Читать книгу Zeppelinpost - Florian Scherzer - Страница 15

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In den letzten zwei Augustwochen blieb ich zu Hause und vermied es, den anderen zu begegnen. Wenn ich die Stimmen der sieben auf der Straße hörte, schlich ich ihnen nicht mehr hinterher, sondern schloss stattdessen das Fenster. Mit Burgl hatte ich nichts mehr zu tun. Franz’ Gesicht an ihrem Busen ging mir nur schwer aus dem Kopf.

Langsam entwickelte ich eine Theorie rund um das Burgl-Franz-Ereignis, die es mir wieder ermöglichte, Burgl zu sehen. Sie hatte das alles nur aus Patriotismus getan. Für Deutschland. Einem Helden von der Somme die Ehre erweisen, sozusagen. Ein bisschen auch aus Schuldgefühlen. Sie als Daheimgebliebene wollte dem armen Soldaten Franz etwas Gutes tun. Dem gesichtsversehrten Kriegshelden. Ein für mich neuer Charakterzug an Burgl, der sie adelte und plötzlich nicht mehr nur körperlich begehrenswert erscheinen ließ, sondern liebbar machte. Ich war von da an nicht mehr nur an Burgls Busen, Mund, Beinen und Hinterteil interessiert, sondern ich begann auch, mich in sie zu verlieben. Oder in meine Vorstellung von ihr. Ich beobachtete sie wieder mehr, sah ihr und ihrer Clique beim Jungsein zu und versuchte, irgendwie in ihre Nähe zu kommen. Ich hatte das Gefühl, dass irgendwann der Moment kommen würde, an dem ich in Burgls Welt treten und zum einzig wirklich wichtigen Mann in ihrem Leben werden würde.

Im September 1918 bekam Franz eine Lehrstelle als Kunstschmied in Sendling, zog in ein Zimmer bei der Familie, der der Betrieb gehörte und war von da an aus dem Viertel verschwunden. Ich habe ihn vor ein paar Jahren mit Frau und drei Kindern am Kreuzplätzchen gesehen. Ein Umzugsunternehmen holte die Möbel der Eltern aus der Wohnung. Franz führte sie zu einem Opel, den er selbst lenkte und fuhr mit ihnen davon. Frau und Kinder in der Taxe hinterher. Die Nachbarin erzählte mir, dass er für sich und seine Familie in Solln ein Haus gebaut hatte und nun mit seinen Eltern, seiner besonders hübschen Frau und seinen drei Kindern dort hinzog. Das Gesicht hatte er scheinbar nachträglich noch operieren lassen, denn er war bei Weitem nicht mehr so abstoßend wie früher. Sogar ein Glasauge hatten sie ihm einsetzen können und eine neue Nase geformt. Als ich ihn grüßte, sah ich in seinem funktionierenden Auge, dass er nicht wusste, wer ich war.

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