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Gongfu und Sport

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Etwas zu wissen ist eine Sache, Wissen zu verstehen eine andere, und das Wissen zu verinnerlichen wieder eine andere. Aber das verinnerlichte Wissen muss man auch anwenden können, so dass aus Wissen Können wird. Und das ist die vierte Sache. Hinzu kommt, dass man sich die körperlichen Grundlagen antrainieren muss, um sein Wissen und Können auch effektiv einsetzen zu können, ganz so, wie ein Gewehr nur mit trockenem Pulver gut schießen wird.

Etwas zu können, hat immer mit einem Gefühl zu tun. In den Kampfkünsten setzt Können erst einmal Wissen voraus. Man möge mich nicht missverstehen. Es ist tatsächlich nicht nötig, theoretisches Wissen zu haben, wenn man nur kämpfen möchte. Im Gegenteil, Wissen kann dabei sogar stören. Im Kampf braucht man einen leeren Kopf. Um kämpfen zu können, muss man keine Kampfkunst trainieren. Darauf werde ich ausführlich im Kapitel »Über die Effektivität der Kampfkünste« zu sprechen kommen. Aber wenn man sich den Kampfkünsten voll und ganz hingibt, geht es erst einmal um Wissensvermittlung im Training, um Wissen hinsichtlich der Prinzipien, der Techniken, des Krafteinsatzes etc. Dieses Wissen muss durch Üben vollkommen in Körperbewegungen übergehen, und die erlernten Bewegungen müssen unaufhörlich wiederholt werden. Denn das körperliche Gefühl geht sehr schnell verloren. Es wird »kalt«, genau so wie das Wasser aus Funakoshis Ausspruch.

Im Profisport, zum Beispiel im Boxen, gibt es folgende Situation: Der Athlet wird ca. drei bis vier Monate vor einem Kampf anfangen zu trainieren. Kurz vor dem Wettkampf, ein paar Tage davor, stoppt er sein Training. Das hat den Grund, dass man die Kraft »verdauen« muss. Auch hierauf werde ich später noch genauer eingehen. Wenn man über einen langen Zeitraum täglich trainiert und alles erforderliche Wissen im Körper eingebettet hat, wird dieser Prozess kurz vor dem Wettkampf unterbrochen. Nach ein paar Tagen Erholungspause wird man sich am Wettkampftag völlig frisch fühlen, und ein neues Gefühl der Stärke wird sich einstellen. Man wird förmlich explodieren.

Niemand fühlt sich zu allen Zeiten gleich. Morgens beispielsweise ist man nicht so flexibel, beweglich und dynamisch wie am Nachmittag. Dafür hat man abends nicht die Balance, Stabilität und Festigkeit in den Bewegungsabläufen. Ein Boxkampf hätte, am Morgen ausgetragen, nicht den gleichen Verlauf wie abends. Hier kann man durchaus einen Vergleich zwischen Zweikampf und Krieg ziehen. Clausewitz schreibt beispielsweise: »Für die Anlage einer großen Schlacht ist es ein wesentlicher Unterschied, ob sie am Morgen oder Nachmittag anfängt.«

In den Profisportarten und der Sportwissenschaft arbeitet man heute mit genau durchdachten Trainingsplänen. Es wird festgelegt, wann man welche Übungen machen soll, wie man sich am besten auf einen Wettkampf vorbereitet, um dann genau im Moment des Wettkampfes seine beste körperliche Leistung abrufen zu können. So wird im Sport immer auf ein bestimmtes, zeitlich festgelegtes Ereignis hingearbeitet. Nach diesem Ereignis wird der Sportler beim Training erst einmal wieder »auf die Bremse treten«.

Die Welt des Sports unterscheidet sich erheblich von der des gongfu, wie es einst die Kampfkünste prägte. Das Training der Kampfkünste war niemals dafür gedacht, jemanden auf ein bestimmtes zeitlich festgelegtes Ereignis vorzubereiten. Es war dafür bestimmt, den Menschen körperlich und geistig dafür vorzubereiten, dass er sein Können jederzeit abrufen konnte. Das bedeutet gongfu. Dafür war tägliches Üben notwendig. Es wurde sogar in den Tagesablauf integriert und beschränkte sich nicht auf ein zeitlich begrenztes Intervall-Training, wie es für den Profisport gilt. Diese Art des Übens wurde das ganze Leben lang praktiziert. Gongfu ist ein Synonym für Beharrlichkeit, es ist ein ständiger und lebenslanger Wegbegleiter. Bei uns heutigen Menschen ist solch stetes Bemühen so gut wie nicht mehr existent.

Es gibt kein echtes oder falsches gongfu. Es gibt nur gongfu. Die Meister sagen: »Gongfu hui ziran dao jia« (功夫会自然到家). –»Gongfu wird ganz natürlich kommen.« Dies ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Gongfu kann man nicht bewusst herbeiführen und zeitlich planen. Es ist kein Ereignis. Deshalb erreichen es die meisten nie. Es ist abwegig, gongfu messbar machen zu wollen, durch Graduierungen, Stufen oder Prüfungen. Sobald man den Versuch einer Festlegung wagt, hat man es nicht mehr mit dem gongfu zu tun. Je mehr man sich bemüht, desto langsamer kommt man voran. In China sagt man hierzu: »You xin cai hua hua bu fa, wu xin cha liu liu cheng yin« (有心裁花花不发, 无心插柳柳成荫). –»Blumen, die man mit viel Mühe pflanzt, erblühen nicht; ein Weidenzweig dagegen, den man gedankenlos in die Erde steckt, wächst zu einem schattigen Baum heran.« Dieses Sprichwort gibt die Bedeutung und Wirkung des gongfu ebenfalls sehr gut wieder.«


gong hui ziran dao

Die Fähigkeiten kommen bei ausdauerndem Training

von ganz allein.

Wu

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