Читать книгу Darwin schlägt Kant - Frank Urbaniok - Страница 7

Was ist Aufklärung?

Оглавление

Die Aufklärung hat die Menschheit tiefgreifend verändert. Sie prägt bis heute unser Denken und ist Grundlage einer Fülle zivilisatorischer Errungenschaften. Die Aufklärung ist im Kern eine Haltung. Sie ist das Streben, die Welt, ihre Gesetzmäßigkeiten und auch uns selbst möglichst unvoreingenommen zu erforschen, dadurch Erkenntnisse zu gewinnen und so auf vielen Gebieten Fortschritte zu erzielen. Ein in der Menschheitsgeschichte beispielloser Zuwachs wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Fortschritt lassen sich ebenso auf die Aufklärung zurückführen wie Menschenrechte und demokratische Staatsformen.

1784 hat der Philosoph Immanuel Kant seinen berühmten Aufsatz »Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?« geschrieben. »Aufklärung«, so lautet darin seine Antwort, »ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.« Und weiter: »Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! [Wage es, weise zu sein!; F. U.] Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.«

Für Kant sind »Faulheit und Feigheit« die Ursachen dafür, dass die meisten Menschen »zeitlebens unmündig« bleiben. Denn es sei bequem, nicht selbst zu denken, sondern anderen dieses »verdrießliche Geschäft« zu überlassen. Für die meisten Menschen sei es schwer, sich aus der »beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten«. Weil sie nicht daran gewöhnt seien, ohne Anleitung und Vorgaben eigenständig zu denken, würden sie beim freien Denken »auch über den schmalsten Graben einen nur unsicheren Sprung thun […]. Daher giebt es nur Wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit heraus zu wikkeln, und dennoch einen sicheren Gang zu thun.« [1]

Der Aufsatz ist ein flammendes Plädoyer für den freien Geist – oder, um einen heute gebräuchlicheren Begriff zu gebrauchen: den mündigen Bürger. Kant wendet sich gegen Denkverbote. In seinem Aufsatz betont er damit den emanzipatorischen Aspekt der Aufklärung. Man soll sich von Ideologien und gesellschaftlichen Dogmen befreien, die einem offenen Prozess des Erkennens und Verstehens im Wege stehen. Kant beschreibt damit einen wichtigen Faktor, durch den eigenständiges Denken und damit die Mündigkeit eines Menschen behindert werden können: Es handelt sich um einengende gesellschaftliche Bedingungen.

Wie viele andere Autoren seiner Zeit richtete Kant seine Kritik gegen die christliche Religion und ihre kirchlichen und gesellschaftlichen Repräsentanten. Sie gaben in der westlichen Welt über Jahrhunderte vor, wie die Welt, wie der Mensch, wie die Schöpfung beschaffen seien und welche Ordnung sich hieraus auf Erden ableiten müsse. Verständlicherweise sah die Kirche durch die Ideen der Aufklärung ihr Wissensmonopol und damit auch ihre irdische Macht bedroht. Kant nimmt aber auch die Bürger selber in die Pflicht. Denn er unterstellt, dass sie durch ihre Vernunft zwar grundsätzlich die Möglichkeit zur Selbstbefreiung in sich tragen, ihr Potenzial jedoch häufig aufgrund von Bequemlichkeit und mangelndem Mut nicht ausschöpfen.

Bevormundende Autoritäten sind zweifellos ein wichtiges und nach wie vor aktuelles Hemmnis für die Anliegen der Aufklärung. Denken wir an totalitäre Systeme, an Pressezensur, Verfolgung von politisch Andersdenkenden, an politischen oder religiösen Fanatismus. Sie sind aber längst nicht das einzige Hindernis für einen unvoreingenommenen Erkenntnisprozess.

Auch auf der persönlichen Ebene gibt es viele Hindernisse, die sich einem aufgeklärten Verständnis der Welt und einem darauf basierenden vernünftigen Handeln in den Weg stellen. Es sind Hindernisse, die damit zu tun haben, wie die menschliche Vernunft und die menschliche Psychologie konstruiert sind. Das wiederum hat mit der evolutionären Entwicklung des Menschen zu tun. Die von Kant genannten persönlichen Haltungen, Bequemlichkeit und fehlender Mut, sind hier nicht einmal die Spitze eines riesigen Eisbergs, der den meisten Menschen unbekannt ist. Von diesem Eisberg, seinen Konsequenzen, aber auch von möglichen Lösungsansätzen wird in diesem Buch die Rede sein.

Darwin schlägt Kant

Подняться наверх