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24 Und wieder hatte ich großes Glück

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Das Wetter bleibt schön. Der Alltag der Bürger in Wuhan geht seinen Gang. Man fühlt sich etwas eingeengt und bedrückt, doch solange man lebt, kann man das aushalten.

Nachmittags höre ich, dass manche Leute plötzlich wieder in Panik geraten. Sie stürmen die Supermärkte und kaufen wie verrückt, aus Angst davor, dass die Läden dichtmachen und es nichts mehr zu essen und zu trinken gibt. Mir erscheint das eher unwahrscheinlich. Die Stadtregierung verkündet – wohl als Reaktion darauf – dass die Supermärkte offen bleiben werden. Da Wuhan von der gesamten Nation unterstützt wird, sollte es zu keinen Engpässen bei Gütern und Lebensmitteln kommen. Es dürfte also kein Problem sein, das Versprechen einzuhalten, alle Menschen mit Artikeln des täglichen Bedarfs zu versorgen. Sicher wird es für manche ältere alleinstehende Menschen nicht einfach werden (sie haben es auch sonst nicht leicht). Doch ich bin zuversichtlich, dass die Nachbarschaft und viele Freiwillige Hilfe leisten werden.

Egal wie viele Versäumnisse sich die Regierung zu Beginn hat zuschulden kommen lassen, momentan können wir nichts anderes tun, als ihr zu glauben. Wir sollten zumindest versuchen, ihr Vertrauen zu schenken. Wem sollte man denn sonst in diesen Zeiten vertrauen? Auf wen können wir uns sonst stützen? Menschen, die jetzt aus Angst Hamsterkäufe machen, sind auch sonst schnell zu verunsichern, daran lässt sich nichts ändern.

Als ich den Müll wegbringe, entdecke ich an meiner Haustür einen Zettel mit der Aufschrift »Frisch desinfiziert«. Daneben hängt eine Mitteilung, die die Bewohner des Stadtbezirks Wuchang darüber informiert, welche Nummer man anrufen soll, wenn man Fieber bekommt. Ich habe den Eindruck, dass der Stadtbezirk gute Arbeit leistet. Die Epidemie ist der große Gegner, gegen den sich das Volk gemeinsam wehren muss, deshalb will keiner das Risiko eingehen, fahrlässig zu handeln. Wenn nur die Entscheidungsträger die Sache nicht wieder gegen die Wand fahren …

Ein höchst empfindliches Thema ist die Zahl der Menschen, die sich infizieren könnten. Alle fürchten, dass sie sehr hoch sein wird. Gestern war auf Weibo die Rede von 100000. Die Ärzte haben bereits früh mit dieser Möglichkeit gerechnet und auch früh Warnungen ausgesprochen. Heute sagt mir ein anderer Arzt aus meinem Bekanntenkreis, dass man davon ausgehen könne, dass diese Zahl erreicht würde. Allerdings zeigten nicht alle, die sich infizierten, Symptome. Nur bei etwa 33 bis 50 Prozent aller Infizierten würden Krankheitssymptome auftreten. Ich frage nach, ob die Infizierten ohne Krankheitssymptome allmählich wieder von selbst gesund würden. Der Arzt bejaht das nachdrücklich. Soll man das zu den guten Nachrichten zählen?

Um es noch einmal zu betonen: Nach Aussagen der Ärzte ist die durch das neue Coronavirus hervorgerufene Lungenentzündung extrem ansteckend, doch unter regulären Behandlungsbedingungen ist die Sterberate sehr gering. Die Kranken, die außerhalb unserer Provinz behandelt wurden, können dies bestätigen. Dass in Wuhan so viele Erkrankte sterben, liegt vor allem daran, dass sie keinen Platz im Krankenhaus bekommen. Leichte Erkrankungen werden zu akuten Erkrankungen, akute Erkrankungen führen zum Tod. Hinzu kommt, dass man die falschen Isolierungsmaßnahmen ergriffen hat. Isolierung im eigenen Haushalt führt dazu, dass sich die ganze Familie infiziert. Die Zunahme der Kranken wiederum führt zu den vielen Tragödien. Mein befreundeter Arzt sagt, hätte man rechtzeitig richtig reagiert, würde Wuhan jetzt über ausreichend Betten für die akuten Fälle verfügen. Doch aufgrund des Chaos zu Beginn seien die Menschen in Panik geraten und hätten die Krankenhäuser gestürmt, auch wenn sie gesund waren, und dadurch das Chaos noch vergrößert. Und nun sei die Regierung unentwegt damit beschäftigt, die Maßnahmen anzupassen. Man müsse abwarten, ob es ihr gelinge, die Sache in den Griff zu bekommen und so den Wendepunkt früher zu erreichen.

Die Behelfskrankenhäuser, die seit gestern bereitstehen, werden im Netz von vielen in Frage gestellt.22 Man befürchtet, dass die konzentrierte Isolation vieler Personen mit Verdachtsfällen und Infizierten auf engstem Raum zur weiteren Verbreitung des Virus beitragen könnte. So wie ich es verstehe, orientiert man sich bei diesen Behelfskrankenhäusern jedoch am Vorbild von Kriegslazaretten. Zunächst ist vordringlich, die Verdachtsfälle mit Fiebersymptomen so schnell wie möglich zu konzentrieren und sie mit behandelnden Ärzten zu versorgen. Gleichzeitig muss man daran arbeiten, die Isolierungsmöglichkeiten zu verbessern. Andernfalls stecken die frei herumlaufenden Infizierten mit jedem weiteren Tag mehr Menschen an. Auf diese Weise ist die Ausweitung der Epidemie nicht in den Griff zu bekommen. Die Bedingungen in den großen Räumen sind sicher nicht ideal, vor allem mit der Aussicht, dass nach und nach die Abstände der Betten verkleinert werden müssen. Aber all das sind Spekulationen, niemand kann genau vorhersagen, was geschehen wird. Jedenfalls ist momentan die Isolation aller frei herumlaufenden Infizierten die vordringliche Aufgabe.

In einem heute im Netz hochgeladenen Video kann man sich das Huoshenshan-Krankenhaus anschauen. Ein Patient hat die Aufnahmen gemacht. Die Bedingungen scheinen dort nicht übel zu sein, und auch die Patienten machen einen zufriedenen Eindruck. Es tut gut, so etwas zu sehen. Ich wünsche allen Patienten, dass sie bald genesen. Vor allem aber wünsche ich mir, dass möglichst bald wieder Vernunft und Ordnung einkehren.

Es ist eindeutig, dass am Gebräu dieser Epidemie verschiedene Kräfte mitgemischt haben. Der Gegner ist nicht allein das Virus. Wir selbst sind unsere Gegner beziehungsweise deren Komplizen.

Hört man sich um, kommt erst jetzt vielen Leuten zu Bewusstsein, dass es nichts bringt, Tag für Tag nur die Stärke unserer Nation zu bejubeln, und dass Kader, die nur in politischen Schulungen herumsitzen und leere Phrasen dreschen, aber unfähig sind, konkrete Arbeit zu leisten (früher nannte man solche Leute »Maulwerktätige«), völlig nutzlos sind. Erst jetzt ist vielen bewusst geworden, dass in einer Gesellschaft, der es an gesundem Menschenverstand mangelt und in der man die Wahrheit nicht in den Tatsachen sucht, die Tötung von Menschen kein Gerede bleibt, sondern Realität wird – und zwar die Tötung vieler Menschen.

Wir haben zwar die Epidemie im Jahr 2003 durchgemacht, doch sie wurde schnell vergessen. Werden wir es im Jahr 2020 ebenso rasch wieder vergessen? Der Dämon ist stets auf der Lauer; wenn wir nicht auf der Hut sind, wird er ein weiteres Mal zuschlagen, bis wir unter Qualen geweckt werden. Die Frage lautet: Wollen wir überhaupt aufwachen?

Ich denke an die SARS-Zeit zurück. Damals, im März 2003, stand einem Kommilitonen aus Kanton eine schwere Operation bevor. Das war genau die Zeit, in der sich das Virus ausbreitete und die Behörden die Sache vertuschten. Um unserem Kommilitonen beizustehen, reisten wir mit mehreren Leuten aus den unterschiedlichsten Regionen Chinas nach Kanton. (Keiner von uns trug eine Schutzmaske.) Die Operation fand im Krankenhaus statt, wo das SARS-Virus am stärksten wütete. Hin- und Rückfahrt erfolgten im Zug. Kurz darauf kam alles an die Öffentlichkeit, und im ganzen Land brach Panik aus. Auch uns saß der Schreck in den Gliedern. Das Schicksal meinte es gut mit uns, niemand hatte sich infiziert.

Diesmal habe ich in der Zeit, in der wir noch nichts vom Virus wussten, zwischen Neujahr und dem 18. Januar, dreimal Kollegen nach Operationen in zwei verschiedenen Krankenhäusern besucht. Bei den ersten zwei Besuchen trug ich keinen Mundschutz. Auch diesmal habe ich hinterher große Angst ausgestanden, und wieder hatte ich großes Glück.

Wuhan Diary

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