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Der Verrat

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Zu ihrer Enttäuschung bekam Miranya den Drachen der Zwerge nicht einmal zu sehen, dabei wäre sie ohne zu zögern bereit gewesen, einen Arm oder ein beliebiges anderes Körperteil dafür zu opfern. Maziroc verabschiedete sich lediglich am nächsten Morgen von ihnen und ging dann mit Barkon fort. Nach knapp einer halben Stunde kehrte der Zwerg allein mit ernstem Gesicht zurück. Er teilte ihnen nur kurz angebunden mit, dass es mit dem Drachen keine Schwierigkeiten gegeben hätte und Maziroc nun zur Zitadelle Kenran'Dels unterwegs wäre, dann sonderte er sich demonstrativ ein paar Schritte von ihnen ab, um allein seinen Gedanken nachhängen zu können. Möglicherweise bedauerte er seinen in der vergangenen Nacht gefällten Entschluss bereits, zumindest machte ihm seine unter Umständen äußerst folgenschwere Entscheidung sichtlich zu schaffen.

Statt in direkter Richtung auf das östlich gelegene Therion zu zu reiten, wandten sie sich nach ihrem Aufbruch zunächst nach Südosten. Hier wurde die Landschaft flacher, und als das Hügelland von Skant nach zehn Tagen hinter ihnen lag, ließ nicht nur die grimmige Kälte nach, sondern es lag hier auch bedeutend weniger Schnee, sodass sie bequemer und schneller vorankamen.

Außerdem nahm hier auch die Gefahr, einer weiteren Patrouille der Hornmänner zu begegnen, immer mehr ab, je weiter sie sich von deren weiter nördlich gelegenen Clansburgen entfernten. Dies war allerdings eine Gefahr, die Miranya ohnehin nicht mehr allzu sehr fürchtete, seit sie sich in Begleitung der Zwerge befand. Selbst die Hornmänner würden es sich gründlich überlegen, eine zahlenmäßig so große Gruppe Zwergenkrieger anzugreifen, zumal die Aussicht auf nur geringe Beute in keinem Verhältnis zum Risiko und den zu erwartenden Verlusten an Kriegern stand.

Immer wieder glitten Miranyas Gedanken zu Maziroc. Auf dem Drachen hatte er sein Ziel, die geheimnisvolle Zitadelle im Ödland von Sharolan, wahrscheinlich bereits am gleichen Tag erreicht, an dem er aufgebrochen war, spätestens am darauffolgenden. Das verschaffte ihm einen enormen Zeitvorsprung gegenüber der ursprünglichen Planung. Insofern hatten der Schneesturm und der Überfall durch die Hornmänner sogar noch etwas Gutes bewirkt.

Dennoch war Miranya nicht gerade glücklich darüber. Zu gerne hätte sie diese Zitadelle persönlich gesehen. Zwar hatte Maziroc nur vage Andeutungen darüber gemacht, welche Wunder dort verborgen liegen und einer Entdeckung harren mochten, doch freilich war ihre Neugier dadurch erst recht geweckt worden. Dass sie diesen mysteriösen Ort nun gar nicht erst erreichen würde, erfüllte sie mit noch tieferem Bedauern, als bei dem Drachen, den sie auch nicht zu Gesicht bekommen hatte, denn schließlich hatte sie sich dieser Expedition hauptsächlich aus genau diesem Grund angeschlossen. Wegen dieser Denkweise war sie von Maziroc so scharf angefahren worden, sicherlich nicht zu Unrecht, doch in einem überzogenen Tonfall. Sicherlich zählte in erster Linie der Erfolg ihrer Reise, doch schließlich schloss das eine das andere in keiner Form aus.

Aber wenn sie schon nicht zur Zitadelle gelangte, dann würde sie zumindest deren Besitzer kennenlernen, diesen Kenran'Del, der kaum weniger mysteriös und interessant zu sein schien - vorausgesetzt, es gelang Maziroc, ihn aus seinem tausendjährigen Schlaf zu erwecken, und es kam nicht auch dabei noch etwas dazwischen. Womöglich gab es den magischen Schlaf in Wahrheit gar nicht, und Kenran'Del war schon seit einem Jahrtausend tot, doch darüber wollte sie erst gar nicht weiter nachdenken.

Die Zwerge erwiesen sich während der Reise als äußerst schweigsam. Mehrfach versuchte sie, Barkon in ein Gespräch zu verwickeln, und nachdem es ihr bei ihm nicht gelang, unternahm sie bei einigen der anderen Zwerge entsprechende Versuche, doch ihre sämtlichen Bemühungen blieben erfolglos. Sie waren ihr als Vingala gegenüber nicht ganz so verschlossen, wie sie es gegenüber einem normalen Menschen gewesen wären, im Grund waren sie sogar nicht einmal unfreundlich. Sie beantworteten ihre Fragen, zumindest die meisten, vermieden jedoch jedes darüber hinausgehende Wort, wodurch es gar nicht erst zu einem richtigen Gespräch kam.

Wollte sie die restliche Reise nicht schweigend und allein verbringen, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich an Scruul oder den Gardesoldaten zu halten, einen älteren Veteranen, der ebenfalls ziemlich wortkarg war und sich als ausgesprochener Langeweiler entpuppte.

Scruul hingegen hatte nicht nur gegen häufigere Gespräche mit ihr nichts einzuwenden, er kam sogar von sich aus mehrfach auf sie zu. Er verstand es, charmant zu plaudern, spannend über irgendwelche Erlebnisse zu erzählen, interessierte sich für das, was sie zu sagen hatte, und wenn sie über ihre Erfahrungen mit Magie oder über sonst irgendwelche Themen diskutierten, hatte das, was er dazu beisteuerte, meistens Hand und Fuß.

Aber dennoch fühlte Miranya sich in seiner Nähe auch weiterhin meist unwohl und hielt es nie lange in seiner Gegenwart aus. Wie sie es schon von Anfang an gespürt hatte, hatte er etwas an sich, das sie abstieß. Dieser Eindruck änderte sich auch dadurch nicht, dass sie ihn besser kennenlernte. Sie konnte nicht sagen, was es war, doch manchmal jagte es ihr sogar eine eisige Gänsehaut über den Rücken.

Schon früh hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es oftmals gar nichts mit Sympathie zu tun hatte, wie gut sie mit irgendjemandem auskam. Sie konnte Menschen durchaus sympathisch und interessant finden, fand jedoch dennoch keinen rechten Draht zu ihnen und wusste schon nach kurzer Zeit nicht mehr, worüber sie sich mit ihnen unterhalten sollte. Gerade bei Männern war ihr das schon mehrfach so ergangen, am stärksten, wenn sie sich zudem auch noch ein wenig in sie verliebt hatte.

Bei Scruul jedoch war es anders. Sie fand ihn als Person nicht unsympathisch und konnte sich darüber hinaus auch noch gut mit ihm unterhalten, aber dennoch löste seine Gegenwart nach kurzer Zeit etwas wie einen automatischen Fluchtimpuls bei ihr aus.

Auch weiterhin hatte sie den Eindruck, als wäre er einst mit etwas abgrundtief Finsterem in Kontakt gekommen, von dem etwas an ihm haften geblieben war und immer noch an ihm klebte. Möglicherweise hatte es nicht einmal etwas mit ihm selbst zu tun, doch wann immer Miranya mit ihm sprach und in seine Augen blickte, meinte sie, einen Widerhall dieser Finsternis zu spüren, der sie schaudern ließ.

Nachdem sie fünf Tage lang südlich der äußersten Ausläufer des Hügellandes entlang nach Osten geritten waren, wandten sie sich nach Nordosten und erreichten nach weiteren zwei Tagen gegen Abend schließlich Therion. Es war eine düstere Stadt, die Miranya auf Anhieb nicht sonderlich gefiel. Wie schutzsuchend schmiegte sie sich an die Flanken des wie ein mächtiger Schatten dahinter aufragenden Luyan Dhor, eine Festung aus grauem Bruchstein, und grau war ganz allgemein die vorherrschende Farbe.

Vor seinem Aufbruch, hatte Maziroc sie angewiesen, in der Stadt einen guten Bekannten von sich aufzusuchen, einen greisen Schriftgelehrten namens Neelis. Bei ihm erkundigten sie sich, ob auch der Magier Therion inzwischen erreicht hätte, was jedoch zumindest zu Miranyas Bedauern nicht der Fall war. Sollte Maziroc nicht noch im Laufe dieser Nacht eintreffen, würden sie die Reise am nächsten Tag in der gleichen wenig unterhaltsamen Zusammenstellung ihrer Gruppe fortsetzen. Noch aber war es nicht so weit.

Für die Nacht kehrten sie in einem Gasthof ein. Trotz ihres eher gegensätzlichen Verhaltens während der Reise hierher waren die Zwerge allgemein als lustiges und geselliges Volk bekannt, das - zumindest solange es unter sich war - einer Feier oder wenigstens einem gemütlichen Umtrunk nie abgeneigt war. Hier jedoch, unter all den vielen Menschen, von denen sie neugierig begafft wurden, fühlten sie sich sichtlich unwohl, weshalb sie sich fast sofort mit einem Vorrat an Wein und Bier in die ihnen zugeteilten Räume zurückzogen. Kurze Zeit später begab sich auch der Gardesoldat zur Ruhe.

Um nicht mit Scruul allein irgendwo sitzen zu müssen, gesellte Miranya sich zu einer Gruppe fahrender Händler, die lachend und trinkend an einem großen Tisch beisammen saßen. Zusammen mit ihr setzte sich auch der Magier zu ihnen, glücklicherweise jedoch ans entgegengesetzte Ende des Tisches.

Es fiel Miranya nicht schwer, mit den Händlern ins Gespräch zu kommen, auch wenn es sich nur um eine belanglose Plauderei handelte. Nachdem sie jedoch gerade dazu in den vergangenen Tagen kaum Gelegenheit gehabt hatte, war ihr das völlig recht. Sie genoss es, sich in Gesellschaft anderer Leute zu befinden, zu lachen und zu scherzen und die Strapazen der letzten Zeit für eine Weile zu vergessen. Auch trank sie mehrere Becher Wein und merkte, wie er ihre Gedanken allmählich auf wohlige Weise zu betäuben begann. Schließlich erreichte sie einen Punkt, ab dem sie sich selbst kaum noch an den Gesprächen beteiligte, sondern sich nur noch entspannt zurücklehnte, den anderen lauschte und alles an sich vorüberziehen ließ.

Es befanden sich nicht mehr allzu viele andere Leute in der Schankstube. Ein Mann, der allein an einem der Tische saß, erweckte vage ihre Aufmerksamkeit, weil er immer wieder in ihre Richtung herüber sah. Obwohl es in der Schankstube behaglich warm war, hatte er seinen Mantel anbehalten und sogar die Kapuze noch hochgeschlagen, sodass nur wenig von seinem Gesicht zu sehen war. Die spitze Nase, der schmale Mund und die beiden vorstehenden Schneidezähne verliehen ihm einen rattenhaften Zug. Sein Blick war stechend und unangenehm.

Anders als Miranya zunächst geglaubt hatte, starrte er jedoch nicht zu ihr herüber. Seine Aufmerksamkeit galt auch nicht den Händlern sondern Scruul. Obwohl der Magier sich möglichst gleichgültig gab, beobachtete sie, wie er im Gegenzug auch auf den Fremden reagierte, indem er ihm durch ein Augenzwinkern und unauffällige Gesten heimlich Zeichen gab.

Kurze Zeit später stand der Rattengesichtige auf und ging auf die Hintertür zu, die zur Latrine hinter dem Haus führte. Wie Miranya erwartet hatte, erhob sich kaum eine halbe Minute später auch Scruul und schlenderte ihm nach.

Sein Verhalten weckte ihr Misstrauen. Es war offensichtlich, dass er den Mann kannte. Hätte er ihn entsprechend begrüßt und einige Worte mit ihm gewechselt, wie man es mit einem alten Bekannten tat, den man durch Zufall wiedertraf, hätte sie sicherlich keinen weiteren Gedanken daran verschwendet. Seine Heimlichtuerei jedoch machte sie stutzig.

Nach kurzem Zögern stand sie ebenfalls auf und folgte den beiden, um herauszufinden, was hier gespielt wurde. Hinter der Tür erstreckte sich ein kurzer Gang, an dessen Ende sich die eigentliche Außentür befand. Als Miranya diese vorsichtig einen Spalt weit geöffnet hatte, hörte sie bereits, wie die beiden Männer sich ein paar Schritte entfernt miteinander unterhielten. Sie sprachen leise, glücklicherweise aber gerade so laut, dass sie das meiste verstehen konnte.

"... müssen wir unseren Plan ändern", sagte Scruul gerade. "Da dieser vertrottelte Ishar allein zu der Zitadelle weitergereist ist, werden wir nicht so leicht erfahren, wo sie liegt. Also müssen wir uns direkt an diesen Kenran'Del halten, wenn er mit ihm zurückkehrt."

"Aber es könnte ziemlich heikel werden, uns mit ihm anzulegen", hörte Miranya eine zweite Stimme, offenbar die des Rattengesichtigen. "Ich habe einige Nachforschungen über ihn angestellt. Es existieren nur wenige Aufzeichnungen über ihn, aber wenn auch nur ein Teil der Legenden um seine Person stimmen, dann dürfte er selbst für uns ein extrem gefährlicher Gegner sein."

Miranya konnte kaum glauben, was sie hörte. Offenbar war sie einem Komplott gewaltigen Ausmaßes auf die Spur gekommen, in das Scruul verstrickt war. Schon als er sich der Reisegruppe angeschlossen hatte, war es ihm anscheinend nur darum gegangen, die genaue Lage der Zitadelle in Erfahrung zu bringen. Dadurch, wie sich alles entwickelt hatte, war diese Absicht jedoch zunächst einmal vereitelt worden.

Sie lächelte grimmig. Nach dem, was sie jetzt gehört hatte, würde sie dafür sorgen, dass auch alle seine weiteren Pläne scheiterten.

"Idiot!", stieß Scruul barsch hervor. "Denkst du, ich hätte mich nicht schon im Vorfeld ebenfalls informiert und das wesentlich gründlicher als du? Nach allem, was ich über diesen Kenran'Del in Erfahrung bringen konnte, verfügt er über eine beachtliche Macht, aber darum geht es uns ja schließlich. Nur dem Dunklen Bund dürfen diese Machtmittel zufallen. Davon abgesehen hat Kenran'Del jedoch die gleichen Schwächen wie die meisten Menschen und auch die Ishar und Vingala, weshalb die Caer-Sharuun ihnen immer überlegen sein werden."

Miranya stockte fast der Atem. Sie spürte, wie vor lauter Aufregung ihre Handflächen feucht wurden, und sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Scruul war nicht einfach nur ein ordensloser Magier, der eigene Ziele verfolgte, er war ein Caer-Sharuun. Der Dunkle Bund war ebenfalls ein Magierorden, der jedoch erst vor zwei oder drei Jahrhunderten aus einem ursprünglich losen Zusammenschluss einiger Magier und Hexen entstanden war. Allerdings waren sie finster und machtgierig und verfolgten völlig andere Ziele als die Ishar und Vingala, weshalb sie von Anfang an in mehr oder weniger offener Feindschaft zu den beiden anderen Orden standen. Die Caer-Sharuun hielten sich selbst für die Zukunft der Menschheit, weshalb sie auf die normalen Menschen nur voller Verachtung herabblickten und sie zu beherrschen trachteten, weil sie diese lediglich einer Sklavenrolle für würdig erachteten.

"Demnach habt Ihr bereits einen neuen Plan?", erkundigte sich der Rattengesichtige.

"Natürlich habe ich den. Ich habe ohnehin nicht damit gerechnet, dass wir einfach in diese Zitadelle hineinmarschieren können, sobald wir erst einmal wissen, wo genau sie liegt. Das Ödland von Sharolan ist groß, aber glaubst du, es hätte sie nicht trotzdem längst irgendjemand im Zeitraum von eintausend Jahren entdeckt, wenn sie nicht entsprechend geschützt wäre? Nein, mir war von Anfang an klar, dass wir diesen Kenran'Del selbst in die Finger bekommen müssen. Seine Schwäche ist seine Hilfsbereitschaft, sein Mitleid für andere, deshalb können wir über eine Geisel Druck auf ihn ausüben."

"Aber er kennt außer diesem Magier niemanden in dieser Zeit. Warum also sollte er auf irgendjemanden Rücksicht nehmen?"

"Weil dies die Art sentimentaler Schwächlinge ist, und wenn das stimmt, was über ihn berichtet wird, dann gilt das auch für Kenran'Del", behauptete Scruul. "Er wird nicht zulassen, dass eine Geisel seinetwegen Schaden erleidet. Am besten eignet sich eine Frau, und zwar nicht irgendeine, sondern diese Vingala, da sie auch Maziroc nahesteht. Ich habe schon während der ganzen Reise versucht, mich mit ihr anzufreunden, um sie leichter in eine Falle locken zu können, doch sie scheint mich nicht besonders gut leiden zu können, oder sie misstraut mir."

"Dann müssen wir sie entführen", stellte der Rattengesichtige fest. "Das dürfte nicht weiter schwer werden. Wir können sie heute Nacht direkt hier im Gasthaus in unsere Gewalt bringen und ..."

Mit einem Ruck wurde die Tür von außen ganz aufgerissen. Gleichzeitig fühlte sich Miranya gepackt und ins Freie gezerrt. Vor Schrecken war sie einen Moment lang völlig erstarrt und unfähig, sich zu wehren, und noch bevor sie einen Schrei ausstoßen konnte, presste sich eine Hand hart auf ihren Mund.

"Nun sieh mal einer an, wen wir hier haben", hörte sie Scruuls Stimme. "Eine kleine Katze, die sich vor lauter Neugier ein bisschen zu nah ans Feuer herangetraut hat. Damit hat sich das Problem mit der Entführung wohl schon erledigt."

Miranya biss ihm mit aller Kraft auf die Finger. Mit einem Fluch riss der Magier die Hand von ihrem Mund zurück. "Verdammtes Miststück!", zischte er.

Im nächsten Moment hämmerte er Miranya die Faust so fest gegen die Schläfe, dass sie augenblicklich das Bewusstsein verlor.

Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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