Читать книгу Lebenswege - Eine ostpreußische Familiengeschichte - Band 2 - Frank Hille - Страница 8
Hannas Probleme, Berlin, 1980
ОглавлениеDas Mädchen pubertierte heftig und noch mehr als sonst war ihr alles egal. Das Gebrüll ihres Vaters, wenn sie Arbeiten oder Leistungskontrollen vorlegen musste, die herablassende Art der anderen Schüler mit ihr umzugehen, die genervten Lehrer, die bei ihr keinerlei Fortschritte erzielen konnten. Sie müsste nur noch zwei Jahre durchhalten, dann würde sie nach acht Jahren von der Schule abgehen und das erschien ihr eigentlich als nicht als sonderlich schlimm. Obwohl sie keinerlei Vorstellungen hatte was sie später einmal tun würde war sie davon überzeugt, dass es eine Arbeit sein musste, bei der sie nicht viel nachdenken musste. Sie konnte sich ganz gut vorstellen, als Näherin oder Köchin zu arbeiten, Hauswirtschaft war das einzige Fach bei dem sie Geschick bewies. Auch deswegen ging sie ihrer Mutter im Haushalt gern zur Hand und Gerda Becker war klug genug, sie auf dieser Strecke zu fördern. Als Hanna das erste Mal ein Mittagessen für die Familie zubereitete, ihre Mutter hatte Spinat und Rührei geplant, gab selbst ihr Vater keinen hämischen Kommentar ab sondern aß ohne eine Bemerkung auf. Seitdem bürgerte es sich ein, dass Hanna einmal im Monat für die Mahlzeit zuständig war und wenn sie in der Küche stand und das Essen nach dem Kochbuch zubereitete fühlte sie sich wohl. In dieser Zeit entwickelte sie ein ganz bestimmtes Gefühl für das Verhältnis der Zutaten, denn die Angaben in den Kochbüchern zu den Mengen und Gewichten verwirrten sie eher. Dass sie über ausgeprägte sensorische Fähigkeiten verfügte war ihr selbstredend nicht bewusst, aber bald kochte sie besser als ihre Mutter und hatte auch den Mut, bisher noch nie auf dem Speiseplan der Familie stehende Gerichte auf den Tisch zu bringen.
„Hör zu Peter“ sagte Gerda zu ihrem Mann „das Mädchen wird nie einen Abschluss schaffen so wie du dir es vorstellst, ist das eigentlich so schlimm? Für mich nicht, schau‘ sie dir an, sie quält sich mit der Schule nur herum, aber wenn sie kochen kann blüht sie richtig auf. Dann wird sie eben irgendwo in einem Betrieb oder einer Gaststätte arbeiten, auch dort kann man sein Geld verdienen.“
„Sicher“ erwiderte der Mann mürrisch „jeden Tag Soßen anrühren, Kartoffeln schälen, Gemüse putzen, sehr anspruchsvoll diese Arbeiten.“
„Na und, du gehst auf Arbeit wohl nicht bei euch in der Kantine essen?“
„Doch, aber die kochen so, dass es nicht gerade ein Genuss ist.“
„Na bitte, Hanna kann das besser, jetzt schon, und wenn sie noch dazulernt wird sie richtig gut werden. Zwinge sie zu nichts mehr, was weder ihr etwas bringt und dich unzufrieden macht.“
Peter Becker wusste, dass seine Frau Recht hatte. Dennoch konnte er sich nur schlecht damit abfinden vor anderen Leuten zugeben zu müssen, dass seine Tochter so gar nicht nach ihm kam und nur mit einem schlechten Abschluss von der Schule abgehen würde. Aber mittlerweile hatte er verstanden, dass jegliche Art von Druckausübung auf sie keinen Erfolg haben würde. Außerdem hatte er wichtigere Dinge im Kopf.