Читать книгу Zeppelinpost - Florian Scherzer - Страница 21

Оглавление

12

In den Inflationsjahren wurde ich ein überraschend erfolgreicher Student. Da ich zwar mäßig intelligent, aber nicht schlau war, und von meinem Vater zum Büffeln gezwungen worden war, konnte ich sehr gut auswendig lernen. Das Lernen war das Einzige, was von meiner Schulzeit übrig geblieben war. Stumpf und ohne Nachfragen. Einfach in den Schädel pauken ohne nachzudenken. Nichts ist hilfreicher im Jurastudium als stupides Auswendiglernen.

Meine Kommilitonen taten sich da meistens schwerer. Deshalb wurde ich ein begehrter Paukfreund. Mit mir und meiner gnadenlosen, stoischen Wiederholerei schaffte es selbst der faulste und dümmste Student, Stoff zu behalten. Juristisch muss es eigentlich eine interessante Zeit gewesen sein. Der Umbruch vom Kaiserreich zur Republik. Vom Königreich zum Freistaat. Aber mir war das egal. Ich nahm die Dinge in mir auf, ohne darüber nachzudenken oder Zusammenhänge zu verstehen.

Meine Kommilitonen mochten mich nicht besonders. Aber immerhin waren sie mir für meine Paukdienste so dankbar, dass sie mich in ihrem Kreis akzeptierten und überall mit hinschleiften. Ich war so eine Art Talisman für sie. Solange ich dabei war, konnten die Prüfungen nicht schiefgehen. Die Reichen versorgten mich mit Getränken und die Gutaussehenden mit Frauen. Die Dummen bezahlten mir meine Nachhilfestunden mit Geld.

Ich trat in eine Verbindung ein. Das ›Pilsener Parlament‹. Die Pilsener waren vergleichsweise weltoffen und sehr beliebt bei den Frauen. Es gab sogar zwei Juden dort. Ich hätte in das Verbindungshaus in der Adalbertstraße ziehen können, aber ich blieb bei meinen Eltern in der Au. Warum, weiß ich nicht mehr. Vielleicht war auch das einer der Gründe, warum ich nie ganz in der Gemeinschaft der Jurastudenten aufgenommen wurde. Vielleicht war ich auch einfach nicht mehr in der Lage zu bemerken, wenn ich angenommen wurde.

Im April 1926 begann ich ein Referendariat in der Kanzlei Schönhuber und Cie. Auch hier half mir meine stoische Art, an Dinge heranzugehen. Ich bekam eine Aufgabe und arbeitete sie, ohne Nachdenken oder Hinterfragen, ab. Im Juli 1926 wurde ich ohne Staatsexamen und Anwaltszulassung als angestellter Jurist übernommen. Man hatte in der Kanzlei gemerkt, dass niemand in derselben Geschwindigkeit und Akribie Verträge ausarbeiten konnte wie ich. Man hatte aber auch gemerkt, dass ich verstockter Kauz nicht der Richtige für Mandantenkontakt oder sogar Gerichtsverhandlungen war. Deshalb ließ man mich das Referendariat gar nicht erst zu Ende machen und behielt mich bei den Verträgen. Mir war es recht. Plötzlich verdiente ich überraschend viel Geld, konnte meinen Eltern finanziell aushelfen und war beschäftigt. Ich hatte im Leben halt auch nichts anderes zu tun, als zu arbeiten. Verträge, Verträge, Verträge. Ich interessierte mich einfach für nichts. Eigentlich nicht mal für die Verträge. Andere suchten Abenteuer bei Frauen, wurden schnell Familienväter, arbeiteten leidenschaftlich im Justizsystem, machten in Parteien wie der DNVP oder der BVP politische Karrieren oder hatten eine Modelleisenbahn. Ich nicht. Nur Zeitung lesen und aus dem Fenster schauen. Die Arbeit in der Kanzlei hielt mich beschäftigt, verschaffte mir viel Geld und ließ mich gleichgültig genug, um mich nicht zu belasten. So wurde ich durch meine stoische Arbeitsmoral bis 1927 zu einer unersetzlichen Größe in der Kanzlei. Der Verträgefresser, sagten sie zu mir und bezahlten mich fürstlich dafür. Meinem Vater war es recht, meine Mutter war stolz, mir war es gleich.

Zeppelinpost

Подняться наверх