Читать книгу 9 Spannungsromane für den Urlaub: Ferien Sammelband 9017 - Frank Rehfeld - Страница 61

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Den ganzen Rest des Tages änderte sich nichts an der Situation.

Barry wurde unbehaglich zumute. Niemand sprach mit ihm. Auch beim Abendessen, im großen Speisesaal, wurde er geschnitten. Zwar waren Gespräche während des Essens sowieso untersagt, doch Barry bemerkte sehr wohl, dass die anderen geflüsterte Mitteilungen oder kleine Zettel austauschten. Doch sämtliche Insassen der Außenstelle Borken Bow schienen sich darauf geeinigt zu haben, den Neuen links liegen zu lassen.

Unterdessen war eine halbe Hundertschaft schwerbewaffneter Wächter aufmarschiert, um den Speisesaal unter Kontrolle zu halten.

Der Zwischenfall, den sie alle zu befürchten schienen, blieb aus. Dann, als die Gefangenen in die Zellen zurückgeführt wurden, gab es für Barry das erste positive Zeichen.

Hinter ihm zischelte jemand. Barry verstand es nicht sofort, hörte aber genauer hin.

„Dealerschwein!“

Der Trucker grinste zufrieden. Die Typen hinter ihm waren aus der Nachbarzelle. Also hielten sie ihn tatsächlich für den, der er laut amtlich getürkten Papieren war. Barry Deegan, der Rauschgifthändler, der versucht hatte, in Tulsa einen neuen Handelsring aufzubauen und dabei drei stadtbekannte Crack-Dealer umgebracht hatte.

Die Crackies waren wirklich ermordet worden.

Und Lovell und seine Männer hatten den wirklichen Killer geschnappt. Einen Gangster aus Arkansas, der selbst in der Szene der Eingeweihten von Oklahoma noch nicht bekannt war. Lovell hatte seine Chance sofort erkannt und den echten Killer in der Versenkung verschwinden lassen. Stattdessen den Trumpf Barry Deegan auszuspielen, war kein Problem gewesen.

Und der Trumpf ging an die richtige Adresse.

Denn der Familienclan der Benitos hatte bislang den gesamten Rauschgifthandel in Oklahoma kontrolliert, also auch in Tulsa. Und Aldo Benito fühlte sich selbst in seiner Gefängniszelle immer noch mitverantwortlich. Es hieß, dass die Anwälte, die ihn regelmäßig aufsuchten, lediglich zum Befehlsempfang kamen. Denn der Rest der Familie, Aldos Vater und sein Onkel, widmeten sich in Oklahoma City mehr den angenehmen Seiten des Lebens. Schon frühzeitig, vor vier Jahren, hatte Aldo deshalb die Führung des Clans übernommen. Damals war er 21 gewesen. Der jüngste Mob-Boss in den Vereinigten Staaten. Die Benitos hatten sogar öffentlich damit geprahlt. Amerikanische Mafia-Familien scheuten sich nicht, ihren Stolz in die Welt hinauszuposaunen.

Barry war erleichtert. Zwar redeten Benito, Caligula und Hondo noch immer nicht mit ihm, doch er konnte zumindest davon ausgehen, dass die restliche Abneigung aus dem Zellentrakt und wohl auch aus dem gesamten Gefängnis daher rührte, dass Drogenhändler von Kapitalverbrechern im Allgemeinen verachtet wurden.

Er schwang sich auf das harte Bett.

Die anderen taten das gleiche. Alle dösten dumpf vor sich hin. Weder Fernsehapparat noch Radio war ihnen erlaubt. Nur Bücher und Zeitschriften. Und die waren ihnen zu mühsam. Also ergaben sie sich ihrem Stumpfsinn.

Barry gelang es, sich zu entspannen. Wenn es auch eine Ruhe vor dem Sturm sein mochte, so wollte er diese Ruhe doch nutzen, um Kräfte zu sammeln. Er brauchte Schlaf. Benito würde ihn auf die Probe stellen. Er musste fit sein, wenn es soweit war, wenn die Stunde X kam.

Würde sie wirklich kommen?

Und wenn seine angeblichen Verwandten aufkreuzten, um ihn zu besuchen, dann würde niemand wissen, dass es Captain Lovells Männer vom Büro of Investigation waren. Aber würde er, Barry Deegan, dann die Informationen liefern können, die sie brauchten, um den Aufstand niederzuschlagen, bevor er begann?

Barry verscheuchte die Gedanken, zwang sie in den entferntesten Winkel seines Bewusstseins. Er entspannte seine Muskulatur, so, wie er gelernt hatte, es nach einem langen Tag am Steuer des Mack zu tun. Er hatte keine Angst vor den drei Kerlen in der Zelle, die ihm durch ihr Schweigen ihre ganze Verachtung zeigten. Er wusste, dass es ein Täuschungsmanöver war. Sie glaubten, dass sie umso überraschender über ihn herfallen konnten, je länger sie ihn mit scheinbarer Missachtung straften.

Und selbst wenn er schlief, würden sie ihn nicht austricksen. Er würde rechtzeitig aufwachen; das leiseste verdächtige Geräusch würde ihn wecken. Auch das war ihm als Trucker in Fleisch und Blut übergegangen. Bei Nachtfahrten, in den Schlafpausen auf einsamen Parkplätzen, hatte er sogar das Eichhörnchen gehört, das über die Motorhaube geschlichen war. Oder das Opossum, das sich von der Restwärme des Sechszylinders angezogen gefühlt hatte.

Nein, überlisten konnten sie ihn nicht. Sie konnten höchstens ihre zahlenmäßige Überlegenheit ausspielen.

Barry verdrängte auch diese Gedanken.

Er wurde schläfrig.

Innerhalb von Minuten schlief er ein - trotz der fremden Umgebung und trotz der Gefahr, in der er schwebte. Und irgendwann, während seines tiefen und erholsamen Schlafs, stellten sich die Bilder ein. Es waren altbekannte Traumbilder, die ihn verfolgten. Quälende Bilder, denn sie stellten zugleich den Schlüssel zu der Situation dar, in die er jetzt geraten war.

Eine Straße wie ein Tunnel.

Düsteres Mauerwerk, Backstein. Verschlossene Türen und schwarze Fenster. In den Pfützen auf dem Asphalt schillerte das ferne Licht einer Straßenlampe.

Barry wurde vom Nachhall seiner eigenen Schritte eingeholt. Wie rollender Donner folgte ihm dieser Hall, den er mit seinen Schuhsohlen erzeugte. Die Straßenlampe schien unerreichbar fern. Sie symbolisierte das rettende Ufer, das er praktisch nicht erreichen konnte. Die Lampe war weniger als der Strohhalm, nach dem der Ertrinkende greift.

Barry wollte nicht wahrhaben, dass es längst auch die Schritte der anderen waren, die hinter ihm dröhnten. Seine Sinne gaukelten ihm vor, dass er es trotz allem noch schaffen konnte - so, wie er immer alles geschafft hatte, was er schaffen wollte.

Wirklich?

War es nicht eher so gewesen, dass er sich immer alles Mögliche eingeredet hatte? Ja, er war ein verdammter Narr, der sich ständig nur selbst was vormachte. In Vietnam genauso wie jetzt, hier, in den Staaten. In einem Land, das ihn nicht mehr wollte. Das seine Rückkehr aus der Dschungelhölle irgendwie nicht eingeplant zu haben schien.

Seine Verfolger waren die Vollstrecker.

Ja, verdammt, das waren sie.

Du hast in diesem Land nichts mehr zu suchen, Barry Deegan!

So hörte er sie brüllen, hinter sich, und sie kamen immer näher. Ihr drohendes Gebrüll fand nur in seinem Kopf statt, das war ihm schon klar. Aber was änderte das schon! War es die Wirklichkeit, und die bedeutete den Tod für ihn. Eine andere Verwendungsmöglichkeit gab es für ihn nicht mehr. Jetzt nicht mehr.

Die Straße, das Licht, die Lampe - diese rettende Insel dort vorn schien sich zu entfernen, statt näher zu kommen. Und er hatte keine Waffe. Seit Vietnam hatte er nie mehr eine Waffe angefasst. Er hatte sich nur auf seine Fäuste verlassen. Nun aber hatte er sich selbst wieder dahin gebracht, wohin er nie mehr gewollt hatte: in die Welt des Tötens.

Wollte er überleben, musste er töten, um nicht getötet zu werden.

Vielleicht wäre er dazu bereit gewesen, hätte er eine Waffe besessen. Aber wie die Dinge standen, hatte er keine Chance.

Im Laufen drehte er sich um.

Und erschrak.

Drei Verfolger! hafte Gestalten jedenfalls. Sie waren schnell, höllisch schnell. Und schon viel näher, als er gedacht hatte.

Auf einmal hörte er sein Keuchen, seinen rasselnden Atem. Und erst jetzt spürte er seinen Herzschlag, der ihm bis in den Hals herauf hämmerte.

Aus! gellte seine innere Stimme. Aus! Aus! Aus!

Plötzlich eine andere Stimme.

Er begriff nicht sofort.

„Runter, Deegan! Runter, verdammt noch mal!“

Im selben Moment sah er die Silhouette, die ins Licht geschnellt war.

Er reagierte und kam sich dabei langsam wie eine Schnecke vor. Aber er reagierte und das war die Hauptsache.

Als er mit der Nase im Dreck landete, brach über ihm die Hölle los.

An der Hüfte des Mannes im Straßenlicht erblühten Blumen aus Feuer. Das Inferno der Schüsse brach sich zwischen den Hauswänden. Durch das Heulen der Querschläger schrillten menschliche Stimmen. Sie endeten, versiegten. Das Inferno endete.

Grenzenlos staunend hob Barry Deegan den Kopf vom schmutzigen Asphalt. Er konnte es nicht fassen, aber es war die Wirklichkeit:

Er lebte.

Er hatte nicht mal eine Schramme abgekriegt.

Und hinter ihm rührte sich nichts mehr.

Schritte näherten sich aus dem Licht.

Barry rappelte sich halb auf, ließ sich zur Seite sinken, mit der Schulter gegen eine Backsteinwand.

Der Mann blieb vor ihm stehen. Breitbeinig, die Maschinenpistole am langen Arm. Aus der stummeligen Mündung kräuselte sich ein dünner Rauchfaden. Der Mann war schlank und hochgewachsen. Er trug einen Trenchcoat. Sein blondes Haar war kurzgeschoren. Barry kannte diese Typen zur Genüge. Marines. Ledernacken. Das waren keine Menschen. Das waren ...

„Schätze, du bist mir jetzt einen Gefallen schuldig, Deegan.“ Die Stimme des Mannes hatte einen unangenehm metallischen Klang.

„Himmel, du hast mir das Leben gerettet“, hörte Barry sich ächzen. Und er wunderte sich darüber, dass er anfing, diesen Burschen sympathisch zu finden. Vielleicht geschah es aus Dankbarkeit.

„Du hast es nicht verdient, Deegan. Du bist nicht besser als diese Dealer, die ich für dich umgelegt habe. Es wäre nicht schade um dich gewesen, wenn sie dich erwischt hätten. Aber wir beide können eine andere Art von Deal machen. Ab sofort arbeitest du für mich. Du bleibst in der Szene und lieferst mir Informationen. Dafür wird die Staatsanwaltschaft mit sich reden lassen. Als brauchbarer Zeuge gegen das organisierte Verbrechen wirst du straffrei ausgehen. Und du kriegst sogar die Chance, wieder ein ordentliches Leben anzufangen. Voraussetzung ist allerdings, dass du dich bewährst.“

„Ich soll ein Verräter werden?“

„Genau.“

„Aber…“

„Ein Verräter ist hundertmal besser als der Drecksack, der du jetzt bist. Weil es tausendmal gerechtfertigt ist, die Bastarde aus der Rauschgiftszene ans Messer zu liefern. Sie haben keine Gnade verdient. Denn sie töten jeden Tag. Sie töten unschuldige Menschen mit ihrem Stoff...“

„Ich... ich habe ... keine Wahl?“

„So ist es. Es sei denn, du ziehst es vor, in den Bau zu wandern.“

„Nein.“

„Na, dann.“ Der Mann mit dem Kurzhaarschnitt nahm die MPI in die Linke, reichte Barry die Hand und half ihm auf die Beine. „Dann sind wir also Partner. Du hörst von mir, wenn ich dich brauche. Und präge dir meinen Namen gut ein. Ich bin Leonard Lovell. Detective Lieutenant Lovell, Büro of Investigation, Oklahoma State Police ...“

Der Name löste eine körperlich spürbare Reaktion bei Barry aus.

Die Reaktion bestand in einem kalten Ziehen in der Kehle.

Es blieb.

Aus dem Raum wechselte es hinüber in die wirkliche Welt.

Es war kalt und metallisch, und es verursachte dieses Ziehen quer über seinen Hals, zwischen Adamsapfel und Kinnlade. Als Barry erwachte und die Augen öffnete, signalisierte ihm sein sofort hellwacher Verstand, was zu tun war.

Nichts.

Er lag stocksteif, bewegte nicht mal mehr die Augenlider.

Als erstes sah er die Gesichter. Grinsend. In den Augen der Kerle flackerte die blanke Mordlust. Und am unteren Rand seiner Kehle erblickte Barry die Ursache der stählernen Kälte auf der Kehle.

Eine Klinge.

Schmal und gefährlich wie ein italienisches Stilett.

Aber so was konnte es nicht sein. So was würden sie niemals hereingeschmuggelt kriegen. Broken Bow hatte einen enorm hohen Sicherheits-Standard.

„Es ist scharf wie ein Rasiermesser“, flüsterte Aldo Benito, der die Klinge hielt. „Wir basteln so was aus Essbesteck, wie in den guten alten Gefängnis Filmen.“

William „Caligula“ Dexter und Barney „Hondo“ Evans lachten leise und glucksend. Barry sah nur ihre Köpfe und Schultern über der Kante seines Bettes. Die Zelle war nicht völlig dunkel. Die ganze Nacht über fiel Licht aus dem Mittelgang herein. Das war beabsichtigt. Ob allerdings jede einzelne Zelle von der Videosicherung erfasst wurde, war stark zu bezweifeln. Barry rechnete ohnehin nicht damit, dass ihm die Aufseher helfen würden.

„Da kannst du mal sehen!“, zischte Benito. „Wir machen dich kalt, und du merkst es nicht mal! So einfach ist das! Kapiert?“

Barry wollte schlucken. Aber er riskierte es nicht. Er wusste, Benito und seine Komplizen standen unter Hochspannung. Eine Winzigkeit konnte genügen, um sie explodieren zu lassen. Was dann passierte, war nicht vorherzusehen. Nichts war kalkulierbar in diesem Bau.

Im Zellentrakt herrschte völlige Ruhe.

Und es waren auch keine Schritte von Aufsehern zu hören.

Barry fühlte sich so allein wie selten in seinem Leben.

Der Druck der Klinge verstärkte sich. Aus dem metallischkalten Ziehen wurde ein echter Schmerz. Der Trucker fragte sich, wann die Schneide in seine Haut eindringen, wann sein Blut fließen würde.

Jäh ließ der Druck nach.

Benito und seine Handlanger lachten. Der Mobster hob die Klinge hoch über Barrys Gesicht. „Nur, damit die Fronten geklärt sind, mein Junge! Nimm dir nichts heraus, was dir später Leidtun könnte. Lass die Dinge so, wie sie sind. Du bist ein einfacher, total unbedeutender Knastbruder, und damit hat sich’s. Bilde dir bloß nicht ein, hier irgendeine Sonderrolle spielen zu können.“

Barry dachte nicht daran, sich erschrecken zu lassen.

Deshalb tat er das, was die Kerle am allerwenigsten erwarteten.

Er schlug zu. Mit allem, was er hatte.

Seine Handkante senste aufwärts und traf den Messerarm des Mobsters. Im selben Sekundenbruchteil zog Barry die Beine an. Ruckartig.

Sein linkes Knie traf Hondos Schädel.

Benito stieß einen Schrei aus, in dem sich Wut und Schmerz paarten. Das Messer wirbelte in hohem Bogen durch die Luft und landete irgendwo auf einem der Betten gegenüber. Hondo sackte lautlos in sich zusammen. Benitos Arm fiel schlaff herab. Bevor er seinen gesunden Arm einsetzen konnte, um die Schlappe auszubügeln, hatte der Trucker sich herumgeworfen. Benitos Schrei war verstummt. Er schaffte es nicht mehr, sich zum neuen Angriff zu sammeln.

Barrys zweiter Hieb schleuderte ihn gegen Caligula, die Schlange.

Der Kahlkopf knurrte vor Wut und Überraschung. Unter dem Anprall Benitos wurde er gegen die Gittertür getrieben. Es schepperte. Das Geräusch knallte wie ein Schuss durch den Zellentrakt. Caligula sackte am Stahlgitter abwärts. Er musste sich den Kopf weh getan haben, und zwar so sehr, dass ihn die Bewusstlosigkeit gnädig aufnahm. Nur Benito hielt sich noch senkrecht. Schwankend jedoch, mit glasigen Augen.

Barry schwang sich vom Bett.

Er konnte es kaum glauben, aber er hatte tatsächlich geschafft, gleich zwei Kerle ins Traumland zu schicken. Hondo und Caligula lagen friedlich auf dem Zellenboden, zwischen den Betten, als fänden sie’s da besonders gemütlich. Und der dritte im Bunde hatte Mühe, seine Gleichgewichtsstörungen zu bekämpfen.

Aus dem Mittelgang dröhnten Schritte.

Barry Deegan fackelte nicht lange. Er konnte jetzt nicht mehr zurück.

Er unterlief einen schlappen Angriffsversuch des Mobsters und setzte ihm eine kurze Serie von gezielten Geraden auf die empfindlichsten Punkte.

Mit einem gurgelnden Laut folgte Benito dem Beispiel seiner Kumpane.

Das Deckenlicht flammte auf.

Barry stieg über die Bewusstlosen hinweg und packte die Gitterstäbe. Die Uniformierten sollten seine Hände sehen.

Gemurmel aus den Nachbarzellen wurde laut.

Das Dröhnen der Schritte schwoll an. Ebenso das Gemurmel. Nach und nach erwachte der komplette Zellenblock. Schon Sekunden nach Barry Deegans unverhofftem Sieg waren Aldo Benito, Caligula und Hondo die einzigen Schlafenden. Aus dem Gemurmel wurde Gebrüll, noch bevor die Aufseher den Ort des Geschehens herausgefunden hatten. Der Lärm griff vom ersten Stock auf das Erdgeschoß und den zweiten Stock über.

Mitten in der Nacht brach die gleiche Hölle los, wie Barry sie bei seiner Einlieferung erlebt hatte. Er starrte auf den Mittelgang hinaus und wusste nicht, was passieren würde, wenn die Kerle hinter ihm in der Zelle wieder zu sich kamen. Konnte er überhaupt damit rechnen, dass ihn irgendjemand beschützte?

Die Schritte wurden langsamer. Eine Kette von Uniformierten bildete sich im Mittelgang. Die Männer trugen Schlagstöcke, Revolver, bauchige Futterale und röhrenförmige Behälter an den Koppeln. Zusätzlich waren sie mit Langwaffen ausgerüstet. Maschinenpistolen und Shotguns wurden auf die Zellen gerichtet, abwechselnd zur einen und zur anderen Seite. Die Gesichter unter den Schirmen der Dienstmützen waren hart und entschlossen. Der brünierte Stahl der Waffen schimmerte im hellen Licht der Leuchtstoffröhren.

Barry gab den Aufsehern ein Zeichen. Mindestens drei von ihnen sahen es, denn sie blickten direkt zu ihm herüber. Und sie mussten auch die drei Bewusstlosen am Zellenboden deutlich erkennen können.

Aber sie reagierten nicht.

Eine Lautsprecherstimme erscholl - donnernd, um ein Vielfaches stärker als der Lärm.

„Achtung, Zellenblock A! Hier spricht der Leiter des Sicherheitsdienstes! Halten Sie Ruhe! Ich wiederholte: Halten Sie Ruhe! Wenn Sie ...“

Gebrüll und Geklapper wurden nur noch lauter.

„...die Aufforderung nicht befolgen, lasse ich Tränengas einsetzen! Eine weitere Warnung erfolgt nicht! Also stellen Sie den Lärm ein! Es wird sonst Tränengas eingesetzt!“

Die doppelte Wiederholung wirkte. Der Lärmpegel bekam einen deutlichen Knick.

Und dann öffneten die Uniformierten die Koppelbehälter und zogen die Gasmasken heraus. Mit wenigen geübten Handgriffen stülpten sie sich die Dinger über den Kopf und zogen die Haltebänder fest.

Im Gebrüll der Häftlinge entstanden Lücken.

Die ersten Aufseher hatten den Sitz ihrer Masken überprüft. Die Langwaffen in der Linken, öffneten sie die Koppelfutterale.

Der Anblick der aluminiumfarbenen Tränengas-Granaten änderte die Situation grundlegend. Der heisere Chor der Stimmen senkte sich. Fast hörte es sich an wie der enttäuschte Chor der Anfeuerer in einem Football-Stadion, wo die eigene Mannschaft gerade eine prächtige Chance in den Sand setzte.

Immer mehr Tränengas-Granaten kamen zum Vorschein.

Und Stille kehrte ein, als ob sämtlichen Brüllern die Luft abgedreht worden war.

Barry Deegan öffnete den Mund, um seine Meldung loszuwerden. Doch er brachte nicht einmal die erste Silbe über die Lippen. Die Uniformierten, die die ganze Zeit herübergeblickt hatten, taten dies noch immer. Aber dennoch nahmen sie ihn einfach nicht wahr, und das, obwohl er wie ein Schimpanse hinter dem Gitter stand. Teufel nein, sie wollten ihn nicht wahrnehmen!

Die Ernüchterung sackte auf ihn herab wie eine Zentnerlast.

Die Aufseher blieben noch eine halbe Stunde im Mittelgang.

In dieser Zeit krochen die Gefangenen zurück in ihre Kojen. Der Trucker war in seiner Zelle der erste, der sich auf sein Bett schwang. Gern hätte er nach dem selbstgebastelten Messer gesucht. Aber er riskierte es nicht. Ihm war in diesen Minuten klargeworden, welche Macht Benito besaß, obwohl er Gefangener in dieser Strafanstalt war. Barry wusste, wenn die Aufseher ihn mit dem Messer in der Hand sahen, würden sie ihm die Verantwortung dafür in die Schuhe schieben.

Verdammt, er konnte machen, was er wollte - gegen Benito hatte er keine Chance. Dabei hätten die Aufseher einen eindeutigen Grund gehabt, den Mobster in eine Einzelzelle zu stecken. Und warum taten sie es nicht? Schlagartig wurde es Barry klar: Sie mussten Benito mit Samthandschuhen anfassen. Denn er war es, der die Gefangenen unter Kontrolle hatte. Ein Wort von ihm, und sie würden losschlagen. Und das gleiche würde passieren, wenn man versuchte, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Die Gefängnisdirektion steckte in einer teuflischen Klemme.

Aber ausgerechnet er, Barry Deegan, sollte dagegen etwas tun können?

Es war die schlechteste Idee, die Leonard Lovell jemals gehabt hatte.

Caligula und Hondo krochen wie geprügelte Hunde unter ihre Decken. Es lag daran, dass Benito sie keines Blickes würdigte. So beschränkten sie sich darauf, den Trucker umso hasserfüllter anzustarren. Benito blieb einen Moment neben Barrys Bett stehen. Der Mobster wagte es nicht, sein Messer zu suchen - nicht, solange die Aufseher jeden Schritt und jede Handbewegung kontrollierten. Alles schien er sich denn doch nicht herausnehmen zu können.

Mehrere Sekunden lang sah Benito seinen Bezwinger aus kalten Augen an. Dann flüsterte er: „Was du getan hast, wirst du bereuen, Deegan. Das schwöre ich dir bei der Ehre meiner Familie.“

Barry erwiderte nichts darauf. Doch er hielt dem Blick des Mobsters stand. Es war die einzige Antwort, die er geben konnte.

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