In Tittmoning trafen wir uns zu einer Aussprache. Aber er macht mich mundtot. Ich muss ihm recht geben, aber ich möchte ihn retten. Immer wieder sagte er: Ich werde diese Irrlehre nicht unterstützen.
Die Lage fürs Hitlerreich wird kritisch und die Gefahr, daß er einrücken muß wächst. Er geht zum Bischof um sich ganz klar zu werden. Er übt Busse, er fastet, er verdoppelt sein Beten. Nun bekommt er Einrückungsbefehl: Am 25.2.1943 soll er in Enns sein. Ganz schwer ist diese Zeit für ihn. Ich bekomme am 27.2. einen mutigen, aber tapferen Abschiedsbrief. Nun telefoniere ich mit Gen.[damerie] Inspektor Püringer. Er teilt mir mit hörbarer Ergriffenheit mit, daß Jägerstätter doch eingerückt ist. Nach einigen Tagen schreibt mir Inspektor Püringer einen Brief u. teilt mir mit, daß Jägerstätter zwar eingerückt ist, daß er aber sofort jeden Dienst verweigert hat. Jägerstätter kommt ins Gefängnis nach Linz, am 4.5.1943 nach Berlin Tegel. Er wird brutal behandelt, geschlagen. Immer wieder erklärt er, daß er als Katholik den Nazismus durch nichts unterstützen kann. Am 6.7.1943 wird er vom Militärgericht zum Tode verurteilt. Aber das Todesurteil wird nicht unterschrieben. Wenn Jägerstätter seine Gesinnung ändert, dann wird er leben. Er aber bleibt standhaft. Am 13. Juli besucht ihn seine Frau und Vikar Fürthauer. Beide sollen ihn umstimmen. Er sagt seiner Frau: „Ich bin ganz glücklich. (Dabei sieht man an ihm die Spuren der Mißhandlung und des Hungers.) Ich werde nicht schwach werden, ich bin froh, daß ich so weit bin.“
Ja auch seine Frau ist eine Heldin!
Sein Abschiedsbrief ist ergreifend: Er opfert sein Leben auf als Sühne für alle Menschen. Er betet zur Himmelmutter, daß er am 15. August schon im Himmel sein darf. Am 9. August 1943 wird er in Brandenburg hingerichtet, sein Leib verbrannt. An diesem Tag betet die Kirche im Evangelium die Worte Christi: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird das Leben gewinnen. Was nützt es den Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet.“ Matt. 16,25–26.
St. Radegund, am 19.12.1945. Karobath79
Im Sinne der beeindruckenden Klarheit dieses Textes und der Prägnanz, mit der Karobath das Leben des Radegunder Märtyrers nachzeichnet, sollen hier drei Punkte unterstrichen werden. Einerseits reflektiert Karobath auf den Begriff „Held – Kriegsheld“, des Weiteren apostrophiert er die Haltung von Franziska Jägerstätter als „Heldin“, und schließlich zitiert er die Evangelienperikope des Todestages, des 9. August 1943.
Am 15. Dezember 1942 war durch Ferdinand Fürthauer ein „Kurzer Überblick über die gefallenen Helden des Deutsch-Französischen-Russischen-Englischen Krieges“ in der Pfarrchronik festgehalten worden, welche in den folgenden Jahren ergänzt wurde, insgesamt 32 gefallene Soldaten jungen Alters. Als Karobath 1945 die Chronik liest, setzt er unter den Begriff „Helden“ eine rote Wellenlinie und notiert ebenfalls mit rotem Kugelschreiber die vielsagende Frage: „Wer ist ein Held?“, um am Schluss der Liste der Gefallenen, welche mit dem Datum 23. Februar 1945 endet, zu ergänzen: „Jägerstätter ist allein ein Held!“ Diese Notiz setzt er bewusst als Titel über den neutral gehaltenen Kurzbericht von Fürthauer zu Jägerstätter in der Pfarrchronik:
Franz Jägerstätter wurde zum Militärdienst einberufen, nur schwer folgte er diesem Ruf. Weil er aber für den Nationalsozialistischen Staat nicht mit der Waffe in der Hand kämpfen wollte, wurde er in Berlin am 6.7.43 zum Tode verurteilt und dieses Urteil ist am 9. August 1943 in Brandenburg vollzogen worden. Der Herr gebe ihm den Frieden.80
Pfarrer Karobath beschäftigte immer wieder die Frage nach dem Verständnis von „Held“ und „Heldentum“. Er unternahm eine nicht unbedeutende Infragestellung des Begriffes „Kriegshelden“, wird doch dadurch deutlich, dass er das Widerstandsverhalten und die Verweigerung Jägerstätters der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gegenüber als „Heldentat“ einstufte, während er für die Kriegsgefallenen diesen Terminus nicht gelten lassen wollte, waren sie doch Opfer des gewaltorientierten totalitären Regimes und in seinen Augen auch zu Mittätern geworden.81 Auch Pfarrer Jochmann hatte stets angemerkt, dass Jägerstätter einen „Heldentod“ bzw. „heldenhaft“ gestorben sei. Die Frage, wer ein Held sei, beschäftigte die Nachkriegsgeneration intensiv. Hatten doch die meisten zum Kriegsdienst einberufenen Männer diese Ehre zugesprochen bekommen, als „Helden“ verstanden zu werden. Die Friedhöfe und Gräber der Soldaten wurden daher auch in der Regel als „Heldenfriedhöfe“ oder „Heldengrab“ bezeichnet. Jährlich fanden und finden dort Gedenkfeiern und Würdigungen statt.
Karobath weitete sein Verständnis von heldenhaftem Verhalten aus auf Franziska Jägerstätter. Er bezeichnet diese deutlich und überraschend als „Heldin“ und sprengt damit noch stärker das konventionelle Verständnis von Heldentum. Damit spielte er einerseits auf ihre Rolle als Wegbegleiterin für Franz und Förderin seines Glaubens an, andererseits auch auf die schwierige Situation im Dorf, war doch die Diskussion um die Haltung ihres Ehemannes kontrovers und sein entschiedenes Verhalten von vielen nicht gutgeheißen, vielmehr als fanatische Haltung abgetan. Franziska musste über viele Jahrzehnte Verschiedenes an Kritik und Schmähung erdulden.82 Die unterschiedlichen Haltungen kamen auch zum Ausdruck, als für die gefallenen Soldaten auf dem Friedhof von St. Radegund ein Denkmal errichtet wurde. Ein erster Beschluss, dass die politische Gemeinde die Kriegerkapelle (!) herrichten werde, erfolgte bereits am 25. Juli 1948 in der Kirchenratssitzung.83 Am Ende der Namenwand für die gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkrieges stand auch der Name Franz Jägerstätter; Pfarrer Karobath hätte gerne den Hinweis „seinem Gewissen folgend“ anbringen wollen, was allerdings nicht möglich war, da im letzten Augenblick noch der Name eines Vermissten angebracht werden musste. Die unterschiedlichen Sichtweisen und Einschätzungen im Dorf um seine Entscheidung und Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus führten aber zur Demolierung seines Namens, der allerdings später wieder hinzugefügt werden konnte; der Hinweis auf das Gewissen wurde nicht umgesetzt.84
Abb. 16: Das Kriegerdenkmal in St. Radegund
Der dritte Aspekt, auf den verwiesen werden soll, ist das Zitat Karobaths aus der Evangelienperikope des Festformulars für die Vigilmesse am Festtag des Märtyrers Laurentius, der auch im Kirchenfenster dargestellt ist und dessen Festtag am 10. August gefeiert wird.85 Für Karobath war die Hinrichtung seines Pfarrkindes zur Vigil am Märtyrerfest keine belanglose Parallele, vielmehr Deutung und Begleitliturgie seines Todes. Nach der Lesung JesSir 51,1–8.12, welche im zeitgenössischen Missale Romanum auch für hl. Jungfrauen und eine Märtyrerin vorgesehen war, und dem Graduale Ps 112,9.2 folgt die Evangelienperikope Mt 16,24–27. Während die Kirche diese Messe feiert, hat Franz sein Leben am Schafott hingegeben. Die Messtexte mussten dem Pfarrer wie eine spirituelle Programmatik zum Martyrium von Franz erscheinen.
IntroitusPs 111(112),9
Er teilte aus und gab den Armen; und ewig währt seine Gerechtigkeit; seine Kraft wird sich in Herrlichkeit erheben.
V Selig der Mann, der den Herrn fürchtet und dessen große Freude Sein Gesetz. Ehre sei.
Oration
Herr, sei unserem Flehen hilfreich nahe und wende uns in Deiner Güte immerwährendes Erbarmen zu auf die Fürbitte Deines hl. Märtyrers Laurentius, dessen Vorfeier wir begehen. Durch unsern Herrn.
Lesung JesSir 51,1–8.12
Ich preise Dich, Herr und König; ich lobe Dich, meinen Gott und Heiland. Ich preise Deinen Namen; denn du warst mir Helfer und Beschirmer. Du hast meinen Leib errettet aus dem Verderben, aus den Schlingen verleumderischer Zungen und von lügnerischen Lippen. Du warst mir Helfer gegen meine Widersacher. Du befreitest mich nach Deinem überreichen Erbarmen von den brüllenden Tieren, die mich verschlingen wollten, aus den Händen derer, die mir nach dem Leben trachteten, aus der Trübsal, die mich umgab, aus der lodernden Flamme, die mich umzüngelte, so dass ich mitten im Feuer nicht verbrannte, aus dem tiefen Schlunde der Unterwelt, von den unzüchtigen Reden, von den lügnerischen Worten, von dem gottlosen Könige und von der ungerechten Zunge. Darum will meine Seele bis zum Tode den Herrn lobpreisen. Denn Du rettest jene, die auf Dich hoffen, und du befreist sie aus den Händen der Heiden: Herr, unser Gott!86
GradualePs 111(112),9.2
Er teilte aus und gab den Armen; und ewig währt seine Gerechtigkeit. Gar mächtig werden seine Kinder sein auf Erden, und das Geschlecht der Frommen wird gesegnet.
EvangeliumMt 16,24–27
In jener Zeit sprach Jesus zu Seinen Jüngern: „Wer Mir nachfolgen will, verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach. Denn wer sein [zeitliches] Leben erhalten will, wird es [ewig] verlieren; wer aber sein Leben um Meinetwillen verliert, wird es finden. Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet? Oder was kann der Mensch als Lösegeld für seine Seele geben? Denn der Menschensohn wird in der Herrlichkeit Seines Vaters mit Seinen Engeln kommen und dann einem jeden vergelten nach seinen Werken.
OffertoriumJjob 16,20; Ps 16(17)
Mein Gebet ist rein; daher bitte ich, daß meine Stimme im Himmel Gehör finde; denn dort ist mein Richter, dort in den Höhen wohnt Er, der mich kennt; mein Flehen steige auf zum Herrn.
CommunioMt 16,24; Ps 20(21)
Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach.
Postcommunio
Wir bitten Dich, Herr, unser Gott: wie wir das Gedächtnis Deines hl. Märtyrers Laurentius in dieser Zeitlichkeit freudig feiern, so laß uns in der Ewigkeit seines Anblicks uns freuen. Durch unsern Herrn.
Die Texte der Märtyrerliturgie stehen paradigmatisch für das Sterben und die Haltung Jägerstätters. Für Franz war es wichtiger, das ewige Leben nicht zu verlieren, als dem Willen der Nationalsozialist/innen zu folgen, um ein sterbliches Leben zu verlängern. Der Introitus spiegelt die Haltung Jägerstätters für Arme und Notleidende wider und seine Überzeugung, in allem dem Wort Gottes zu folgen. Die Oration bekräftigt die Überzeugung der Kirche, dass Märtyrer/innen Fürsprecher/innen bei Gott sind, der Güte und Erbarmen schenkt. Das Graduale bezeugt die wohlwollende Einstellung gegenüber den Armen und Notleidenden von denen, die Gott ihren Vater nennen. In der Perikope aus dem Buch Jesus Sirach zur Lesung spricht eine Persönlichkeit, die sich in den Schutz Gottes gestellt weiß angesichts ihrer heimtückischen Verfolger und Mörder. Das Offertorium (Gesang zur Gabenbereitung) sucht Zuflucht bei Gott und erbittet Gehör und Hilfe von dem, der einziger Richter der Menschen ist und der das Herz des Menschen kennt. Der Communio-Vers ist dem Evangelium entnommen; diesen Vers wird Karobath später auch an der Erinnerungstafel über dem Urnengrab anbringen lassen. In der Kommunion mit Christus befähigt der Auferstandene zur Kreuzesnachfolge bis in den Tod, in dieser Aussage Zuspruch und Aufforderung zugleich. Die Vigilmesse zum hl. Laurentius ist heute in der liturgischen Ordnung des Messbuches nicht mehr vorgesehen, lediglich in der Praxis des außerordentlichen Ritus (Missale Romanum 1962) ist sie noch zu finden. Der liturgische Gehalt der einzelnen Elemente eignet sich dennoch hervorragend, um der Lebenshingabe von Franz ihre biblisch-liturgische Sprache zu geben.
Auch wenn in der Literatur und in Zeitungsbeiträgen die bedeutende Rolle Pfarrer Karobaths für Franz Jägerstätters Andenken betont wird, so ist sie doch oft genug nicht deutlich genug ausgeführt worden. Historisch betrachtet ist sie auch nicht von Anfang an erkannt worden. Karobath blieb Pfarrer in St. Radegund, bis er 1971 in den Ruhestand ging und sich in das Altersheim Maria Rast zu Maria Schmolln zurückzog. Franziska Jägerstätter vermutete, dass Karobath nach seiner Pensionierung deswegen nicht in St. Radegund wohnhaft blieb, weil er wegen der „Auseinandersetzungen um ihren Gatten nicht heimisch geworden“ war.87 Bischof Maximilian Aichern berichtete in seiner Trauerrede anlässlich des Todes von Josef Karobath in Maria Schmolln am 4. Januar 1983, dass Karobath während des Ersten Weltkrieges einem Dutzend Kameraden das Leben gerettet habe und mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet worden sei. In der von Bischof Aichern persönlich unterzeichneten Botschaft und Würdigung seines Lebens, zur Verlesung beim Begräbnisgottesdienst am 8. Januar 1983 bestimmt, macht dieser noch keinen Hinweis auf die Beziehung Pfarrer Karobaths zu Franz Jägerstätter.88 Auch die Personalnachrichten des Linzer Diözesanblattes vom 1. Februar 1983, Nr. 2 geben keinen Hinweis darauf und auf seinen Einsatz für die Würdigung des Martyriums, ebenso wenig die Linzer Kirchenzeitung.89
Dabei muss auch erkannt werden, dass Karobath über sein seelsorgerisches Wirken als Pfarrer von St. Radegund hinaus Kontakt zu Franziska Jägerstätter hielt und in der Causa Jägerstätter aktiv blieb. Am 4. November 1970 schrieb Pfarrer Karobath aus Maria Schmolln an die „liebe Frau Jägerstätter“, die er immer noch mit Sie ansprach. Das Drehbuch von Hellmut Andics zu Axel Cortis Film „Der Fall Jägerstätter“, das er bereits zu lesen erhielt, begeisterte ihn. In diesem Zusammenhang kritisierte er erneut die Haltung einiger „unbekehrbarer Nazis“ auch in St. Radegund und bemerkte schließlich in seinem Schreiben, mit rotem Stift nachgetragen, wohl mit größter Genugtuung: „Aber Franz ist der weltbekannte Held! u. Heiliger!“90 Ein weiterer Brief datiert vom 27. August 1975, in dem Pfarrer Karobath Franziska Jägerstätter mitteilte, dass „Ihr Mann sich immer wieder meldet um zu zeigen, daß er recht gehandelt hat“.91 Er sei nach England eingeladen worden, aber seine Füße ließen es nicht mehr zu, dorthin zu reisen. Auch berichtete er ihr vom Grabbesuch am 9. August in St. Radegund. Im Mai 1978 erschien in der Linzer Kirchenzeitung ein Beitrag mit dem Aufruf von Pfarrer Karobath, den die Zeitung zum Gespräch gebeten hatte: „Noch wäre es zu früh, Franz Jägerstätters Seligsprechung anzustreben. Aber laßt ihn besonders in Oberösterreich nicht in Vergessenheit geraten.“92
Karobath schlug vor, „sich anlässlich der Feiern der 200-jährigen Zugehörigkeit des Innviertels zu Österreich mit dem Innviertler Jägerstätter wieder eingehender zu befassen“.93 Ein Jahr später schließlich verfasst er einen leidenschaftlichen Leserbrief für Die Furche, in dem er mahnt, dass „kein Gras über Jägerstätter wachsen“ dürfe.94
Die gebührende Würdigung des streitbaren Priesters Karobath ist jüngeren Datums. Nachdem das Grab von Pfarrer Karobath in Maria Schmolln aufgegeben werden musste, beschloss der Pfarrgemeinderat von St. Radegund am 25. Januar 2008, das Grabkreuz nach St. Radegund zu bringen und damit auch eine bleibende Erinnerung an ihn zu errichten. Das Grabkreuz wurde von Hubert Sigl restauriert und an der Westmauer der Kirche angebracht; der Beschluss des Pfarrgemeinderates dazu erfolgte am 20. Januar 2010.95 Die Pfarrgemeinde würdigt Pfarrer Josef Karobath hiermit als Freund des seligen Franz Jägerstätter; die Beschriftung wurde von Hubert Sigl angefertigt, die Kosten durch Spenden getragen. Gesegnet wurde das Kreuz in einer schlichten Feier am 31. Oktober 2010. Aus der chronologischen Darstellung in diesem Buch ist ersichtlich, dass die erste biografische Beschreibung von Franz Jägerstätter aus der Feder von Josef Karobath stammt; sie wurde in den ersten Nachkriegsjahren an verschiedene Medien und Personen weitergeleitet, von diesen übernommen und prägt auch heute noch wesentlich das Bild von Franz Jägerstätter – „Franz II.“. Die Verortung der Urnenbestattung an der Kirchenmauer, sein konsequentes Würdigen von dessen Sterben als Martyrium, seine Einforderung, in Jägerstätter einen Helden und Heiligen zu sehen, der in seiner Gewissensüberzeugung gegen das schwere Verbrechen der NS-Gewaltherrschaft lieber in den Tod ging, als das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zu verletzen, prägten den Weg zur Seligsprechung.
An dieser Stelle ist es angebracht, Karobaths Nachfolger in St. Radegund zu erwähnen. Als Pfarrer Josef Steinkellner am 1. September 1977 in die Pfarre kam, führte er das Anliegen seiner Vorgänger weiter.96 Im Jahr 1983, so die Pfarrchronik, stellte Franziska Jägerstätter das Haus Jägerstätter der Pfarrgemeinde zur Pflege des Andenkens an den Märtyrer zur Verfügung. Der alte Jägerstätter-Hof hätte abgerissen werden sollen.97 Mit Unterstützung des Bürgermeisters von St. Radegund Isidor Hofbauer gelang es Pfarrer Steinkellner, den Grund mit dem alten Haus für die Pfarre zu erwerben. Den Beschluss dazu fasste der Pfarrgemeinderat am 15. Oktober 1984 mit dem Ziel, das „Andenken an Franz Jägerstätter dadurch zu pflegen“. Zur Verwaltung wurde eine eigene Interessengruppe gegründet.98
Abb. 17: Pfarrer Josef Steinkellner (2018)
Der Kauf erfolgte am 28. April 1985. Pfarrer Steinkellner förderte behutsam die Erinnerungsarbeit und war auch denen gegenüber achtsam, die sich der Würdigung und Verehrung Jägerstätters nicht anschließen konnten. Wie sich aber mehr und mehr herausstellen sollte, verfolgte Steinkellner die Überzeugung seines Vorgängers Karobath, „auf dem Friedhof einen Märtyrer und Heiligen bestattet“ zu wissen. Unaufgeregt, unscheinbar, mit vielen kleinen Schritten förderte er die Verehrung Jägerstätters, pflegte eine gute Beziehung zu Franziska Jägerstätter und ihren Töchtern und war offen für die Menschen, die nach St. Radegund kamen, um das Andenken an Franz Jägerstätter für sich und für andere hochzuhalten und zu gestalten. Dabei hielt er sich dennoch bescheiden im Hintergrund.
Abb. 18: Das Jägerstätter-Haus (2019)