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128 Das Virus macht keinen Unterschied zwischen gewöhnlichen Bürgern und leitenden Funktionären

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Von gestern auf heute hat sich das Wetter gebessert. Es hat aufgehört zu regnen. Heute Nachmittag hat sich sogar für einen kurzen Moment die Sonne blicken lassen.

Ein klarer Himmel hebt die Stimmung. Bei den in ihren Wohnungen eingesperrten Personen dürften sich allerdings eher die Missstimmungen mehren. Fünf Tage verbringen sie nun schon in Quarantäne, seit die Stadt abgeriegelt wurde. Das schafft nicht nur mehr Gelegenheiten, sich auszusprechen, sondern auch mehr Gelegenheiten, sich zu streiten. Schließlich ist es für die Familien eine völlig neue Erfahrung, dass alle, Alte wie Junge, auf diese Weise Tag um Tag aufeinanderhocken, vor allem für Familien in beengten Wohnverhältnissen. Für die Erwachsenen mag die Unmöglichkeit, die Wohnung zu verlassen, noch angehen, für die Kinder aber ist sie vermutlich schwer auszuhalten. Keine Ahnung, ob Psychologen über Mittel verfügen, den Wuhanern Trost und Beruhigung zu spenden. Wie auch immer, wir müssen noch weitere 14 Tage durchhalten. Es heißt, dass in den nächsten beiden Tagen die Epidemie in ihre Hochphase eintritt. Daher die nachdrücklichen Ermahnungen von Ärzten: Solange ihr noch Reis im Haus habt, esst lieber nackten Reis, auf keinen Fall die Wohnung verlassen! Na gut, hören wir auf sie.

Auch am heutigen Tag mischen sich Freude und Kummer. Gestern hat mich der Chefredakteur der China News Agency, mein Studienkollege Xia Chunping, per WeChat interviewt. Heute kommt er in Begleitung vorbei, um ein paar Fotos zu machen, und bringt mir als Überraschung 20 N95-Schutzmasken mit. Die kommen wirklich zur rechten Zeit und machen mich überglücklich.

Als wir gerade am Eingang des Verwaltungsgebäudes des Künstlerverbandes stehen, um Fotos zu schießen, kommt mein Kommilitone Geng vom Reiseinkauf zurück und wirft uns äußerst misstrauische Blicke zu. Ich habe den Eindruck, er ist kurz davor, uns mit der sprichwörtlichen Gewissenhaftigkeit eines Bewohners der Provinz Henan, aus der er stammt, anzuschnauzen: »Wer seid ihr denn? Was habt ihr hier an unserem Eingang zu suchen!« Angesichts seiner drohenden Miene rufe ich ihn hastig beim Namen. Sein Blick ändert sich auf der Stelle, er wird herzlich, geradezu enthusiastisch, als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht mehr gesehen, obwohl wir täglich in der Chatgruppe unserer Kommilitonen miteinander kommunizieren.

Xia Chunping hat an unserer Universität Geschichte studiert, die Studenten der Geschichtsfakultät und der Fakultät für chinesische Literatur und Sprache waren damals im selben Wohnheim untergebracht. Deshalb verfallen beide sofort in freudig erregtes Erstaunen, als ich sie einander vorstelle. Geng wohnt abwechselnd in Wuhan und in Hainan,10 hier wie dort befinden sich unsere Wohnungen in derselben Anlage. Er hat es dieses Jahr nicht geschafft, rechtzeitig nach Hainan überzusiedeln, wir teilen das gleiche Schicksal, sind beide in der Wohnanlage unseres Verbandes eingesperrt. Er teilt mir mit, die beiden Coronapatienten aus dem Gebäude Nr. 8 seien inzwischen ins Krankenhaus geschafft worden, was bei den Nachbarn große Erleichterung hervorgerufen habe. Ich gehe davon aus, dass die Behandlung in einer Klinik wirkungsvoller ist als die häusliche Quarantäne. Dennoch bete ich, dass sie sich bald erholen.

Der Verlagslektor Yuan, der meinem Blog folgt, schickt mir ebenfalls drei Packungen Schutzmasken. Mein Gott, bin ich gerührt! Es geht doch nichts über alte Freunde. Auf einen Schlag bin ich ein Großmundschutzbesitzer. Umgehend teile ich sie mit den Kollegen, mit denen ich gestern über den Mangel an Schutzmasken gejammert habe. Die Kollegin Shi Cai bringt mir im Gegenzug einige Kohlköpfe. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass die Not uns zusammenschweißt, sage ich ihr. In ihrer Familie leben drei Generationen unter einem Dach, darunter einige Kranke. Sie muss jeden zweiten Tag aus dem Haus, um einzukaufen. Die Generation der in den Achtzigern Geborenen hat es weiß Gott nicht leicht. Daneben kümmert sie sich noch um ihre Arbeit. Ich habe im Netz gelesen, wie sie darüber diskutierten, dass die Manuskripte der anstehenden Ausgabe ihrer Zeitschrift unbedingt rausgeschickt werden müssen. Denkt man daran, dass es in Wuhan solche Leute gibt, kommt einem keine Schwierigkeit mehr unüberwindlich vor.

Natürlich schwirren auch schlechte Nachrichten durch die Luft. Als ich vor ein paar Tagen die Nachricht vom Festmahl für 40000 Familien im Viertel Baibuting11 hörte, habe ich sie sofort an die Freunde weitergegeben und Kritik geübt. Ich habe mich ziemlich scharf geäußert und gesagt, dass die Durchführung einer derartigen Großveranstaltung zu einem Zeitpunkt wie diesem »alles in allem als kriminelle Aktion zu betrachten« sei. Das war am 20. Januar. Wer hätte gedacht, dass die Provinzregierung noch am 21. eine gewaltige Tanz- und Gesangsgala veranstalten würde? Hat man jeden gesunden Menschenverstand verloren? Wie viel hartnäckige Dummheit, wie viel Unflexibilität, wie viel Realitätsverlust muss man besitzen, um so etwas zu machen? Ihr unterschätzt mich aber gewaltig, muss sich das Virus gedacht haben.

Zu dergleichen Angelegenheiten möchte ich mich nicht weiter äußern. Die schlechte Nachricht heute kommt nun genau aus dem Viertel Baibuting. Unter den Festmahlteilnehmern gibt es einige bestätigte Fälle einer Infektion mit dem neuen Coronavirus. Ich habe diese Information zwar nicht nachgeprüft, aber mein intuitives Urteilsvermögen sagt mir, dass die Quelle, von der ich sie habe, die Wahrheit sagt. Bei einem Festmahl dieser Größenordnung muss es unvermeidlich zu Infektionen kommen. Manche Experten erklären, die Sterberate der derzeit in Wuhan an Lungenentzündung Erkrankten sei nicht ungewöhnlich hoch. Wir würden ihnen gern glauben, auch ich möchte es. Allerdings gibt es auch andere Informationen, die uns nachträglich in Angst und Schrecken versetzen. All die Personen, die zwischen dem 10. und 20. Januar an einer der zahllosen Versammlungen und Treffen teilgenommen haben, sollten höchste Vorsicht walten lassen. Das Virus macht keinen Unterschied zwischen gewöhnlichen Bürgern und leitenden Funktionären.

Zum Schluss ein paar Worte zur Mütze von Bürgermeister Zhou.12 Seit gestern machen Leute im Netz ihrem Unmut über den Vorfall Luft. In normalen Zeiten hätte auch ich mich darüber mokiert. Aber nun ist er als Chef der Stadtregierung im Kampf gegen die Epidemie ständig unterwegs, Erschöpfung und Besorgnis stehen ihm buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Ich schätze, nachdem sich die Aufregung gelegt hat, wird er selbst darüber nachdenken, welches Bild er abgegeben hat. Ein Mensch wird in einem solchen Moment unvermeidlich Scham, Gewissensbisse, Reue und innere Unruhe empfinden. Aber er ist schließlich Leiter einer Stadtregierung, er muss sich, wie auch immer, mit voller Energie auf die vor ihm liegende riesige Aufgabe konzentrieren. Er ist schließlich auch ein Mensch wie wir.

Es heißt, Bürgermeister Zhou sei pflichtbewusst und tatkräftig, sein Ruf ist untadelig, er hat sich aus einem ländlichen Kreis in den Exi-Bergen Schritt für Schritt durch praktische Arbeit emporgearbeitet. Vermutlich war er nie zuvor mit solch einer Riesenaufgabe konfrontiert. Ich schlage also vor, die Mützenangelegenheit unter einem etwas freundlicheren Blickwinkel zu betrachten. Könnte es nicht so gewesen sein, dass ihm erst in jenem Moment auffiel, dass der Ministerpräsident in dieser Eiseskälte keine Mütze trug? Er ist jünger als der Ministerpräsident; dass er im Gegensatz zu ihm eine Mütze trägt, könnte in dieser Situation extrem unhöflich wirken, deshalb nimmt er sie ab und übergibt sie seinem Assistenten. Wäre es nicht besser, die Sache so zu betrachten?

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