Читать книгу Zeppelinpost - Florian Scherzer - Страница 13
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Ungefähr ab dem Sommer des Kriegsjahres 1916 traten die Mädchen in die Leben der Auer Straßenbuben und ersetzten nach und nach Schusser, das Kicken, das Abenteuer-Erleben und die Raufereien. Vor allem Burgl Schmaderer aus der Lilienstraße. Sie war die Wildeste und Ungestümste der Auer Mädchen. Und in meinen Augen die Schönste. Natürlich war sie das nicht nur für mich. Sie war bei allen Buben des Viertels mindestens genauso begehrt. Ich denke, dass sie nicht nur besonders gut aussah, sondern auch erreichbarer als die anderen Mädchen wirkte. Während zum Beispiel die Schusteranni, die Zweithübscheste in der Au, immer schön keusch und brav tat und meistens gleich empört schrie, wenn einer einen dreckigen Witz machte, lachte Burgl mit und sah dabei auch noch schön aus. Sie war hübsch, frech und straßenschlau, aber ungebildet. Also das genaue Gegenteil von mir. Ich war nicht besonders schlau, konnte aber so wirken, als sei ich klug, aber nur weil ich von meinem Vater zur Bildung gezwungen wurde.
Burgl hatte damals immer eine Entourage von fünf, und später mit dem Reißner, sechs Buben um sich. Den Wimmer, den Kellerer, den Rosshaupt, den Grammer und den Selcheralois. Jeder der fünf gab damit an, schon mal »an ihre Duttn« gefasst zu haben oder ihre »Haare untenrum« gesehen zu haben. Besonders der Grammer und der Selcher stritten sich andauernd, wer von den beiden gerade mit ihr ging. Burgl ließ aber unser aller Vorstellungskraft heiß laufen. Sie entwickelte sich zur allabendlichen Besucherin in den Gedanken der Buben des Viertels. Auch in meinen Träumen begann Burgl regelmäßig mit ihren wachsenden Brüsten unter den immer zu kleinen, fadenscheinigen Kleidern vorbeizuschauen. Wahrscheinlich war sie bei mir am öftesten.
Irgendwann begann ich Burgl Schmaderer nicht nur in meinen Träumen heraufzubeschwören, sondern auch im echten Leben den Kontakt zu ihr zu suchen. Im Rahmen meiner Möglichkeiten natürlich. Genauso unauffällig, wie ich mich an die Buben-Cliquen des Viertels herangewanzt hatte, suchte ich jetzt die Nähe der Burgl-Gruppe.
Um die Entourage herum gab es eine weitere. Einen erweiterten Kreis der Verehrer der Verehrer. Da fiel einer mehr nicht auf. Von innen nach außen nahm die Aufmerksamkeit ab, und ich befand mich, wenn überhaupt, in der äußersten Entourage. Ich war das einzige Mitglied dieses letzten Rings um Burgl Schmaderer. So weit weg vom Kern, dass sie mich nicht mehr sehen konnte.
Mir genügte es vorerst aber. Ich konnte alles in Burgls Leben mitbekommen und sogar so tun, als würde ich es selbst miterleben. In meiner Fantasie verschwanden die anderen Entourageringe, und ich war der einzige verbleibende Mensch neben Burgl. Ich bezog jeden Satz, den sie zu einem aus dem innersten Kreis sagte, auf mich. Bei »du bist mir vielleicht einer« fühlte ich mich geneckt und bei »lass deine Bratzen fei bei dir« zog ich unwillkürlich meine Hände zurück. Wenn die Gruppe in Richtung Rosengarten ging, ging ich gedanklich neben Burgl, wenn sie sich aus der Gassenschenke ein Bier holte, trank ich es mit ihr alleine. So kam es mir zumindest vor.
Ich würde nicht sagen, dass Burgl damals zu einer Obsession wurde. Ich könnte nicht einmal sagen, dass ich in sie verliebt gewesen wäre. Aber ich begehrte ihren Körper, verklärte sie und gab ihr Charakterzüge, von denen sie wahrscheinlich nicht einmal wusste, dass sie existierten. Ich litt auch nicht unter der Realität und meiner Nicht-Existenz. Das war ich ja gewöhnt. Meine Wahrnehmung war eine andere. Eine Parallelwirklichkeit, von der nur ich ganz alleine wusste. Nur mir war klar, dass ihre Neckereien gar nicht dem Grammer galten, sondern mir. Ich lebte in einer anderen Dimension, unsichtbar für alle, außer mir selbst.