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2.2Rückschaufehler

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Wir tendieren dazu, Ereignisse als zwangsläufige Folge von Gründen zu interpretieren, die dem Ereignis aber erst im Nachhinein in dieser Weise zugeordnet werden. Das ist vergleichbar mit jemanden, der uns, nachdem die Lottozahlen gezogen wurden, die Gründe dafür erklärt, dass es so und gar nicht anders kommen musste.

Der Rückschaufehler führt zu einem Fehlurteil. Denn die Zwangsläufigkeit, die er suggeriert, ist eine Illusion. Sie zeigt aber, wie gerne wir abschließende Kausalketten mit einem klaren Ergebnis haben. Psychologisch ist das attraktiv. Wir fühlen uns kompetent, Dinge durchschauen und verstehen zu können. Das reduziert Unsicherheit. Wir haben im Gegenteil das Gefühl, in einer berechenbaren Umwelt zu leben, in der man nicht von Ereignissen überrascht wird. Denn wir wissen, was warum geschehen ist.

Das Phänomen lässt sich häufig bei Sportereignissen beobachten. Ein Fußballspiel wurde gewonnen oder verloren. Jemand wurde überraschend Weltmeister oder gerade nicht. Sofort erklären uns Experten, warum es genau so kommen musste, wie es kam. Überlegene sportliche Technik, mentale Stärke, der richtige Trainer, mannschaftliche Geschlossenheit und viele andere Gründe werden in einer differenzierten Analyse angeführt. Nun muss das eine oder andere gar nicht falsch sein. Oft ist aber die suggerierte Zwangsläufigkeit falsch. Denn fast immer handelt es sich im Sport nicht um ein vollständig determiniertes Ereignis. Das heißt, es gibt vor dem Ereignis meist keine 100-prozentige Wahrscheinlichkeit für einen Sieg oder eine Niederlage. Die Siegeswahrscheinlichkeit ist vor dem Ereignis vielleicht 90 Prozent oder 40 Prozent oder nur 0,2 Prozent. Häufig werden Zufälligkeiten oder die Tagesform ausschlaggebend sein oder das Ergebnis entspricht schlicht der statistischen Wahrscheinlichkeit für eine Niederlage oder einen Sieg. Besteht eine 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dann sind Sieg bzw. Niederlage bei beiden Mannschaften gleich wahrscheinlich. Bei einem Sieg würden uns im Nachhinein aber klare Gründe für diesen Sieg präsentiert, die sich völlig von denen unterscheiden, die im umgekehrten Fall als Gründe für die Niederlage vertreten würden.

Der Rückschaufehler spielt eine große Rolle bei der Prognose zukünftiger Ereignisse und insbesondere bei der Einschätzung von Risiken. Wird z. B. ein Risiko, das 1 Prozent beträgt, zutreffend als gering bezeichnet, dann bedeutet das, dass sich dieses Risiko in 100 Fällen einmal realisiert und 99 Mal nicht. Kommt es aber dann zu diesem Fall, dann wird dieser nicht zu den 99 Fällen, die gut gegangen sind, in Beziehung gesetzt. In der Logik des Rückschaufehlers heißt es, die Einschätzung war falsch. Denn, wenn das Risiko tatsächlich gering war, dann hätte es ja nicht zu diesem Fall kommen dürfen.

Kahneman demonstriert den Rückschaufehler anhand von Prognoseeinschätzungen bei Ärzten, Finanzberatern, Trainern, Topmanagern, Sozialarbeitern, Diplomaten, Politikern. Demnach neigen wir dazu, »Entscheidungsträger für gute Entscheidungen, die einen negativen Ausgang nehmen, zu tadeln und für erfolgreiche Maßnahmen, die erst im Nachhinein naheliegend erscheinen, nicht genug zu loben.« [4, S. 252] Allgemein sei es so, dass Rückschaufehler zu einer erhöhten Scheu vor Risiken – insbesondere bei Entscheidungsträgern – führten. Allerdings »bringen sie unverantwortlichen Hasardeuren auch unverdiente Belohnungen, wie etwa einem General oder einem Unternehmer, die ein aberwitziges Risiko eingingen, das sich auszahlte. Führungspersonen, die Glück haben, werden nicht dafür bestraft, dass sie zu hohe Risiken eingegangen sind.« [4, S. 253]

Der Rückschaufehler begegnet uns in der Politik, in der Wissenschaft, aber auch in unserem täglichen Leben an vielen Stellen. Die Kontrollfrage, die man sich stets selbst stellen kann, lautet: Wären vor dem Ereignis, ohne Kenntnis des Ausgangs des Ereignisses, die gleichen Argumente in der gleichen Weise angeführt worden?

Darwin schlägt Kant

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