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Gezählt wird nur noch mit neun Nullen
ОглавлениеSchweizerische Medien? Muss man sich um sie Sorgen machen? Man muss nicht, aber man sollte vielleicht. Der Durchmarsch der Rechten hat gerade erst begonnen. Den Sturm auf die Chefredaktion der Neuen Zürcher Zeitung konnte eine mutige Redaktion gerade noch verhindern. Bei der Neubesetzung der Feuilletonleitung ist ihr das leider nicht mehr gelungen. Der rechte Verwaltungsrat hat aus der vorigen Niederlage gelernt und im letzteren Fall den Arbeitsvertrag wohl zuerst unterschrieben – und dann erst über die Personalie informiert. Was vom neuen Kulturchef zu erwarten ist, bleibt abzuwarten. Ein Schuft, der an seiner Haltung zweifelt, nur weil sein letzter Arbeitsort eine Publikation mit einschlägig faschistischer Vergangenheit ist. In diesem Familienstück der Reaktionäre hiess der Chefredakteur früher ‹Hauptschriftleiter›, die Financiers hofierten Hitler und versorgten den Faschismus mit Barschaft. Heutzutage kommt das Geld von einem Privatbankier, der sein Institut unter dem Druck der amerikanischen Steuerbehörden verscherbeln musste. Aber auch danach blieb offensichtlich genug Geld und Einfluss übrig, um seinen journalistischen Zögling in eine der einflussreichsten Positionen der deutschsprachigen Publizistik zu hieven. Qualifikationen? Unnötig. Internationale Erfahrung? Das wäre in diesen Tagen geradezu unerwünscht.
Aber es gibt ja noch die Konkurrenz auf der anderen Seite der Sihl. Leider scheint auch mancher Redaktor des Tages-Anzeiger mittlerweile von den ewigen Budgetkürzungen zermürbt. Anders kann man es sich nicht erklären, dass der dortige Kulturchef in dasselbe Horn wie jener Schriftsteller bläst, der neulich in der NZZ zur Schliessung von Theatern aufgerufen hat und obendrein die nicht ganz von der Hand zu weisende Behauptung aufstellte, Dichter von seiner Sorte gebe es zu viele – ein Mann, der am Schweizerischen Literaturinstitut den Nachwuchs ausbildet. Solche spektakulären Pointen kann man bei der NZZ noch verlässlich dem neoliberalen Schema und ihrem Duktus zuordnen.
Beim Tages-Anzeiger scheinen sie bisweilen nur noch verwirrt zu sein. Das ist allerdings kein Wunder in einem Haus, das fünfzig Prozent des Geschäfts nicht mehr mit Journalismus, sondern mit Adresshandel und einem Internetauktionshaus verdient. Noch weniger erstaunlich ist es, wenn man weiss, dass in diesem Mischkonzern in den letzten Jahren eine gute Milliarde von den Redaktionen zu den Aktionären verschoben wurde. Hierzulande zählt man nur noch mit neun Nullen. Für manches Rückgrat in den Redaktionsstuben ist das nicht ohne Folgen geblieben.