Читать книгу Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2 - Frank Hille - Страница 4
Schulprobleme, Sachsen, 1976
ОглавлениеDas Mädchen hatte sich daran gewöhnt dass die anderen sie manchmal verwundert anschauten, wenn sie die einfachsten Aufgaben wieder einmal nicht begriff, es machte ihr nichts mehr aus. Sie hatte verinnerlicht, dass die Lehrer bei ihr ein Auge zukniffen und ihr wenigsten eine vier zubilligten, selbst mit ihren zehn Jahren verstand sie schon, dass die Qualen die das Lernen ihr bereiteten, irgendwann vorbei sein würden. Längst hatte sie es aufgegeben darauf zu hoffen, dass sie durch ständiges Üben besser werden könnte, das Ergebnis war jedes Mal enttäuschend. Wenigstens ihre Klassenleiterin stellte sich schützend vor sie wenn die anderen sie wieder einmal hänselten und als blöde Gans bezeichneten oder sich sonst abfällig äußerten. Freunde fand sie keine, nur mit Karla, die ähnlich lernschwach wie sie war, schwatzte sie in den Pausen manchmal. Zu Hause setzte sie sich dann wie pflichtschuldig an ihren Schreibtisch um die Aufgaben zu erledigen, oft war ihr schon die Aufgabenstellung unverständlich und mehr um zu zeigen, dass sie sich wenigstens damit beschäftigt hatte, schrieb sie etwas auf, was sie nach ein paar Minuten selbst nicht mehr hätte erklären können. Ihr Bruder Dieter war zwar von seinem Vater beauftragt worden ihr zu helfen aber nahm diese Aufgabe mehr als halbherzig wahr, denn Hanna konnte seinen Erklärungsversuchen nicht folgen, und wenn sie sein spöttisches Lächeln sah, verflog auch jeder Ansatz einer Anstrengung bei ihr ihn zu verstehen.
Hanna Becker versuchte instinktiv ihre schlechten Leistungen in der Schule durch Hilfe im Haushalt wettzumachen. Lob bekam sie nur von ihrer Mutter, Peter Becker nahm ihre Anstrengungen zwar zur Kenntnis, aber mehr auch nicht. Für ihn war das Verhalten seiner Tochter Ausdruck eines vollständigen Versagens. Er selbst hatte sich mit Disziplin hochgearbeitet und diese Eigenschaft trieb ihn immer noch ständig an. Peter Becker wusste selbst nicht, dass er auf eine bestimmte Art neurotisch war. Hätte ihn ein Psychologe über sein Leben befragt wäre schnell klar geworden, dass die verstörenden Erlebnisse in seiner Kindheit und Jugendzeit ihn in eine Richtung gelenkt hatten, die Ruhelosigkeit und Anerkennungsstreben mit sich brachten.