Читать книгу Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 36

Der Drachenreiter

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Die Stunden, die er in Ravenhorst verbrachte und auf die Entscheidung der Zwerge wartete, schienen sich für Maziroc zum längsten Tag seines Lebens zu dehnen. Insgesamt sechs Drachenreiter waren bereits früh am Morgen aufgebrochen. Trotz der Schnelligkeit, mit der die Drachen zu fliegen vermochten, war mit ihrer Rückkehr erst am späten Nachmittag oder frühen Abend zu rechnen, doch das Warten fiel Maziroc so schwer wie selten zuvor.

Von früheren Besuchen her wusste er, dass es fast unmöglich war, sich in Ravenhorst zu langweilen. Wer einmal hier als Gast geduldet wurde, dem fiel es auch nicht schwer, selbst mit wildfremden Zwergen ins Gespräch zu kommen. Man musste sich sogar schon regelrecht anstrengen, um nicht von ihrer Geselligkeit angesteckt und mit in ihr fröhliches Treiben verwickelt zu werden. Scheinbar jeder, der nicht innerhalb der Stadt gerade einer Arbeit nachging oder sie zur Jagd, zur Wache, zum Abbau von Erzen oder aus sonst einem Grund verlassen hatte, nutzte jede sich bietende Gelegenheit für eine Plauderei. An allen Ecken und Enden wurde der neueste Tratsch ausgetauscht, wurde diskutiert, gelacht und natürlich getrunken. Die zahlreichen Gasthäuser waren selbst am Tage schon gut besucht.

Immer wieder wurde Maziroc angesprochen, wurde auf einen Krug Wein oder Bier eingeladen und gebeten, von seinen Erlebnissen zu erzählen. Unter anderen Umständen wäre er der Bitte nur zu gerne nachgekommen, aber nicht an diesem Tag. Er hatte am vergangenen Abend nur wenig Alkohol getrunken und sich früh hingelegt, doch hatte er nur äußerst unruhig geschlafen und war früh am Morgen schon wieder auf den Beinen gewesen. Seither verspürte er eine fast fieberhafte innere Unruhe.

Von einem Fenster des ihm zugewiesenen Quartiers aus hatte er den Aufbruch der Drachen beobachtet. Leider waren sie nicht über die Stadt hinweggeflogen, sondern direkt in die entgegengesetzte Richtung, sodass er die gewaltigen Tiere nur von Weitem hatte sehen können. Er hätte das Skiil benutzen können, mit dem er in die Ferne schauen konnte, doch es wäre ihm wie ein Vertrauensbruch an den Zwergen vorgekommen, obwohl sie es nicht einmal bemerkt hätten. Wenn sie es für richtig hielten, würden sie ihm die Drachen zeigen, und er wollte sich dieses Privileg nicht durch Magie erschwindeln.

Erst ein einziges Mal, bei seinem allerersten mittlerweile über zwanzig Jahre zurückliegenden Besuch in Ravenhorst, hatte man ihn bis nahe an die Drachengehege herangeführt, und es war ein unvergleichlicher Anblick gewesen. Die Flugdrachen waren die größten Tiere, die es auf Arcana gab, doch nicht nur aus diesem Grund waren sie zugleich auch die beeindruckendsten. Trotz ihrer Größe und Massigkeit wirkten sie kein bisschen plump, wenn man sie aus der Nähe sah, sondern sie bewegten sich äußerst elegant und geschmeidig, selbst am Boden.

Ihr eigentliches Revier aber war die Luft. Ihr Flug nahm sich gegenüber dem von Vögeln wie das majestätische Dahingleiten eines Adlers im Vergleich zum hektischen Flügelschlagen eines Spatzen aus.

Am frühen Vormittag suchte Maziroc Pollus auf, der ein Quartier ganz in der Nähe von ihm bekommen hatte, das jedoch wesentlich weniger komfortabel war. Außerdem stand ein Zwergenkrieger als Wache vor der Tür. Maziroc wollte zusammen mit dem Soldaten einen Spaziergang durch Ravenhorst unternehmen und ihm die Stadt zeigen, doch der Wachposten wies sie freundlich aber bestimmt zurück, als sie durch die Tür ins Freie traten.

"Ihr selbst dürft Euch in Ravenhorst frei bewegen, Maziroc von Cavillon, aber das gilt nicht für ihn", erklärte er und deutete dabei auf Pollus. "Es ist bereits ein großes Entgegenkommen aufgrund unserer Hochachtung vor Euch, dass wir einen einfachen Menschen hier dulden. Ich habe jedoch ausdrückliche Anweisung, darüber zu wachen, dass er sein Quartier nicht verlässt."

"Er ist kein Gefangener sondern mein Freund", begehrte Maziroc hitzig auf. "Und ich verlange, dass er auch dementsprechend ..."

"Lass es gut sein", fiel ausgerechnet Pollus selbst ihm ins Wort und legte ihm die Hand auf den Arm. "So sind nun einmal ihre Traditionen. Ich bin schon äußerst froh, dass ich überhaupt hier sein darf. Das ist mehr, als ich mir jemals erträumt habe, und ich werde einst noch meinen Enkelkindern davon erzählen können."

"Aber wir ..."

"Strapazieren wir die Gastfreundschaft der Zwerge nicht durch immer größere Forderungen", unterbrach Pollus ihn abermals. "Sicher würde ich am liebsten tagelang durch Ravenhorst laufen und mir alles genau ansehen, aber nach den Strapazen der letzten Zeit tut mir auch ein bisschen Ruhe ganz gut."

"Wie du meinst", lenkte Maziroc nach ein paar Sekunden widerwillig ein. Vermutlich hatte Pollus sogar recht. Sie waren nur Gäste hier und hatten sich den Regeln ihrer Gastgeber anzupassen. Es war in der Tat schon ein großes Zugeständnis, dass man seinen Begleiter überhaupt nach Ravenhorst gelassen hatte, statt zu verlangen, dass er sein Lager am Fuße des Ashran aufschlug.

In Gedanken versunken schlenderte Maziroc allein durch die Straßen der Stadt. Auch weiterhin lehnte er sämtliche Einladungen irgendwelcher Zwerge, sich zu ihnen zu gesellen, freundlich aber bestimmt ab. Ihm stand nicht der Sinn danach, irgendwelche Geschichten zu erzählen, oberflächlich zu plaudern und sich zu amüsieren. Dafür war die innere Unruhe, die er verspürte, zu stark, und sie ließ auch den ganzen Tag über nicht nach. Das tatenlose Abwarten, während anderenorts vielleicht bereits der große Eroberungszug der Damonen begonnen hatte und Krieg geführt wurde, machte ihm zu schaffen.

Schon in den vorangegangenen Tagen war dies der Fall gewesen, doch noch niemals so stark. Er wertete es als einen Hinweis, dass entscheidende Ereignisse dicht bevorstanden oder sogar schon begonnen hatten, und er es irgendwie spüren konnte. So verrückt dies im ersten Moment auch erscheinen mochte, es war durchaus denkbar, dass sich durch die zahlreichen gemeinsam mit Charalon durchgeführten magischen Experimente, bei denen sie manchmal geistig regelrecht verschmolzen waren, eine Art unsichtbares Band zwischen ihnen gebildet hatte, wodurch sie selbst über die große Entfernung hinweg spüren konnten, wenn sich einer von ihnen in Gefahr oder sonst einer extremen Situation befand. Er hatte von Zwillingen gehört, bei denen dies ähnlich sein sollte. In gewisser Hinsicht waren auch Charalon und er durch ihre Magie fast wie Brüder.

Entsprechend große Sorgen machte sich Maziroc. Wenn die Drachenreiter auch nur bis in die Nähe des Gehöfts flogen, konnten sie nicht vor dem Abend zurückkehren, vielleicht sogar erst in der Nacht, doch er hatte das fast sichere Gefühl, dass jede Minute entscheidend sein konnte.

Möglicherweise hatten sie alle die Gefahr bislang sogar weit unterschätzt. Sie hatten einige hundert Damonen gesehen und ansonsten lediglich von dem geheimnisvollen Kenran'Del etwas über sie erfahren. Aber auch dessen Kenntnisse waren entweder nur ziemlich begrenzt gewesen, oder er hatte aus irgendwelchen Gründen nicht mehr von seinem Wissen preisgeben wollen.

Bei jedem dunklen Punkt, den er am Himmel entdeckte, schlug Mazirocs Herz unwillkürlich schneller, und mittlerweile hatte er keine Hemmungen mehr sein Skiil zu benutzen, um nachzusehen. Stets jedoch wurde er enttäuscht, weil es sich nicht um Drachen sondern nur um irgendwelche großen Vögel oder sogar schlichtweg nur um Einbildung handelte.

Zur Mittagsstunde nahm er eine Einladung der Könige an, mit ihnen gemeinsam zu speisen. Er hoffte, in einem weniger formellen Gespräch als dem vom vergangenen Abend ein wenig auf sie einwirken und sie davon überzeugen zu können, wie wichtig ihre Hilfe war, doch er sah sich enttäuscht. Borrus verlangte nachdrücklich, während des Mahls die Politik und alle damit zusammenhängenden Fragen ruhen zu lassen, zumindest, soweit sie die Damonen und die mögliche Reaktion der Zwerge auf diese Bedrohung betrafen.

So sprachen sie nur über allgemeine Themen, dennoch war das Treffen für Maziroc recht informativ. Immerhin konnte er aus dem Verhalten der Zwerge entnehmen, wie sie zu ihm persönlich standen. So war unverkennbar, dass Shira ihm grollte. Sie sprach kaum ein Wort mit ihm, wich sogar seinen Blicken weitgehend aus und machte keinerlei Hehl daraus, dass dieses Mahl zusammen mit ihm für sie nur eine lästige Pflicht darstellte. Als religiöse Führerin der Zwerge war sie besondere Hochachtung gewöhnt, und deshalb würde sie ihm sein in ihren Augen äußerst ungebührliches Verhalten vom vergangenen Abend sicherlich noch lange nachtragen. Worum auch immer er bat, sie würde gegen ihn stimmen, so kurzsichtig ein solcher Standpunkt angesichts der Bedeutung seines Auftrags auch sein mochte.

Ganz anders verhielt es sich mit Garwin. Mit ihm hatte Maziroc sich schon bei seinen früheren Besuchen in Ravenhorst sehr gut verstanden. Als oberster Jagdherr verließ er die Stadt häufiger als alle anderen Könige, weshalb sein Denken offener und globaler und die extrem isolationistische Haltung bei ihm nicht ganz so stark ausgeprägt war. Höchstwahrscheinlich besaß Maziroc in ihm einen Fürsprecher und Verbündeten.

Farin, die Königin der Künste, hatte er erst einmal zuvor gesehen, kurz nachdem sie ihr Amt angetreten hatte, sodass er sie noch nicht recht einordnen konnte. Ihrem Verhalten entnahm er, dass sie eine weitgehend neutrale Haltung ihm gegenüber einzunehmen schien. Ähnlich verhielt es sich mit Naxon, dem König des Bergbaus, der ohnehin ziemlich zurückhaltend war und seine Gefühle und Gedanken nur selten preisgab.

Beide würden sich bei ihrem Urteil zu einem großen Teil danach richten, wie Borrus stimmte. Als Kriegerkönig fiel die anstehende Entscheidung ohnehin in erster Linie in sein Gebiet, weshalb zu erwarten war, dass Farin und Naxon sich ihm anschließen würden, wenn sie nicht doch noch eine ausgeprägtere eigene Meinung in dieser Angelegenheit entwickeln würden.

Letztlich hing also alles hauptsächlich von Borrus ab. Bislang schien er der Bitte um Hilfe nicht allzu wohlgesonnen gegenüber zu stehen, doch war er als durch und durch aufrichtig bekannt, sodass man bei ihm darauf vertrauen durfte, dass er seine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen fällen würde, ohne sich durch persönliche Sympathien oder Antipathien beeinflussen zu lassen. Deshalb würde er sich seine endgültige Meinung erst bilden, wenn die Drachenreiter zurückgekehrt waren und Bericht erstattet hatten.

So waren die Positionen wenigstens einigermaßen geklärt, wenn auch immer noch völlig offen war, wie die Entscheidung der Könige letztlich ausfallen würde.

Nach dem Mahl spielte Maziroc kurz mit dem Gedanken, Shira einen Besuch in ihrem Tempel abzustatten, um unter vier Augen mit ihr zu sprechen und sich für seinen Temperamentsausbruch vom Vortag zu entschuldigen. Je länger er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihm jedoch bewusst, dass es nichts nützen würde, und so verwarf er die Idee schließlich wieder. Er hatte sich nichts vorzuwerfen, wofür er sich entschuldigen müsste. Vielleicht waren sein Tonfall und die Wahl seiner Worte nicht ganz angemessen gewesen, doch er hatte niemanden beleidigt. Würde er sich bei Shira dennoch entschuldigen, würde sie diese Geste als genau das erkennen, was sie auch darstellte, nämlich einen ziemlich plumpen Versuch, sich bei ihr anzubiedern, um ihre Stimme zu erhalten. Anschließend würde sie ihn nur noch mehr verachten und sich erst recht in ihrer Ansicht bestätigt sehen, dass die Menschen die Hilfe der Zwerge gar nicht verdient hätten.

Am späten Nachmittag entdeckte er wieder einen dunklen Punkt am Himmel. Erneut blickte er durch das ringförmige Skiil, und diesmal handelte es sich tatsächlich um einen Drachen. Es war ein gewaltiges Tier mit einem von grünlichen Schuppen bedeckten Leib, der ohne den sich noch meterweit anschließenden Schwanz sicherlich zwanzig Meter maß und gut acht oder neun Meter breit war. Die Flügelspannweite des Drachen betrug bei ganz ausgebreiteten Schwingen sicherlich siebzig, achtzig Meter.

Noch war das Tier zu weit entfernt, als dass er trotz des Skiils Einzelheiten erkennen könnte, doch es war offensichtlich, dass etwas nicht stimmte. Der Flug des Drachen war unruhig und taumelnd. Nichts war mehr von dem majestätischen, eleganten Dahingleiten zu entdecken, wie er es von den Tieren in Erinnerung hatte, dafür schlug der Drache viel zu oft und hektisch mit den Schwingen.

Nach einigen Sekunden fiel Maziroc auf, dass dies vor allem für den rechten Flügel galt, während das Tier den linken kaum bewegte. Allerdings hing dieser leicht herab. Wenn nicht schon die bloße Vorstellung bei einem solchen Giganten der Lüfte, dem nichts gefährlich werden konnte, geradezu absurd anmuten würde, hätte man glauben können, der Drache wäre verletzt.

Maziroc beobachtete den taumelnden Flug des sich allmählich nähernden Tieres noch ein paar weitere Sekunden lang, und sein Eindruck verstärkte sich immer mehr. Der Drache war verletzt, der linke Flügel anscheinend zumindest gebrochen, wenn nicht sogar noch schlimmer in Mitleidenschaft gezogen.

Auf ganz Arcana gab es kein einziges Tier, das einen ausgewachsenen Drachen angreifen würde, weil es nicht den Hauch einer Chance hätte; nicht einmal am Boden, und schon gar nicht in der Luft, dem angestammten Lebensraum der Drachen, den sie allein beherrschten. Wenn dieses Tier nun dennoch verletzt war, ließ das nur zwei Schlüsse zu. Entweder hatte es einen Unfall gegeben, und der Drache war beispielsweise durch eine jähe Bö oder einen plötzlichen Wechsel im Spiel von Auf- und Fallwinden in der Nähe einer Bergklippe aus der Flugbahn gebracht und gegen die Felsen geschleudert worden, wie es gelegentlich vorkam, wenn auch nur selten.

Oder aber er war von einem Feind angegriffen worden, wie man ihn bislang auf Arcana noch nicht gekannt hatte!

Besorgt ließ Maziroc das Skiil sinken. Nur weil er bei dem Kampf an dem Gehöft keine fliegenden Kreaturen gesehen hatte, bedeutete das noch nicht, dass keine der zahlreichen verschiedenen Rassen, aus denen sich die Streitmacht der Damonen zusammensetzte, dazu in der Lage war. Diese Möglichkeit hatte er vorher gar nicht weiter bedacht, doch selbst wenn, hätte es vermutlich nichts geändert. Verglichen mit einem Drachen wirkten selbst die Damonen winzig und harmlos, und er wäre nicht im Traum auf den Gedanken gekommen, dass sie einen der geschuppten Urzeit-Giganten angreifen und womöglich gar in Bedrängnis bringen könnten.

Mit raschen Schritten machte sich der Magier auf den Weg zum Drachengehege, wo das verletzte Tier landen würde. Wenn irgend möglich wollte er sehen, wie schwer es verwundet war und direkt erfahren, was passiert war, statt es nur aus zweiter Hand berichtet zu bekommen.

An dem Gehege herrschte bereits große Aufregung. Auch hier hatte man den herannahenden Drachen längst bemerkt und erkannt, dass etwas nicht stimmte. Kaum jemand beachtete Maziroc, und vor allem hielt ihn in dem Durcheinander niemand auf, wie er es gehofft hatte. Die Blicke der meisten anwesenden Zwerge waren nach oben gerichtet, wo der Drache mittlerweile über dem Ashran schwebte und sich in spiralförmig enger werdenden Kreisen auf den Landplatz herab senkte.

Nun war auch deutlich zu erkennen, dass das Tier schwerer verletzt war, als Maziroc zuvor angenommen hatte. Der Flügel war nicht nur gebrochen, sondern die Haut, die sich über den Knochen spannte, war stellenweise regelrecht zerfetzt worden. Aber auch am übrigen Körper hatte der Drache überall mehr oder weniger schlimme Wunden davongetragen. Sein Leib war überall mit getrocknetem Blut besudelt, das einst prächtige Schuppenkleid wies mehrere große, hässliche Löcher auf.

Auch die gewaltige korbartige Konstruktion, die auf seinem Rücken befestigt war, und in der mehrere Dutzend Zwerge Platz fanden, war beschädigt. In der Umhüllung klafften Lücken, und das gesamte Gestell war ein Stück zur Seite verrutscht.

Der Sinkflug des Drachen wurde immer unsicherer, je mehr er sich dem Ashran näherte und von den Aufwinden durchgeschüttelt wurde. Manchmal sackte er mehrere Meter auf einmal durch und wurde dabei zur Seite abgetrieben, sodass es seinem Reiter, der auf einem speziellen Sitz unmittelbar hinter seinem Kopf saß, nur mit Mühe gelang, einen Sturz zu vermeiden und das Tier wieder auf den richtigen Kurs zurück zu lenken.

Schließlich berührten die Krallen des Drachen den Boden. Das Tier machte einige hoppelnde Schritte und versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Dabei berührte es mit dem verletzten Flügel den Boden. Vor Schmerz stieß es ein schrilles Brüllen aus und bäumte sich auf. Das war zu viel für seinen Reiter. Der Zwerg wurde aus seinem Sitz geschleudert, klammerte sich noch einen Moment lang am Hals des Drachen fest und stürzte dann zu Boden, wo er regungslos liegen blieb. Er hatte Glück, dass er nicht von den riesigen Krallen zertrampelt wurde.

Maziroc eilte zusammen mit einigen Zwergen zu ihm hin, während andere sich um den Drachen kümmerten, der ein Stück entfernt zum Stehen gekommen war und klagende, schmerzerfüllte Laute von sich gab.

Auch der Reiter war verletzt. Er hatte eine große, bereits verschorfte und von getrocknetem Blut umgebene Wunde an der Stirn, die bei seinem Sturz nun erneut aufgeplatzt war. Auch an der Brust war er offenbar verletzt worden, denn dort hatte sich der Stoff seiner Kleidung mit mittlerweile ebenfalls getrocknetem Blut vollgesogen.

Maziroc kniete neben ihm nieder. Aufgrund seiner vielen Reisen verstand er einiges von der Heilkunst. Er vermochte seine Magie nicht wie die Vingala direkt zur Heilung von Wunden einzusetzen, doch mit jedem normalen Arzt konnte er es aufnehmen. Er legte die Brustwunde des Zwerges frei. Etwas Spitzes hatte ihn getroffen, war aber glücklicherweise nicht allzu tief eingedrungen und wieder herausgerissen worden. Ebenso wie die an der Stirn war die Verletzung nicht allzu schlimm, doch der Zwerg hatte viel Blut verloren. Er war ohnmächtig, vermutlich hatte er jedoch erst bei dem Sturz das Bewusstsein verloren.

"Wir kümmern uns um ihn", sagte ein Zwerg neben ihm und drängte Maziroc sanft zur Seite. Einige weitere betteten ihren verletzten Artgenossen vorsichtig auf eine Trage und brachten ihn weg. "Ihr solltet besser direkt den Thronsaal aufsuchen", sprach der Zwerg weiter. "Sobald Quarron vernehmungsfähig ist, wird er den Königen Bericht erstatten, und Ihr wollt dabei sicherlich ebenfalls anwesend sein."

Maziroc nickte knapp, und nachdem er sich ein letztes Mal umgeblickt hatte, verließ er das Drachengehege mit raschen Schritten.

*


Die Zwergenkönige waren unverkennbar nervös. Nichts war von der gleichmütigen Ruhe und Würde geblieben, die sie sich bislang stets an den Tag zu legen bemüht hatten. Stattdessen rutschten sie unruhig auf ihren Thronstühlen herum und tuschelten immer wieder leise miteinander.

Maziroc konnte sie gut verstehen. Ihre Drachen hatten bislang als unbesiegbar gegolten. Sie waren neben der Kriegskunst des kleinen Volkes einer der Hauptgründe, weshalb es seit Jahrhunderten niemand mehr gewagt hatte, die Zwerge anzugreifen. Selbst wenn sich viele nicht sicher waren, ob es die gewaltigen Urzeitechsen überhaupt wirklich gab, so reichte doch schon der bloße Mythos um ihre Existenz aus, andere trotz des gewaltigen Reichtums des Zwergenvolkes vor einem Angriff zurückschrecken zu lassen. Dementsprechend sicher hatten sie sich unter diesem Schutz stets gefühlt. Wo immer ein Drache auftauchte, hatte er jedes andere Raubtier und jeden sonstigen potentiellen Feind in die Flucht geschlagen.

Nun jedoch galt all dies nicht mehr. Einer der Drachen war von einem - zumindest für die Zwerge noch unbekannten - Feind angegriffen, in die Flucht geschlagen und so schwer verwundet worden, dass er die Rückkehr nach Ravenhorst nur noch mit Mühe geschafft hatte. Damit war mehr als nur ein jahrhundertealter Mythos zerbrochen. Zum ersten Mal seit vermutlich sehr, sehr langer Zeit lernten die Zwerge den bitteren Geschmack einer Niederlage kennen, mussten erkennen, dass auch ihren vermeintlich unbezwingbaren Drachen Grenzen gesetzt waren. Das erschütterte das gesamte Selbstverständnis dieses Volkes.

Gut eine Stunde war seit der Rückkehr Quarrons, des Drachenreiters, mittlerweile vergangen. Unruhig ging Maziroc in dem großen Thronsaal auf und ab. Er war kaum weniger nervös als die Könige, wartete ungeduldig auf weitere Neuigkeiten. Immerhin bewies der Angriff auf den Drachen auch ihm, dass man die Damonen bislang unterschätzt hatte, dass sie eine noch viel schrecklichere Gefahr als vermutet darstellten.

Obwohl am Morgen sechs Kundschafter aufgebrochen waren, war erst einer von ihnen zurückgekehrt, noch dazu in einem solchen Zustand. Das musste nicht zwangsläufig bedeuten, dass die Patrouillen alle angegriffen worden waren, zumal sie in verschiedene Richtungen geflogen waren, um sich ein möglichst umfassendes Bild zu verschaffen. Es war durchaus möglich, dass die anderen unversehrt zurückkehrten, aber es war auch möglich, dass sie ebenfalls angegriffen und einige von ihnen eventuell gar getötet worden waren. Wie Maziroc einigen aufgeschnappten Wortfetzen entnehmen konnte, schlossen die Zwergenkönige selbst diese bis vor Kurzem für sie noch schier unvorstellbare Möglichkeit nicht mehr völlig aus.

Es dauerte noch eine weitere halbe Stunde, bis Quarron schließlich in den Thronsaal geführt wurde. Aufgrund des vielen verloren Blutes war er sehr blass im Gesicht. Er trug einen dicken Verband um die Stirn, und unter seinem Hemd zeichnete sich ein weiterer ab. Beim Gehen musste er von einem anderen Zwerg gestützt werden, weshalb zwei Diener rasch davoneilten und einen Stuhl holten, auf den er sich setzen konnte. Das Protokoll sah zwar vor, dass aus Ehrfurcht vor den Königen jeder außer ihnen selbst im Thronsaal zu stehen hatte, doch dies war eine besondere Situation.

"Bitte, Quarron, berichte uns, was geschehen ist", forderte Borrus den Drachenreiter auf, nachdem dieser sich auf den Stuhl hatte sinken lassen.

"Es ... es war furchtbar, Herr", stieß der Zwerg hervor. "Das waren Ungeheuer, Bestien, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. Sie haben sich in einem ganzen Rudel auf mich und den Drachen gestürzt. Es waren mindestens hundert von ihnen, vielleicht noch mehr. Sie stießen blitzschnell zu und dann ..."

"Langsam, langsam", fiel Borrus ihm beruhigend ins Wort. "Und nicht so durcheinander. Erzähle uns alles der Reihe nach."

Quarron schluckte schwer und nickte.

"Wie es mir aufgetragen wurde, bin ich nach Südwesten geflogen, in die Richtung, in der dieses Gehöft liegt, von dem Maziroc berichtet hat", begann er noch einmal neu und warf dem Magier dabei einen kurzen Blick zu. "Resool flog so weit entfernt, dass wir gerade noch Blickkontakt hatten, und wir ließen ihn auch bewusst nicht abreißen. Wir hatten noch nicht einmal die Hälfte der geplanten Strecke zurückgelegt, als wir plötzlich diese ... diese Ungeheuer entdeckten. Es waren Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende. So weit man blicken konnte, schien sich das Land schwarz gefärbt zu haben. Der Anblick war furchtbar. Das ... das waren keine Lebewesen, wie wir sie kennen. Diese Kreaturen müssen Dämonen sein, die geradewegs aus Malachos' Schattenland hervorgekrochen sind, eine Verhöhnung alles Lebendigen."

Bei diesen Worten warf er einen Blick zu Shira, doch obwohl die Erwähnung des finsteren Höllenherrschers in ihr Gebiet, die Religion, fiel, reagierte sie nicht.

"Sprich weiter", forderte Borrus den Drachenreiter auf. "Was geschah dann?"

"Wir ... wir dachten, in der Luft könnten sie uns nichts anhaben. Deshalb sind wir ... näher herangeflogen. Vor allem Resool, und das ... wurde ihm zum Verhängnis", berichtete Quarron. Zwischen seinen Worten machte er immer wieder kurze Pausen. Man merkte ihm an, wie schmerzhaft es für ihn war, sich an das Erlebte zu erinnern, es noch einmal vor seinem inneren Augen vorbeiziehen zu lassen und darüber zu sprechen. "Von überall aus dem unheimlichen Heerzug stiegen plötzlich Ungeheuer auf, die ebenfalls fliegen konnten, da sie große dunkle Flügel besaßen. Dutzende von ihnen, mehr als hundert. Sie stürzten sich auf Resool und seinen Drachen und ... sie zerrissen sie förmlich in der Luft. Er ... er hatte keine Chance."

Quarron schloss die Augen. Gleichzeitig ballte er die Hände zu Fäusten und presste sie gegen seine Schläfen.

Maziroc konnte sich nur vage vorstellen, was in ihm vorging. Es ging nicht allein nur um den Tod eines mehr oder weniger guten Freundes. Für die Zwerge allgemein, vor allem aber die Drachenreiter, waren ihre Drachen weit mehr als nur Tiere. Die Drachen konnten Jahrtausende alt werden und zahlreiche Generationen von Zwergen überleben. Für die Reiter zählte das Leben der Drachen deshalb stets ungleich mehr als ihr eigenes. Im Laufe ihrer Ausbildung gingen sie eine besondere geistige Beziehung mit den Tieren ein, errangen ihre Freundschaft. Nur wenn ihnen das gelang, duldeten die Drachen sie als Reiter und ließen sich von ihnen lenken.

Der Tod eines Drachen war dementsprechend immer ein bedeutsames trauriges Ereignis, doch trat dieser gewöhnlich nur ein, wenn ein Tier entsprechend alt oder krank geworden war. Dass selbst ein Drache von Feinden besiegt und getötet werden konnte, musste für die Zwerge einen unfassbaren Schock darstellen, der alle Grundlagen ihres Selbstverständnisses und ihrer Kultur erschütterte.

"Ich .. ich habe versucht, Resool zu Hilfe zu kommen, aber es war bereits zu spät", erklärte Quarron. Seine Augen glänzten feucht, und seine Stimme klang krächzend, immer wieder wurde sie von mühsam unterdrückten Schluchzern erschüttert. Die Worte quollen zähflüssig aus seinem Mund wie Blut aus einer Wunde, und sicherlich erschienen sie ihm ebenso schmerzhaft. "Alles dauerte nur wenige Minuten. Sein Drache stürzte ab, noch bevor ich ihn erreichte. Es gab nichts, was ich noch für ihn tun konnte, stattdessen geriet ich selbst in Gefahr. Ich konnte nur versuchen, mich und meinen Drachen in Sicherheit zu bringen, als diese Bestien sich plötzlich auch auf uns stürzten. Ich floh, aber viele von ihnen verfolgten mich. Einige konnte ich mit meiner Armbrust abwehren, als sie nah genug heran waren, doch da es ja nur ein Aufklärungsflug sein sollte, hatte ich nicht allzu viele Pfeile dabei. Auch der Drache hat viele dieser Ungeheuer getötet, aber sie waren wie rasend. Selbst wenn sie schwer verletzt waren, kämpften sie noch weiter. Mit ihren dolchartigen Reißzähnen und ihren rasiermesserscharfen Krallen durchdrangen sie sogar seinen Schuppenpanzer. Diese verdammten Ungeheuer fügten ihm schreckliche Verletzungen zu, und ich glaube, wir wären ebenfalls verloren gewesen, wenn es nur ein paar mehr von ihnen gewesen wären. So aber konnten wir uns mit knapper Not retten." Er schloss für einen Moment die Augen. "Da der Flügel meines Drachen jedoch schwer verletzt war, konnten wir längst nicht so schnell wie normal fliegen und haben so lange für die Rückkehr gebraucht. Ich ... ich bin froh, dass es uns überhaupt gelungen ist. Ein paarmal zwischendurch habe ich schon gedacht, der Drache schafft es nicht mehr weiter."

Betroffenes Schweigen folgte seinen Worten. Erst nach einigen Sekunden ergriff Borrus wieder das Wort und stellte einige weitere Detailfragen an den Drachenreiter, doch Maziroc hörte kaum noch zu. Ihn beschäftigte in Gedanken etwas ganz anderes. Er hatte selbst gesehen, wie schwer verletzt der Drache gewesen war, und auch ihm war klar gewesen, dass das Tier nicht mehr allzu schnell geflogen sein konnte, doch erst die letzte Bemerkung des Zwerges hatte ihn mit der Nase geradezu auf das Problem gestoßen.

Er wandte sich an eine der Wachen und ließ eine Karte bringen, auf der Miirn und die Nordermark bis hinunter zu den Barbarenländern eingezeichnet waren. Mit Einverständnis der Könige wandte er sich an den Drachenreiter und ließ sich von ihm zeigen, wo er die Damonen entdeckt hatte. Ohne zu zögern deutete der Zwerg auf einen Punkt der Karte. Maziroc sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.

"Seid Ihr ganz sicher?", hakte er zur Sicherheit nach, obwohl er es längst wusste. Anhand der geschätzten Geschwindigkeit des verletzten Drachen hatte er bereits eine grobe Schätzung vorgenommen hatte, wie weit entfernt der Kampf ungefähr stattgefunden haben musste, doch diese Schätzung erwies sich gegenüber der Wahrheit sogar noch als zu optimistisch.

Der Drachenreiter nickte energisch mit dem Kopf. "Natürlich bin ich mir sicher. Es war ganz in der Nähe dieser Bucht am Ufer des großen Binnenmeeres. Nur ein paar Kilometer von der Grenze entfernt."

"Und in welche Richtung drangen die Damonen vor?", fragte Borrus.

"Sie bewegten sich nach Nordosten, direkt auf Miirn zu. Mittlerweile dürften sie die Grenze bereits überquert haben."

"Das heißt, sie rücken direkt auf die Todessümpfe vor", stieß Farin erschrocken hervor. "Und damit auch auf Ravenhorst."

Hektisches Getuschel folgte ihren Worten, bis Borrus ein paarmal mit der Faust auf den Tisch schlug und mit energischer Stimme Ruhe verlangte.

"Das ist die ganz normale Route, wenn sie beabsichtigen, nach Miirn und von dort in die östlichen Länder einzufallen", erklärte er. "Ich bin davon überzeugt, dass sie am Rande der Sümpfe vorbeiziehen werden. Nicht einmal diese Damonen können so verrückt sein, einen offenen Angriff auf Ravenhorst zu unternehmen. Und wenn doch, dann dürfte sich diese Bedrohung Arcanas damit dann von selbst erledigen, denn dann wird es schon bald keine Damonen mehr geben. Wir würden sie vom Angesicht der Welt hinwegfegen, sobald sie sich in die Todessümpfe vorwagen sollten. Ihr könnt völlig unbesorgt sein."

"Aber du hast gehört, dass sie bereits einen Drachen getötet haben", wandte Farin ein.

"Sicher." Borrus nickte. Durch seine Haltung, sein Gesicht und seine Art zu sprechen versuchte er Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln, doch Maziroc bemerkte anhand seiner kleinen, ruckartigen Gesten und seinem immer wieder unstet umherhuschenden Blick, dass auch der Kriegerkönig selbst unsicher war. "Einige dieser Ungeheuer können fliegen, wie wir jetzt wissen, und in einer hundertfachen Überzahl mögen sie sogar einem einzelnen Drachen gewachsen sein, aber sie können es niemals mit unserer gesamten Drachenarmee aufnehmen. Wie wir gehört haben, bilden diese Flugdamonen ohnehin die Ausnahme im Heer der Ungeheuer. Alle anderen bewegen sich auf dem Boden. Sollten sie tatsächlich so überheblich sein, in die Sümpfe vorzudringen, dann wird die Hälfte von ihnen bereits im Moor versunken sein, noch bevor sie den Ashran überhaupt erreichen. Die übrigen werden wir beim Besteigen des Berges bekämpfen, wie wir es bei jedem anderen Gegner auch tun würden. Egal, wie viele es auch sein mögen, mit kochendem Wasser und siedendem Pech, mit Gerölllawinen, mit der Hilfe unserer Drachen und schließlich mit den Pfeilen unserer Armbrüste werden wir sie zurücktreiben, bis ihre Kadaver sich am Fuße des Berges aufzutürmen beginnen."

Borrus lächelte und blickte die rechts und links von ihm sitzenden Zwerge nacheinander an.

"Aber das ist ohnehin nur Spekulation", fügte er nach einer kurzen Pause hinzu. "Jeder weiß, dass Ravenhorst eine uneinnehmbare Festung ist. Diese Damonen werden nicht hierherkommen, wenn sie auch nur einen Funken Verstand haben. Und falls sie doch einen entsprechenden Versuch wagen, werden sie schon bald erkennen, wie sinnlos ein solcher Angriff ist." Er straffte sich. "Viel mehr Sorgen mache ich mir um das übrige Miirn. Das Land ist zwar nur dünn besiedelt, aber wenn sie nicht durch irgendwelche Flüchtlinge gewarnt wurden, dürften die Menschen in den Städten, Dörfer und auf den Gehöften noch völlig ahnungslos sein, in welcher Gefahr sie schweben. Ich werde Boten aussenden, um sie zu warnen."

"Und auch ihr Leben in Gefahr bringen, nur um das von primitiven Menschen zu schützen? Was geht es uns an, was aus ihnen wird?", ereiferte sich Shira.

"Selbst wenn wir keine engeren Kontakte zu ihnen wünschen, können wir sie angesichts einer solchen Gefahr nicht einfach ihrem Schicksal überlassen", widersprach Farin heftig. Sie wirkte erschrocken über die Verachtung und fast fanatische Ablehnung, mit der Shira über die Menschen sprach.

"Außerdem wird es noch mehrere Tage dauern, bis die Damonen die ersten Ausläufer der Todessümpfe erreichen. Da unsere Boten ihnen nicht entgegenfliegen müssen, besteht also keine Gefahr für sie", stimmte Garwin ihr zu.

"Ich schätze die Menschen nicht sonderlich, aber auch ich bin dafür, sie zu warnen", schloss sich Naxon an. "Allerdings habe ich dafür neben Mitleid auch ganz handfeste Gründe. Wenn die Damonen ihre Städte allzu leicht überrennen und niemand ihnen wirksam Widerstand entgegensetzt, dann steigt damit die Gefahr, dass sie sich irgendwann wirklich auch gegen Ravenhorst wenden. Je erfolgreicher die Menschen im Kampf gegen die Damonen sind, desto sicherer können auch wir uns fühlen."

Mit wachsendem Missmut lauschte Maziroc der Diskussion, die mittlerweile einen völlig anderen Verlauf nahm, als er es erhofft hatte.

"Verzeiht, wenn ich mich einfach einmische", platzte er schließlich heraus. "Während ihr darüber beratet, ob die Menschen in Miirn es wert sind, von Euch gewarnt zu werden, solltet Ihr nicht vergessen, dass auch Ihr noch nichts von der Gefahr wüsstet, wenn ich nicht gekommen wäre, um Euch zu warnen. Ich denke, die gleiche Gefälligkeit, die ich Euch damit erwiesen habe, schuldet Ihr auch anderen. Aber das war nur der eine Grund für mein Kommen." Er blickte Borrus scharf an. "Hauptsächlich kam ich her, um Euch um Hilfe zu bitten. Ich hatte die Hoffnung, auch die Zwerge würden sich zusammen mit allen anderen Völkern in eine Allianz einreihen, um den Damonen vereinten, erfolgreichen Widerstand entgegensetzen zu können. Aber wenn Euch schon die Entscheidung so schwer fällt, ob Ihr auch nur Boten mit einer Warnung zu den Menschen schicken sollt, dann ist es wohl müßig, Euch noch einmal zu fragen, ob Ihr bereit seid, aktiv am Kampf gegen die Damonen teilzunehmen. Offenbar verschwende ich hier nur meine Zeit."

Er fuhr herum und ging mit weit ausgreifenden Schritten auf den Ausgang zu, doch ein Zuruf Garwins ließ ihn verharren.

"Wartet", bat der Zwerg.

Maziroc blieb stehen und wandte sich noch einmal den Zwergenkönigen zu. "Ja?", fragte er kühl.

"Geht nicht einfach so, ich bitte Euch, sondern versucht wenigstens, uns zu verstehen", sagte Garwin. "Bis zu dieser Sitzung stand ich Eurer Bitte sehr offen gegenüber. Ich war so gut wie entschlossen, dafür zu stimmen, dass wir uns der Allianz, von der Ihr gesprochen habt, anschließen sollen. Aber nun hat sich die Situation verändert. Ihr seid davon ausgegangen, dass sich die Damonen nach Nordwesten wenden würden. In diesem Fall hätten auch die entscheidenden Schlachten dort stattgefunden. Stattdessen aber kommen sie nun direkt auf Miirn und damit auch auf Ravenhorst zu. Nun sind wir unter Umständen selbst bedroht."

"Mir scheint das nur ein Grund mehr, Eure Streitkräfte mit denen der anderen zu vereinen", entgegnete Maziroc und trat wieder näher an den Tisch der Könige heran.

"Aber jeder Krieger, den wir jetzt aus Ravenhorst abziehen, schwächt unsere Verteidigung im Falle eines Angriffs", nahm Borrus den Faden auf. "Ich hoffe, Ihr könnt verstehen, dass der Schutz und die Sicherheit unseres eigenen Volkes für uns Vorrang vor allem anderen haben. Bislang scheinen hauptsächlich Charalon und der Elbenkönig damit beschäftigt, diese Allianz zu schmieden. Wie Ihr selbst gesagt habt, sind ihre Boten in erster Linie in Larquina, Aslan und Caarn unterwegs, um Truppen anzuwerben. Ich zweifle nicht daran, dass sie ein beeindruckendes Heer zusammenbekommen werden, doch es wird noch geraume Zeit dauern, bis sich all die einzelnen Truppen und Armeen vereinen, und anschließend wird es noch einmal Wochen dauern, bis dieses Heer hier in Miirn eintreffen kann. Wir und die Menschen in Miirn sind diejenigen, die Hilfe benötigen, nachdem sich nun herausgestellt hat, dass die entscheidende Auseinandersetzung offenbar hier stattfinden wird. Gerne kämpfen wir mit den Truppen Eurer Allianz zusammen, aber bis diese hier eintreffen, sind wir auf uns selbst gestellt. Also verlangt nicht von uns, dass wir nur als Zeichen unseres guten Willens zur Zusammenarbeit Truppen an einen anderen Ort senden, wo sie derzeit nicht gebraucht werden, solange der Krieg hier direkt vor unser Tür entbrennt."

Maziroc nickte widerstrebend. Dieser Argumentation konnte er wenig entgegensetzen. Allerdings stand für ihn durchaus noch nicht fest, dass Miirn der Austragungsort des bevorstehenden Krieges sein würde, zumindest nicht der einzige. Es ergäbe einfach keinen Sinn, wenn die Damonen ihren Eroberungsfeldzug ausgerechnet hier starten würden. Dafür war Miirn zu unbedeutend, sah man von Ravenhorst selbst einmal ab. Große Teile des Landes waren Sumpfgebiete. Wirklich fruchtbare Landstriche waren dünn gesät, und dementsprechend wenige Städte gab es. Einem Angreifer wie den Damonen hatten sie praktisch nichts entgegenzusetzen.

In jedem anderen der umliegenden Länder, vor allem in Larquina, wo sich sowohl die Hohe Festung der Elben wie auch die Ordensburg der Magier befand, hätten sie weitaus größeren Widerstand zu erwarten. Aus diesem Grund hätte alles dafür gesprochen, zuerst dort anzugreifen, bevor der Widerstand sich richtig formieren konnte.

Aus diesem Grund war Maziroc noch längst nicht davon überzeugt, ob Miirn wirklich das Hauptziel der Damonen war. Sicher, der Drachenreiter hatte von einem gewaltigen Heer gesprochen, doch bislang wusste niemand von ihnen auch nur annähernd, wie stark die Damonen zahlenmäßig waren. Vielleicht waren sie in der Lage, mehr als nur ein Ziel gleichzeitig anzugreifen und hatten sich getrennt. Es war also durchaus denkbar, dass sich weitere Heere der Ungeheuer auf Larquina und die anderen mächtigen, dicht besiedelten Länder zubewegten.

Erschreckend daran war vor allem die Geschwindigkeit, mit der dies geschah. So weit, wie sie in Richtung auf Miirn bereits vorgerückt waren, hatten sie sich mit ihrem ganzen Heer kaum langsamer bewegt als er und Pollus, dabei waren sie so schnell geritten, wie es ihnen und den Pferden möglich gewesen war. Sollte seine Befürchtung zutreffen, dass ein weiteres Damonenheer auch nach Nordwesten vordrang, dann könnte es bei gleichem Tempo fast schon das Largos-Gebirge erreicht haben. Falls sie keine Zeit mit einer Belagerung der Hohen Feste verschwendeten, lag Larquina offen vor ihnen, sobald sie die Berge überquerten.

"Und wie wird es später sein?", hakte Maziroc nach. "Wenn die Allianz den Kampf gegen die Damonen aufnimmt, werdet Ihr dann auch außerhalb von Ravenhorst an unserer Seite kämpfen, oder wollt Ihr bloß zur Verteidigung Eurer Heimat unsere Hilfe annehmen?"

"Darüber werden wir entscheiden, wenn es so weit ist", erklärte Borrus. "Bis dahin kann noch so vieles geschehen, dass wir Euch jetzt weder eine Zusage geben können, noch eine Absage."

Verbittert erkannte Maziroc, dass er wieder genauso weit war, wie bei seiner Ankunft. Bis sich der Widerstand gegen die Damonen formiert hatte und die Streitkräfte der zu gründenden Allianz für den Kampf gegen die Ungeheuer bereit waren, würden die Zwerge hier in Ravenhorst abwarten und nur aktiv werden, falls die Damonen tatsächlich in die Sümpfe vordringen sollten.

"Ich verstehe", murmelte er. "Das ist nicht gerade die Antwort, auf die ich gehofft habe, aber es ist Eure Entscheidung." Er deutete eine Verbeugung an. "In diesem Fall werde ich Ravenhorst noch heute verlassen, da meine Hilfe anderenorts sicherlich dringender gebraucht wird."

"Nicht ganz so voreilig", bremste Borrus ihn. "Ich kann verstehen, dass Ihr möglichst schnell nach Cavillon zurückkehren möchtet, aber wie wollt Ihr das schaffen?"

"Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf Ihr hinauswollt", entgegnete Maziroc verständnislos, runzelte die Stirn und blickte den Zwergenkönig fragend an.

"Ich spreche davon, dass Ihr in Euren sicheren Tod reiten würdet", erklärte Borrus und beugte sich auf seinem Thron vor. "Wohin wollt Ihr Euch wenden? Im Süden würdet Ihr zwangsläufig auf die Damonen treffen. Im Norden hingegen müsstet Ihr einen gewaltigen Umweg um das Binnenmeer machen und anschließend geradewegs durch das Hügelland von Skant reiten, und dort würden Euch die Hornmänner auflauern. Eure Chancen, Cavillon lebend zu erreichen, sind verschwindend gering."

"Ich werde es schon irgendwie schaffen", murmelte Maziroc wider besseres Wissen. Es war eine reine Trotzreaktion, denn über diesen Punkt hatte er tatsächlich noch gar nicht nachgedacht.

"In der Tat, das werdet Ihr, denn wir werden Euch dabei helfen", sprach Borrus weiter. "Ihr befindet Euch nur deshalb in Eurer jetzigen Situation, weil Ihr hergekommen seid, um uns zu warnen, auch wenn Ihr uns gleichzeitig um Hilfe bitten wolltet. Aber für Eure Warnung stehen wir in Eurer Schuld, und wir möchten nicht, dass Ihr durch Eure Hilfe Nachteile in Kauf nehmen müsst. Wenn Ihr es wünscht, werden wir Euch deshalb mit einem Drachen zurück nach Cavillon bringen."

Das Angebot verschlug Maziroc für einen Moment die Sprache, denn damit hatte er am wenigsten gerechnet. "Das ... wäre ausgesprochen großzügig", antwortete er überrascht. Sein Herz schlug plötzlich schneller. Soweit er wusste, hatten die Zwerge noch nie einem Menschen gestattet, mit einem ihrer Drachen zu fliegen, und nun würde ausgerechnet er der Erste sein, dem dieses Privileg zugestanden wurde. Er konnte es kaum fassen. Trotz der Gefahr durch die Damonen und der Enttäuschung, die er gerade noch erlebt hatte, erfüllte eine wilde Vorfreude sein Herz.

"Würden wir Euch jetzt aufbrechen lassen, kämt Ihr erst spät in der Nacht auf Cavillon an, und angesichts der unübersichtlichen Situation, die momentan herrscht, erscheint mir ein nächtlicher Flug zu gefährlich. Wir werden noch warten, bis die übrigen Drachenreiter, die hauptsächlich in westlicher Richtung unterwegs sind, heute Abend hoffentlich wohlbehalten zurückkehren, und uns anhören, was sie zu berichten haben. Auch für Euch dürften diese Informationen interessant sein. Morgen früh könnt Ihr dann aufbrechen."

Maziroc nickte freudig.

"Ich kann mich nur für Eure Großzügigkeit bedanken", sagte er. Er drehte sich um, als wollte er den Saal verlassen, stockte dann aber und wandte sich noch einmal den Königen zu. "Ach ja, eine Kleinigkeit noch. Ich hoffe, Ihr habt nicht vergessen, dass ich noch einen menschlichen Begleiter bei mir habe, nicht wahr?"

Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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