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III

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Nachdem sie im Anschluss an den 20. Januar drei Tage in Furcht und Nervosität verbracht hatten, ereilte die Wuhaner also plötzlich der Befehl zur Abriegelung ihrer Stadt. Die Abriegelung einer Stadt mit mehreren Millionen Einwohnern (etwa neun Millionen befanden sich zum Zeitpunkt der Abriegelung in der Stadt) wegen eines Epidemieausbruchs ist ein historisch einzigartiges Ereignis. In so kurzer Zeit eine derart einschneidende Entscheidung zu treffen ist nicht einfach, schließlich nimmt eine solche Abriegelung unmittelbaren Einfluss auf das Leben jedes einzelnen Bewohners.

Aber um die Ausbreitung der Epidemie einzudämmen, musste die Stadtregierung mit zusammengebissenen Zähnen diese Entscheidung treffen. So etwas war auch in der mehrere tausend Jahre zurückreichenden Geschichte von Wuhan ohne Beispiel. Doch angesichts der Entwicklung der Epidemie war sie offensichtlich richtig, kam allerdings einige Tage zu spät.

Während der drei Tage vor und den beiden Tagen nach Verkündung der Abriegelung standen die meisten Wuhaner unter Schock. Es waren fünf endlose und extrem angespannte Tage, die Epidemie breitete sich in der Stadt rasend schnell aus, und die Regierung erschien in den Augen der Bevölkerung hilf- und ratlos.

Ab dem ersten Tag des Neujahrsfestes, also dem 25. Januar, begann man sich etwas zu beruhigen, weil die offiziellen Medien berichteten, dass die Ausbreitung des Virus an der Spitze des Staates mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt wurde und aus Shanghai das erste medizinische Hilfsteam in Wuhan eintraf. Diese Nachrichten sorgten für eine allmähliche Beruhigung der Gemüter, da jedermann weiß, dass in China sämtliche Kräfte mobilisiert werden, wenn der Staat auf nationaler Ebene die Sache in die Hand nimmt. Die verängstigten und hilflosen Wuhaner hörten ab diesem Tag auf, panisch zu reagieren. Mein Tagebuch setzt genau an diesem Tag ein.

Die leidvollste Periode stand uns allerdings erst bevor: In den Tagen um das Neujahrsfest nahm die Gruppe der Infizierten explosionsartig zu, das Gesundheitssystem der Stadt war diesem Ansturm von Patienten nicht gewachsen und stand kurz vor dem Zusammenbruch. Das Neujahrsfest ist die Zeit, wo sich die Familien versammeln und allgemeine Feierstimmung herrscht. Doch nun irrten unzählige Erkrankte in eisiger Kälte durch Sturm und Regen in der Stadt herum, auf der vergeblichen Suche nach medizinischer Behandlung. Nach der Abriegelung der Stadt war der gesamte öffentliche Verkehr eingestellt worden, und die Mehrzahl der Wuhaner besitzt kein Privatauto. Also liefen die Menschen zu Fuß von einem Krankenhaus zum anderen. Die Schwierigkeiten, die sie dabei zu überwinden hatten, sind mit Worten kaum zu beschreiben. Im Netz tauchten zahlreiche Videos auf, die verzweifelte Hilferufe zeigen, die langen Schlangen vor den Krankenhäusern, Menschen, die dort die ganze Nacht hindurch anstehen, und Krankenhauspersonal, das vor Überanstrengung kurz vor dem Kollaps steht.

Wir konnten für die um Hilfe rufenden, verzweifelten Kranken nicht das Geringste tun. Das waren auch für mich die schmerzvollsten und traurigsten Tage. Ich konnte nur jeden Tag schreiben, schreiben, schreiben … Das Schreiben war das einzige Mittel, meinen Gefühlen und meinem seelischen Zustand Luft zu verschaffen.

Das Ende dieser Leidensperiode kam mit der Amtsenthebung der Regierungsspitzen der Provinz Hubei und der Stadt Wuhan, der Entsendung medizinischer Hilfsteams aus 19 Provinzen nach Hubei und der Einrichtung der Behelfs- und Notkrankenhäuser. Die neuen Quarantänemaßnahmen änderten die chaotische und jammervolle Situation Wuhans grundlegend. Sämtliche Patienten wurden in vier Gruppen aufgeteilt: erstens die Schwerkranken, zweitens alle anderen Infizierten, drittens die Verdachtsfälle, viertens Personen, die in engem Kontakt mit Personen der anderen drei Gruppen standen. Die Schwerkranken wurden in die eigens dafür bestimmten Krankenhäuser verlegt, die Infizierten mit leichten Symptomen in die Behelfskrankenhäuser, die Verdachtsfälle in die als Quarantänestationen genutzten Hotels, Wohnheime von Schulen und Universitäten etc. einquartiert, die Kontaktpersonen wurden anderweitig isoliert. Der Erfolg zeigte sich rasch. Die Erkrankten mit leichten Symptomen erholten sich nach Aufnahme in die Krankenhäuser relativ rasch. Wir konnten mit eigenen Augen sehen, wie sich die Situation in Wuhan Tag für Tag verbesserte. Den gesamten Prozess kann man in meinem Tagebuch Punkt für Punkt nachverfolgen.

Die Probleme des alltäglichen Lebens von neun Millionen in ihren Wohnungen eingesperrten Wuhanern wurden anfangs durch spontane Selbstorganisation der Bewohner angegangen. Mit Hilfe von Bestellungen über das Internet und kollektiven Einkaufsgruppen konnten sich die Eingesperrten mit lebensnotwendigen Waren versorgen. Später entsandte die Regierung sämtliche Beamte in die Stadtviertel, um dort die Bewohner mit Dienstleistungen zu unterstützen. Die neun Millionen Wuhaner reagierten kooperativ und mit vereinten Kräften auf die jeweiligen Forderungen der Behörden. Ihre Selbstdisziplin und Geduld waren der mächtigste Garant der erfolgreichen Eindämmung der Epidemie. 76 Tage in Quarantäne zu verbringen war keine leichte Angelegenheit. Die Durchschlagskraft der Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Epidemie, die Organisation der Quarantäne und andere Vorkehrungen in der späteren Phase waren tatsächlich äußerst effektiv.

Als mein Tagebuch 60 Einträge umfasste, hatte sich die Lage in Wuhan vollständig verändert. Seit dem 8. April, 76 Tage nach der Absperrung, ist Wuhan wieder eine vollkommen offene Stadt. Es waren Tage, die wir nicht vergessen werden. Am Tag der Öffnung hatten nahezu alle Wuhaner Tränen in den Augen.

Wuhan Diary

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