Читать книгу Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 40

Drachenflug

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Trotz des wenigen Schlafs, den er in der vergangenen Nacht gehabt hatte, blieb Maziroc auch an diesem Abend in Ravenhorst noch lange wach und harrte zusammen mit den Zwergen der Rückkehr der übrigen Drachen und ihrer Reiter, doch sie warteten vergebens. Nicht ein einziger der vier noch vermissten Drachen kehrte zurück, und als schließlich Mitternacht verstrich, schwanden auch die Hoffnungen der größten Optimisten unter den Zwergen. Einer der Späher war sogar in die Nähe von Ai'Lith geschickt worden, um die Umgebung im Umfeld der Hohen Festung der Elben auszukundschaften, doch auch er blieb verschollen, und das bereitete Maziroc besonders große Sorgen. Entweder hatten die geflügelten Damonen die Späher bereits kurz nach ihrem Aufbruch aus Ravenhorst abgefangen und getötet, oder sie waren innerhalb der letzten Tage bereits sehr viel weiter vorgerückt und hatten größere Teile Arcanas unter ihre Kontrolle gebracht, als er in seinen schrecklichsten Alpträumen für möglich gehalten hatte.

Wenn sie sich wirklich geteilt hatten, und ihr einer Heerzug hatte bereits fast die Todessümpfe erreicht, dann war es auch durchaus möglich, dass der übrige Teil ihrer Armee Ai'Lith bereits in den nächsten Tagen erreichen würde. Die Hohe Festung der Elben stellte das letzte Bollwerk dar, das den Einfall der Damonen in die Westländer noch verhindern konnte. Möglicherweise aber waren sie dort sogar schon eingedrungen, wenn sie Ai'Lith einfach umgangen hatten, statt zu riskieren, in einem langen, blutigen Kampf um die Elbenfestung zu unterliegen und zurückgeworfen zu werden.

Am späten Abend fanden sich die Zwergenkönige erneut zu einer Krisenberatung zusammen. Als König der Krieger wurden Borrus angesichts der Bedrohung weitreichende Vollmachten erteilt. Auf seinen Befehl hin wurden sofort sämtliche Vorkehrungen für eine möglichst erfolgreiche Verteidigung Ravenhorsts im Fall eines Angriffs durch die Damonen getroffen.

Maziroc erfuhr lediglich durch Garwin davon. Da es sich bei diesen Verteidigungsvorbereitungen um geheime Angelegenheiten handelte, die nur das Zwergenvolk betrafen, hatte man ihn nicht gebeten, an der Sitzung teilzunehmen, und er hätte auch kein Interesse daran gehabt. Nach normalen Maßstäben war Ravenhorst unmöglich einzunehmen. Wer immer es versuchen würde, würde jeden eroberten Fußbreit Boden schon in den Sümpfen mit einem unvorstellbaren Blutzoll bezahlen. Er bezweifelte, dass selbst die Damonen sich solche Verluste leisten konnten. Sollten sie sich tatsächlich auf ein so selbstmörderisches Unterfangen einlassen, würde ihr Heer aufgerieben werden und keine Gefahr für die ungleich weniger geschützten Städte im übrigen Miirn mehr darstellen.

Ähnliches galt auch für Ai'Lith, wohin sich Mazirocs Gedanken immer wieder verirrten. Sollten die Damonen die Hohe Festung angreifen, so verschaffte jeder Tag, an dem sie gegen die unbezwingbaren Mauern anstürmten, Eibon und vor allem Charalon mehr Zeit, ihre Verteidigungsallianz zu schmieden, neue Truppen auszuheben und zusammenzuführen, um Larquina und die übrigen Westländer zu schützen.

Dennoch beruhigte dieser Gedanke Maziroc nicht, und als er sich gegen Mitternacht in seinem Quartier zur Ruhe begab, lag er trotz seiner Müdigkeit auch in dieser Nacht wiederum noch lange wach. Eine Mischung aus Sorge über das, was anderenorts auf Arcana passieren mochte, und die Vorfreude auf seinen bevorstehenden Drachenflug beschäftigte seine Gedanken so stark, dass er keine Ruhe fand. Fast zwei Stunden lang grübelte er vor sich hin, ehe es ihm schließlich gelang, wenigstens in einen leichten, wenig erholsamen Schlummer zu sinken.

Pünktlich mit den ersten Strahlen der aufgehenden Sonne erwachte er am nächsten Morgen bereits wieder. Gerne hätte er vor seinem Aufbruch noch einmal mit den Königen gesprochen, doch wurde ihm mitgeteilt, dass sie noch schliefen und nach der langen Nachtsitzung wohl erst in mehreren Stunden aufstehen würden, und diese Zeit war ihm zu lang, um zu warten. So begab er sich auf den Weg zu Pollus und weckte ihn. Der Gardesoldat war vor Vorfreude auf den Flug noch wesentlich aufgeregter als Maziroc selbst, und nach einem ausgiebigen Frühstück machten sie sich auf den Weg zu den Drachengehegen.

Der oberirdisch gelegene Teil dieser Gehege, den Maziroc bereits gesehen hatte, bildete nur einen winzigen Teil der eigentlichen Anlage. Drachen waren Höhlentiere, und so lebten die meisten von ihnen in gewaltigen Kavernen, die den Ashran durchzogen und im Laufe der Jahrhunderte zu einem ins Innere des Berges gegrabenen Teil der Stadt ausgebaut worden waren. Manche der unterirdischen Höhlen bildeten regelrechte Gewölbe, so groß, dass selbst das Licht der zahlreichen Fackeln und Feuerschalen, von denen sie erhellt wurden, nicht ausreichte, bis zur Decke empor zu sehen oder von einem Ende der Höhle bis zum anderen zu blicken.

Bis dorthin allerdings war auch Maziroc noch nicht vorgedrungen; die unterirdischen Drachenhöhlen kannte er nur von den Schilderungen einiger Zwerge her, die bei einem Weingelage, das er vor einigen Jahren mit ihnen abgehalten hatte, allzu redselig geworden waren.

Auch an diesem Tag sollte er die Drachenhöhlen offenbar nicht zu Gesicht bekommen. Als er mit Pollus die Gehege erreichte, wurden sie bereits erwartet. Offenbar hatten die Zwerge damit gerechnet, dass sie schon so früh am Morgen würden aufbrechen wollen, denn es dauerte nur wenige Minuten, bis alles für ihren Aufbruch bereit war.

Ein Zwerg in mittlerem Alter mit einem verschmitzt wirkenden Gesicht kam auf sie zu, musterte sie ein paar Sekunden lang ernst und deutete dann vor Maziroc eine Verbeugung an. Wie schon die anderen seines Volkes ignorierte er Pollus schlichtweg. Allerdings war der Soldat so aufgeregt und voller Vorfreude darauf, einen Drachen aus unmittelbarer Nähe zu sehen und sogar darauf fliegen zu dürfen, dass es ihn gar nicht weiter zu kränken schien. Vielleicht hatte er sich auch einfach mittlerweile daran gewöhnt. Ursprünglich hatte Maziroc Schwierigkeiten mit den Zwergenkönigen befürchtet, wenn er darauf beharrte, dass Pollus ihn begleitete, doch es hatte lediglich einige nicht einmal besonders heftige Proteste Shiras gegeben.

"Mein Name ist Marrin", stellte der Zwerg sich vor. "Ich werde Euch nach Cavillon fliegen."

"Nicht nach Cavillon, zumindest nicht direkt", entgegnete Maziroc. "Es hat eine Änderung gegeben. Zunächst möchte ich Ai'Lith aufsuchen."

"Die Hohe Festung der Elben?", hakte der Zwerg nach, überrascht und unwillig. "Aber ich habe den Auftrag ..."

"Ich habe Grund zu der Vermutung, dass die Damonen auch in Richtung auf die Hohe Festung marschiert sind, und ich muss wissen, was dort geschieht", fiel Maziroc ihm ins Wort. "Ihr braucht nicht in Ai'Lith selbst zu landen, wenn Euch der Gedanke unangenehm ist. Es genügt, wenn Ihr mich in der Nähe absetzt, aber auf jeden Fall ist die Hohe Festung mein Ziel. Ich habe nicht um diese Hilfe gebeten, sie ist mir von Euren Königen angeboten worden. Falls Ihr jedoch ein Problem habt, sie mir zu gewähren, dann sagt es direkt, damit wir nach einem anderen Weg suchen können."

Marrin überlegte ein paar Sekunden lang und musterte den Magier abschätzend, dann nickte er schließlich. "Nein, ich glaube nicht, dass das ein Problem ist", erklärte er, doch besonders glücklich wirkte er dabei nicht. "Ein Ziel ist wohl so gut wie das andere, schließlich müsst Ihr wissen, wohin Ihr wollt."

Er führte sie auf einen Drachen zu, der bereits in der Nähe der Steilklippe wartete, die den Ashran in nördlicher Richtung begrenzte. Ohne es bewusst zu merken ging Maziroc genau wie auch Pollus automatisch immer langsamer, je näher sie ihm kamen. Im Gegensatz zu den allermeisten Menschen hatte er schon zuvor Drachen aus der Nähe gesehen, doch so nah war auch er ihnen noch nie gekommen.

Es handelte sich um das mit Abstand hässlichste Tier, das er je erblickt hatte, eine Bestie, die nur aus Muskeln, grünlich-grauen Panzerplatten und Wildheit zu bestehen schien, obwohl sie im Moment fast reglos stand. Das Gewicht ihres titanischen Körpers lastete auf vier extrem dicken, aber dafür sehr kurzen Beinen, sodass die Bauchseite ihres Leibes fast den Boden berührte. Die Beine endeten in mörderischen Klauen, von denen sich einige wie spielerisch in den massiven Felsuntergrund gegraben hatten. Das Maul des Drachen war groß genug, dass er einen Menschen mit einem Bissen verschlingen könnte, und die darin schimmernden Reißzähne waren lang wie Dolche.

Selbst den Damonen stand die Flugechse an Scheußlichkeit kaum nach, dennoch ließ sie sich in keiner Form mit ihnen vergleichen. Es schien sich um ein noch recht junges Tier zu handeln, zumindest war es nicht annähernd so groß, wie beispielsweise der verletzte Drache vom vergangenen Nachmittag. Obwohl es sich kaum bewegte und trotz seines abstoßenden Äußeren wirkte es auf schwer zu beschreibende Art dennoch majestätisch, und als Maziroc in seine glitzernden Facettenaugen blickte, hatte er fast das Gefühl, es mit einem intelligenten Wesen zu tun zu haben.

Er schauderte, obwohl er nicht recht wusste, was der Auslöser dafür war: Die ungeheure Größe und Stärke des Drachen oder der fast intelligente Ausdruck in den Augen des Tieres. Ärgerlich versuchte er, dieses Gefühl zu verdrängen, doch es gelang ihm nicht. Der bevorstehende Flug auf dem Drachen versprach eines der herausragendsten Erlebnisse seines Lebens zu werden, doch mit einem Mal fühlte er sich in der Nähe der gewaltigen Echse geradezu unwohl.

"Also los, worauf wartet Ihr?", fragte Marrin und deutete auf die Strickleiter, die von dem Transportkorb auf dem breiten Rücken des Drachen herabhing. Seine Stimme klang mürrisch, anscheinend konnte er sich auch jetzt noch nicht recht mit dem neuen Reiseziel anfreunden. Vielleicht behagte ihm aber auch der ganze Auftrag nicht. Manchen Zwergen mochte es als ein Sakrileg erscheinen, einem Magier und einem der so verachteten normalen Menschen zu gestatten, auf einem Drachen zu fliegen. Falls es sich so verhielt, war es Maziroc allerdings schleierhaft, warum man ausgerechnet jemanden mit einer solchen Einstellung für diese Aufgabe ausgewählt hatte.

Er überwand sein Unbehagen, trat an den Drachen heran und stieg die Strickleiter hoch. Dicht gefolgt von Pollus kletterte er in den Korb. Eigentlich entsprach das Gebilde diesem Namen nicht ganz. Es handelte sich eher um eine Art hölzerne Plattform, die von einem Geländer aus Metallstreben und dickem Leinenstoff umgeben war. Mit mehreren gut meterbreiten Gurten und dicken Seilen war die Konstruktion auf dem Rücken der Flugechse festgezurrt. Da der Drache selbst noch längst nicht ausgewachsen war, war auch der Korb nicht ganz so groß wie bei einigen anderen Tieren, bot aber immerhin auch noch mindestens vier bis fünf Dutzend Zwergen oder Menschen Platz.

Pollus holte die Strickleiter ein und blickte sich mit leuchtenden Augen um, während Maziroc beobachtete, wie Marrin geschickt am Hals des Drachen hinaufkletterte. Unmittelbar hinter einer Art Höcker nahm er in einer wie für diesen Zweck geschaffenen Vertiefung Platz. Der aus dem Hals der Echse herausragende Höcker stellte eine äußerst sensible Art von Nervenknoten dar. Durch leichten Druck darauf mit den Händen konnte der Reiter seinen Drachen ohne jede Kraftanstrengung wesentlich sanfter und präziser lenken, als dies beispielsweise bei einem Pferd selbst mit dem besten Zaumzeug der Welt möglich wäre.

"Seid ihr bereit?", fragte er und wandte kurz den Kopf zu den beiden Menschen um.

Maziroc nickte zustimmend.

"Dann haltet euch jetzt gut fest. Es kann etwas ungemütlich werden, bis wir in der Luft sind." Spott, fast schon Schadenfreude schien in der Stimme des Zwerges mitzuklingen.

An der Innenseite des Korbes gab es eine Vielzahl kleiner Lederschlaufen. Genau wie Pollus schob Maziroc seine Hände in zwei davon, und gleich darauf setzte sich der Drache in Bewegung. Gleitend richtete er sich auf. Er warf seinen Kopf in den Nacken, dass Maziroc bereits befürchtete, Marrin müsste durch den Ruck davongeschleudert werden, doch der Zwerg saß sicher und fest in seiner Vertiefung. Mit hoch erhobenem Kopf stieß der Drache einen lauten, wilden Schrei aus und entfaltete seine bislang eng am Körper angelegten Flügel. Scheinbar probeweise schlug er ein paarmal mit den Schwingen auf und ab, dann lief er los.

Aufgrund seiner ungeheuren Größe wirkten seine Schritte zunächst langsam, geradezu schwerfällig, aber in Wahrheit waren sie weder das eine noch das andere. Binnen weniger Sekunden erreichte der Drache die Klippe. Es gab einen harten Ruck, als sich unter ihm plötzlich kein Boden mehr befand und das Tier in die Tiefe zu stürzen begann.

Pollus stieß einen entsetzten Schrei aus, und auch Maziroc klammerte sich starr vor Schrecken an die Halteschlaufen, doch der Moment der Furcht dauerte nicht mehr als ein, zwei Sekunden. Nach kaum einem halben Dutzend Meter Fall fing sich genügend Wind unter den riesigen Schwingen der Echse, um den Sturz in ein sanftes Gleiten übergehen zu lassen. Mit einem weiteren Flügelschlag katapultierte sich das Tier wieder nach oben, stieg bis über die Höhe des Ashran und schien dann geradewegs zum Himmel emporzuschießen.

Allmählich entspannte Maziroc sich und ließ kurz darauf auch die Griffe los. Der Flug des Drachen war so sanft, dass selbst während der gelegentlichen Flügelschläge kaum Bewegungen zu spüren waren. Fast schwerelos schien er auf seinen gewaltigen Schwingen dahinzugleiten, nutzte mehr das Spiel von Auftrieb und Fallwinden, als dass er mit den Flügeln schlug.

Höher und höher stieg der Drache, sodass die Welt unter ihnen immer kleiner zu werden schien. Schon jetzt waren Ravenhorst und der Ashran nur noch ein kleiner Punkt inmitten der Todessümpfe. Kurze Zeit später bereits überflogen sie die morastige Ostküste des großen Binnenmeeres, und dann erstreckte sich in jeder Himmelsrichtung schließlich nur noch Wasser unter ihnen, soweit der Blick auch reichte.

Das Binnenmeer war gewaltig. Es teilte Arcana in die östlichen und die westlichen Länder, und es war auch dafür verantwortlich, dass jeder Reisende sich entscheiden musste, ob er eine nördliche oder südliche Route einschlug, je nachdem, welchen Weg er wählte, es zu umgehen. Trotz seiner Größe gab es auf dem Binnenmeer keine Schifffahrt, was an der Beschaffenheit der Küste lag. Im Osten und im Süden ging das Meer direkt in die Sümpfe über, und das Ufer war zu morastig, als dass dort Schiffe anlegen könnten. Im Westen und Norden hingegen bestand es größtenteils aus Steinklippen, und wo die Küste einigermaßen flach war, da lauerten dicht vor dem Ufer gefährliche, scharfe Riffe, die den Rumpf jedes Bootes aufschlitzen würden.

So aufregend der Flug während der ersten Minuten war, wurde Maziroc es schon bald leid, auf die schier endlose Wasserfläche zu starren, die sich tief unter ihnen ausbreitete. Mit dem Rücken gegen das Geländer gelehnt, setzte er sich auf den Boden des Transportkorbes. Hier war er auch dem scharfen Flugwind nicht so stark ausgesetzt, der ihm zuletzt die Tränen in die Augen getrieben und jede Unterhaltung unmöglich gemacht hatte.

Bald darauf setzte sich auch Pollus zu ihm. Seine Augen tränten ebenfalls, doch schien ihm das nichts auszumachen.

"Ist das nicht fantastisch?", schwärmte er mit geradezu kindlicher Begeisterung in der Stimme. "Wir fliegen, wir fliegen wirklich. Es ist fast so, als ob wir selber Flügel hätten."

"Na ja, nicht ganz", schränkte Maziroc schmunzelnd ein. Obwohl es unter ihnen zurzeit nicht viel zu sehen gab, und der Wind über der Brüstung alles andere als angenehm war, stellte diese Reise auch für ihn ein besonderes Erlebnis dar, und Pollus' ungebändigte Freude mitzuerleben, steigerte das Vergnügen für ihn noch zusätzlich.

"Als Kind habe ich oft davon geträumt", sprach der Soldat weiter. "Aber meine Eltern hatten dafür keinerlei Verständnis. Sie sagten immer nur, dass die Götter uns mit Flügeln erschaffen hätten, wenn sie wollten, dass wir flögen. Aber da dies nun mal nicht der Fall war, würde sich nie ein Mensch weiter in die Luft erheben, als er springen könnte. Ich wünschte, sie könnten mich jetzt sehen."

"Manchmal sind die Wege der Götter sehr verschlungen und undurchsichtig", antwortete Maziroc. "Manchmal aber muss man ihnen vielleicht erst auf die Sprünge helfen, und gelegentlich denke ich fast, dass sie mancher Fortentwicklung geradezu im Wege stehen. Ich bin fest davon überzeugt, dass der Mensch noch zu vielem, vielem mehr fähig ist, wovon jetzt noch kaum jemand zu träumen wagt."

Pollus blickte ihn einen Moment irritiert an, sichtlich verwirrt durch diese Blasphemie, doch er verzichtete darauf, das Thema weiter zu verfolgen.

Auch Maziroc verspürte wenig Lust, sich zu unterhalten. Gedankenverloren starrte er in den blauen, nur von wenigen weißen Wölkchen bedeckten Himmel über sich, dem er nahe wie nie zuvor war.

*


Um die Mittagsstunde, kurz nachdem sie das Binnenmeer endlich hinter sich gelassen hatten, legten sie eine Rast ein. Marrin bestand darauf, da ein so langer Flug ohne eine Pause angeblich für den Drachen zu anstrengend wäre. Es fiel Maziroc schwer zu glauben, dass es irgendetwas gäbe, was für ein so gewaltiges Tier zu mühsam war, schon gar nicht ein einfacher Flug bei so mildem Wetter. In Wahrheit war es wohl eher dem Zwerg auf seinem Sitz am Hals des Drachen zu unbequem geworden, und er wollte sich ein Weilchen die Füße vertreten.

Der Drache ging auf einer großen Wiese nieder, wobei die Landung ebenso sanft wie der Abflug vonstatten ging. Ein klarer Bach, an dem sie ihren Durst stillen konnten, schlängelte sich durch die Wiese. Gerne hätte Maziroc die Gelegenheit genutzt, sich ein wenig mit Marrin zu unterhalten, doch da der Zwerg sich aus ihm unbekannten Gründen demonstrativ von ihnen absonderte, respektierte er dies.

Nach etwa einer halben Stunde setzten sie ihren Flug fort. Da es diesmal keine Klippe gab, von der er sich stürzen konnte, lief der Drache auf seinen kurzen Stummelbeinen immer schneller quer über die Wiese und bewegte dazu seine Flügel, bis er sich schließlich vom Boden löste und mit weiteren Flügelschlägen erneut zum Himmel emporstieg.

Bald darauf sichteten sie zum ersten Mal Damonen. Es handelte sich nur um wenige Dutzend der Ungeheuer, aber es sollte nicht die einzige Begegnung bleiben. Immer häufiger entdeckten sie von nun an die fremden Invasoren. Es schien, als ob ungeheuere Massen von ihnen in Trupps von völlig unterschiedlicher Größe von den südlichen Barbarenländern aus, wo sich die Weltenbresche befinden sollte, nach Nordwesten ziehen würden. Obwohl er sich in diesem Fall viel lieber geirrt hätte, sah Maziroc seinen schlimmsten Verdacht bestätigt, dass die Damonen zahlenmäßig so stark waren, dass sie sich aufteilen und unterschiedliche Ziele in verschiedenen Teilen des Kontinents gleichzeitig angreifen konnten.

"Sie ziehen direkt auf das Largos-Gebirge zu. Nach Ai'Lith!", stellte Pollus fest u leckte sich nervös über die Lippen. Der Flugwind riss ihm die Worte von den Lippen. Er musste schrien, damit Maziroc ihn verstand, obwohl er direkt neben ihm stand.

Der Magier nickte. Wenigstens schienen die Damonen die Hohe Festung noch nicht erreicht zu haben. Anscheinend waren sie nicht in gerader, direkter Linie vorgerückt, sondern hatten auf ihrem Weg stets nach Zielen gesucht, die sie überfallen konnten.

Glücklicherweise befanden sich offenbar nur wenige geflügelte Damonen bei den Heerzügen, denn diese bildeten für sie momentan die größte Gefahr. Lediglich ein knappes Dutzend von ihnen stieg von einem der Trupps auf und jagte auf den Drachen zu. Hastig griff Marrin nach seiner Armbrust. Er traf zwei der Damonen, und obwohl die Geschosse sie nicht töteten, wurden die Ungeheuer merklich langsamer und blieben hinter den anderen zurück. Noch ein drittes Mal schoss er, doch diesmal verfehlte der Bolzen sein Ziel.

Gleich darauf waren die übrigen heran, finstere, horngeschuppte Bestien mit nachtschwarzen Schwingen, gefährlichen Krallen und scharfen Zähnen.

Marrin legte die Armbrust zur Seite und griff stattdessen nach seiner Streitaxt, während Maziroc und Pollus ihre Schwerter zogen. Ihre wirksamste Waffe aber war der Drache selbst, auf dem sie flogen. Auch ohne dass Marrin ihn durch Berührung des Nervenpunktes steuerte, wusste das Tier, was zu tun war. Blitzschnell zuckte es mit seinem Kopf herum, ohne dass es dabei jedoch den Zwerg von seinem Hals herunterschleuderte oder sich die heftige Bewegung auf den Rest seines Leibes und damit auch den Transportkorb übertrug. Sein gewaltiges Maul klaffte auf und schnappte gleich darauf wieder zu, und seine Fangzähne zermalmten einen der Damonen, der unvorsichtigerweise in seine Reichweite gelangt war. Einen zweiten traf er mit einem Hieb seines Schwanzes und zwei weitere fegte er durch wilde Schläge mit seinen Schwingen aus der Bahn und brach ihnen dabei ihre Flügel, sodass sie abstürzten.

Eines der Ungeheuer strich dicht über den Transportkorb hinweg. Maziroc und Pollus hieben gleichzeitig mit ihren Schwertern danach. Ihre Klingen drangen tief in den Leib der Bestie ein. Sie machte noch einige kraftlose Flügelschläge, dann stürzte auch sie in die Tiefe.

"Du bist verletzt!", rief Maziroc erschrocken. Aus einer Wunde an der Schulter des Soldaten drang Blut. Offenbar hatte der Damon ihn im Vorbeiflug mit seinen Klauen erwischt.

Erst jetzt nahm Pollus die Verwundung wahr. Er strich mit den Fingern darüber und machte dann eine gleichgültige Geste. "Nicht weiter schlimm. Das Biest hat mir nur die Haut geritzt."

Der Kampf war so schnell vorbei, wie er begonnen hatte. Marrin hatte noch einen weiteren Damonen mit seiner Streitaxt erlegt, die übrigen hatte der Drache getötet oder zumindest so schwer verwundet, dass sie seine Geschwindigkeit nicht mehr mithalten konnten und zur Erde zurücksanken.

Maziroc beugte sich zu Pollus vor, bog den von den Krallen zerfetzten Stoff an dessen Schulter etwas zur Seite und betrachtete die Wunde, die sie ihm zugefügt hatten. Wie er gesagt hatte, waren es tatsächlich nur Hautkratzer, die bereits wieder zu bluten aufgehört hatten.

Einige Minuten lang jagte der Drache so schnell er nur konnte dahin, dann wurde er plötzlich langsamer, glitt nur noch so träge durch die Luft, wie gerade nötig war, damit er nicht abstürzte.

"Wir werden umkehren!", rief Marrin ihnen zu. Solange sie so langsam flogen, war seine Stimme bis in den Korb einigermaßen zu verstehen. "Ich fliege nach Ravenhorst zurück. Es ist zu gefährlich."

Maziroc sprang auf.

"Nein, tut das nicht!", brüllte er zurück. "Das sind doch nur kleine Trupps. Wir können nicht mehr weit von der Hohen Festung entfernt sein."

"Eben deshalb. Die meisten dieser verdammten Bestien bewegt sich direkt auf Ai'Lith zu, und der größte Teil ihres Heeres dürfte bereits dort angekommen sein. Nur ein Wahnsinniger würde unter diesen Umständen ebenfalls dorthin fliegen. Gegen ein paar von ihnen können wir uns wehren, aber wenn sie uns in einer größeren Schar angreifen, haben wir keine Chance. Genau das aber wird passieren, wenn wir weiterfliegen."

"Wir wissen nicht, ob ihr Ziel wirklich die Hohe Festung ist. Wahrscheinlich werden selbst die Damonen vor einer wochen- oder gar monatelangen Belagerung zurückschrecken, die zudem so wenig Aussicht auf Erfolg bietet, und das Gebirge eher an einer anderen Stelle überqueren. Es gibt genügend leicht begehbare Pässe."

"Und wenn schon", beharrte der Zwerg. "Wenn wir unseren bisherigen Kurs fortsetzen, fliegen wir ihrer Hauptstreitmacht auf jeden Fall geradewegs entgegen. Ich bin schließlich nicht lebensmüde, und vor allem das Leben des Drachen ist viel zu kostbar, um es auf diese Weise aufs Spiel zu setzen. Es geht ja nicht einmal um Belange meines Volkes. Glaubt Ihr wirklich, Eure Wünsche wären mir ein solches Risiko wert?"

Maziroc ballte die Hände zu Fäusten. Da er wusste, wie viel den Zwergen ihre Drachen bedeuteten, und wenn er bedachte, dass am gestrigen Tag bereits mehrere ihrer Tiere durch die Damonen den Tod gefunden hatten, konnte er Marrin bis zu einem gewissen Grad sogar verstehen. Dennoch erzürnte ihn die engstirnige Fremdenverachtung, die in Marrins Worten mitschwang.

"Ihr irrt Euch!", rief er. "Was hier geschieht, hat auch für das Volk der Zwerge größte Bedeutung. Glaubt Ihr nicht, dass es für Eure Könige extrem wichtig wäre, zu erfahren, was in Ai'Lith geschieht? Ob und wie es gelungen ist, Angriffe der Damonen zurückzuschlagen? Diese Informationen könnten äußerst wichtig für eine eventuelle Verteidigung von Ravenhorst sein. Und auch wenn die Damonen die Hohe Festung umgangen haben und bereits in den Ebenen von Larquina eingefallen sind, dann ist dies ebenfalls für Euer Volk bedeutsam, weil sie über kurz oder lang dann auch von Norden her nach Miirn einfallen und die Todessümpfe bedrohen werden." Maziroc machte eine kurze Pause und atmete ein paarmal tief durch, weil das laute Rufen ihn in der Kehle schmerzte. "Bislang droht uns keine akute Gefahr", fuhr er dann fort. "Wenn wir merken, dass ein Weiterflug wirklich zu gefährlich wird, können wir immer noch umkehren."

"Das ist die Frage, ob wir das dann noch können", entgegnete Marrin, doch seine Stimme war nicht mehr so fest wie zuvor und verriet die Zweifel, die von ihm Besitz ergriffen hatten.

"Einen Krieg ohne Risiken und Gefahren gibt es nicht. Auch ich hänge an meinem Leben und neige nicht unbedingt zur Tollkühnheit. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass wir unter allen Umständen zur Hohen Feste müssen."

Einige Sekunden lang herrschte Schweigen.

"Gut, wir fliegen weiter", verkündete Marrin dann seine Entscheidung. "Zumindest vorläufig, solange die Gefahr kalkulierbar bleibt. Allerdings werden wir wesentlich höher als bisher steigen, dann entdeckt man uns hoffentlich nicht so leicht. Es wird ziemlich kalt dort oben werden, aber Ihr wollt es ja unbedingt, also beschwert Euch nicht. Gegen Abend dürften wir die Hohe Festung erreichen, doch sollte sie belagert werden, werde ich auf gar keinen Fall dort landen und riskieren, von diesen fliegenden Bestien angegriffen zu werden."

Das waren Bedingungen, die für Maziroc annehmbar waren, ihm sogar recht vernünftig erschienen.

"Einverstanden!", rief er.

*


Während der ersten paar Minuten war es noch durchaus faszinierend, mitzuerleben, wie der Drache immer höher und höher stieg. Das Land schien unter ihnen regelrecht zusammenzuschrumpfen. Ein besonderer Höhepunkt war eine der tief hängenden riesigen Wolken, die sich vor ihnen erstreckte. Sie tauchten darin ein, und für einige Sekunden wurde alles um sie herum weiß, als ob sie sich in dem dichtesten Nebel befänden, den man sich nur vorstellen konnte. Maziroc konnte nicht einmal mehr Pollus dicht neben sich sehen. Gleich darauf hatten sie die Wolke passiert und genossen wieder freie Sicht.

Die Faszination und das Vergnügen blieben jedoch nicht allzu lange ungetrübt. Nach einiger Zeit fiel Maziroc auf, dass die Flügelschläge des Drachen mit wachsender Höhe immer schneller und hektischer wurden. Wo vorher ein einzelner Schlag der Schwingen genügt hatte, sie in der Luft zu halten und voranzutragen, schienen nun mindestens zwei nötig sein. Gleichzeitig bemerkte der Magier, dass sich sein eigener Atem beschleunigte und er dennoch das Gefühl hatte, zu wenig Luft zu bekommen.

"Was ist das?", keuchte Pollus neben ihm, der offenkundig mit den gleichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. "Was hat das zu bedeuten?"

"Offenbar wird die Luft dünner, je höher wir steigen", antwortete Maziroc nach kurzem Überlegen. Er hatte von entsprechenden Theorien gehört; Bergsteiger hatten dergleichen ansatzweise verspürt. Da zuvor aber wohl noch nie ein Mensch bis in solche extremen Höhen gelangt war, hatte es bislang keine Möglichkeit gegeben, die Vermutung, dass sich diese Entwicklung mit zunehmender Höhe immer mehr steigerte, in der Praxis zu überprüfen.

Die dünnere Luft war aber nicht das einzige Problem, mit dem sie schon bald zu kämpfen hatten. Das zweite war die Kälte, vor der Marrin sie bereits gewarnt hatte. Schon bald war der Flugwind so eisig, dass sie sich hinter der Brüstung zusammenkauerten, um ihm nicht mehr direkt ausgesetzt zu sein, doch Schutz vor der Kälte fanden sie nicht.

Sie tauchten ein in weitere Wolken, und jedes Mal war es, als würden sie durch Eisregen gleiten. Schließlich befanden sich nur noch Wolken um sie herum. Alles, was sie berührten, war feucht, und es dauerte nur Minuten, dann waren sie bis auf die Haut durchnässt, zumal sie angesichts der Temperaturen auf dem Erdboden nur leichte Sommerkleidung trugen. Bibbernd schlugen sie mit den Armen um sich, um sich wenigstens ein bisschen warm zu halten.

Dann - endlich - hatten sie die Wolkendecke durchstoßen. Strahlender Sonnenschein begrüßte sie und wärmte sie ein wenig.

Maziroc erhob sich mühsam und zwang sich zu weiteren Gymnastikübungen, um sich auf diese Art zu wärmen, doch geriet er aufgrund der dünnen Luft rasch ins Keuchen und hatte das Gefühl, kaum noch atmen zu können.

Trotz des kalten Flugwindes konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen Blick über die Brüstung des Korbes in die Tiefe zu werfen. Der Anblick war einmalig. Wie eine endlose Landschaft aus weißer Watte breiteten sich die Wolken unter dem Drachen aus und gleißten im Licht der Sonne. Dazwischen klafften immer wieder Löcher, durch die man bis zur Erdoberfläche hinabblicken konnte. Die Entfernung war jedoch so groß, dass er nicht mehr als unregelmäßige Flecken von Braun und hellem und dunklem Grün sah, gelegentlich durchzogen vom blauen Band eines Flusses. Nun, umgekehrt bestand so auch tatsächlich kaum noch eine Gefahr, dass die Damonen sie hier oben erblicken könnten.

Nach kurzer Zeit stellte Maziroc fest, dass die Luft hier über den Wolken gar nicht mal so besonders kalt war, da sie von der Sonne stark erwärmt wurde. Was ihm so eisig vorkam, waren vor allem, die vom Flug durch die Wolken völlig nassen Sachen, die er trug. Im Sonnenschein begannen sie nun allmählich zu trocknen und entwickelten dabei noch zusätzliche Kälte.

Pollus, der bibbernd in einer Ecke auf dem Boden des Korbes saß, musterte ihn wie einen Geisteskranken, als er seine Kleidung bis auf die Unterwäsche auszog und zum Trocknen ausbreitete. Um vor dem Flugwind geschützt zu sein, hielt Maziroc sich dabei so gut es ging im Schutz der Brüstung.

"Wenn dir zu warm ist, ich könnte ein paar zusätzliche Kleidungsstücke gut gebrauchen", krächzte Pollus. "Oder hilfst du dir mit einem deiner magischen Tricks? Kannst du dann nicht dafür sorgen, dass mir ebenfalls ein bisschen wärmer wird?"

"Kein Trick", erklärte Maziroc. "Aber in deiner nassen Kleidung frierst du mehr, als wenn du nichts anhast. Merkst du nicht, wie warm die Sonne scheint? Man spürt es nur wegen der dünnen Luft hier oben nicht so deutlich. Los, zieh deine Sachen auch aus."

Pollus zögerte, doch schließlich rappelte auch er sich auf und streifte seine Kleidung ab. "Verrückt, aber es kommt mir tatsächlich schon etwas wärmer vor", brummte er, als er sich wieder gesetzt hatte. "Aber das bisschen ändert nichts daran, dass es insgesamt immer noch saukalt ist."

Daran änderte sich auch während der folgenden zwei Stunden nichts, doch schließlich war ihre Kleidung soweit getrocknet, dass sie sie wieder anziehen konnten, und von diesem Moment an war die Kälte einigermaßen zu ertragen.

Schließlich, als die Kraft der Sonne allmählich nachzulassen begann, ließ Marrin den Drachen wieder tiefer sinken. Diesmal allerdings verzichtete er darauf, direkt durch die Wolken zu fliegen, sondern suchte sich eine genügend große Lücke in der Wattedecke. Warum er dies nicht auch schon beim Aufsteigen gemacht hatte, blieb Maziroc schleierhaft. Er vermutete, dass es sich um eine pure Schikane des Zwerges gehandelt hatte. Wahrscheinlich war Marrin durch seine eigene spezielle Drachenreiterkleidung besser geschützt, sodass ihm die Kälte nicht viel ausgemacht hatte.

Sie waren noch ein gutes Stück vom Largos-Gebirge entfernt, doch konnten sie die Berggipfel am Horizont bereits sehen. Marrin hatte sich offenbar mit dem Drachen weit nach Norden gewandt, sodass sie jetzt wieder zurück nach Süden flogen. Der Vorteil war, dass hier nirgendwo Damonen zu entdecken waren. Diese hatten das Gebirge bereits viel weiter im Süden überquert. Gefährlich würde es erst werden, wenn sie sich der Hohen Festung näherten, falls die Ungeheuer sie doch angriffen und sich in großer Zahl in ihrer Nähe aufhielten. Inmitten der Berge mit ihren Pässen und tiefen Schluchten würden die Ungeheuer erst spät zu entdecken sein, möglicherweise erst zu spät für eine Flucht, vor allem, wenn es sich um große Verbände der Bestien handelte.

Schon bald erreichten sie die ersten Ausläufer der Berge. Die zerklüfteten Gipfel glitten dicht unter ihnen dahin. Marrin ließ den Drachen ziemlich langsam und tief fliegen, nutzte nicht nur die allmählich hereinbrechende Dämmerung, sondern auch die Schluchten und Canyons und den Sichtschutz der Berggipfel aus, um sich Ai'Lith möglichst unbemerkt zu nähern - was ihm auch hervorragend gelang. Sie bekamen keinen einzigen Damon zu sehen, und fast beunruhigte Maziroc dies schon ein bisschen, obwohl er sich nicht sicher war, ob es ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Inzwischen waren sie der Hohen Festung so nahe, dass zumindest einzelne Ungeheuer zu sehen sein müssten, wenn sie diese belagerten oder angriffen. Ihre völlige Abwesenheit konnte eigentlich nur bedeuten, dass sie sich gar nicht weiter um Ai'Lith kümmerten, sondern das Gebirge weiter südlich auf kürzestem Weg überquerten.

Dennoch erleichterte ihn dieser Gedanke nicht. Die Berge waren für seinen Geschmack eine Spur zu still, zu einsam, zu bar jeden Lebens. Selbst wenn die Damonen darauf verzichtet hatten, die Hohe Festung anzugreifen, so hatten sie sicherlich zumindest Beobachter zurückgelassen, um sicherzustellen, dass die Elben ihnen nicht die Nachschubwege abschnitten oder ihnen gar in den Rücken fielen. Aber auch davon war nichts zu entdecken, und das machte Maziroc stutzig.

Schließlich erreichten sie den Canyon, in dem Ai'Lith lag. Es war inzwischen so dunkel geworden, dass sich die hohen Türme nur schwach gegen das Felsgestein abzeichneten. Die gewaltige Festung lag stumm, wie tot vor ihnen. Auch hier waren nirgendwo Damonen zu sehen, aber es gab auch sonst keine Spur von Leben. Hinter keinem Fenster brannte Licht, es gab keine Fackeln oder Kohlefeuer auf den Wehrgängen und Höfen der Elbenfestung. Es war auch kein Laut zu hören, doch das mochte auch am Wind liegen.

Dennoch war Maziroc nun überzeugt davon, dass etwas nicht stimmte. Der Drache wurde noch langsamer, als er zuletzt ohnehin nur noch geflogen war, glitt über das Tal, in dem Ai'Lith eingebettet lag, hinweg und erreichte die marmornen Festungswälle. Nun gab es keinen Zweifel mehr daran, dass das Undenkbare geschehen war. Die Stille, die in der Festung herrschte, war das bedrückende, endgültige Schweigen des Todes, das von diesem Ort Besitz ergriffen hatte.

Die Wehrgänge und der Hof waren übersät mit Toten.

Der Anblick schnitt wie ein Messer in Mazirocs Herz. Er umklammerte die Brüstung so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten und einer seiner Fingernägel unter dem Druck zu bluten begann, doch er bemerkte es nicht einmal. Ai'Lith, die Unbezwingbare, war gefallen. Mit brennenden Augen starrte Maziroc auf das schreckliche Bild hinunter, konnte einfach nicht begreifen, was er sah.

"Unmöglich", krächzte Pollus fassungslos. Er klammerte sich an den Arm des Magiers. "Das kann doch nicht sein, das ist doch ...", er verstummte mit einem kläglichen, wimmernden Laut. Maziroc konnte gut nachvollziehen, was in ihm vorging, ihm selbst erging es kaum anders. Ai'Lith war mehr als einfach nur irgendeine Festung gewesen, sie war auch ein Symbol für die Macht und Stärke der Elben und damit ganz Arcanas. Nun aber war sie nicht mehr als ein riesiges marmornes Grab.

Marrin ließ den Drachen eine Runde über der Festung drehen, dann noch eine weitere, und im letzten Licht der untergehenden Sonne wurde das ganze Ausmaß der Verwüstungen sichtbar. Einer der Marmortürme war in sich zusammengebrochen. Das gewaltige Haupttor der Festung war nicht nur aufgebrochen worden, es war völlig verschwunden, mitsamt seiner Einfassung und noch einem beträchtlichen Teil der Wehrmauer. Auch an mehreren anderen Stellen klafften Lücken und Breschen in den Mauern. Der einst schimmernde weiße Marmor mehrerer Gebäude war vom Ruß eines Feuers geschwärzt.

Als sich auch nach der dritten Runde nirgendwo Hinweise auf die Gegenwart von Damonen finden ließen, ließ Marrin den Drachen schließlich auf dem freien Platz vor der Bresche landen, wo sich ursprünglich das Haupttor befunden hatte. Über die Strickleiter kletterte Maziroc mit so zitternden Beinen aus dem Transportkorb, dass er zweimal fast abgerutscht und gestürzt wäre, ehe er den Boden erreichte. Pollus folgte ihm.

"Ich kann es einfach nicht glauben", murmelte Marrin, der wesentlich eleganter als sie abgestiegen war und sie bereits erwartete. Kopfschüttelnd blickte er zu der gewaltigen Ruine vor ihnen. Auch in seinem Gesicht stand Erschütterung geschrieben. "Ich meine, wir sind zwar mit den Elben seit urdenklichen Zeiten verfeindet, aber das ..." Noch einmal schüttelte er den Kopf. "Ich hätte nicht gedacht, dass es irgendeine Macht gibt, die in der Lage wäre, Ai'Lith zu erobern. Nicht einmal uns Zwergen wäre das auf dem Höhepunkt unserer Macht gelungen."

Maziroc beachtete ihn gar nicht. Wie in Trance ging er auf die Bresche zu, kletterte über den niedrigen Wal aus Marmortrümmern und anderem Geröll und betrat den Innenhof. Zutiefst erschüttert ließ er seinen Blick über die Toten gleiten. Es mussten hunderte sein, und sie lagen noch genauso da, wie sie versucht hatten, die Damonen aufzuhalten. Erste leichte Spuren von Verwesung zeigten sich bereits. Dem Zustand der Leichen zufolge mussten sie schon seit drei, vielleicht vier Tagen tot sein.

Aber alle Leichen, die Maziroc sah, waren ausschließlich die von Elben und auch menschlichen Soldaten, entweder Flüchtlinge aus den bereits geschleiften Orten in der Nordermark oder Truppen, die zur Verstärkung aus den nahe gelegenen Städten Larquinas herbeigeeilt waren, ohne das Verhängnis abwenden zu können. Nicht ein einziger toter Damon war zu sehen. Selbst Wesen von ihrer Kraft und Schnelligkeit musste es einen ungeheuren Blutzoll gekostet haben, Ai'Lith zu erstürmen, doch anscheinend hatten sie ihre eigenen Toten fortgeschafft, während sie die übrigen Leichen einfach hatten liegen lassen.

Der Gedanke schürte Mazirocs Schrecken noch weiter, aber auch seinen Hass auf die in jeder Hinsicht unmenschlichen fremden Invasoren, die geradewegs aus dem Nirgendwo gekommen waren und diese Welt überfallen hatten. Arcana war nie ein Reich des Friedens gewesen. Im Gegenteil, es hatte kaum jemals eine Epoche gegeben, in der nicht irgendein Land gegen ein anderes Krieg geführt hatte, auch wenn dies meist nur kleinere regionale Konflikte waren.

Mit dem Auftauchen der Damonen jedoch hatte der Begriff Krieg eine völlig neue Bedeutung gewonnen. Ihnen schien es nicht um Macht, um Reichtum, um ihren Glauben oder sonst irgendeinen der anderen dummen Gründe zu gehen, aus denen sonst zumeist Kriege begonnen wurden. Sie führten einen reinen Vernichtungsfeldzug, der nichts Geringeres als die Ausrottung aller Menschen und sonstigen Bewohner Arcanas zum Ziel zu haben schien.

Noch einmal blickte Maziroc sich aufmerksam um. Obwohl das diffuse Dämmerlicht das Schreckensbild mildtätig mit seinen Schatten zu bedecken versuchte, war das wahre Ausmaß der Verwüstungen erst aus der Nähe richtig zu erkennen. Überall in den rußgeschwärzten Mauern klafften Risse und Sprünge, und keines der Gebäude war vom Feuer verschont worden, auch wenn bei einigen die Schäden von außen nicht sofort sichtbar waren. Die Zerstörungen reichten tiefer, bis zum Fundament, und sie waren weitaus größer, als zunächst angenommen. Ai'Lith hatte nicht einfach nur Narben davongetragen. Die Festung war bis tief in ihre Eingeweide hinein verletzt worden, und es war fraglich, ob sie jemals würde restauriert oder neu aufgebaut werden können.

"Diese Bestien!", stieß Pollus hasserfüllt hervor. "Dafür werden sie büßen. Ich werde jeden Einzelnen von ihnen umbringen, den ich sehe, das schwöre ich."

"Abgesehen davon, dass du dann wahrscheinlich ziemlich viel zu tun haben wirst, werden die Toten davon auch nicht wieder lebendig", entgegnete Maziroc, obwohl er von dem gleichen Hass und Rachedurst erfüllt war. Aber er wusste auch, dass er sich von diesen Gefühlen nicht übermannen lassen durfte. Der Drang nach Rache, so begründet er auch sein mochte, war stets ein schlechter Ratgeber. "Komm", sagte der Magier, nachdem er sich noch ein letztes Mal umgeblickt hatte. "Wir müssen weiter."

"Weiter?", echote Pollus. "Aber sollten wir denn nicht zumindest die Gebäude durchsuchen? Vielleicht halten sich irgendwo noch Überlebende versteckt."

"Dann wären sie längst hervorgekommen." Maziroc schüttelte den Kopf. "Sieh dich doch um. Hier lebt mit Sicherheit niemand mehr."

"Und die Toten? Wir können sie doch nicht einfach so hier liegen lassen."

"Aber wir können sie auch nicht begraben, so gerne ich es auch tun würde, obwohl es eine grausige Arbeit ist. Doch es würde Stunden, vielleicht Tage dauern, und so viel Zeit haben wir einfach nicht. Außerdem können wir nicht ausschließen, dass sich noch irgendwo in der Nähe Damonen herumtreiben." Er seufzte. "Sie können unmöglich alle Elben getötet haben. Ich bin davon überzeugt, dass viele von ihnen noch leben und geflohen sind, als die Festung sich nicht länger halten ließ. Vermutlich werden sie sich nach Maramon oder direkt nach Cavillon zurückziehen. Wir müssen sie finden und sehen, ob wir ihnen helfen können. Das ist jetzt wichtiger als alles andere."

Widerstrebend nickte Pollus. "Du hast recht", murmelte er. Ohne noch einen Blick zu der zerstörten Festung zurückzuwerfen, folgte er Maziroc zu dem Drachen.

Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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