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Gongfu

Geschichten vom Gongfu

Die Essenz des wushu ist das gongfu (功夫). Das mag für westliche Ohren befremdlich klingen, hat man sich doch sehr an den Begriff gongfu bzw. kungfu als Bezeichnung für die chinesische Kampfkunst gewöhnt. Gongfu ist jedoch kein Stil und keine Kampfmethode. Es ist auch nicht der Oberbegriff für alle Kampfarten Chinas. Bis heute zeugt die Verwendung dieses Wortes von einem großen Unverständnis der chinesischen Kultur gegenüber. Ein wenig haben wir das dem »Kleinen Drachen«, Bruce Lee27, zu verdanken, der den Begriff gongfu allgemein bekannt machte. Allerdings gebrauchte er ihn in seinem tatsächlichen Sinne. Letztendlich passte er sich den pragmatischen Menschen der westlichen Welt an, für die es damals zu umständlich war, zwischen den Feinheiten der fremden Begriffe zu unterscheiden. Daher ist eine Richtigstellung heute sehr schwierig.

Allgemein wird gongfu mit harter Arbeit übersetzt. Diese Deutung ist jedoch nicht ganz vollständig. Es ist auch ein zeitlicher Begriff und bringt zum Ausdruck, dass man sich erst nach langer Zeit und durch harte Arbeit bestimmte Fähigkeiten aneignen kann und sich nur allmählich körperlich und geistig weiterentwickelt. Daher ist gongfu nicht nur die Essenz des wushu, sondern die des Lebens im allgemeinen. Ob nun Kampfkunst, Malerei oder Musik, alle Aktivitäten des Menschen erfordern gongfu, Zeit und harte Arbeit. Schon Platon verwies darauf, dass die Jugend unter anderem bei ihren Leibesübungen beharrlich bleiben und nicht ständig Neuem hinterherjagen sollte, nur weil es neu sei. Im Chinesischen sagt man beispielsweise: »Ta de gongfu hen hao« (他的功夫很好). –»Sein gongfu ist sehr gut.« Dieser Ausspruch, den es ähnlich auch in Japan gibt, bezeichnet die langjährige und mühevolle Hingabe an eine Sache. Aus diesem Grund ist es nicht möglich, gongfu in der Jugend zu erlangen. Sicher, es gibt Talent, doch Talent ist nur ein Teil des Ganzen. Zu seiner Entwicklung bedarf es Zeit.

Hier liegt auch der Unterschied zum Wettkampfsport. Eine sportliche Karriere ist sehr schnelllebig und wird oft durch die Jagd nach Erfolgen und Geld bestimmt. Viele Sportler werden dadurch zum Doping getrieben, was letztlich zur Zerstörung des eigenen Ichs führt. All dies hat nichts mit wushu und mit gongfu zu tun.

Eine kleine Anekdote verdeutlicht das Wesen des gongfu sehr gut. Sie hat zwar mit den Kampfkünsten nichts zu tun, doch man erkennt an ihr die Universalität des hier Gesagten.

Adolph Menzel und die Vignette

Für ein von ihm illustriertes Werk fertigte Adolph Menzel vor den Augen des Verlegers eine Vignette an. Zweiundfünfzig Taler forderte er für seine Arbeit.

»Was, zweiundfünfzig Taler, für zwanzig Minuten Arbeit? Das scheint mir denn doch etwas zuviel«, rief der Verleger aus. Doch Menzel blieb dabei.

»Mein Lieber, um diese Vignette in zwanzig Minuten zeichnen zu können, habe ich siebzig Jahre meines Lebens als Lehrzeit nötig gehabt.«

In China gibt es schier unzählige Geschichten, die sich direkt oder indirekt mit der Thematik befassen, und das schon seit Tausenden Jahren. Zwei davon habe ich für dieses Kapitel ausgewählt. Die erste Erzählung ist eine der bekanntesten und aussagekräftigsten über das gongfu. Sie stammt aus den Wudang-Bergen und verdeutlicht wie kaum eine andere mit einfachen Worten das, worum es hier geht. Es ist die Legende von Taizi (chin. Prinz, 太子), dem späteren Kaiser Zhen Wu (真武), und der Nadelschleiferin.

Der Prinz und Nadelschleiferin

Bereits in jungen Jahren war Taizi des Wohllebens überdrüssig, und er sehnte sich nach geistiger Reife. Im Alter von 14 Jahren, als er seine Unruhe nicht mehr beherrschen konnte, verließ er den Palast, um sich in die Abgeschiedenheit der Wudang-Berge zurückzuziehen. Seine Familie wollte ihn nicht gehen lassen und ließ ihn verfolgen, er aber entkam, indem er mit einem Schwerthieb hinter sich den Fels spaltete und so eine tiefe Schlucht in den Fels grub. Tief in den Bergen ließ er sich in einer Höhle nieder und meditierte einige Zeit. Doch der junge Mann kam zu keinem Ergebnis. Unzufrieden mit sich selbst beschloss er, ins weltliche Leben zurückzukehren. Auf seinem Abstieg vom Berg begegnete er einer alten Frau, die beharrlich eine grobe Eisenstange schliff. Verwundert hielt der Prinz inne und fragte: »Was tust du da?«

Sie antworte: »Ich schleife eine Nadel aus dieser Stange.«

Ungläubig wollte der junge Mann wissen: »Wie kannst du aus diesem Eisen eine Nadel schleifen?«

Darauf meinte sie: »Indem ich geduldig schleife und schleife.«

Das leuchtete dem Prinzen ein und er kehrte um. Die alte Frau aber verwandelte sich in eine purpurne Wolke und verschwand.

Die zweite Erzählung entstammt der Sammlung des Zhuangzi28. Sie ist, wie die Anekdote um Menzel, eher eine Parabel. Eine Parabel mit mehreren Bedeutungen. Sie erläutert gongfu über einen Umweg und lässt einen begreifen, weshalb es oft falsch verstanden wird.

Der alte Wagenradhersteller

Der Beamte Han Gong war in der Lesehalle und studierte, während Lun Bian außerhalb der Halle Wagenräder anfertigte. Nach einer Weile betrat Lun Bian den Raum und fragte Han Gong: »Ist der weise Mann, der die Bücher macht, noch hier?«

Han Gong antwortete ihm, dass dieser schon vor langer Zeit gestorben sei.

Daraufhin sagte Lun Bian: »Nun, dann sind doch all die Bücher, die du hier liest, nur der Abfall toter Menschen und haben keinen Wert.«

Als der Beamte das hörte, sprang er wie von einer Wespe gestochen auf und rief erregt: »Was sagst du da? Sag mir, wie du deine frechen Worte begründen willst! Wenn du weiter solchen Unsinn redest, werde ich dich hinrichten lassen.«

Lun Bian fiel sofort vor ihm auf die Knie und sagte: »Ich bin nur ein einfacher Wagenradhersteller und verstehe nicht viel. Deswegen lass mich die Wagenradherstellung als Vergleich heranziehen, um zu zeigen, dass meine Worte richtig sind. – Wenn ich ein Wagenrad herstelle und sehr schnell mit Hammer und Meißel arbeite, dann spare ich Zeit und Energie, aber das Rad wird nicht rund sein. Wenn ich jedoch sehr langsam mit meinem Werkzeug bin, dann wird das Rad zwar eine vollkommen runde Form haben, aber ich vergeude viel Zeit und Kraft. Die beste Methode, ein Wagenrad herzustellen, ist, nicht zu schnell und nicht zu langsam zu sein und das Gefühl für den richtigen Krafteinsatz zu haben. Ich bin schon 70 Jahre alt, und ich mache immer noch Wagenräder. Aber das Gefühl des richtigen Krafteinsatzes bei der Wagenradherstellung kann ich nicht an meinen Sohn weitergeben. So kann auch nicht die Weisheit und Klugheit, die ein Weiser erreicht hat, durch Bücher an uns weitergegeben werden. Ist das nicht offensichtlich? Und sind die Bücher, die du liest, denn wirklich etwas anderes als der Abfall von Toten?«

Ein Handwerker kann nur die grundlegenden Regeln vermitteln, kaum aber sein Gefühl für den richtigen Einsatz der Werkzeuge und der Kraft. Der Meister der Kampfkunst kann nur die Grundlagen und Formen lehren, aber nicht seine Fähigkeiten und Erfahrungen. Die Studierenden und Gelehrten glauben, dass das Verstehen des geschriebenen Wortes in den Büchern von größtem Wert ist. Viel wichtiger und wertvoller ist es aber, das Ungeschriebene zu verstehen. Wir nennen dies das »Lesen zwischen den Zeilen«. Leute, die Bücher lesen und sich Bücherwissen aneignen können, sind nicht zwangsläufig auch fähig, wirklich etwas zu verstehen.

Clausewitz29 schrieb, dass bei der Kunst das Können der Zweck sei. Können jedoch ist ausschließlich durch praktisches Lernen und Üben erwerbbar, ein Buch kann es nicht vermitteln. Können aber ist das, was die Kampfkunst – und gongfu – letztendlich ausmacht. Wissen hingegen kann durch ein Buch vermittelt werden. Aus diesem Grund erwähne ich in dieser Arbeit immer wieder die wissenschaftlichen Aspekte der Kampfkunst, sozusagen die Darstellung der Kampfkunst als Kampfwissenschaft. Bei der Wissenschaft geht es nur um das Wissen. Wissen und Können sind zwei Komponenten, die zusammenhängen können und sollten, aber nicht müssen.

Wu

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