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Kenran'Del

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Wie Kenran'Del gesagt hatte, waren am Ende des kleinen Dickichts zwei Pferde an einem Baum angebunden, doch darauf achtete Miranya kaum. Sie war sich auch kaum bewusst, dass sie auf eines der Pferde stieg, und dass ihr Retter ihr zum Schutz vor der Kälte eine Decke aus einer der Satteltaschen um die Schultern hängte, war fast wie in Trance. Immer wieder warf sie unsichere Blicke zu ihrem Begleiter. Auch jetzt konnte sie sich noch kaum vorstellen, dass es sich bei ihm um den legendären Kenran'Del handelte, den sie bislang fast nur aus Mazirocs Erzählungen kannte. Noch weniger als der Mann, der sich an der Mühle als er ausgegeben hatte, entsprach er dem Bild, das sie sich von ihm gemacht hatte. Er sah ganz und gar nicht wie ein Held aus, nicht einmal wie ein Krieger, sondern wie ein ganz durchschnittlicher Mensch, der irgendwo einem langweiligen Beruf nachging. Am ehesten hätte sie in ihm einen Handwerker vermutet, vielleicht noch einen Künstler.

"Was ist mit Maziroc und diesem anderen Mann?", fragte sie, als sie aufgesessen hatte. "Sollen wir nicht auf die beiden warten?"

"Ich denke, um die brauchen wir uns keine Sorgen zu machen", entgegnete Kenran'Del. "Wir haben untereinander abgesprochen, dass jeder sich auf eigene Faust durchschlagen soll. Wahrscheinlich werden sie sogar noch vor uns zurück in Therion sein."

Er wollte sich ebenfalls in den Sattel schwingen, doch als er sich mit der linken Hand am Sattelknauf hinauf zu ziehen versuchte, verzog er das Gesicht zu einer Grimasse, stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus und glitt zurück, sodass er fast gestürzt wäre. Ein paar Sekunden lang presste er seine rechte Hand auf die immer noch blutende Wunde, die offenbar doch schlimmer zu sein schien, als er Miranya glauben machen wollte. Gleich darauf rang er sich ein knappes Lächeln ab und schwang sich auf das Pferd, diesmal ohne den linken Arm dabei allzu stark zu belasten.

Sie ritten ein Stück querfeldein, bis sie auf einen Weg und kurz darauf eine Straße gelangten, die direkt nach Therion führte. Wie Miranya schon vermutet hatte, als sie zu der Mühle gebracht worden war, befand sie sich gar nicht so weit außerhalb der Stadt. Entsprechend dauerte es nicht einmal eine Viertelstunde, bis sie Therion wieder erreichten. Kenran'Del brachte sie zu dem Gasthaus, in dem Miranya schon vor ihrer Entführung abgestiegen war, weshalb es einige schlechte Erinnerungen in ihr weckte, die sie jedoch rasch wieder verdrängte. Wie er gesagt hatte, erwartete Maziroc sie dort bereits. Auch Barkon und die anderen Zwerge, die sie auf dem Weg hierher begleitet hatten, waren in der Wirtsstube versammelt und sichtlich froh, sie unversehrt wiederzusehen. Den Fremden, der sich an der Mühle zunächst als Kenran'Del ausgegeben hatte, entdeckte sie nicht, aber sein Schwert lag auf dem Tisch, an dem Maziroc und die Zwerge saßen.

Vor Freude und Erleichterung umarmte Miranya den Magier und gab ihm einen Kuss auf die Wange.

"So eine Begrüßung lasse ich mir gefallen", kommentierte Maziroc schmunzelnd. "Vielleicht sollte ich aus dem Orden der Ishar austreten und mich in Zukunft ganz der Rettung junger, hübscher Frauen aus den Händen irgendwelcher Finsterlinge widmen."

"Stell dir das nicht so einfach vor", wandte Kenran'Del ein. "Ich habe den gefährlichsten Teil erledigt, aber mich hat sie nicht umarmt, geschweige denn geküsst. Genau genommen hat sie sich bislang nicht einmal bei mir bedankt, wenn ich mich richtig erinnere."

"Alles zu seiner Zeit. Bei Euch werde ich mich jetzt erst einmal um Eure Verletzung kümmern", sagte Miranya streng und deutete auf einen Hocker. "Setzt Euch bitte und zieht Euren Mantel aus."

"Kein Grund, gleich so formell zu werden", entgegnete er lächelnd. "Vorhin hast du mich auch mit du angesprochen."

"Das war, bevor ich wusste, wer Ihr seid."

"Und nur, weil du jetzt meinen Namen kennst, hat sich so viel geändert? Ich mache dir einen Vorschlag. Ich werde der folgsamste Patient sein, den du je hattest, wenn du dafür aufhörst, mich so förmlich anzureden. An solchen Formalitäten hat mir noch nie etwas gelegen, und da wir einen Großteil der nächsten Zeit wohl zusammen verbringen werden, habe ich wenig Lust, jedes Mal zu überlegen, wen ich wie ansprechen muss."

"Ihr seid geheimnisvoller und von mehr Legenden umgeben als jeder andere Mensch, dem ich je begegnet bin", erklärte Miranya. "Außerdem seid Ihr zumindest Maziroc zufolge ein großer Held. Schon allein deshalb gebührt Euch mein Respekt. Aber Ihr könnt etwas von dieser Distanz abbauen, wenn Ihr mir sagt, wer oder was Ihr seid."

"Einfach nur dein Patient, wenn du meinem Vorschlag zustimmst." Er breitete in einer ergebenen Geste die Arme aus und blickte sie fragend an.

Miranya musste lachen. Das Zusammentreffen mit einer jahrtausendealten Legende hatte sie sich ganz anders vorgestellt, und weniger denn je entsprach auch Kenran'Del selbst dem Bild, das sie sich nach Mazirocs Beschreibung von ihm gemacht hatte. Er sah nicht nur so aus, sondern er verhielt sich auch wie ein ganz normaler Mensch, und mit seiner Natürlichkeit nahm er auch ihr einen Teil ihrer Scheu vor ihm. Vermutlich war genau das seine Absicht, und wenn, dann hatte er Erfolg damit.

Am unangenehmsten an ihm berührte sie jedoch seine völlige mentale Stille. Miranya erinnerte sich mittlerweile daran, dass Maziroc diese bei der Schilderung seiner ersten Begegnung mit Kenran'Del erwähnt hatte, doch war ihr dies nicht sonderlich bewusst im Gedächtnis geblieben, weshalb sie bei ihrem ersten Zusammentreffen mit ihm zuvor nicht einmal mehr daran gedacht hatte. Seit sie ihn kannte, versuchte sie schon, wenigstens einige wenige Impulse aufzufangen, doch es gelang ihr nicht. Auf dieser mentalen Ebene schien er gar nicht zu existieren, und das war eine äußerst fremdartige Erfahrung für sie.

"Nein", antwortete sie mit Verspätung auf seine Frage und wurde damit schlagartig wieder ernst. "Wenn ich zu einer vertraulichen Anrede übergehe, dann ist das auch ein Zeichen von Freundschaft und Vertrautheit, und die lasse ich mir nicht vorschreiben. Auch wenn Ihr mir das Leben gerettet habt, so sind wir uns doch noch fremd. Dazu kommen Euer Name und Euer Ruf. Man mag es für unsinnig halten, aber im Moment bilden sie noch eine Mauer zwischen uns. Vielleicht ändert sich das, wenn wir uns besser kennenlernen, aber gegenwärtig ziehe ich eine distanzierte, ehrenvolle Anrede für Euch vor. Ich hoffe, Ihr könnt das akzeptieren."

"Ihr lasst mir ja keine andere Wahl", antwortete er, nun ebenfalls die förmlichere Anrede wählend, wie sie erleichtert feststellte. "Allerdings werde ich mich wohl bemühen müssen, dass wir uns möglichst schnell besser kennenlernen, damit wir auf diesen Unsinn verzichten können."

"Dagegen ist nichts einzuwenden." Miranya nickte zufrieden. "So, und nachdem das geklärt ist, lasst mich jetzt endlich Eure Wunde sehen", verlangte sie. "Sonst brauchen wir uns nämlich möglicherweise gar keine Gedanken mehr darüber zu machen, wie wir uns in Zukunft ansprechen werden. Während ich Euch verarzte, könnt Ihr mir ja einige der unzähligen Fragen beantworten, die mir auf der Zunge liegen."

"Ich würde tun, was sie sagt", warf Maziroc ein, der das Gespräch mit sichtlicher Erheiterung verfolgt hatte. "Sie hat ihren eigenen Kopf, und zwar einen ausgesprochenen Dickkopf, den sie immer durchzusetzen versucht."

Miranya warf ihm einen strafenden Blick zu. Sie fand die Bemerkung gar nicht lustig.

"Vor allem hat sie einen recht hübschen Kopf", erwiderte Kenran'Del. Bereitwillig zog er seinen Mantel aus. Der Ärmel des Hemdes war mit Blut getränkt und klebte an seiner Haut. Die Schwertklinge hatte ihm einen Schnitt zugefügt, der zwar schlimmer aussah, als er tatsächlich war, doch hatte er viel Blut verloren. Wenn sie die Verletzung nicht sofort versorgte, bestand außerdem die große Gefahr, dass diese sich entzündete und zu einem möglicherweise tödlichen Wundbrand führte. Er mochte eine lebende Legende sein, doch auf jeden Fall war er ebenso verletzbar wie jeder andere Mensch auch.

"Das muss unbedingt fachkundig verarztet werden", stellte Miranya fest. "Aber ich würde mich nur ungern hier in der Schankstube darum kümmern." Sie winkte den Wirt herbei, der gerade Wein an einen anderen Tisch brachte. "Erinnert Ihr Euch noch an mich?", fragte sie. "Ich bin vor einigen Tagen hier abgestiegen."

"Oh ja", antwortete er. "Ihr seid die junge Vingala, die kurz nach ihrer Ankunft so überraschend verschwunden ist." Er deutete auf die Zwerge. "Eure Begleiter haben sich ziemliche Sorgen um Euch gemacht."

"Jetzt bin ich ja zurück." Miranya hatte wenig Lust, ihm genauere Erklärungen für ihre Abwesenheit zu liefern. "Ist mein Zimmer noch frei?"

"Wir haben es die ganze Zeit für Euch freigehalten und auch Eure Sachen dort gelassen. Eure Begleiter haben es während der letzten Tage bezahlt."

Ein wenig überrascht über diese Geste der ansonsten so auf Distanz bedachten Zwerge nickte Miranya dankbar in Barkons Richtung. Vermutlich hatten die Zwerge ein schlechtes Gewissen, dass sie nicht besser auf sie aufgepasst hatten, und deshalb hatten sie weiter für das Zimmer bezahlt.

Sie wandte sich wieder dem Wirt zu. "Bringt mir bitte etwas heißes Wasser und einige saubere Tücher auf das Zimmer", bat sie, dann blickte sie Kenran'Del an. "Und Ihr kommt direkt mit", sagte sie barscher, als eigentlich angebracht gewesen wäre.

Ein wenig ärgerte es sie, dass er mit seinem Beharren auf der freundschaftlichen Anrede versucht hatte, sie zu etwas zu zwingen, was sie nicht wollte und für unangemessen hielt. Obwohl er sich bemühte, ihr durch seine lockere Art die Scheu vor ihm zu nehmen, kam ihrer Meinung nach darin eine gewisse Überheblichkeit und Arroganz zum Ausdruck, auch wenn er sich dessen vermutlich nicht bewusst war und das Gegenteil beabsichtigte. In gewisser Weise hatte er sie bloßgestellt und sie dazu gebracht, durch ihre Ablehnung seines aufgedrängten Angebots sogar eine noch weitaus größere Distanz zwischen ihnen zu schaffen, als es der Fall gewesen wäre, wenn er ihre Anrede auf Anhieb akzeptiert hätte.

Wenigstens aber verzichtete er darauf, die in ihren Augen ohnehin schon peinliche Situation durch weitere Kommentare, Sticheleien oder Wortgefechte für sie noch unangenehmer zu machen, sondern folgte ihr schweigend die Treppe zu den Gästezimmern hinauf. Zuvor nahm er allerdings das Schwert vom Tisch und trug es nun bei sich.

"Traut Ihr mir nicht oder wagt Ihr Euch grundsätzlich nicht unbewaffnet mit einer Frau allein auf ein Zimmer?", fragte sie spöttisch, als sie die Tür öffnete und eintrat. Bis auf ein Bett war der kleine Raum völlig kahl.

"Man trifft ziemlich wenige Freunde wieder, wenn man tausend Jahre lang geschlafen hat", antwortete er. "Und in einer Welt, in der man praktisch niemanden kennt, sollte man vielleicht besser nicht allzu vertrauensselig sein."

Miranya zögerte einen Moment. Sie war sich nicht sicher, bis zu welchem Grad seine Worte scherzhaft gemeint waren, und wie viel echte Bitterkeit darin mitschwang.

"Trotzdem habt Ihr Euer Leben riskiert, um eine Wildfremde wie mich zu retten."

"Und mich dabei ziemlich ungeschickt angestellt. Es gehört schon eine gehörige Portion Dummheit dazu, wenn man sich trotz einer Tarnkappe verwunden lässt." Er grinste humorlos. "Allerdings habe ich es weniger für Euch als vielmehr für Maziroc getan."

"Das ändert nichts daran, dass ich Euch mein Leben verdanke. Wenn alles nach dem Willen dieser Mistkerle gelaufen wäre, dann wäre ich jetzt bereits tot. Auch wenn ich gerade vielleicht etwas barsch gewesen bin, möchte ich Euch sagen, dass ich Euch dafür überaus dankbar bin." Sie lächelte ihm kurz zu, dann deutete sie auf das Bett. "Und jetzt legt Euch hin, damit Blutverlust und Wundbrand nicht nachholen können, was diese Kerle nicht geschafft haben."

Kenran'Del lehnte das Schwert gegen eine Wand, dann streckte er sich auf dem Bett aus. Erst jetzt wurde Miranya richtig bewusst, dass er braune Augen hatte, während die Augenfarbe eines jeden anderen Magiers und jeder Hexe auf Arcana grün war. Zusammen mit seiner mentalen Stille ein weiterer deutlicher Hinweis darauf, dass er nicht von hier stammte und seine Magie eine völlig fremde war.

"Wer war eigentlich der Mann, der sich für Euch ausgegeben hat?", erkundigte sie sich, während sie aus dem Bündel in einer Ecke des Zimmers, das ihr zusammen mit ihrem ebenfalls dort liegenden Kettenhemd und ihrem Mantel als einziges Gepäck noch geblieben war, einige Utensilien holte, die sie für die Behandlung der Wunde benötigte.

"Ein Handwerker hier aus Therion, ich glaube, ein Zimmermann. Wir haben ihn nur ausgewählt, weil er mir vage ähnlich sieht. Für zwei Goldstücke war er gerne bereit, uns zu helfen."

"Von der Art seines Auftretens her verkörperte er deine Rolle sogar um einiges besser als du selbst", mischte sich Maziroc spöttisch ein, der die Tür unbemerkt geöffnet hatte. In der Hand hielt er einen Krug mit dampfend heißem Wasser, und über dem Arm trug er einige weiße Tücher. "Nach unserer Rückkehr habe ich ihm den versprochenen Lohn gezahlt und mit einer leichten Beeinflussung dafür gesorgt, dass er sich erst gar nicht mehr an seine Hilfe erinnert."

"Scruul steckte hinter allem", erklärte Miranya. Mit einem Messer schnitt sie den Ärmel von Kenran'Dels Hemd an der Schulter ab. Durch das getrocknete Blut klebte der Stoff regelrecht an der Haut, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als ihn mit einem Ruck abzureißen. Zischend sog Kenran'Del die Luft ein, beschwerte sich jedoch nicht. "Ich habe ihn zufällig überrascht, als er mit einem Helfer sprach. Sie hatten ohnehin vor, mich für einen Austausch zu entführen, aber nachdem ich herausgefunden hatte, dass er dem Dunklen Bund angehört, konnten sie mich nicht mehr am Leben lassen."

Während sie sprach, befeuchtete sie eines der Tücher mit dem heißen Wasser, dann säuberte sie die Wunde und ihr Umfeld damit. Es dauerte lange und tat mit Sicherheit ziemlich weh, doch Kenran'Del ließ die Prozedur fast ohne einen Muckser über sich ergehen. Auf seiner Stirn allerdings glitzerten Schweißperlen.

"Der Dunkle Bund", wiederholte Maziroc bedrückt und schüttelte den Kopf. "Wie konnte ich mich nur so in Scruul täuschen? Er hat mich über Tage und Wochen hinweg an der Nase herumgeführt, ohne dass ich etwas gemerkt habe."

"Er hat uns alle an der Nase herumgeführt", korrigierte Miranya. Sie überlegte, ob sie ihm von dem Unbehagen erzählen sollte, dass sie stets in Scruuls Nähe verspürt hatte, schwieg dann aber lieber darüber. Es hätte zu sehr danach ausgesehen, als ob sie ihr Gespür nachträglich aufwerten wollte. "Aber sein Plan ist gescheitert, das ist alles, worauf es ankommt."

"Trotzdem", beharrte Maziroc. "Es steht zu viel auf dem Spiel, als dass mir solche Fehler unterlaufen dürften, durch die der gesamte Erfolg dieser Expedition gefährdet wird. Es war ja nicht der Einzige. Ohne das Eingreifen der Zwerge wären wir alle bereits tot."

"Aber du hast die Zitadelle erreicht, und es ist dir gelungen, Kenran'Del aus seinem magischen Schlaf zu erwecken. Das ist alles, was jetzt zählt." Miranya legte das Tuch zur Seite und griff stattdessen nach einem kleinen Fläschchen, das aus ihren Vorräten stammte. Sie entkorkte es und tröpfelte etwas von der klaren Flüssigkeit, die sich darin befand, auf die Wunde. Kenran'Del bäumte sich auf und stieß ein schmerzerfülltes Keuchen aus. Als er sich wieder zurücksinken ließ, war sein Gesicht leichenblass.

"Offenbar hat er mich nur erweckt, damit Ihr mich jetzt langsam zu Tode foltern könnt", presste er mit Galgenhumor hervor. "Könnt Ihr mich zum Dank für Eure Rettung nicht wenigstens schnell umbringen?"

Miranya musste seine Tapferkeit bewundern. Sie wusste, dass das Elixier geradezu höllisch brannte, doch dafür verhinderte es besser als jedes andere ihr bekannte Mittel, dass eine Wunde sich entzündete und vereiterte.

"Das Schlimmste ist nun vorbei", erklärte sie. "Versucht Euch zu entspannen, es wird nicht mehr wehtun." Sie blickte Maziroc an. "Es ist besser, wenn du uns allein lässt. Je weniger Ablenkung ich habe, desto besser kann ich mich konzentrieren."

"Wahrscheinlich will sie nur keine Zeugen für die Folter und den Mord an mir haben", kommentierte Kenran'Del. Sein Atem ging immer noch schnell und stoßweise, doch mit dem Abklingen der Schmerzen beruhigte er sich allmählich wieder. "Wenn ich nur wüsste, warum sie mich so hasst."

"Vielleicht findest du es ja noch heraus, bevor sie dich auf die Reise zu den Göttern schickt", sagte der Magier grinsend, während er das Zimmer wieder verließ.

"Nicht mal auf seinen besten und einzigen Freund kann man sich verlassen", brummte Kenran'Del. "Wenn ich das nächste Mal jemanden rette, lasse ich mir vorher schriftlich geben, dass ich nicht zum Dank gequält und misshandelt werde."

Miranya blickte ihn an und spürte ein merkwürdiges Prickeln, als ihre Blicke sich trafen. Trotz seiner Lachfältchen standen in seinen Augen Weisheit und ein schier ungeheures Wissen geschrieben, aber auch ein Schmerz und eine Traurigkeit, die ihr erst jetzt in ihrer vollen Intensität bewusst wurden und sie auf sonderbare Weise anrührten.

Sie räusperte sich und wich seinem direkten Blick aus. "Warum setzt Ihr Euch dieser Behandlung dann aus?", erkundigte sie sich.

"Was meint Ihr?"

"Ich meine damit, dass Ihr angeblich über Hilfsmittel verfügen sollt, mit denen Ihr wahre Wunder bewirken könnt. Einige davon habe ich ja schon kennengelernt. Ihr besitzt ein Schwert, mit dem Ihr Blitze schleudern könnt, und darüber hinaus könnt Ihr Euch unsichtbar machen. Deshalb gehe ich davon aus, dass es vermutlich auch nur eine Kleinigkeit für Euch wäre, eine solche Wunde zu heilen, und das auf wesentlich weniger schmerzhafte Weise. Warum also nehmt Ihr meine Hilfe in Anspruch?"

Er zögerte, und gleichzeitig schien in seinem Inneren eine Verwandlung vor sich zu gehen. Obwohl er weiterhin ruhig liegen blieb, wirkte er plötzlich angespannt, wie ein zum Sprung bereites Raubtier.

"Mir scheint, Ihr überschätzt meine Fähigkeiten", antwortete er mit deutlich kühlerer Stimme als zuvor. "Ich bin keineswegs allmächtig. Ich weiß nicht, was Maziroc Euch alles über mich erzählt hat, aber offenbar hat er hemmungslos übertrieben."

"So, hat er?" Die Antwort war Miranya zu einfach, und ihr Tonfall machte deutlich, dass sie ihm seine Worte nicht so ohne Weiteres abnahm. "Aber darüber können wir später noch sprechen, vorausgesetzt, Ihr zieht es nicht vor, unangenehme Fragen einfach zu ignorieren."

Für einen kurzen Moment blitzte Verärgerung in seinem Blick auf, verschwand aber gleich darauf wieder.

"Ich weiß nicht, warum Ihr mich offenbar ständig zu provozierend versucht", erwiderte er mit ruhiger, beherrschter Stimme. "Offenheit ist mir lieber als demütige Verehrung, wie sie mir vor allem früher des Öfteren entgegengeschlagen ist. Bei Euch jedoch scheint das genaue Gegenteil der Fall zu sein. Ich glaube nicht, dass ich Euch irgendwelchen Grund für ein solches Misstrauen und eine solche Ablehnung geboten habe."

"Lasst mich Eure Wunde erst fertig versorgen", sagte sie ausweichend und biss sich auf die Lippe. Es bedrückte sie ein wenig, dass er diesen Eindruck von ihr gewonnen hatte. Ihre Worte hatten weder Misstrauen noch Ablehnung ausdrücken sollen. Eher schon waren sie Zeugnis ihrer eigenen Unsicherheit. Inzwischen betrachtete sie Kenran'Del kaum noch als eine Legendengestalt, sondern sah in ihm in erster Linie einfach nur einen Menschen. Durch seine lockere, humorvolle Art hatte er selbst am meisten zu dieser Entwicklung beigetragen, aber wohl auch die Tatsache, dass sie ihm gerade hatte helfen müssen. Ein mythisches Überwesen war er also ganz sicher nicht.

Es war immer noch irritierend, ihn mental nicht spüren zu können, eigentlich der einzige Hinweis darauf, dass er eben doch nicht einfach nur ein normaler Mensch war. Aber auch das war nicht die Ursache für die Unsicherheit, die sie ihm gegenüber empfand. Aus irgendeinem Grund war es ihr unterbewusst ausgesprochen wichtig, seine Achtung und seinen Respekt zu erlangen. Vielleicht bemühte sie sich gerade deshalb zu demonstrieren, dass er sie nicht so ohne Weiteres einwickeln konnte. Allerdings stellte sie sich dabei offenbar reichlich ungeschickt an und hatte ihn lediglich verärgert.

Mit aller Macht versuchte sie, diese Gedanken für den Moment erst einmal zu verdrängen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die Verletzung, tastete mit ihrem Geist nach dem wunden Fleisch und wirkte mit ihrer magischen Heilkraft darauf ein. Auf diese Art regte sie es zu einem um ein Vielfaches beschleunigten Heilprozess an, als dieser normalerweise ablaufen würde. Die Reizung und Entzündung ging zurück, Schorf bildete sich rasch, der in Windeseile neuem Fleisch wich.

Aber auch Miranyas Möglichkeiten waren Grenzen gesetzt, schließlich konnte sie nicht die Zeit schneller ablaufen lassen, sondern lediglich die Heilung beschleunigen. Aber als sie ihre geistigen Finger mit einem erschöpften Seufzer zurückzog, befand sich die Wunde bereits in einem fortgesetzten Stadium der Heilung. Sie hatte sich geschlossen, und selbst bei einer starken Belastung bestand kaum mehr Gefahr, dass sie noch einmal aufbrechen würde. Zur Sicherheit, und um auch weiterhin eine gute Heilung zu gewährleisten, strich sie eine Salbe auf, bedeckte sie mit einigen Heilkräutern und wickelte anschließend einen Verband um den Arm.

"So, das war es", verkündete sie abschließend. Kenran'Del wollte sich aufrichten, doch sie drückte ihn mit sanfter Gewalt auf das Bett zurück. "Es ist besser, wenn Ihr noch liegen bleibt und Euch etwas ausruht. Ihr seid geschwächt und habt viel Blut verloren."

"Ich habe nichts dagegen, wenn Ihr mir dabei Gesellschaft leistet", erklärte er. "Gerade bei dem Blutverlust dürfte ein Schluck Wein genau richtig sein, stimmt es nicht?"

"Nun, solange Ihr ihn nicht im Übermaß trinkt, dürfte etwas Wein wohl nicht schaden", bestätigte Miranya. "Soll ich Euch einen Becher holen?"

"Nein", antwortete Kenran'Del. Anscheinend zeigte sie vor Verwunderung einen nicht gerade intelligenten Gesichtsausdruck, denn er musste grinsen. "Bringt einen ganzen Krug und zwei Becher", sagte er. "Während wir ihn gemeinsam leeren, werde ich Euch dann Eure Fragen beantworten. Was haltet Ihr davon?"

Miranya brauchte nicht lange zu überlegen.

"Das klingt nach einer Einladung, die man eigentlich nicht ablehnen kann", entschied sie und stand auf. "Ich hole den Wein."

Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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