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126 Die Beamten der Provinz Hubei sind ein Abbild des chinesischen Durchschnittsbeamten im ganzen Land

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Ich bedanke mich bei allen für die Aufmerksamkeit und Fürsorge. Nach wie vor befinden sich die Bürger Wuhans in einer kritischen Phase. Auch wenn die anfängliche Panik, die Hilflosigkeit, die Ängste und die Anspannung gewichen sind und die Atmosphäre nun weit ruhiger und gefasster ist, benötigen sie nach wie vor Trost und allgemeine Ermunterung. Aber zumindest befindet sich der Großteil der Wuhaner nicht mehr im Zustand niederschmetternder Ratlosigkeit.

Ich hatte vor, meine Aufzeichnung mit dem 31. Dezember zu beginnen, um meinen eigenen Übergang von gespannter Wachsamkeit zu entspannter Gleichgültigkeit zu rekapitulieren, aber das würde zu viel Platz einnehmen. Ich ziehe es deshalb vor, zunächst in Echtzeit etwas über meine aktuellen Empfindungen und ohne Hast ein Tagebuch aus Wuhan zu schreiben.

Heute ist der zweite Tag des Neujahrsfestes,5 nach wie vor kaltes Wetter, Regen und Wind. Es gibt Gutes und Schlechtes zu berichten: Die gute Nachricht ist, dass die Hilfe des Staates ständig an Umfang und Wirkung zunimmt, immer mehr medizinisches Personal nach Wuhan kommt usw. usw. Das sorgt für Beruhigung unter den Wuhaner Bürgern. Das alles ist bereits allgemein bekannt.

Die für uns persönlich gute Nachricht ist, dass es gegenwärtig unter den Angehörigen meiner Familie keine Ansteckungsfälle gibt. Mein drittältester Bruder wohnt zwar mitten im Zentrum der Epidemie, in nächster Nähe zum »Südchinesischen Markt für Meeresprodukte«6 und dem Zentralkrankenhaus Hankou. Hinzu kommt, dass sein gesundheitlicher Zustand nicht allzu gut ist und er sich bis vor kurzem in genau diesem Krankenhaus regelmäßig behandeln lassen musste. Gott sei Dank ist bei ihm und der Schwägerin alles in Ordnung. Er hat mir mitgeteilt, dass er sich für zehn Tage mit Lebensmitteln eingedeckt hat und deshalb keinen Fuß mehr vor die Tür setzen muss.

Meine Tochter wohnt wie ich und die Familie meines ältesten Bruders in Wuchang. Von Hankou, wo die Gefahr, sich mit dem Coronavirus zu infizieren, relativ gesehen am höchsten ist, sind wir durch den Yangtze getrennt, es ist also vergleichsweise sicher. Auch wenn wir die Wohnung nicht verlassen dürfen, ist uns nicht langweilig. Wir gehören vermutlich zur Spezies der häuslichen Menschen. Sorgen machen wir uns nur um meine Nichte und ihren Sohn, die zum Besuch der Eltern nach Wuhan gekommen sind. Ursprünglich sollte sie mit dem Kind am 23. Januar von Wuhan mit dem Hochgeschwindigkeitszug nach Kanton reisen, um sich dort mit ihrem Mann und den Schwiegereltern zu treffen. (Selbst wenn sie das geschafft hätte, wäre der Aufenthalt dort kaum angenehmer gewesen. Seufz!)7 Aber genau an diesem Tag wurde die Stadt abgeriegelt, sie hatten keine Chance, fortzukommen. Keiner kann sagen, wie lange die Abriegelung dauert. Damit wären die Rückkehr an den Arbeitsplatz und der Schulbesuch des Kindes momentan unmöglich. Da Mutter und Sohn die Staatsbürgerschaft von Singapur besitzen, wurden sie gestern von der dortigen Regierung benachrichtigt, dass man in den nächsten Tagen eigens ein Flugzeug schicken werde, um sie abzuholen. (Vermutlich halten sich zahlreiche Auslandschinesen aus Singapur in Wuhan auf.) Nach ihrer Rückkehr müssen sie sich 14 Tage in Quarantäne begeben. Diese Nachricht löst bei uns allen Stoßseufzer der Erleichterung aus.

Noch erfreulicher ist die Nachricht, dass dem Vater meiner Tochter, bei dem bei einer Röntgenuntersuchung in einer Shanghaier Klinik ein Schatten in der Lunge festgestellt wurde, gestern Entwarnung gegeben wurde. Es handelt sich um eine gewöhnliche Grippe und keine Coronainfektion. Er kann heute die Klinik verlassen. Unsere Tochter, die vor kurzem mit ihm gegessen hat, muss nun nicht unter strenger Quarantäne in ihrer eigenen Wohnung bleiben. (Noch am Vorabend des Neujahrsfestes bin ich mit dem Auto in strömendem Regen zu ihr gefahren, um ihr Essen zu bringen.) Wie sehr sehnen wir uns nach solchen guten Nachrichten, wenigsten eine am Tag, die uns trotz Abriegelung, trotz Eingesperrtseins in der Wohnung ein bisschen innere Erleichterung verschaffen.

Schlechte Nachrichten bleiben nach wie vor jedoch nicht aus. Meine Tochter erzählt mir, dass der Vater einer Bekannten (der bereits Leberkrebs hatte) wegen Verdachts auf Ansteckung in die Klinik gebracht wurde, wo sich niemand um ihn kümmerte, bis er drei Stunden später starb. Passiert ist das offenbar vor zwei Tagen. Sie klingt am Telefon untröstlich.

Gestern Nacht erhielt ich einen Anruf vom jungen Li aus dem Künstlerverband, der mir mitteilte, dass in unserer Wohnanlage zwei Ansteckungsfälle festgestellt wurden. Ein Ehepaar, beide etwas über 30. Ich solle auf meine Sicherheit achten. Ihre Wohnung liegt etwa 300 Meter von der meinen entfernt. Meine Wohnung ist jedoch in einem anderen Block, der einen eigenen Eingang besitzt, allzu große Sorgen müssen wir uns nicht machen. Aber ihre Hausnachbarn, die denselben Eingang benutzen, dürften nervös geworden sein. Heute erfahre ich von einem Kollegen, dass sie zu den leichteren Fällen gehören, die unter Quarantäne in der eigenen Wohnung behandelt werden. Junge Leute in körperlich guter Verfassung ohne schwerwiegende Symptome, sie sollten es bald überstehen. Beten wir, dass sie sich rasch erholen.

Die gestrige Pressekonferenz der Provinzregierung von Hubei verbreitet sich im Netz rasend schnell und hat viele Menschen verärgert.8 Der Ausdruck von Niedergeschlagenheit und Erschöpfung auf den Gesichtern der drei Beamten und ihre ständigen Versprecher machten ihre Verstörung deutlich sichtbar. In gewisser Weise sind sie bemitleidenswert. Auch sie dürften Familienangehörige in Wuhan haben, ihre Selbstbezichtigungen halte ich für glaubwürdig. Wie sich das Ganze soweit entwickeln konnte, muss nachträglich aufgearbeitet und natürlich der Öffentlichkeit zur Kenntnis gebracht werden.

Die Achtlosigkeit und Untätigkeit der Wuhaner Behörden in der Frühphase der Epidemie und die Hilflosigkeit und Unfähigkeit der Funktionäre vor und nach der Verhängung der Abriegelung, haben in der Bevölkerung eine gewaltige Panik ausgelöst und allen Wuhaner Bürgern Schaden zugefügt. Damit werde ich mich noch ausführlich befassen. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass das Verhalten der Wuhaner Beamten dem Verhalten des durchschnittlichen chinesischen Funktionärs entspricht. Sie sind in keiner Weise schlechter als andere Beamte, sie haben einfach nur mehr Pech gehabt. Beamte halten sich seit jeher an schriftliche Anweisungen; sobald die ausbleiben, wissen sie nicht, was sie tun sollen. Hätte sich das Gleiche zur selben Zeit in irgendeiner anderen Provinz ereignet, hätten sich die dortigen Funktionäre auch nicht besser verhalten. Es sind die üblen Folgen der Negativauslese in der Beamtenschaft, des leeren, politisch korrekten Geschwätzes und der Missachtung von Tatsachen, die üblen Folgen des Verbots, die Wahrheit auszusprechen, die Verhinderung der Medien, den wahren Sachverhalt zu berichten, die wir jetzt auszubaden haben. Hubei hat sich lediglich vorgedrängt und bekommt jetzt eben als Erstes einen großen Bissen zu kosten.

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