Читать книгу Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 24

Der Fremde

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Erschrocken fuhr Maziroc beim Klang der unbekannten Stimme herum, ebenso wie Charalon und Eibon und auch die Elbenkrieger, die sich bei ihnen befanden. Drohend richteten sie ihre Pfeilspitzen auf den unverhofft wie aus dem Nichts nur wenige Schritte von ihnen entfernt auf dem Wehrgang aufgetauchten Fremden. Es handelte sich um einen schlanken, hochgewachsenen Mann in schwer zu schätzendem mittleren Alter. Halblanges dunkelblondes Haar umgab sein Gesicht. Es wirkte offen und sympathisch, doch der Blick seiner blauen Augen und sein etwas kantig vorstehendes Kinn verrieten Willenskraft und Durchsetzungsvermögen. Er schien keine Waffen zu tragen und machte einen im Grunde recht harmlosen Eindruck, vor allem als er die Arme mit den Handflächen nach oben ausbreitete, um zu zeigen, dass er in friedlicher Absicht gekommen war. Maziroc ließ sich davon jedoch nicht täuschen. Schon allein die geheimnisvolle Art seines Erscheinens verriet, dass er über starke unbekannte Kräfte verfügte.

Darüber hinaus hatte er etwas Irritierendes an sich, ohne dass der Magier sofort erkannte, um was es sich handelte. Der Fremde schien irgendwie ungreifbar zu sein, irreal wie ein Trugbild, und nach ein paar Sekunden begriff Maziroc, dass er genau das war: ein Trugbild oder ein lebloses Geschöpf. Wäre er real, so müsste seine Präsenz auch mental spürbar sein, doch er sandte so wenig psychische Energie aus wie ein Stein.

Oder wie eine der dämonischen Kreaturen vor den Mauern des Gehöfts. Diese übereinstimmende Eigenart und die Umstände seines Erscheinens gerade jetzt legten nahe, dass er trotz seines menschlichen Aussehens zu ihnen gehörte.

"Wer bist du, und wie bist du hierhergekommen?", fuhr Eibon den Fremden barsch an. "Du ..."

"Kenran'Del!", stieß in diesem Moment einer der Elbenkrieger hervor und unterbrach ihn damit. Seine Stimme klang ehrfürchtig, und er ließ seinen Bogen sinken. "Erkennt Ihr es denn nicht? Dieser Mann ist Kenran'Del!"

Der Name kam Maziroc vage vertraut vor, doch er musste erst einen Moment nachdenken, bis ihm wieder einfiel, in welchem Zusammenhang er ihn schon einmal gehört hatte. Kenran'Del war keine reale Person sondern ein Mythos, der seit mehr als einem Jahrhundert existierte; die Legende von einem Gesandten der Götter, der von den Sternen herabgestiegen sein und im Laufe der Jahrzehnte mehrfach Reisenden in höchster Bedrängnis beigestanden haben sollte. Niemand, den Maziroc kannte, war diesem geheimnisvollen Retter tatsächlich jemals begegnet, doch das hatte der Legende keinen Abbruch getan. Nach und nach war Kenran'Del fast schon zu einem Schutzpatron der Reisenden und Karawanen geworden, dem so manches Gebet galt. Nichts als ein Aberglaube, aber wenigstens ein harmloser, auch wenn seine Existenz sich hartnäckig hielt, obwohl schon zahlreiche Prediger der verschiedenen Kirchen gegen diese heidnische Ketzerei zu Felde gezogen waren.

"Unsinn!", entgegnete Eibon scharf und warf dem Krieger einen strafenden Blick zu, doch dieser dachte gar nicht daran, sich zu beruhigen.

"Aber seht ihn Euch doch an, Herr, er sieht ganz genauso aus, wie Laron ihn beschrieben hat, als er von ihm vor dem Bären gerettet wurde. Und auch damals ist Kenran'Del auf die gleiche Art direkt aus dem Nichts ..."

"Schweig!", donnerte Eibon. Selbst Maziroc zuckte unter der plötzlichen Schärfe in der Stimme des Elbenkönigs zusammen. "Das war vor fast dreißig Jahren, da muss dieser Mann noch ein Kind gewesen sein. Kenran'Del ist nichts als eine abergläubische Legende." Er trat einen Schritt auf den Fremden zu. "Und jetzt sag mir, wer du bist und was du willst, oder ich lasse dich auf der Stelle erschießen."

Ein Lächeln glitt über das Gesicht des Mannes. Er schien keinerlei Angst zu haben.

"Ihr habt selbst gerade gesagt, wer ich bin. Eine abergläubische Legende, wenn Ihr es so wollt. In den weiter entfernten Ländern im Norden und Osten denkt man das Gleiche über Euch, Eibon Bel Churio. Vereinzelt hört man sogar schon die Behauptung, es gäbe gar keine Elben, sie wären nur eine Sage."

Die Augen des Elbenkönigs verengten sich zu schmalen Schlitzen. "Mir scheint, du verstehst mit Worten umzugehen, doch ansonsten scheinst du nur ein Possenreißer zu sein. Meine Geduld ist begrenzt, und ich habe weit Wichtigeres zu tun, als meine Zeit mit dir zu vergeuden. Also sag endlich, wer du bist."

Der Fremde nickte, während sich sein Grinsen noch mehr vertiefte. Die ganze Zeit über bemühte sich Maziroc weiter, auch nur einen einzigen mentalen Impuls von ihm aufzufangen, doch es gelang ihm nicht, und das war eine beunruhigende Erfahrung.

"Ohne mich werdet Ihr bald nur noch die ewige Zeit des Todes haben", behauptete der Mann hochmütig. "Euer Krieger hat recht. Ich bin Kenran'Del, doch da Ihr mir offenbar nicht glaubt, werde ich es Euch beweisen müssen. Haltet nur Eure Leute zurück."

Langsam zog er sein Schwert und richtete es auf eines der Ungeheuer vor der Mauer. Gleich darauf zuckte ein greller Flammenblitz aus der Klinge und erfasste das Monstrum. Es loderte in einer grellen Stichflamme auf und zerfiel fast augenblicklich zu Asche.

Maziroc konnte kaum glauben, was er gesehen hatte, zumal keinerlei Magie zu spüren gewesen war, obwohl der Blitz zweifelsfrei magischen Ursprungs gewesen sein musste.

Auch die Elbenkrieger waren nicht minder verblüfft. Alles war so schnell gegangen, dass keiner von ihnen einen Pfeil abgeschossen hatte, obwohl der Blitz auch ihnen oder ihrem König hätte gelten können. Erschrecken und ungläubiges Staunen stand in ihren Gesichtern geschrieben.

"Das Flammenschwert!", keuchte einer von ihnen.

"Er ist wirklich Kenran'Del!", ergänzte ein anderer aufgeregt. Ohne dass Eibon ihnen einen entsprechenden Befehl erteilt hätte, senkten sie ihre Bögen; vermutlich wären sie ohnehin vor Überraschung gar nicht in der Lage gewesen, sie zu benutzen. Auch die Menschen und Elben auf dem Hof und den übrigen Wehrgängen hatten ihre Tätigkeiten unterbrochen und starrten zu ihnen herauf. Hätten die Ungeheuer in diesem Moment angegriffen, so wäre ihnen keinerlei Widerstand entgegengeschlagen.

Eibon überwand seine Erstarrung als Erster.

"Es passiert nicht alle Tage, dass man jemandem begegnet, dessen Existenz man nur für eine Legende gehalten hat", sagte er. Auch weiterhin zeigte sich Skepsis auf seinem Gesicht. "Ihr behauptet, Ihr wäret wirklich Kenran'Del?"

"So ist es." Der Mann hatte sein Schwert wieder in die Scheide zurückgesteckt und kam ein paar Schritte näher. Einige der Elbenkrieger wichen zurück, und auch Maziroc hätte es ihnen am liebsten gleichgetan, doch er zwang sich, ebenso wie Eibon und Charalon stehen zu bleiben. "Welche Sagen andere um mich gestrickt haben, dafür bin ich nicht verantwortlich. Gelegentlich habe ich anderen geholfen, die in Not geraten waren, doch gewöhnlich zeige ich mich nur selten, weil ich es nach Möglichkeit vermeide, mich in die Angelegenheiten Eurer Welt einzumischen. Deshalb bin ich jedoch nicht weniger real als Ihr und Eure Begleiter, und was momentan auf Arcana geschieht, ist zu wichtig, als dass ich weiterhin nur schweigen und beobachten könnte."

"Ihr sprecht von diesen ... diesen Ungeheuern?", hakte Eibon nach.

"Den Damonen", bestätigte der Fremde. "Diesen Namen gab man ihnen auf einer anderen Welt, wo man sie anfangs ebenfalls für Dämonen hielt, und da er äußerst passend ist, wurde er von uns beibehalten."

"Uns?", griff Eibon das Stichwort auf.

"Es gibt noch andere wie mich auf anderen Welten", erklärte Kenran'Del ausweichend. "Wir sind ... Beobachter, wenn Ihr so wollt."

"Ihr müsst ein Gesandter der Götter sein!", rief einer der Elben.

Kenran'Del sah kurz zu ihm hinüber und schüttelte lächelnd den Kopf. "Ich habe nichts mit den Göttern zu tun, welchen auch immer", behauptete er. "Aber das spielt jetzt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass ich gekommen bin, um Euch zu helfen." Demonstrativ blickte er sich um. "Aber wir sollten dieses Gespräch im Haus fortsetzen, Ihr, Eibon Bel Churio, und Ihr, Charalon vom Orden der Magier. Ich habe einiges mit Euch zu bereden, doch was ich Euch sagen werde, ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Und möglicherweise hängt das weitere Schicksal dieser ganzen Welt davon ab."

*


Für Mazirocs Geschmack war seit Eibons Eintreffen in Cavillon bereits ein bisschen zu oft das Schicksal der gesamten Welt beschworen worden, dennoch bedauerte er es schon aus purer Neugierde, von dem Gespräch ausgeschlossen zu sein. Hätte er eine entsprechende Bitte an Charalon gerichtet, wäre dieser ihr vermutlich nachgekommen und hätte auf seiner Teilnahme bestanden. Einen Moment lang hatte Maziroc tatsächlich mit diesem Gedanken gespielt, dann aber doch darauf verzichtet. Kenran'Del hatte ausdrücklich nur mit Charalon und Eibon sprechen wollen, und es war anzunehmen, dass er seine Gründe dafür hatte.

Solange Eibon sich im Haus befand, führte Bayron das Kommando über die Krieger. Zwar hatte Kenran'Del behauptet, innerhalb der nächsten zwei, drei Stunden wäre aus irgendwelchen Gründen kein Angriff der Ungeheuer zu erwarten, doch wollte der Gardegeneral nicht allein darauf vertrauen. Unter seiner Anleitung waren der beschädigte Torflügel sowie die beiden Katapulte an den Eckseiten der Mauern repariert worden, und zahlreiche Fackeln waren auf dem Hof entzündet worden, außerdem hatte er sowohl seine Soldaten wie auch die Elbenkrieger nach strategischen Gesichtspunkten auf den Mauern verteilt, hatte ihnen jedoch befohlen, nur im Fall eines Angriffs von Pfeil und Bogen Gebrauch zu machen, um nicht selbst einen solchen zu provozieren.

Die meiste Zeit über hielt sich auch Maziroc auf den Mauern auf, obwohl Bayron ihm dringend davon abgeraten hatte. Noch war nicht bekannt, ob sie es wirklich nur mit tierartigen Ungeheuern zu tun hatten, oder ob nicht zumindest einige von ihnen über Intelligenz verfügten und Waffen bei sich trugen. Gegen einen heimtückischen Speerwurf oder Pfeilschuss wäre er hier oben nicht gewappnet, und sein Leben wäre zu kostbar, es auf diese Art unnötig zu riskieren.

Im Grunde hatte er damit recht, doch Maziroc hielt es nicht aus, sich wie die anderen Magier und die beiden Vingala in sicherer Deckung zu verbergen. Er musste sehen, was um sie herum vorging, auch wenn es gegenwärtig nichts Neues zu sehen gab. Außerdem war ihm nur zu deutlich bewusst, dass es wirkliche Sicherheit hier ohnehin nicht gab. Sie waren alle verloren, egal, wo sie sich aufhielten, wenn sich die Damonen, wie Kenran'Del die Ungeheuer genannt hatte, erst einmal zu einem Angriff entschlossen, ganz egal, wie strategisch geschickt Bayron die Verteidigung organisiert haben mochte. Selbst mit aller Strategie und noch so großem Kampfgeist würden sich die wenigen Dutzend Krieger gegen die gut zwanzigfache Überlegenheit der Angreifer nicht länger als ein paar Minuten behaupten könnten. Mochten die Ungeheuer auch keine Rüstungen tragen und keine Waffen im eigentlichen Sinne besitzen, so stellten schon ihre monströsen Körper mit ihren Zähnen, Krallen, Scheren und Tentakeln selbst natürliche Waffen dar, die sich im Kampf möglicherweise sogar noch als weitaus wirksamer als Schwerter und Äxte erweisen mochten.

Hinzu kam, dass man mittlerweile in einem Kellerraum die Leichen der früheren Bewohner des Hofes gefunden hatte. Viele von ihnen waren verstümmelt, und man hatte sie wahllos in dem Raum übereinander geworfen, sodass ihre wahre Zahl nur schwer zu ermessen war, doch es schienen mehr als anfangs geglaubt gewesen zu sein, und zu einem Großteil kräftige Männer. Anscheinend hatte man die meisten Frauen und Kinder doch in die nächste Stadt geschickt, um sie in Sicherheit zu bringen. Nun wurde auch ein kräftiger Bauer oder Knecht nur dadurch, dass er ein Schwert in die Hand nahm, noch lange nicht zu einem ausgebildeten Krieger, aber die offensichtliche Leichtigkeit, mit der die Damonen den Hof schon einmal erobert und alle Verteidiger getötet hatten, demoralisierte die Soldaten dennoch.

Lange starrte Maziroc über die Brustwehr auf das im Mondlicht gut sichtbare Gewimmel der Damonen hinab, ließ seinen Blick aber zwischendurch auch immer wieder zu dem Haupthaus wandern, wohin sich Charalon und Eibon mit dem Fremden zurückgezogen hatten. Er wusste nicht, ob es sich tatsächlich um den legendenumwobenen Kenran'Del handelte. Im Grunde spielte es auch keine Rolle. Die wenigen Männer und Frauen, die ihm angeblich begegnet waren, hatten ihn eigentlich nie wirklich als übernatürliches Wesen geschildert. Er war lediglich auf so geheimnisvolle Art wie vorhin aus dem Nichts aufgetaucht, um sie aus einer ansonsten tödlichen Gefahr zu befreien, wobei er manchmal eine Art flammendes, blitzendes Schwert benutzt haben sollte, um kurz darauf auf ebenso geheimnisvolle Weise wieder zu verschwinden. Sah man davon ab, dass der Mythos bereits wesentlich älter als ihr mysteriöser Besucher war, so konnte es sich durchaus um die gleiche Person handeln. Das wahrhaft Faszinierende an ihm war vor allem die gänzlich unbekannte Form der Magie, über die er verfügte.

Es dauerte gut eine Stunde, bis Charalon und Eibon das Haus wieder verließen. Kenran'Del befand sich nicht mehr bei ihnen, doch beide waren blass geworden, und sichtliche Erschütterung stand in ihren Gesichtern geschrieben. Angesichts des Alters und der Abgeklärtheit Eibons hätte Maziroc nicht gedacht, dass es irgendetwas geben könnte, das noch in der Lage wäre, den Elbenkönig so zu beeindrucken und zu verunsichern. Gleiches galt für Charalon, den vielleicht mächtigsten Magier, den es jemals gab, der tiefer in die Geheimnisse und die Grundlagen der Zauberei eingedrungen war, als jeder andere vor ihm.

Der Elbenkönig ging direkt zu Bayron hinüber und begann mit ihm zu sprechen, während Charalon auf Maziroc zu kam.

"Wo ist er geblieben?", erkundigte Maziroc sich. Er hatte gehofft, nach der offiziellen Besprechung auch selbst noch ein paar Worte mit dem Fremden wechseln zu können.

Charalon schüttelte den Kopf. "Er ist weg", erklärte er. Seine Stimme klang brüchig. Was immer er gerade erfahren hatte, es musste die Grundfesten seines gesamten Weltbildes erschüttert haben. Sein Blick schien durch Maziroc hindurch zu gehen. "So spurlos, wie er gekommen ist. Aber er hat versprochen, uns zu helfen. Er ... er ist wirklich ein Abkömmling der Götter, auch wenn er es bestreitet."

"Nun, mir scheint, er ist zumindest ein sehr mächtiger Magier, und die Art seiner Zauberei ist uns fremd", entgegnete Maziroc vorsichtig. "Aber das allein bedeutet noch nicht, dass er von den Göttern geschickt wurde."

Für einen kurzen Moment klärte sich Charalons Blick, und ein fast zorniger Ausdruck huschte über sein Gesicht. "Denkst du, das wüsste ich nicht ebenfalls? Hältst du mich plötzlich für ein leichtgläubiges kleines Kind?" Erneut schüttelte er den Kopf, heftiger diesmal. "Nein, Maziroc, ich sage dir, dieser Mann ist nicht von dieser Welt. Er besitzt ein Wissen ... Es ist einfach unglaublich. Du weißt, dass ich normalerweise nicht leicht zu beeindrucken bin, aber allein das, was wir gerade besprochen haben, könnte Arcana in ein beispielloses Chaos stürzen, wenn alles öffentlich bekannt würde."

"Ein guter Grund, es mir zu erzählen", behauptete Maziroc mit einem erzwungenen Lächeln.

Charalon schüttelte ein drittes Mal den Kopf. "Nein, mein Freund, nicht einmal dir. Irgendwann einmal ja, wenn meine Zeit abgelaufen ist und du meine Nachfolge antreten wirst, aber nicht heute", antwortete er und rang sich ebenfalls ein Lächeln ab. "Nur so viel: Die Welt ist nicht annähernd so, wie sie uns oft erscheint, und sie gehorcht ganz anderen Regeln und Kräften, als wir uns bislang auch nur vorstellen können." Er räusperte sich. "Etwas anderes jedoch kann ich dir verraten, nämlich was wir als nächstes unternehmen. Wir werden einen Ausfall machen."

"Einen Ausfall? Aber das ist ..."

"Unsere einzige Chance", fiel Charalon ihm ins Wort. Er trat einen Schritt vor, sodass er nun direkt neben Maziroc stand, legte die Hände auf die Mauerbrüstung und starrte auf die Ungeheuer hinab. "Diese Damonen", sagte er. "Sie stammen nicht von dieser Welt."

"Ich dachte es mir schon, als ich sie erstmals erblickte", murmelte Maziroc. "Ein solcher Schrecken kann seinen Ursprung nicht auf Arcana haben. Aber woher kommen sie dann? Und wie sind sie hierhergekommen?"

"Sie stammen aus einer fremden, lebensfeindlichen Welt, die für uns tatsächlich so etwas wie die Hölle sein muss", erklärte Charalon bedächtig. "Möglicherweise handelt es sich sogar wirklich um genau den Ort, den die Priester und Prediger so bezeichnen, das ist jetzt nicht wichtig. Wie Kenran'Del berichtete, hat sich eine Art Bresche zwischen ihrer Welt und Arcana geöffnet." Er legte Maziroc eine Hand auf den Arm, als dieser etwas sagen wollte. "Ich kann es dir nicht besser erklären, als ich es selbst verstanden habe", murmelte er. "Auch Kenran'Del konnte uns nichts Genaueres über diese Weltenbresche sagen. Aber er behauptet, dass es außer unserer und ihrer noch zahllose andere Welten gibt, und die Damonen auf diesem Wege bereits über viele davon hergefallen sind. Solange die Bresche existiert, können die Damonen nach Belieben Nachschub in unsere Welt herüberbringen."

"Dann müssen wir sie zerstören", stieß Maziroc impulsiv hervor. "Wir können unmöglich gegen einen Gegner Krieg führen, der über unbegrenzten Nachschub verfügt. Erst wenn diese Weltenbresche vernichtet ist, haben wir eine Chance, dieser Bedrohung Herr zu werden."

"Grundsätzlich hast du recht", stimmte Charalon ihm zu. "Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Damonen hatten monatelang Zeit, hier einzufallen und ihre Position zu sichern. Wir hatten noch Glück im Unglück, dass sich die Weltenbresche ausgerechnet in den Barbarenländern geöffnet hat. Die Barbaren haben ihnen erbitterten Widerstand entgegengesetzt, und anfangs ist es ihnen mehrfach gelungen, die Eindringlinge zu schlagen. Aber da immer neue Damonen durch die Weltenbresche herüber kamen, mussten auch die Barbaren sich schließlich geschlagen geben und immer weiter zurückziehen. Ohne ihren heldenhaften Widerstand jedoch wären wir alle von den Damonen wahrscheinlich schon überrannt worden, bevor wir die Gefahr überhaupt erkannt hätten. Wie Eibon vermutet hat, haben sie tatsächlich versucht, Boten zu schicken, um die übrigen Völker zu warnen und um Hilfe zu bitten, doch keiner von ihnen ist durchgekommen."

Charalon atmete tief durch, ehe er weitersprach: "Und aus genau diesem Grund hätte es auch keinerlei Sinn, wenn wir versuchen würden, uns bis zu ihnen durchzuschlagen. Die Barbaren mussten bereits bis weit in den Süden zurückweichen. Alles Land zwischen uns und ihnen wird von den Damonen beherrscht, und die Weltenbresche liegt im Zentrum des feindlichen Gebietes. Wir hätten nicht den Hauch einer Chance, uns bis dorthin durchzuschlagen. Wenn überhaupt jemandem, dann kann es nur Kenran'Del gelingen. Du hast selbst erlebt, wie er gewissermaßen aus dem Nichts auftauchen und ebenso plötzlich wieder verschwinden kann. Er wird versuchen, bis zu der Weltenbresche vorzudringen und sie zu zerstören. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu versuchen, selbst eine Verteidigung zu organisieren und die Damonen möglichst lange aufzuhalten, während wir darauf hoffen, dass ihm sein Vorhaben gelingt."

Maziroc zögerte ein paar Sekunden. Auch ihm fiel es schwer, alles, was er gerade gehört hatte, richtig zu verstehen und zu verarbeiten.

"Mir gefällt es nicht, dass wir uns so völlig von einem Wildfremden abhängig machen", wandte er dann ein. "Wenn man den Legenden um seine Person Glauben schenken darf, dann hat er stets nur uneigennützig geholfen, aber dennoch wissen wir so gut wie nichts über diesen Kenran'Del. Hat er wenigstens im Gespräch mit euch noch etwas mehr über sich selbst verraten?"

"Leider nicht", verneinte Charalon bedauernd. "Jede Frage in diese Richtung hat er sofort abgeblockt. Aber ich habe das Gefühl, dass wir ihm vertrauen können. Er ist sehr undurchsichtig, aber ich bin davon überzeugt, dass er uns helfen will. Was die Weltenbresche betrifft, so bin ich sogar davon überzeugt, dass tatsächlich nur er allein eine Chance hat, sich ihr unbemerkt zu nähern."

Maziroc nickte. Er wusste nicht, ob sie dem Fremden wirklich vertrauen konnten, dafür wussten sie noch zu wenig über ihn und seine Motive, aber auch er hatte das Gefühl, dass dieser Kenran'Del zumindest nicht ihr Feind war. Nachdenklich ließ er seinen Blick wieder über das Heer der Damonen wandern.

"Diese ... Kreaturen. Was sind sie? Sie haben uns eine Falle gestellt, was auf Intelligenz hindeutet, aber wenn ich mir ihr Aussehen und ihr momentanes Verhalten ansehe, dann habe ich eher das Gefühl, es mit irgendwelchen Tieren zu tun zu haben."

"Beides ist richtig", entgegnete Charalon. "Einzeln ist jeder dieser Damonen nicht nennenswert klüger als die meisten uns bekannten Tiere. Aber anders verhält es sich, wenn sie in Gruppen auftreten. Über eine kurze Entfernung hinweg existiert eine Art geistiger Verbundenheit zwischen ihnen, und je mehr von ihnen sich zusammenschließen, desto mehr gewinnen sie an Intelligenz."

Abwehrend hob er die Hände, als er den Schrecken in Mazirocs Augen bemerkte. "Keine Sorge, selbst zu tausenden können sie niemals so intelligent wie Menschen werden, aber sie allein stellen auch nicht die größte Gefahr dar. Im Grunde sind sie nur Waffen. Lebende und in begrenztem Maße sogar denkende Waffen, aber letztlich trotzdem nicht viel mehr als nur Werkzeuge."

Maziroc begann zu ahnen, worauf Charalon hinaus wollte, so unglaublich der Gedanke auch war.

Das heißt ... Du meinst ... sie sind nicht einmal unsere wahren Feinde?", hakte er ungläubig nach.

"Sie werden durch die gleiche Art geistiger Verbindung wiederum von anderen Wesen beherrscht, über die auch Kenran'Del kaum etwas sagen konnte", erklärte Charalon. "Aber es steht fest, dass diese Wesen uns lebend fangen wollen, zumindest uns Magier. Anscheinend kennen sie keine Magie. Deshalb fürchten sie gerade uns und wollen unbedingt mehr über uns herausfinden. Diesem Zweck dient diese ganze Falle. Diese Horde da draußen mag uns wie eine gewaltige Armee vorkommen, aber man will keinerlei Risiko eingehen. Noch einmal gut die doppelte Zahl Damonen ist bereits auf dem Weg hierher und dürfte in spätestens zwei Stunden hier eintreffen. Wenn wir eine Chance haben wollen, bleibt uns also gar nichts anderes übrig, als vorher einen Ausbruch zu versuchen."

Maziroc antwortete nicht, doch er hoffte, dass man ihm nicht allzu deutlich ansah, wie blass er geworden war, als er seinen Blick erneut auf das Heer der Ungeheuer richtete.

*


Abgesehen von den Elbenkriegern, die noch schussbereit auf der Mauerkrone warteten, während ihre Pferde von anderen gehalten wurden, hatten alle bereits aufgesessen. Furcht, aber auch grimmige Entschlossenheit spiegelte sich auf den Gesichtern der Männer um Maziroc herum. Eibon hatte ihnen lediglich mitgeteilt, dass eine weitere, zahlenmäßig noch größere Armee der Damonen auf dem Weg zum Gehöft wäre, sodass sie alle wussten, dass diese Flucht ihre einzige Chance darstellte. Entweder gelang ihnen der Durchbruch, oder sie würden sterben oder in Gefangenschaft geraten, was den meisten wahrscheinlich noch als weitaus schlimmeres Schicksal erscheinen mochte.

Besonders wichtig war es, dass Maziroc die Flucht gelang. Er würde nicht mit den anderen zur Hohen Festung zurückkehren und von dort entweder nach Cavillon oder zu den freien Städten weiterreiten, um sie vor der Gefahr zu warnen und sie für vereinte Abwehrmaßnahmen um die Bereitstellung von Soldaten zu bitten. Nein, er war von Charalon mit einer anderen Mission betraut worden, die keiner der Elben übernehmen könnte, und für die er von allen menschlichen Teilnehmern an dieser Expedition am besten geeignet war.

Eskortiert von zwei Gardesoldaten, würde er nach Ravenhorst reiten, zur Heimat des Zwergenvolkes, um auch ihre Könige um Hilfe zu bitten. Jeder einzelne Zwergenkrieger stellte für eine Armee eine Bereicherung dar, doch galten die Zwerge als Eigenbrötler, die ihre Heimat nur selten verließen und den Kontakt mit anderen Völkern weitgehend mieden. Zudem schwelte schon seit Jahrhunderten gerade zwischen ihnen und den Elben ein permanenter Konflikt, deshalb hätte Eibon keinen seiner Späher als Boten schicken können, selbst wenn er von dem nur zwischen Maziroc und Charalon abgesprochenen Plan gewusst hätte.

Um was es bei diesem Streit ging, wusste wahrscheinlich schon niemand mehr genau. Gerüchten zufolge ging es um irgendwelche lange zurückliegenden Intrigen, mit deren Hilfe die Zwerge einst einen beträchtlichen Teil des Elbenwissens erbeutet hatten. Anderen Gerüchten nach sollte sich der ganze Streit irgendwann einmal daran entzündet haben, welches der beiden Völker bereits älter sei. Maziroc seinerseits vermutete ganz prosaisch, dass die Zwerge für den Geschmack der Elben einfach ein zu sinnenfreudiges, ausschweifendes Leben führten, während das Alte Volk mit seinen hohen ethischen Ansprüchen von den Zwergen als Langeweiler und halb vergeistigte Moralapostel betrachtet wurde. Fest stand jedenfalls, dass die beiden Völker aus irgendwelchen Gründen schon seit urdenkbaren Zeiten miteinander befeindet waren.

Maziroc hingegen genoss bei den Zwergen recht hohes Ansehen und hatte Ravenhorst bei seinen früheren Reisen mehrfach besucht. Wenn es irgendjemandem gelingen konnte, eine Allianz oder zumindest ein einmaliges Verteidigungsbündnis zu schmieden, an dem sich sowohl die Elben wie auch die Zwerge beteiligten, dann war er es. Allerdings wusste Maziroc auch nur zu gut, dass es keineswegs eine leichte Aufgabe werden würde, selbst wenn ihm die Flucht gelang und er die wochenlange Reise nach Ravenhorst unbeschadet hinter sich brachte.

Er wurde aus seinen Grübeleien gerissen, als Eibon das Signal zum Angriff gab. Die Elbenkrieger auf der Mauerbrüstung schossen in rasend schneller Folge ihre Pfeile auf die Ungeheuer vor dem Tor ab. Gleichzeitig lösten sie auch die beiden Katapulte aus. Zusätzlich zu den Pfeilen regnete ein tödlicher Hagel aus Felsbrocken auf die Belagerer hinab.

Die Kreaturen begannen wild zu toben und gaben dabei grauenhafte Laute von sich. Eine Mischung aus schrillem Kreischen, Brüllen, Krächzen und so vielen anderen Lauten, wie es unterschiedliche Arten von Damonen gab, erfüllte die Luft.

Die Katapulte nachzuladen, wäre zu umständlich gewesen und hätte zu viel Zeit gekostet. Stattdessen schickten die Elbenkrieger den Angreifern Pfeil auf Pfeil in blitzschneller Folge entgegen, und auch ohne es zu sehen, wusste Maziroc, dass jeder Schuss traf. Angesichts der Masse der Damonen stellten diese Ausfälle jedoch nicht viel mehr als einen Tropfen auf dem heißen Stein dar.

Eibon gab ein weiteres Signal. Nachdem sie ihre Pfeile verschossen hatten, kamen die Krieger von den Mauern herabgeeilt und schwangen sich auf ihre Pferde, während das Tor geöffnet wurde.

In einer genau festgelegten Aufstellung preschten sie ins Freie. Die Elbenkrieger ritten an der Spitze und deckten die seitlichen Flanken; die Gardesoldaten übernahmen diese Aufgabe im hinteren Teil und sicherten die Kolonne außerdem nach hinten. Auf diese Art nach allen Seiten hin geschützt, ritten Eibon, die Magier und die Vingala in ihrer Mitte, wohlweislich allerdings nicht zusammen, sondern jeder räumlich etwas von den anderen getrennt, sodass es schwieriger würde, sie alle gemeinsam gefangen zunehmen oder zu töten.

Zunächst jedoch trafen sie kaum auf Widerstand. Dies war Charalon zu verdanken, der die wichtigste Rolle bei ihrem Fluchtplan spielte. Um sich besser konzentrieren zu können, hatte er sich bereits zuvor in eine leichte Trance versetzt. Mit Hilfe seines Reifs schuf er nun die Illusion eines Ungeheuers, das sich anstelle der Reiter brüllend und schnaubend durch das geöffnete Tor ins Freie wälzte. Mit seinen schwarzen, stachelbewehrten Hornplatten, den mörderischen Krallen und Klauen an gut einem Dutzend Armen und Beinen, sowie seinem Maul voller gewaltiger Reißzähne war es den Damonen an Scheußlichkeit mindestens ebenbürtig, an Größe sogar noch um ein Mehrfaches überlegen. Ein zweites und drittes Ungeheuer folgte unmittelbar hinter dem ersten, um die gesamte Länge des Zuges unter dem Tarnbild zu verbergen.

Der Plan gelang. Selbst unter den Damonen verbreiteten die drei Bestien Angst und Schrecken. Furchtsam wichen sie vor dem so unverhofft aufgetauchten neuen Gegner zurück, machten eine breite Gasse frei. Nur einige wenige von ihnen brachten den Mut oder die Tollkühnheit auf, die Riesenbestien anzugreifen. Sie wurden von den Kriegern mit Schwertern und Lanzen abgewehrt und getötet, doch für die übrigen Damonen sah es so aus, als würden sie zu Opfern der Ungeheuer.

Einige Minuten lang begann Maziroc sogar schon Hoffnung zu schöpfen, dass es ihnen gelingen könnte, den Belagerungsring auf diese Art komplett zu durchbrechen, ohne dass es auch nur einen einzigen Toten auf ihrer Seite zu beklagen gäbe, doch diese Hoffnung war bei Weitem zu optimistisch.

Immer langsamer wurde ihr Vordringen. Teils mochte es daran liegen, dass sie sich mittlerweile so tief im Leib des Damonenheeres befanden, dass es für die Kreaturen gar nicht ohne Weiteres genügend Platz zum Zurückweichen gab. Zum Teil aber lag es auch daran, dass ihr Schrecken offenbar abnahm, denn immer häufiger und immer tollkühner stürzten sie sich nun auf ihre Gegner und brachten die Krieger vereinzelt bereits in beträchtliche Schwierigkeiten. Vielleicht lag es an den geheimnisvollen Beherrschern der Damonen, dass diese sie zu diesen Angriffen aufpeitschen.

Immerhin jedoch gelangte die gesamte Reiterkolonne dank dieser Täuschung in wesentlich kürzerer Zeit wesentlich weiter, als es anders der Fall gewesen wäre. Diesbezüglich machte sich Maziroc nichts vor. Ein Ausbruch ohne diese Unterstützung durch Charalons Reif wäre ein reines Selbstmordunterfangen gewesen.

Dann, von einem Augenblick zum nächsten, zerplatzte die Illusion.

Maziroc wusste, wie viel Kraft das Skiil von seinem Trägern für die Erschaffung und Aufrechterhaltung einer so aufwendigen Illusion forderte. Charalon musste am Ende seiner Kräfte angelangt sein. Maziroc sah, wie er ein Stück entfernt im Sattel in sich zusammen sank und vermutlich von seinem Pferd gestürzt wäre, wenn nicht einer der Soldaten rasch zugegriffen und ihn gestützt hätte.

Im gleichen Moment, in dem das Trugbild erlosch und die Damonen erkannten, dass sie nur getäuscht worden waren, stürzten sie vorwärts. Trotz aller Aufmerksamkeit wurden einige der Krieger, die das Erlöschen des magischen Feldes im Gegensatz zu Maziroc nicht hatten spüren können, von dem ungestümen Angriff überrascht, doch erholten sie sich rasch von ihrem Schrecken. Wie abgesprochen formierte sich die Gruppe neu, bildeten nun einen Keil, der sich immer tiefer in den Leib des Damonenheeres hineinbohrte.

Ihr Vordringen verlangsamte sich jedoch immer mehr, da die Damonen nun nicht mehr vor ihnen zurückwichen, sondern sie mit all ihrer unmenschlichen Wut und Kraft attackierten. Jetzt zeigte sich, dass ihre Krallen, Stacheln, Scheren und Tentakel in der Tat so fürchterliche natürliche Waffen darstellten, wie Maziroc vermutet hatte.

Die ersten Krieger sanken tot oder verwundet aus ihren Sätteln. Mehr aber noch als ihnen selbst galten die Angriffe der Damonen den weitgehend schutzlosen Pferden, die die größte Schwachstelle darstellten. Mehrere Tiere stürzten mit durchbohrtem Leib oder durchtrennten Läufen zu Boden und begruben ihre Reiter unter sich oder schleuderten sie mitten in das Gewimmel der Angreifer, wo sie kaum noch eine Chance hatten.

Es dauerte kaum eine Minute, bis die zuvor so geordnete Formation zerbrach, aber von Anfang an hatte im Grunde auch keiner von ihnen etwas anders erwartet, wenn der eigentliche Kampf erst einmal losbrach. Jeder von ihnen wurde von mehreren Damonen gleichzeitig bedrängt und war sich selbst der Nächste.

Genau wie die anderen hieb und schlug auch Maziroc mit seinem Schwert wild um sich. Wenn die Damonen ihn und die anderen Magier ursprünglich lebend hatten gefangen nehmen wollen, so war davon jetzt nichts mehr zu merken, so verbissen und mit solcher Gewalt griffen sie an. Die Ungeheuer schienen überall zu sein, und für jedes, das er erschlug, schienen augenblicklich zwei neue direkt aus dem Boden zu wachsen. Mehrfach drohte er aus dem Sattel geschleudert zu werden, als sein Pferd, das die Gefahr ebenfalls deutlich spürte und vor Angst fast wahnsinnig war, sich aufbäumte und mit den Hufen ausschlug, doch stets gelang es ihm, sich zu halten und weiterzukämpfen.

Fast unmittelbar neben ihm schlugen mit einem Mal grelle Lichtblitze ein. Von der Wehrmauer des Gehöfts aus griff Kenran'Del mit seinem Flammenschwert in den Kampf ein. Die Blitze töteten mehrere Damonen, die sich gerade auf ihn stürzen wollten und ihn vermutlich unter sich begraben hätten. Die Hitze strich wie eine glühende Hand über seinen Rücken, doch die unverhoffte Hilfe verschaffte Maziroc Gelegenheit, sich einen Moment lang umzuschauen.

Auch einige seiner Begleiter wurden durch die Lichtblitze Kenran'Dels aus höchster Gefahr gerettet. Allerdings fiel ihm auf, dass der Fremde sich hauptsächlich auf Eibon, Charalon und ihn selbst, sowie die übrigen Magier und die einzige noch lebende Vingala zu konzentrieren schien.

Auch weiterhin schlugen immer wieder mal Lichtblitze ganz in Mazirocs Nähe ein und töteten die Damonen um ihn herum. Er drang nur noch sehr langsam, aber immerhin beständig vorwärts, und nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkam, begannen sich die Reihen der Damonen vor ihm allmählich zu lichten. Jetzt würden die Ungeheuer hauptsächlich von hinten angreifen, doch befanden sich dort noch genügend Krieger, die ihm den Rücken freihielten.

Obwohl er am ganzen Körper Blessuren davongetragen hatte und die Muskeln seines Arms mittlerweile so stark schmerzten, dass er das Schwert kaum noch führen konnte, schlug Maziroc noch einmal in weitem Bogen um sich, hieb einem Damonen den Kopf ab, dass grünliches Blut aus der Wunde hervorschoss, und rammte einem weiteren die Klinge tief in den Leib.

Dann waren um ihn herum nur noch so wenige Ungeheuer, dass er sich entschloss, alles auf eine Karte zu setzen. Immer noch schlug er um sich, doch es waren völlig ungezielte Streiche, während er seinem Pferd die Sporen gab. Es fand seinen Weg zwischen den vereinzelten Damonen hindurch von selbst; nur vereinzelt musste Maziroc es am Zügel herumreißen und einer der angreifenden Kreaturen ausweichen.

Endlich blieb auch das letzte der Ungeheuer mit abgeschlagenem Kopf hinter ihm zurück. Da er jedoch damit rechnen musste, dass er verfolgt wurde, ritt Maziroc trotzdem noch ein gutes Stück weiter, ehe er sein Pferd zügelte und zurückblickte.

Die Schlacht war immer noch in vollem Gange. Ein Stück von ihm entfernt, befanden sich Charalon, Eibon und Bayron unmittelbar beieinander. Der Magier war immer noch von der Erschöpfung durch seine Beschwörung gezeichnet und kaum zum Kämpfen in der Lage. Die anderen beiden hatten ihn in die Mitte genommen und deckten ihn, während sie sich vorwärts kämpften. Es würde noch einige Minuten dauern, bis auch sie den Belagerungsgürtel durchbrechen würden, aber sie hatten gute Aussichten, es zu schaffen, zumal gerade ihnen Kenran'Del vom Gehöft aus immer wieder mit den Blitzen seines Flammenschwertes zu Hilfe kam und ihnen einen Weg bahnte.

Diese Hilfe nahm jedoch mittlerweile auch ab, obwohl in Richtung des Gehöfts auch weiterhin ständig Blitze aufleuchteten. Aber die Damonen hatten sich nun auf diese zusätzliche Bedrohung eingestellt und griffen auch den Hof erneut an, sodass der Fremde gezwungen war, sich selbst gegen sie zu verteidigen.

Wie Maziroc feststellte, waren nur noch erschreckend wenige Männer am Leben. Die Schlacht hatte nicht nur von den Damonen einen hohen Blutzoll gefordert. Rund die Hälfte der Elben und fast zwei Drittel der Gardesoldaten waren tot, und selbst unter denen, die jetzt noch lebten, würde es bis zum völligen Ende der Schlacht noch weitere Opfer geben.

Obwohl sie den Belagerungsring bereits durchdrungen hatten, kämpften nicht weit hinter ihm zwei Elbenkrieger und einer der Soldaten weiterhin gegen die Damonen, um auch den Nachfolgenden eine Bresche freizuhalten.

"Du da!", rief Maziroc, deutete auf den Soldaten und winkte ihn zu sich herüber. Es handelte sich um einen noch jungen, dunkelhaarigen Mann mit einem gewaltigen Schnauzbart. Obwohl er bereits aus zahlreichen Wunden blutete, ließ er die Elben nur mit sichtlichem Widerstreben allein und kam zu Maziroc herüber.

"Was ist los, Herr?", fragte er.

"Wie heißt du?"

"Pollus, Herr. Leutnant beim zweiten Regiment der Garde Cavillons."

"Also gut, Pollus. Für dich ist die Schlacht vorbei", erklärte der Magier. Zwar hatte Charalon ihm aufgetragen, sich zwei Soldaten als Eskorte zu nehmen, doch Maziroc wollte den Erfolg seiner Mission nicht gefährden, indem er länger wartete und möglicherweise doch noch von den Damonen eingeholt und getötet wurde. "Wir werden nicht mit den anderen reiten. Ich habe von Charalon einen Spezialauftrag erhalten, und du wirst mich als meine Eskorte begleiten. Unser Ziel ist Ravenhorst."

"Ravenhorst?", wiederholte der Soldat, dann leuchteten seine Augen auf. "Aber das ... das ist die Heimat der Zwerge. Kaum ein Mensch hat sie jemals betreten."

"Dann wird die Vorfreude darauf dich sicherlich beflügeln", erklärte Maziroc. "Wir haben nämlich keine Zeit zu verlieren."

Ohne ein weiteres Wort gab er seinem Pferd die Sporen und preschte los.

Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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