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Dalei – Wettkampf auf Leben und Tod

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Zu allen Zeiten und in allen Ländern hatten die Kämpfer das Bedürfnis herauszufinden, wer von ihnen der Beste sei. Bei einigen von diesen Zweikämpfen nahm man den Tod in Kauf, während es bei anderen Duellen eher um die Zurschaustellung des Könnens ging. Bekannt geworden sind unter anderem die epischen Helden Achilles und Hektor49, die Gladiatoren Priscus und Verus50 oder die samurai Musashi und Gonnosuke51. Die meisten von ihnen liebten den Kampf, das Kräftemessen, aber es gibt auch Beispiele für große Brutalität. Einige Duellanten ließen es beim Fließen von Blut nicht bewenden, sondern sie suchten den Tod, den ihres Gegners oder auch ihren eigenen. Ich habe unzählige Biographien von Kämpfern gelesen und war manchmal erstaunt, wie wenig heldenhaft es bei ihren Kämpfen oft zuging. Beim Studium der Kampfkünste und des Lebens der Kämpfer sollte man sich besser von jeder romantischen Vorstellung trennen.

In China hat der Zweikampf eine lange Tradition. Schon aus dem Altertum sind zahlreiche Berichte überliefert. Doch auch hier spielte sich gewiss nicht alles so ab, wie es niedergeschrieben wurde.

Durch die große Vielfalt an Kampfschulen gab es natürlich regelmäßig Reibereien. Jeder Meister wollte beweisen, dass seine Schule die beste war. Herausforderungen waren an der Tagesordnung. Die Kämpfer mussten daher ständig bereit sein. Wer unterlag, verlor im harmlosesten Fall seine Schüler, im schlimmsten Fall sein Leben. All das wurde in Kauf genommen, damit der eigene Name im Land bekannt würde. Das liegt in der Natur der Sache, und daher machten eigentlich fast alle Meister die gleiche Entwicklung durch. Erst im Alter wurden viele der Meister zu besonnenen Menschen, die ihre Tage im meditativen Sitzen verbrachten. Sie zogen sich aus der menschlichen Gesellschaft zurück, weil ihnen die Sinnlosigkeit der meisten Dinge im Leben bewusst wurde.

Vor 1949 fanden in China regelmäßig Wettkämpfe statt, die man als dalei bezeichnete. Hierbei traten auf einer Plattform (leitai, 擂臺) zwei Kämpfer gegeneinander an. Die heutigen Veranstaltungen gleichen Namens haben damit nichts mehr gemein. Damals kämpfte man ohne Regeln, ohne Runden oder Zeitlimit bis zur Entscheidung. Das dalei war auf jeden Fall anders, als Bücher und Filme es vermitteln. Hinsichtlich des Kampfes ähnelte das dalei eher der Gladiatur und weniger den modernen Kampfsportturnieren. Von der Geisteshaltung her glich es jedoch eher der westlichen Duellkultur. Man sieht daran, dass diese chinesische Tradition wirklich sehr eigen ist. Die Niederlage auf dem leitai konnte stets den Tod nach sich ziehen, und jeder war sich dessen bewusst. Was aber genau das dalei ausmachte, wird heute schwer zu beantworten sein. Es gibt heute wohl keinen lebenden Meister mehr, der noch an diesen Wettkämpfen teilgenommen hat. So kann ich auch hier nur auf überlieferte Geschichten zurückgreifen, die ich von meinem shifu oder anderen Meistern hörte. Diese Legenden und Erzählungen vermitteln aber ein überzeugendes Bild über das Wesen der effektiven Kampfkunst.

Bei den Kämpfen auf dem leitai stellten sich zwei Kämpfer einander gegenüber. Einer griff plötzlich an, traf oder wurde gekontert und selbst getroffen. In den meisten Fällen war das bereits das Ende. Derjenige, der besser angriff oder besser konterte, gewann den Kampf. Es gab während des Kampfes keine Regeln. Nur das Podest durfte nicht verlassen werden. In diesem Fall war das Treffen vorbei. Wer es verließ, hatte verloren. Die Kämpfe auf dem leitai gingen sehr schnell vorüber, da jeder von Anfang an versuchte, den Gegner an gefährlichen Stellen des Körpers zu treffen. Minutenlange Kämpfe wie im Film gab es nicht. Sie wären bei dem damaligen gongfu und der explosiven Kraft der Meister gar nicht zustande gekommen. Viele Kämpfe dauerten wohl nicht viel länger als das Niederschreiben dieses Satzes.

Der aus Chongqing stammende Meister Zeng Tianyuan war der vermutlich letzte Dalei-Champion von China. Über ihn werde ich noch ausführlicher berichten.52 Meister Zeng Tianyuan erzählte meinem shifu: »Wenn man seinen Gegner nicht mit drei Techniken kampfunfähig gemacht hat, hatte man verloren.« Meister Zeng ist die wohl beste Quelle, wenn es um das dalei geht. In einigen Punkten ähnelt er dem Okinawaner Motobu Choki. Wie dieser verband er nämlich sein vielfältiges Wissen um die Kampfkunst mit seinen praktischen Kampferfahrungen. Meister Zeng hinterließ einige sehr interessante Formen, die sich durch hervorragende Anwendbarkeit auszeichnen.

Die Kampfpraxis dieses Meisters ist nicht hoch genug einzuschätzen und heute kaum noch nachvollziehbar. Zeng Tianyuan kämpfte in allen Gebieten des Landes, von Chongqing in Sichuan bis nach Shanghai. Einige seiner grandiosesten Dalei-Kämpfe lieferte er sich bei einem Turnier in der Provinz Hunan, bei dem die besten Kämpfer des Landes gegeneinander antraten. Wer eine solche Veranstaltung nicht nur einigermaßen unbeschadet überstand, sondern auch noch gewann, konnte sich ohne weiteres zu den besten Kämpfern auf der ganzen Welt zählen.

Diese gefährlichen Turniere gab es in ganz China. Es gab kleinere, regional beschränkte Veranstaltungen zwischen verschiedenen Schulen oder große öffentliche Kämpfe, zu denen Meister aus dem ganzen Land anreisten. Auch Ausländer maßen sich auf dem leitai, und zwar oft mit Erfolg. So gab es sehr starke und erfahrene russische Boxer und Ringer sowie japanische Budo-Kämpfer, die an solchen Kämpfen teilnahmen und dadurch ihr Land vertraten. Auf diese Weise entstanden besonders im 19. und 20. Jahrhundert einige Heldengeschichten, in denen chinesische Meister jene Ausländer besiegten, die zuvor ungeschlagen waren.

Der bekannteste von ihnen ist Huo Yuanjia53. Auch er ist ein sehr interessanter Charakter. Über ihn sind sehr viele Geschichten im Umlauf, die teilweise auch verfilmt wurden. Allerdings haben diese Darstellungen nichts mit der Realität des dalei zu tun. Durch Vermarktung seines Namens und durch Filme wie »Todesgrüße aus Shanghai« (Bruce Lee) und »Fearless« (Jet Li) wurde er eine bekannte Persönlichkeit. Allerdings stimmt die Geschichte, wie man sie beispielsweise im Film »Fearless« sieht, nicht. Die von den meisten Meistern in China für wahr gehaltene Geschichte ist, dass Huo ein aus Tianjin stammender Händler war, der Essen verkaufte und durch unermüdliches Training der Kampfkunst einen starken Körper bekam. Besonders seine Schulterkraft soll enorm gewesen sein. Und natürlich dauerten auch seine Kämpfe nicht den halben Vormittag …

Es war übrigens nicht zwingend so, dass die Teilnehmer am dalei unbedingt einen bestimmten Stil vertraten. Es ist natürlich eine reizvolle Vorstellung, eine Schule als die allen anderen überlegene annehmen zu können, aber auch bei diesen Vergleichskämpfen maßen sich in erster Linie Menschen. Oft vertraten einzelne Kämpfer keinen Stil. Sie benutzten nur diverse Techniken und hatten sich durch alte Gong-Übungen enorme Kräfte antrainiert. Diese Kämpfer hatten oftmals ihr Leben lang noch nie eine Form geübt. Sie hatten nur richtig kämpfen gelernt.

Heute beruft man sich gern auf zahllose angeblich traditionelle Stile. Einige haben Hunderte von Techniken, andere tausend Möglichkeiten, um einen Kampf zu gewinnen. Tatsache ist jedoch, dass wirklich traditionelle Stile nur wenige Techniken besitzen, und dazu gibt es ein ausgesprochen hartes Training und Gong-Übungen, um Kraft aufzubauen. Diese Techniken waren selten raumgreifend, sondern knapp, und sie wurden mit einer flexiblen Kraft ausgeführt. Mehr war im Grunde nicht nötig.

Die modernen Formen, die man auf vielen Turnieren sieht, haben sich größtenteils von ihrem Ursprung entfernt. Man hat die taolu verändert, damit sie tauglich für Formenturniere wurden. Auf einem leitai würde man damit keinen Schritt weit kommen. Man wäre vermutlich tot, sobald man das Podest betreten hätte.


rou zhong you gang gong bu po, gang zhong you rou li wu bian

In der Weichheit gibt es eine harte, unzerstörbare Kraft.

In der Härte gibt es die grenzenlose Kraft der Weichheit.

Wu

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