Читать книгу Aufgetau(ch)t - Florian Lange - Страница 9
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Оглавление"Es geht nicht mehr. Es tut mir leid, aber es geht nicht mehr. Ich bedanke mich bei Ihnen, aber es hat für mich keinen Zweck. Die Therapiestunden ließen mich für eine kurze Zeit glauben, dass ich mit der Situation allein fertig würde. Aber das tue ich nicht.
Meine eigene Tochter erklärt mir, wie ich zu leben habe. Wie mein Leben funktionieren kann und wie ich mich zu verhalten habe. Hallo? Ich bin erwachsen, natürlich bin ich nicht mehr so gut organisiert wie sonst, aber was soll ich denn machen? Ich brauche Zeit. Dachte ich. Aber jetzt merke ich, dass mir die Zeit davonläuft. Die Zeit ist wie ein Riese in meiner Welt. Und meine Welt ist zu komplex für mich. Als mein Mann noch lebte, hatten wir beide gemeinsam nur im Krankenzimmer Zeit. Seitdem er tot ist, gibt es nichts, was mich jemals an die Uhrzeit denken lässt. Ich rotiere und arbeite und weine und streite mich nebenbei mit meiner Tochter.
Sie werden es mir nicht glauben, aber ich habe nach dem Tod das getan, was Sie mir immer sagen. Ich solle mein Innerstes mal herauslassen. Ich solle einmal sagen, was ich fühle – fühlen, was ich denke, und tun, was ich möchte. Ja, das habe ich getan, als ich alle Poster von Esmes Wand gerissen habe. Bin ich irre? Nein, oder? Bitte sagen Sie mir, was Sie denken. Ich kann nicht mehr. Ich weiß selbst nicht, ob Sie mir damit helfen würden.
Und jetzt erzähl’ ich ihnen das Schlimmste.
Obwohl ich mich für mein Verhalten Esme gegenüber schäme und sie zeitweise für ihre Äußerungen verabscheute, muss ich mir eingestehen, dass sie leider recht hat. Es ist nicht die Trauer, die mich weinen lässt. Es ist einzig und allein die Tatsache, dass ich in meinem Zustand für meine Kinder nicht da sein kann. Ich bin zu schwach dafür. Fabio braucht mehr als eine Mutter, er braucht im Moment viel Aufmerksamkeit, sonst wird er noch seltsamer. Und auch wenn Esme ihr Leben so gut organisiert, sehe ich in ihren Augen immer noch das schüchterne Mädchen, das nach ihren Eltern ruft. Aber leider ist ihr Vater tot und ihre Mutter zu schwach.
Ich kann nicht mehr.
Esme hatte recht. Fabio muss nicht in die Schule. Er kann das noch gar nicht. Es würde ihm nicht helfen. Aber was soll ich tun? Zu Hause bleibt er im Bett liegen. Zu Hause tut er nichts. Zu Hause verkommt er. Nur, die große Frage ist doch, wann er bereit ist, wieder unter Menschen zu gehen.
Jaja, Esme würde mich jetzt darauf hinweisen, dass es immer schon so war. Sogar in der Türkei. Aber es war ja auch da keine einfache Zeit mit einem todkranken Vater. Er ist ein normaler Junge. So ist es. So einfach ist es.
Naja, wie dem auch sei. Ich lebe nicht mehr, sondern versuche zu funktionieren. Und noch nicht mal das kann ich.
So bin ich zu dem Entschluss gekommen, nicht noch einmal hierher zu kommen, denn immer, wenn ich mich hier gut gefühlt habe, tauche ich in eine Phase ein, die mich mit Trauer umhüllt.
Deshalb ist das hier unsere letzte Sitzung.
Vielen Dank, Doktor.
Vielen Dank für alles, aber vertreiben Sie sich die Zeit mit etwas anderem als damit, mir zu helfen. Leben Sie! Hören Sie auf ihre Patientin, die ihr Leben aufgab, als ihr Mann es tat!"