Читать книгу Wuhan Diary - Fang Fang - Страница 20

26 In diesem Augenblick weinen alle Bürger Wuhans um ihn

Оглавление

Heute beginnt es in Wuhan wieder zu regnen. Der Himmel ist düster. Dieser in Dunkelheit gehüllte stürmische Regentag gibt einem das Gefühl einer tödlichen Bedrohung. Der eisige Wind, der einem entgegen bläst, sobald man aus der Haustür tritt, lässt einen von Kopf bis Fuß erstarren.

Aber heute gibt es vor allem gute Nachrichten. Die aufregendsten Nachrichten seit langem. Zunächst höre ich im Radio, dass die Epidemie rasch abklingen wird. Der das verkündet, ist dem Vernehmen nach ein Experte. Zumindest ich halte ihn für glaubwürdig.

Dann wird überall im Netz verbreitet, dass man am Jinyintan-Krankenhaus damit begonnen hat, das in den Laboren der US-amerikanischen Firma Gilead Sciences entwickelte neuartige Medikament Remdesivir (chinesische Experten bezeichnen es als »Hoffnung des Volkes«) zu testen, angeblich mit sehr guten Resultaten. Die Wuhaner sind sehr aufgeregt. Wenn es nicht gegen die Vorschriften verstieße, die Wohnungen zu verlassen, würden sich vermutlich auf der Straße Freudenszenen abspielen. So lange eingesperrt, so lange Hoffen und Bangen, und nun endlich ein Silberstreif am Horizont – dazu so überraschend, genau zur rechten Zeit, gerade als Mutlosigkeit und Verzweiflung übermächtig zu werden drohen. Allerdings wird das Gerücht später dementiert, es gebe überhaupt noch keine Resultate. Aber ich denke, egal ob es stimmt oder nicht, wir sollten das unter die guten Nachrichten aufnehmen. In drei Tagen wissen wir, ob sich unsere Erwartungen erfüllen.

Die mit Spannung erwarteten Behelfskrankenhäuser werden offiziell in Betrieb genommen. Einige der dort aufgenommenen Patienten haben Videos, Fotos und Texte gepostet. Einige monieren, sie seien unzureichend ausgestattet, es gibt viel Gegrummel dieser Art. Aber ich bin der Meinung, auch wenn diese innerhalb eines Tages eingerichteten Krankenhäuser sicher noch nicht rundum funktionstüchtig sind und vermutlich nicht alles reibungslos läuft, werden die erforderlichen Nachbesserungen sicher rasch erfolgen. So viele Menschen auf einem Haufen, jeder hat andere Wünsche, ganz zu schweigen davon, dass alle krank sind. Sorge, Unzufriedenheit, Aufregung und Missstimmung sind unvermeidbar, so behaglich wie zu Hause ist es dort schließlich nicht.

Am Nachmittag schickt mir Feng Tianyu die Nachricht, dass Yan Zhi23 ihm versichert habe, er werde alles daran setzen, die Qualität der von ihnen verantworteten Behelfskrankenhäuser im Wuhan-Keting-Zentrum und im Ausstellungszentrum zu garantieren. »Wir montieren Fernsehmonitore, bauen Bücherecken, Ladestationen, Fastfood-Bistros, wir sorgen dafür, dass jeder Patient täglich einen Apfel oder eine Banane erhält, wir setzen alles daran, dass sich jeder Erkrankte aufgehoben fühlt.« Seht nur, woran man alles zu denken hat. Auch die übrigen Behelfskrankenhäuser haben mit Sicherheit ein Verantwortlichkeitssystem. Was Yan Zhi schafft, können mehr oder minder auch alle anderen Verantwortlichen schaffen. Wuhan hat bereits das Schlimmste überstanden, wir sollten jetzt mit unseren Meinungsäußerungen keine Panik erzeugen. Die Kranken, die vor kurzem noch tagelang umherirren mussten, können sich jetzt beruhigt in ihre Krankenhausbetten legen und sich dort in Quarantäne und in medizinische Behandlung begeben. Das ist für sie und uns alle das Beste. Allerdings bleibt es angesichts des heutigen schlechten Wetters offen, bei wie vielen sich die Erkrankung verschlimmern wird und wie viele auf dem Weg zu den Behelfskrankenhäusern zusammenbrechen. Wir müssen uns daher mit Geduld und Gelassenheit wappnen, tatsächlich sicher sein können wir uns erst, wenn die Gesamtlage unter Kontrolle gebracht ist.

In einem weiteren Video, das ich am Morgen sehe, geht es um einen Arzt für Atemwegserkrankungen am Zhongnan-Krankenhaus. Er hatte sich infiziert und war dem Tod nahe. Jetzt ist er außer Lebensgefahr und schildert voller Humor den Ablauf des Ganzen. Infiziert hat er sich in direktem Kontakt mit Patienten. Später, als er zwischen Leben und Tod schwebte, hat sich seine Frau um ihn gekümmert. Sie hatte sich ebenfalls infiziert, hatte jedoch nur leichte Symptome. Deshalb fordert er alle auf, nicht in Panik zu geraten. Er weist darauf hin, dass es sich bei den meisten der Schwerkranken, die die Infektion nicht überstehen, um ältere Personen mit Vorerkrankungen handelt. Jüngere Menschen in guter körperlicher Verfassung überstehen die Infektion mit Hilfe medikamentöser Behandlung, viel Wasser und Ruhe ziemlich leicht. Er spricht zudem über gewisse Merkmale der neuartigen Coronavirus-Lungenentzündung – zum Beispiel, dass sich beide Lungenflügel gemeinsam vom Rand her infizieren, dass es zu wenig auffälligen Phänomen wie Nasenschleim etc. kommt. Was jemand mit seiner Erfahrung erklärt, ist glaubwürdig. Woran wir uns deshalb halten sollten, ist: zu Hause bleiben und nicht in Panik verfallen. Keine vorschnellen Reaktionen, kühl bleiben, auch wenn wir leichtes Fieber haben oder ein wenig husten.

Heute haben die Behörden außerdem angeordnet, dass sämtliche Personen ihre Körpertemperatur messen müssen. Die Leute geraten in solch einem Moment schnell in Panik, sie haben Angst, dass sie sich beim Fiebermessen infizieren könnten. Nach meinem Verständnis kommt nur bei Verdachtsfällen jemand in die Wohnung, um die Fiebermessung vorzunehmen, im Normalfall genügt es, telefonisch die Daten dem Wohnviertel zu übermitteln. Wir sollten also nicht in jedem Menschen eine Gefahr wittern. Es ist bei einer Epidemie wie im normalen Leben: Törichte Menschen tun törichte Dinge, aber die Mehrheit ist nicht töricht, und nicht unbedingt alles, was getan wird, ist töricht.

Ein paar Worte zu mir selbst. Beim Aufstehen schaue ich aufs Smartphone. Die Nachbarin schickt eine Nachricht, um mir mitzuteilen, dass ihre Tochter heute einkaufen gegangen ist und mir das eine oder andere mitgebracht und vor der Wohnungstür deponiert hat. Ich soll es mir nach dem Aufstehen abholen. Kaum habe ich die Lebensmittel geholt, ruft die Nichte meiner Schwägerin an, die im selben Hof wohnt, um mir mitzuteilen, dass sie mir Würste und fermentierten Tofu vorbeibringen wird, ich soll sie an der Wohnungstür in Empfang nehmen. Es stellt sich heraus, dass sie einen Berg von Sachen anschleppt, mehr als ich in einem Monat weiterer Isolierung verzehren könnte. Diese Erfahrung des Zusammenstehens, der Solidarität im Unheil, erfüllt mich mit Dankbarkeit und wärmt mir das Herz.

Kaum habe ich diesen Blogeintrag beendet, erreicht mich die Nachricht vom Tod Li Wenliangs.24 Er war einer der acht Ärzte, die von der Polizei verwarnt wurden, und hatte sich mit dem neuen Coronavirus infiziert. Jetzt weint ganz Wuhan um ihn. Ich bin unsäglich traurig.

Wuhan Diary

Подняться наверх