Читать книгу Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 26

Krieg und Frieden

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Ohne eine weitere Rast ritten sie bis spät in den Nachmittag hinein, ohne dass Miranya noch ein einziges Wort mit Maziroc wechselte. Mehrfach spürte sie den Blick des Magiers auf sich ruhen. Sie bedauerte den Streit zwischen ihnen selbst bereits und hätte sich gerne wieder mit ihm unterhalten, doch nachdem er sie so verletzt hatte, war sie zu stolz, von sich aus wieder auf ihn zu zu gehen.

Auch Scruul merkte offenbar, dass etwas zwischen ihnen nicht stimmte. Er dirigierte sein Pferd an ihre Seite und blickte sie fragend an.

"Was ist denn mit dir und Maziroc los?", erkundigte er sich.

"Ach, nichts weiter", antwortete Miranya und machte eine gleichgültige Handbewegung. "Wir hatten nur eine kleine Auseinandersetzung."

"Ich will nicht neugierig sein, aber um was ging es denn, wenn ich fragen darf? Falls es etwas war, was mit dieser Expedition zu tun hat, betrifft es immerhin uns alle."

Miranya blickte ihn an. Sie war sicher, dass es ihm gar nicht darum ging, ob ihr Streit etwas mit ihnen allen zu tun hatte. Er versuchte nur, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Schon seit ihrem Aufbruch aus Cavillon war unverkennbar, dass Scruul Interesse an ihr hatte. Er sah recht gut aus, konnte ausgesprochen charmant sein und machte einen sympathischen Eindruck. Dennoch erwiderte Miranya sein Interesse nicht. Scruul hatte etwas an sich, das ihr fast Unbehagen bereitete. Es gab keinen einzigen objektiven Beleg dafür, aber manchmal meinte sie mit ihrer weiblichen Intuition zu spüren, dass seine Freundlichkeit nur eine Maske wäre, unter der etwas Dunkles brodelte, das sie abstieß. Vielleicht war es einfach nur ein tief sitzender Schmerz, den irgendjemand ihm einst zugefügt hatte, die Narben einer seelischen Wunde. Sie wusste es nicht, und da Scruuls direkte Nähe ihr immer noch vages Unbehagen einflößt, hatte sie auch kein sonderliches Interesse daran, dieses Geheimnis zu ergründen. Es war ihr am liebsten, wenn er sich einfach nur von ihr fernhielt.

"Du darfst ruhig fragen. Allerdings betraf unser Streit nicht direkt diese Expedition. Genau genommen ging es um lästige Neugier", antwortete sie wahrheitsgemäß, sich der sarkastischen Spitze allerdings durchaus bewusst, die ihre Worte enthielten.

Auch Scruul spürte sie, denn er zuckte leicht zusammen und machte ein betroffenes Gesicht.

"Oh", murmelte er unsicher. "Tut mir leid, ich wollte nicht aufdringlich sein." Er blickte nach vorne, ritt aber weiterhin direkt neben ihr.

"Damit wollte ich eigentlich ausdrücken, dass ich allein sein möchte", fügte Miranya hinzu. "Warum vollbringst du nicht einfach ein paar gute Taten? Vielleicht findest du ein paar erfrorene Vögel, die du von den Zweigen brechen und nach Süden werfen kannst."

Zornig blickte er sie an. "Schon gut, kein Grund gleich beleidigend zu werden", brummte er und verlangsamte sein Tempo, sodass er etwas zurück fiel.

Na prima, dachte Miranya voller Zynismus. Sie entwickelte anscheinend ein immer beachtlicheres Talent, Leute vor den Kopf zu stoßen, die es gut mit ihr meinten. In Scruuls Fall tat es ihr allerdings nicht einmal leid. Sie hatte nichts direkt gegen ihn, verdankte ihm ebenso wie Maziroc und der Soldat sogar ihr Leben, dennoch wahrte sie lieber Distanz zu ihm.

Mit Einbruch der Dämmerung erreichten sie ein kleines Nadelwäldchen, das einen idealen Ort für ein Nachtlager darstellte, zumal es unter den Zweigen fast schneefrei war. Sie drangen ein gutes Stück weit in den Wald ein. Mit ihren Äxten fällten die Zwerge mehrere Bäume und schufen so künstlich eine Lichtung, auf der sie ihr Lager errichteten. Zwei der gefällten Bäume wurden in handliche Stücke für ein Feuer gehackt, die übrigen so zurechtgezerrt, dass sie eine Barriere rings um die Lichtung bildeten, die zu durchdringen weder Hornmännern noch irgendwelchen Raubtieren unbemerkt gelingen würde.

Obwohl die Zwerge sich redlich mühten, war das Feuer nur schwer in Gang zu bringen, da das Holz zu frisch und feucht war. Nachdem sie einige Minuten lang zugesehen hatte und sich abzeichnete, dass es wohl noch mindestens eine Stunde dauern würde, bis die Scheite richtig zu brennen beginnen würden, öffnete Miranya das Bündel mit ihren persönlichen Besitztümern, das sie in der Satteltasche ihres Pferdes verstaut hatte, und holte ein kleines, sorgsam verschnürtes Leinensäckchen heraus.

"Lasst mich Euch helfen", wandte sie sich an die Zwerge und zog sich mit den Zähnen die Handschuhe von den Fingern. "Aber es ist besser, wenn Ihr erst ein Stück vom Feuer weggeht."

Sie wartete, bis die Zwerge ein paar Schritte zurückgewichen waren, dann warf sie etwas von dem gräulich-schwarzen Pulver, das sich in dem Säcken befand, auf die glimmenden und rauchenden Scheite. Es gab eine grelle Stichflamme. Miranya stand weit genug entfernt, dass diese ihr nichts anhaben konnte, doch nach der Kälte, der sie schon den ganzen Tag ausgesetzt war, meinte sie die Wärme, die ihr entgegenschlug, wie den glühenden Atem eines Drachen im Gesicht zu spüren. Gleich darauf begann ihre Haut zu prickeln, so heftig, als ob jemand sie mit unzähligen Nadeln stechen würde.

Aber sie hatte Erfolg gehabt. Knisternd und prasselnd leckten Flammen über die aufgeschichteten Holzscheite. Beifallheischend blickte Miranya sich um, doch einige der Zwerge nickten ihr lediglich dankbar zu. Offenbar waren Pulver und magische Hilfsmittel dieser Art auch bei ihnen nicht unbekannt. Für einen Moment war sie enttäuscht, doch dann rief sie sich wieder ins Gedächtnis, was man ihr während ihrer Ausbildung über Prahlerei beigebracht hatte. Es wäre eine Charakterschwäche, wenn man der Verlockung nachgäbe, seine Kräfte nur anzuwenden, um andere zu beeindrucken und vor ihnen anzugeben, weil man in diesem Moment lediglich versuchen würde, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Nun, in diesem Fall hatte Miranya eher versucht, das Gefühl der eigenen Unterlegenheit gegenüber den Zwergen zu kompensieren.

Aber auch wenn falsche Motive bei ihrem Tun mit eine Rolle gespielt haben mochten, wichtig war nur, dass das Feuer endlich richtig brannte. Miranya öffnete ihren Mantel und streckte ihre Hände den Flammen entgegen. Wieder begann ihre Haut zu unangenehm zu prickeln, doch sie ertrug es, ohne sich etwas anmerken zu lassen, und nach ein paar Minuten klang es wieder ab.

Bald darauf saßen sie alle in einem Kreis um das Feuer, tranken Wasser, das aus geschmolzenem Schnee bestand, und gelegentlich einige Schlucke von einem starken Schnaps aus Beeren, Obst und Kräutern, den die Zwerge mitgebracht hatten. Außerdem verteilten sie reichlich Brot und getrocknetes Fleisch, was Miranya dankbar entgegennahm, da ihre eigenen Vorräte bereits stark geschrumpft waren.

"Von dem Schnaps hättet Ihr ruhig heute Mittag schon anbieten können", wandte sie sich an Barkon, nachdem sie einen weiteren Schluck getrunken hatte. Feurig lief ihr der Alkohol die Kehle hinunter, schien in ihrem Magen zu explodieren und verbreitete eine angenehme Wärme in ihrem ganzen Körper. "Da habe ich wesentlich mehr gefroren, als hier am Feuer."

"Und der Alkohol hätte dich doppelt so müde gemacht, als du es auch so schon warst, Kind", entgegnete Barkon. Seine Stimme klang herablassend, was Miranya ebenso störte, wie dass er sie als Kind bezeichnete, doch sie spülte ihren Ärger mit einem weiteren Schluck Schnaps hinunter. Maziroc hatte sie bereits vor ihrem Aufbruch am Morgen gewarnt, dass sie sich durch das Verhalten der Zwerge nicht kränken lassen sollte. Sie lebten so abgeschieden, weil sie die Menschen verachteten, teilweise sogar hassten. Lediglich die Magier und Vingala bildeten eine Ausnahme. Wäre sie eine gewöhnliche Frau, würde keiner der Zwerge auch nur ein einziges Wort mit ihr wechseln. Auch als Vingala würde sie sich jedoch damit abfinden müssen, dass man ihr nicht gerade mit überschäumender Freundlichkeit oder gar Freundschaft begegnen würde. Die Hochachtung der Zwerge Maziroc gegenüber war eine rein persönliche Angelegenheit, die sich nur auf ihn allein erstreckte.

Eigentlich hatte Miranya erwartet, dass sie fast sofort einschlafen würde, sobald sie sich erst einmal hinsetzte, doch als sie nun am wärmenden Feuer kauerte, war ihre Müdigkeit, unter der sie den ganzen Tag über gelitten hatte, plötzlich wie weggefegt. Genau genommen hatte es sich wohl ohnehin mehr um Erschöpfung als um Müdigkeit gehandelt. Geschlafen hatte sie während der letzten Tage, die sie in der Höhle gefangen gewesen waren, mehr als genug.

Nach einiger Zeit, als die Stimmung durch den Alkohol bereits gelockert worden war, begann Maziroc wieder von der Zeit des ersten großen Krieges gegen die Damonen zu erzählen. Gebannt lauschte Miranya seinem Bericht, wie er mit Maziroc und Eibon in die Falle getappt war, die das einsame Gehöft darstellte, wie sie mit knapper Not gerade noch hatten entkommen können, bevor sie vollends zuschnappte, und natürlich wie er Kenran'Del kennengelernt hatte. Es war das erste Mal, dass er Näheres über den geheimnisvollen Mann erzählte, dessentwegen sie diese Reise überhaupt auf sich genommen hatten, weshalb sie ganz besonders interessiert zuhörte.

Allerdings war sie nicht die Einzige, der es so erging. Auch die Zwerge waren von seiner Erzählung offensichtlich gebannt, und Miranya war überzeugt, dass er nicht ohne Hinterabsichten gerade diese Episode ausgewählt hatte. Schließlich hatte er ihr erst am Mittag anvertraut, dass er versuchen würde, noch einmal mit Barkon zu reden, damit dieser ihn auf seine schnellere Art über den Luyan Dhor oder sogar bis zu der Zitadelle im Ödland von Sharolan brachte. Dafür jedoch war es nötig, den Zwergen zunächst noch einmal deutlich vor Augen zu führen, über welche Mittel Kenran'Del verfügte und was für ein wertvoller Verbündeter er deshalb sein würde.

Daran verschwendete Miranya jedoch nur wenige Gedanken. Viel zu sehr faszinierte sie das, was sie hörte. Eigentlich konnte Maziroc über diesen Kenran'Del nur wenig berichten, weil er selbst nur wenig über ihn wusste, aber bereits das Wenige, das sie gehört hatte, weckte in ihr den brennenden Wunsch, diese mysteriöse Person kennenzulernen. Sie hatte schon immer ein Faible für Geheimnisse gehabt, und wenn dieser Mann nicht geheimnisvoll war, dann gab es so etwas wie Romantik erst gar nicht mehr.

"Und anschließend bin ich dann zu euch nach Ravenhorst aufgebrochen", schloss Maziroc seine Erzählung. "Was dann geschah, dürftet ihr wissen, und auch, wohin alles geführt hat und welche katastrophalen Folgen sich daraus ergeben haben."

Die Gesichter einiger Zwerge verdunkelten sich bei diesen Worten, allen voran das von Barkon. Finster starrte er den Magier an. Ungerührt erwiderte Maziroc seinen Blick.

"Eine hübsche Geschichte", sagte der Zwerg schließlich. "Aber mehr auch nicht."

"Sogar wesentlich mehr", widersprach der Magier. "Jedes Wort davon ist wahr. Alles hat sich ganz genau so abgespielt, wie ich es erzählt habe. Kenran'Del ist nicht nur ein Mythos. Sogar eine Eurer eigenen damaligen Königinnen ist ihm begegnet. Er hat gelebt, und seit der damaligen Zeit liegt er in seiner Zitadelle im Ödland von Sharolan in magischem Schlaf. Alles ist wahr. Dafür verbürge ich mich, schließlich habe ich die damaligen Geschehnisse selbst miterlebt. Ihr werdet doch mein Wort nicht infrage stellen wollen, oder?"

Damit hatte er Barkon in eine Zwickmühle gebracht. Die auch weiterhin anhaltende Skepsis des Zwerges war unverkennbar, doch konnte er sie nicht mehr laut äußern, ohne Maziroc damit der offenen Lüge zu bezichtigen. Dies wäre nicht nur eine Beleidigung, sondern ein direkter Angriff auf seine Ehre. Akzeptierte er jedoch als Tatsache, was er gerade über Kenran'Del gehört hatte, würde es ihm fast unmöglich sein, Mazirocs Bitte nach einer ganz speziellen Hilfe abzulehnen und dies einleuchtend zu begründen. Anscheinend ahnte Barkon bereits, dass ihn eine entsprechende Bitte bald erwartete, sonst gäbe es keinen Grund für ihn, sich auf dieses Wortgefecht überhaupt einzulassen

"Dergleichen würde ich mir nie erlauben", antwortete er diplomatisch, nachdem er ein paar Sekunden überlegt hatte. "Aber das alles liegt sehr lange zurück, fast genau eintausend Jahre. Wir wissen, dass Ihr schon damals gelebt habt, Maziroc, und es heißt, dass die damaligen Ereignisse eng mit dem Grund für Eure Langlebigkeit oder gar Unsterblichkeit verbunden sind."

Er machte eine Pause und blickte den Magier wieder aufmerksam an, doch wenn er auf eine Bestätigung, einen Widerspruch oder gar eine ausgiebigere Erklärung gehofft hatte, so wurde er enttäuscht. Maziroc schien die unausgesprochene Frage nicht einmal bemerkt zu haben, denn er reagierte in keiner Form, zuckte nicht einmal mit den Schultern.

"Wie gesagt, Ihr habt damals schon gelebt, aber für den Rest der Welt liegt das alles in ferner Vergangenheit", sprach Barkon schließlich leicht verärgert weiter. "Vielen erscheint der große Krieg selbst schon nur noch wie eine Art Mythos, ebenso wie alle daran Beteiligten. Die Jahrhunderte haben die Grenzen zwischen Wahrheit, Dichtung und Mythos verwischt."

"Ich verstehe nicht, was Ihr mir zu sagen versucht", unterbrach Maziroc ihn. "Worauf wollt ihr hinaus? Bitte kommt zur Sache."

"Ich spreche davon, dass viel Zeit seit damals vergangen ist", erklärte der Zwerg mit erhobener Stimme. "Vieles ist passiert, auch für Euch. Ja, vielleicht sogar gerade für Euch, denn Ihr habt es ja selbst miterlebt. Reiche entstanden und gingen wieder zugrunde, Dynastien wurden gegründet und starben aus, ganze Völker gingen unter. Ihr habt vermutlich mehr Menschen als jeder andere getroffen. Euer Gedächtnis muss einen schier unglaublichen Schatz an Wissen enthalten. So viele Namen, so viele Gesichter, so viele Ereignisse. Und doch behauptet Ihr, Euch noch haargenau an die Begegnung mit diesem Kenran'Del zu erinnern und an beinahe jedes Wort, das Ihr aus zweiter Hand von Charalon über ihn erfahren habt." Er hob abwehrend die Hand. "Versteht mich nicht falsch, Maziroc, ich will keinesfalls behaupten, dass Ihr lügt. Aber könnte es nicht sein, dass sich Eure Erinnerungen im Laufe all der Jahrhunderte verändert haben, vielleicht ohne dass Ihr selbst es bemerkt habt? Vielleicht haben sich auch in Eurem Geist Wahrheit und Mythos untrennbar vermischt, was Ihr wirklich erlebt habt, und was Ihr Euch wünscht, erlebt zu haben. Wäre es nicht zumindest vorstellbar, dass dieser Kenran'Del einfach nur ein normaler Mensch war, vielleicht sogar magisch begabt, dass er aber erst in Eurer Erinnerung an ihn nach und nach unmerklich immer mehr zu einer fast übermenschlichen Erscheinung wurde?"

Totenstille folgte den Worten des Zwerges. Er hatte sich halbwegs diplomatisch aus der Zwickmühle gerettet und war seinerseits zum Angriff übergegangen, doch balancierte er dabei auf einem schmalen Grat. Er warf Maziroc keine direkte Lüge vor, zweifelte aber dennoch den Wahrheitsgehalt seiner Aussage an. Jemand mit weniger ausgeprägtem diplomatischem Fingerspitzengefühl mochte diesen feinen Unterschied nicht wahrnehmen und sich auch jetzt beleidigt fühlen. Dementsprechend waren alle Blicke voller Spannung auf Maziroc gerichtet.

Mehr als eine Minute saß der Magier völlig regungslos da und starrte vor sich auf den Boden, ohne durch irgendetwas zu erkennen zu geben, dass er überhaupt wahrnahm, was um ihn herum geschah. Als er schließlich doch noch reagierte, geschah dies auf völlig andere Art, als die meisten erwarten mochten. Seine Mundwinkel zogen sich in die Breite, und er begann, über das ganze Gesicht zu grinsen, als er zu Barkon aufblickte.

"Ihr seid wirklich unglaublich", stieß er lachend hervor. "Erst bezweifelt Ihr, dass es Kenran'Del überhaupt jemals gegeben hat, und äußert den Verdacht, ich hätte mir alles nur ausgedacht. Da Ihr mich jedoch nicht der Lüge bezichtigen wollt, nehmt Ihr diesen Vorwurf gleich darauf wieder zurück, nur um im gleichen Atemzug die Möglichkeit anzudeuten, ich wäre nicht mehr ganz richtig im Kopf. Jede dieser Attacken müsste mich kränken, und ich weiß nicht einmal, welche mich schwerer trifft, aber zugleich habt Ihr jedes Eurer Worte so sorgsam formuliert, dass Ihr bei strenger Betrachtung nicht den geringsten Verstoß gegen die Etikette begangen habt. Ein Geschick, das ich wahrlich bewundern muss. Aber auch all Euer rhetorisches Geschick wird nichts daran ändern, dass ich weiß, was ich erlebt habe. Und nicht nur ich. Auch der große Charalon erinnert sich in gleicher Form an alles. Er weiß von meinem Vorhaben, Kenran'Del aus seinem magischen Schlaf zu erwecken, denn ich habe vor meinem Aufbruch aus Cavillon mit ihm darüber gesprochen, und er hat es ausdrücklich gebilligt. Sonst hätte er auch kaum den Ssiraq zu Euren Königen geschickt, um uns aus höchster Not zu retten."

Die Spannung legte sich ein wenig. Maziroc hatte Barkon nicht nur seine Andeutungen und versteckten Unterstellungen verziehen und mit Humor auf seine Bemühungen reagiert. Mit der Erwähnung des ebenfalls hoch geachteten Charalon hatte er in diesem verbalen Duell sogar noch einen Punktsieg für sich verbuchen können. Wäre er kein Magier, dachte Miranya voll stiller Bewunderung für sein Geschick, hätte er sicherlich einen hervorragenden Diplomaten oder Politiker abgegeben.

"Ich wollte ganz sicher nicht Euren Verstand infrage stellen", verteidigte sich Barkon. "Wovon ich sprach ist ein ganz natürlicher Prozess. Wenn ich nur an meine Kindheit zurückdenke, und das ist immerhin erst ein paar Jahrzehnte her, keine Jahrhunderte, so erschien mir damals alles viel größer, als es in Wirklichkeit war, und ich ..."

"Lasst es gut sein, Ihr braucht Euch nicht zu verteidigen. Ich habe auch so verstanden, was Ihr meint", fiel Maziroc ihm mit gutmütigem Spott ins Wort. "Warum wehrt Ihr Euch so energisch gegen die Tatsache, dass es Kenran'Del nicht nur gegeben hat, sondern dass er im großen Krieg gegen die Damonen ein unschätzbar wichtiger Helfer für uns war, wie sich später noch herausstellen sollte? Wovon ich berichtet habe, das war nur meine erste Begegnung mit ihm. Später haben wir uns wiedergetroffen und Seite an Seite gekämpft, und ich kann nur sagen, dass wir den Krieg ohne seine Hilfe vermutlich verloren hätten."

"Das glaube ich nicht", stieß Barkon hervor. "Da dies nur eine persönliche Wertung von Euch ist, kann ich ihr wohl widersprechen. Zehntausende von Menschen und Angehörigen anderer Völker haben damals Seite an Seite gekämpft. Dieser Kenran'Del jedoch war nur ein einzelner Mann. Er mag wichtige Heldentaten vollbracht haben, aber ein Mann allein hat diesen Krieg nicht entschieden. Das waren die gemeinsamen Anstrengungen aller, die sich damals zusammengeschlossen und gekämpft haben."

Damit begann er bereits ein Rückzugsgefecht, wie Miranya allerdings erst mit Verspätung bewusst wurde. Er hatte nicht nur die Existenz Kenran'Dels anerkannt, sondern auch, dass er bedeutsame Taten geleistet hatte. Jetzt kämpfte der Zwerg nur noch um Nebensächlichkeiten wie darum, wie entscheidend der Anteil Kenran'Dels und wie hoch der der anderen gewesen war, um sein Gesicht nicht zu verlieren.

Maziroc nickte. "So betrachtet - sicher. Alle haben ihren Beitrag geleistet, nur haben sie unterschiedlich großen Erfolg gehabt. Selbst alle Krieger und Soldaten Arcanas zusammen hätten die Damonen nicht schlagen können. Wie soll man einen Feind besiegen, der über schier unerschöpflichen Nachschub an Kämpfern verfügt, die zudem keine Angst und keine Schwäche kennen, sondern ihren Führern sklavisch ergeben sind, weil es sich nur um halb intelligente Ungeheuer handelt? Nein, Barkon, dieser Krieg wurde nicht auf dem Schlachtfeld entschieden, sondern durch die Taten einiger weniger Personen."

"Und Ihr wart eine dieser Personen, nehme ich an."

"Ich habe auch meinen bescheidenen Beitrag geleistet", bestätigte Maziroc. "Ebenso wie Charalon und andere, darunter eben auch maßgeblich Kenran'Del. Selbst wenn Ihr bezweifelt, dass er wirklich von so großer Bedeutung war und vermutlich wieder sein würde, Charalon und ich sind davon überzeugt. Überzeugt genug, dass wir sogar diese äußerst gefährliche Expedition gewagt haben. Bislang waren Charalon und ich wegen unseres Verstandes, unseres Wissens und auch unseres Urteilsvermögens beim Volk der Zwerge hoch angesehen. Warum also versucht Ihr es jetzt in diesem Punkt in Abrede zu stellen?"

Miranya merkte, dass sie unbewusst begonnen hatte, ihre Hände zu kneten. Genau wie die Zwerge und auch ihre Begleiter war sie in eine Statistenrolle gedrängt worden. Was hier geschah, war für sie alle von größter Bedeutung, aber es betraf nur Maziroc und Barkon. Gerade das machte sie nervös, denn ihr war klar, wie viel bei diesem scheinbar nur freundschaftlichen Streit auf dem Spiel stand. Nicht nur Barkon hatte mit seinen geschliffenen Formulierungen einen riskanten Weg beschritten. Auch Maziroc spielte ein gefährliches Spiel. Wenn er Barkon durch irgendeine Kleinigkeit vor den Kopf stieß oder dieser nur das Gefühl gewann, dass der Magier es ihm gegenüber an Achtung und Respekt mangeln ließe, dann würde er nicht nur Mazirocs Bitte entschieden ablehnen. Möglicherweise bestand dann auch die Gefahr, dass die Zwerge sie gar nicht erst bis nach Therion geleiten, sondern unverzüglich in ihre Heimat zurückkehren würden.

Miranya wusste zu wenig über das kleine Volk, um dieses Risiko realistisch einschätzen zu können. Sie musste darauf vertrauen, dass Maziroc, der die Zwerge weitaus besser kannte, wusste was er tat. Sie warf einen raschen Blick zu Scruul hinüber, der ein Stück von ihr entfernt saß. Auch sein Gesicht zeigte einen besorgten Ausdruck.

"Vielleicht versuche ich durch meine Skepsis nur, Euch vor falschen oder übertriebenen Erwartungen zu bewahren", antwortete Barkon zögernd. "Setzt nicht alle Eure Hoffnungen nur auf diesen geheimnisvollen Fremden. Die Chance, dass Ihr diese Zitadelle in Sharolan noch in diesem Jahr erreicht, ist ohnehin äußerst gering. Wenn hier, so weit im Westen, bereits Schnee gefallen ist, dann dürften auch die Pässe über den Luyan Dhor schon zugeschneit sein. Zumindest werden sie es sein, bis wir Therion erreichen. Alles deutet darauf hin, dass die Völker Arcanas diesen kommenden Krieg ohne irgendwelche geheimnisvolle Hilfe werden führen müssen."

"Dann wird Arcana untergehen", erklärte Maziroc. Seine Stimme machte deutlich, dass er keine Befürchtung äußerte, sondern nur eine nüchterne Tatsache feststellte, so schrecklich sie auch sein mochte. "Damals hatten wir das mächtige Volk der Elben auf unserer Seite, das heute kaum noch existiert. Auch die Zwerge haben damals auf unserer Seite gekämpft, und Ihr wisst selbst am besten, wie es um die schwindende Macht Eures Volkes heute bestellt ist." Zur Bestätigung schüttelte der Magier entschieden den Kopf. "Nein, unsere Situation ist heute viel, viel schlechter als vor tausend Jahren. Unser einziger Vorteil ist, dass wir diesmal früher von der Bedrohung erfahren und entsprechende Gegenmaßnahmen eingeleitet haben, aber das gleicht unsere ungleich schwächere Position nicht aus. Wir werden jede Hilfe brauchen, die wir bekommen können, und Kenran'Del stellt eine mächtige Hilfe dar."

"Nun, dann bleibt Euch nur zu hoffen, dass die Pässe über den Luyan Dhor noch frei sind, denn sie bieten den einzigen Zugang ins Ödland von Sharolan", fasste Barkon zusammen. "Wir können nicht mehr tun, als zu versuchen, Euch sicher dorthin zu geleiten."

"Und an dieser Stelle muss ich nun Euch vorwerfen, nicht die volle Wahrheit zu sagen." Maziroc erhob sich. Durch seine massige Körperstatur, die er psychologisch sehr bewusst einsetzt, pflegte er andere ohnehin fast zu erdrücken, und nun nutzt er auch noch den Vorteil, auf die Zwerge herabschauen zu können und ihnen so seine Überlegenheit zu demonstrieren, voll aus. Langsam drehte er sich einmal um die eigene Achse und ließ seinen Blick über ihre Gesichter schweifen, bis er eine Runde vollendet hatte und wieder Barkon direkt ansah.

"Es gibt durchaus noch mehr, was Ihr tun könnt", fuhr er fort. "Ihr habt nur wenige Stunden für den Weg von den Todessümpfen hierher gebraucht, für eine Strecke, für die man normalerweise Wochen benötigen würde. In Eurer Hand liegt es auch, mich in entsprechend kurzer Zeit bis ins Ödland von Sharolan zu bringen, zu Kenran'Dels Sternenzitadelle."

Unter den Zwergen brach aufgeregtes Gemurmel los. Auch Barkon sprang nun auf.

"Ihr wisst ja nicht, was Ihr da sagt!", stieß er hervor. "Diese Möglichkeit, die Ihr angesprochen habt, steht nur uns Zwergen zur Verfügung, keinem der anderen Völker. Es wäre unmöglich, Euch dabei mitzunehmen."

"Warum sprecht Ihr es nicht offen aus? Es geht um den Ritt auf einem Drachen, nicht wahr?", sagte Scruul ruhig. Er hatte nicht einmal laut gesprochen, dennoch übertönte seine Stimme das erregte Getuschel und hatte eine durchschlagende Wirkung. Die Zwerge schienen zu erstarren und verstummten schlagartig. Von einer Sekunde auf die andere breitete sich Totenstille auf der Lichtung aus. Alle Blicke wandte sich Scruul zu, der mit lässig ausgestreckten Beinen auf einem Baumstumpf saß und ein Gesicht machte, als ob er kein Wässerchen trüben konnte.

Auch Miranya starrte ihn überrascht an. Drachen?, dachte sie verwirrt. Hatte sie gerade wirklich richtig gehört und Scruul hatte von einem Drachen gesprochen?

"Das ist ... Woher weißt du davon?", stammelte Barkon, womit er die Vermutung bestätigte, wohl ohne sich darüber auch nur richtig klar zu sein. Er trat einen Schritt auf den Magier zu, und eine Hand senkte sich drohend auf den Griff seines Schwertes. Gleich darauf zog er es aus der Scheide, fuhr herum und deutete mit der Klinge auf Maziroc. "Ihr müsst es ihm verraten haben!", zischte er. "Nur Ihr wusstet, dass wir wieder über Drachen verfügen. Seit mehr als vierhundert Jahren hütet mein Volk dieses Geheimnis nun schon, doch Ihr habt es entgegen Eurem heiligen Schwur verraten. Dafür verdient Ihr den Tod!"

"Nun sieh mal einer an. Der ganzen Aufregung zufolge scheine ich mit meiner Vermutung wohl einen Volltreffer gelandet zu haben", ergriff Scruul wieder das Wort. Auch er stand nun auf, stellte sich neben Maziroc und legte ihm die Hand auf die Schulter. "Allzu schwer war es ja auch nicht zu erraten, wenn man sich ein klein bisschen in der Geschichte des Zwergenvolkes auskennt."

"Was willst du damit sagen?", herrschte Barkon ihn an.

"Zunächst einmal, dass Maziroc überhaupt nichts verraten hat. Also beruhigt Euch erst mal und hört auf, Drohungen von Mord und Totschlag auszustoßen, dann können wir in Ruhe miteinander reden."

"Ich kann bestätigen, dass er nichts verraten hat", mischte sich Miranya ein. "Ich habe ihn mehrfach versucht auszuhorchen, wie Ihr uns so schnell zu Hilfe kommen konntet, aber er hat geschwiegen wie ein Grab."

Zweifel zeigten sich in Barkons Gesicht, und er senkte das Schwert ein bisschen, als er sich wieder Scruul zuwandte. "Woher wusstest du dann von dem Drachen, wenn Maziroc es dir nicht verraten hat?"

"Wie schon gesagt, es war nicht schwer zu erraten, wenn man das nötige Hintergrundwissen besitzt. In alten Schriften habe ich gelesen, dass das Volk der Zwerge einst zahlreiche Drachen gezähmt und gezüchtet hat und auf ihnen geritten ist, ehe die Drachen ausstarben. Und nun seid Ihr so schnell zu uns gekommen, wie es eigentlich nur auf einem Drachen möglich ist, und habt etwas von Wegen erzählt, die nur Euch zur Verfügung stünden. Da brauchte ich nur zwei und zwei zusammenzurechnen."

"Und als Ergebnis hast du offenbar fünf erhalten", blaffte Barkon.

Lächelnd schüttelte Scruul den Kopf. "Gebt Euch keine Mühe", sagte er. "Durch Eure Reaktion habt Ihr Euch selbst verraten. Mich jetzt noch davon zu überzeugen, dass ich mich geirrt hätte, wäre ein vergebliches Unterfangen, wie Ihr wohl einsehen werdet."

Barkon überlegte kurz, dann nickte er, wenn auch nur widerwillig und obwohl es ihm sichtlich schwer fiel. Er schien innerlich so angespannt zu sein, als ob er dicht davor stünde, einfach zu platzen.

"Es hat wohl keinen Zweck, es länger zu leugnen", presste er hervor. Aller Kampfesgeist schien ihn plötzlich verlassen zu haben. Er setzte sich wieder und trank einen großen Schluck von dem Schnaps. "Vor mehr als eineinhalb tausend Jahren starben unseres Wissens die letzten frei lebenden Drachen aus uns unbekannten Gründen aus. Umso mehr Sorge haben wir seither auf die Pflege und weitere Aufzucht der von uns gezähmten Drachen gelegt. Wir haben sie gezüchtet, doch es blieben immer nur wenige, da jeder Drache in seinem Leben höchstens ein bis zwei Nachkommen hat."

"Aber dann habt Ihr Eure Drachen durch die Invasion der Damonen verloren", warf Maziroc ein. "Auch die wenigen Tiere, die den Kampf überlebt haben, starben nur wenige Jahre später aus Kummer über den Tod ihrer Artgenossen, ohne noch einmal Nachwuchs bekommen zu haben. Seither galten die Drachen als ausgerottet."

"So schien es", ergänzte Barkon. Er sprach nur noch leise und starrte mit leerem Blick vor sich hin, als würde er nichts von dem wahrnehmen, was um ihn herum geschah. "Wir haben alles verloren im großen Krieg. Ravenhorst ... Unsere Drachen ... Aber dann - vor gut vierhundert Jahren - entdeckten wir, worauf wir schon nicht mehr zu hoffen gewagt hatten. Tief in den Todessümpfen fanden wir eine Drachenhöhle mit einem Ei darin, dass selbst nach all der langen Zeit noch brutfähig war. Mit all unserem Wissen gelang es uns, das Ei tatsächlich auszubrüten. Ein junger Flugdrache schlüpfte daraus und bildete den Grundstock einer neuen Brut, die allerdings bis heute leider sehr klein geblieben ist. All die Jahre hindurch haben wir dieses Geheimnis gehütet. Maziroc ist einer der ganzen wenigen Menschen, die davon wissen, da wir ihm stets vertraut haben und er mehrfach als Gast bei uns geweilt hat. Auch er hat dieses Geheimnis all die vielen Jahre lang gewahrt." Er blickte Scruul, Miranya und den überlebenden Soldaten der Garde, der bislang noch gar nichts gesagt hatte, der Reihe nach an. "Wir können euch nur bei allem, was uns und Euch heilig ist, anflehen, euer Wissen nun ebenfalls für euch zu behalten."

"Ich verspreche es", sagte Miranya als Erste. Sie konnte immer noch kaum glauben, was sie gerade gehört hatte. Drachen! Seit ihrer Kindheit hatte sie von Drachen gehört, aber sie stets für Ausgeburten der Fantasie gehalten, für Geschöpfe, die es nur in irgendwelchen frei erfundenen Abenteuergeschichten gab, ähnlich wie den schwarzen Mann.

Allerdings war der schwarze Mann nun in Form der Damonen erneut zu einer realen Bedrohung geworden, auch wenn es sich streng genommen bei den Ungeheuern nicht einmal um Männer handelte. Und nun erfuhr sie, dass es Drachen nicht nur einst wirklich gegeben hatte, sondern dass sie auch heute noch - oder wieder - existierten, aufgezogen vom Volk der Zwerge, von dessen wirklicher Existenz sie bis vor einem Tag ebenfalls noch nicht überzeugt gewesen war. Das Kontingent an Wundern, das sie mittlerweile erlebt hatte und das ihr Verstand aufzunehmen und zu verarbeiten in der Lage war, war allmählich erschöpft.

"Aber eines verstehe ich nicht", fügte sie schließlich hinzu. "Warum macht Ihr überhaupt ein Geheimnis daraus? Warum wollt Ihr nicht, dass irgendjemand von der Existenz der Drachen erfährt?"

"Weil wir die Gier der Menschen mittlerweile besser kennengelernt haben, als uns lieb ist", antwortete Barkon. Zorn schwang nun in seiner Stimme mit. "Sie können nur zerstören oder an sich raffen. Wir haben uns schon so tief in die Todessümpfe zurückgezogen, dass sie uns kaum erreichen können, und die wenigen, die es doch schaffen, schicken wir meistens weg, aber wenn sich herumspräche, dass wir wieder über Drachen verfügen, wäre es mit unserer Ruhe mit Sicherheit vorbei. Unser Volk ist inzwischen zu klein, als dass wir einer solchen Invasion noch etwas entgegensetzen könnten."

"Und erst recht nicht den Damonen", lenkte Maziroc das Gespräch wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. "Umso wichtiger ist es, dass ich Kenran'Del erreiche."

"Mir scheint, selbst Ihr wisst nicht, wovon Ihr sprecht", entgegnete Barkon. "Auf einem Drachen zu reiten, ist etwas anderes, als ein Ritt auf einem Pferd oder sonst einem Tier. Außerdem reagieren die meisten Drachen nervös auf die Gegenwart von Menschen, und dann gehorchen sie auch uns kaum noch. Schon deshalb könnten wir Euch auf diesem Weg nirgendwohin bringen."

Maziroc schüttelte den Kopf. "Ich weiß durchaus, wovon ich spreche", behauptete er. "Denn ich bin bereits auf einem Drachen geflogen. Damals, im ersten großen Krieg, und das Tier hat meine Gegenwart und die eines menschlichen Begleiters ohne Schwierigkeiten akzeptiert. Für die Tiere macht es keinen Unterschied, wen sie auf ihrem Rücken tragen, auch wenn Ihr die Einzigen seid, die sie lenken können."

Barkon stützte die Ellbogen auf seine Knie und barg sein Gesicht in die Händen. Miranya versuchte sich vorzustellen, was jetzt in ihm vorgehen mochte, doch es gelang ihr nicht. Mazirocs Bitte musste ihm wie ein Sakrileg erscheinen, das an die heiligsten Werte seines Volkes rührte. Ihr fiel nichts vergleichbar Heiliges ein, was es bei den Vingala gab, und deshalb konnte sie sich auch nicht wirklich in seine Lage versetzen.

Doch, es gab etwas, wurde ihr gleich darauf bewusst. Ähnlich würde es sein, wenn ein Mann die absurde Bitte äußern würde, in den Hexenturm eingelassen zu werden.

"Gebt Euch einen Ruck, Barkon", drängte Maziroc und setzte sich neben ihn. "Ihr wisst, wie viel auf dem Spiel steht. Eure Könige werden es verstehen, wenn Ihr Euch zu meinen Gunsten entscheidet. Schon einmal hat sich Euer Volk erst zu spät zum Handeln entschlossen, und es hätte fast seinen Untergang bedeutet. Ich beschwöre Euch, begeht nicht den gleichen Fehler noch einmal. Bringt mich auf Eurem Drachen nach Sharolan, zur Zitadelle Kenran'Dels."

Lange Zeit herrschte Schweigen. Zumindest kam Miranya die Zeit endlos lange vor. Es war alles gesagt, was es zu sagen gab, alle Argumente waren ausgetauscht. Nun hing alles allein von Barkon ab.

"Also gut", stimmte er schließlich zu. "Aber wir werden nur Euch allein hinbringen, Maziroc. Eure Begleiter werden hierbleiben."

"Einverstanden", bestätigte Maziroc. "Aber auch wenn ich mit dem Drachen in ein paar Stunden in Sharolan sein kann, kann es mehrere Tage dauern, bis es mir gelingt, Kenran'Del aus seinem magischen Schlaf zu erwecken. Solange müsst Ihr für die Sicherheit meiner Begleiter sorgen. Ich bitte Euch, sie nach Therion zu bringen."

"Das werden wir tun."

"Ihr dürftet etwas mehr als zwei Wochen bis dorthin brauchen, sechzehn, vielleicht siebzehn Tage. Wahrscheinlich werde ich dann schon dort warten. Wenn nicht, dann wartet dort einen weiteren Tag, doch wenn ich bis dahin nicht ebenfalls in Therion eingetroffen bin, vergeuden wir nur kostbare Zeit, wenn sie weiter dort blieben. Deshalb möchte ich Euch bitten, sie in diesem Fall nach Ravenhorst zu bringen."

"Ravenhorst?", wiederholte Barkon. Ein finsterer Schatten schien über sein Gesicht zu gleiten, und Zorn verdunkelte seine Augen. "Glaubt Ihr nicht, dass Ihr jetzt etwas viel verlangt? Ihr wisst, dass kein Zwerg diesen Ort freiwillig jemals wieder betreten wird. Warum gerade Ravenhorst?"

"Weil es die nächste größere Stadt in südlicher Richtung ist, wo sie auf meine Rückkehr warten können, da sie direkt auf unserem Weg liegt. Ich verlange nicht, dass Ihr sie ganz bis dorthin begleitet. Bringt sie nur bis zur großen Handelsstraße, wo ihnen von den Hornmännern keine Gefahr mehr droht, das ist alles, was ich erbitte."

Barkon zögerte einen Moment, dann nickte er widerstrebend.

"Wir werden Euren Wunsch erfüllen", sagte er. "Aber ich hoffe, Ihr vergesst nicht, dass Ihr vom heutigen Tag an tief in der Schuld des Zwergenvolkes steht."

"Wenn ich dank Eurer Hilfe die Zitadelle rechtzeitig erreiche, dann wird bald möglicherweise ganz Arcana tief in Eurer Schuld stehen", erwiderte Maziroc.

"Darauf legen wir keinen keinen großen Wert. Nicht mehr", erklärte Barkon, drehte sich um und ging mit raschen Schritten davon.

Einige Minuten lang herrschte Schweigen, dann begann Scruul plötzlich zu lächeln. "Ach ja, ehe ich es vergesse. Es mag vielleicht nicht ganz passend erscheinen, aber ich wünsche trotzdem allen ein frohes neues Jahr."

Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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