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Böses Erwachen

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Als Schweizer hat man in der globalisierten Welt nichts mehr zu sagen. Gefühle der Ohnmacht werden gerne mit grossen Worten kompensiert. Und wenn grosse Worte nicht mehr reichen, nimmt man eben unanständige. Der Populismus wird immer frecher, die Anwürfe immer primitiver. Im Schweizer Fernsehen muss sich ein Moderator zur besten Sendezeit auf eine Weise antisemitisch angehen lassen, die in keinem anderen Land möglich wäre, vielleicht mit Ausnahme Irans. Die Empörung darüber hält sich in sehr engen Grenzen. Genauso wenige stört es, wenn die grösste Partei der Schweiz mit Nazisymbolen Werbung macht. Die Einzige, die ihr Fett abbekommt, ist die Schriftstellerin, die darauf hingewiesen hat, dass die Ziffernfolge ‹88›, die in diesem Wahlclip einer Bundesratspartei präsentiert wird, unter Nazis als Chiffre für ‹Heil Hitler› steht. Sie muss sich von den Parteiideologen in ihren Kampfschriften anpöbeln lassen und erhält Morddrohungen, wie sie viele kennen, die hierzulande kritische Fragen stellen.

Man darf sich deswegen nicht beklagen. Andere zahlen einen noch höheren Preis. Etwa jener jüdische Mitbürger, der in Zürich am helllichten Tage von einem braunen Mob angegangen wurde. Zusammenhänge? Man wird doch nicht so paranoid sein! Suissemania: Der Wahnsinn, die Katatonie, die psychotische Störung können nicht ewig herrschen. Die Vernunft hierzulande ist nicht tot, sie schläft einfach sehr, sehr tief. Es wäre an der Zeit, sich zu regen und den Monstern zu trotzen, die ihre Ruhe gebiert. Sonst wartet am Ende einer langen Nacht ein böses Erwachen und als Trost nur die Nippessammlung, das Kloster Einsiedeln, die Schlacht am Morgarten und das Schellen-Ursli-Haus im schönen Graubünden, jedes davon durchschnittlich drei Zentimeter gross, aus ordinärem Plastik und selbstverständlich made in China.»

Bärfuss, Lukas. Die Schweiz ist des Wahnsinns. Ein Warnruf. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.10.2015.

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