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2.8Kausalitätsillusion
ОглавлениеEs gibt sehr viele Befunde, die zeigen, dass die Wahrnehmung von Kausalität, also das Wahrnehmen von Ursache-Wirkungs-Beziehungen, ein sehr frühes Muster ist, das Menschen auf Vorgänge der Außenwelt projizieren. Kahneman schildert das Experiment von Fritz Heider und Mary-Ann Simmel aus dem Jahr 1944:
»Sie stellten einen Film her, der nur eine Minute und vierzig Sekunden lang ist und in dem man ein großes Dreieck, ein kleines Dreieck und einen Kreis sieht, die sich um eine Figur bewegen, die aussieht wie die schematische Ansicht eines Hauses mit einer offenen Tür. Die Betrachter sehen ein aggressives großes Dreieck, das ein kleineres Dreieck drangsaliert, einen verschreckten Kreis, wobei sich der Kreis und das kleine Dreieck verbünden, um den Rüpel zu überwältigen; sie sehen auch viel Gezerre an einer Tür und dann ein explosives Finale. Der Eindruck von Absicht und Emotionalität ist unwiderstehlich; nur Menschen, die an Autismus leiden, erleben dies nicht. Natürlich geschieht dies nur in unserem Kopf. Unser Gehirn ist nicht nur bereit, sondern regelrecht darauf aus, Akteure zu identifizieren, ihnen Persönlichkeitszüge und spezifische Intentionen zuzuschreiben und ihre Handlungen als Ausdruck individueller Neigungen zu interpretieren.
Auch hier sprechen die empirischen Befunde dafür, dass wir mit einer Anlage für intentionale Attributionen geboren werden: Schon Säuglinge unter einem Jahr identifizieren Rüpel und Opfer und erwarten von einem Verfolger, dass er den kürzesten Weg nimmt, um das zu fangen, hinter dem er her ist.« [4, S. 102–103]
Wir sind extrem darauf ausgerichtet, Kausalität und stimmige Geschichten zu konstruieren. Man kann sich leicht vorstellen, warum das sinnvoll ist. In einer Flut möglicher Informationen und Details ist es ein Gebot der Effizienz, nicht jede einzelne Information und jedes einzelne Detail abzuspeichern, sondern nach übergeordneten Mustern zu suchen. In einer kausalen Ordnung, in einer stimmigen Geschichte, in einem erklärenden Muster lassen sich Informationen in ökonomischer Weise verdichten. Neben der Reduzierung von Komplexität vermitteln uns Kausalität und andere identifizierte Muster ein Gefühl von Sinn und Kontrolle. Wir haben Angst, uns in zusammenhanglosen, für uns sinnlosen Informationen und Zufälligkeiten zu verlieren. Deswegen gibt es die starke Tendenz, Informationen und Ereignisse, mit denen wir konfrontiert werden, in ein Muster oder eine runde Geschichte zu zwängen. Wir lieben es, am Schluss etwas Kompaktes, Übersichtliches und Eindeutiges vor uns zu haben, einem Auto gleichend, das in einer Schrottpresse zu einem kompakten Rechteck zusammengedrückt wurde.
Man weiß, dass das Gehirn uns diese Tendenz vorgibt. Ein Drogenspürhund ist auf das Aufspüren von Drogen ausgerichtet. In ähnlicher Weise sucht unsere linke Hirnhälfte immer und überall nach Mustern. Anders als der Drogenspürhund wird sie aber fast immer fündig. Denn sie kann die vermeintlichen Muster selbst konstruieren und die Informationen so auswählen, formen und interpretieren, dass in der subjektiven Perspektive am Schluss alles zusammenpasst. Auch Neurotransmitter wie zum Beispiel Dopamin unterstützen diesen Prozess. So hilft Dopamin, bestimmte Muster zu fokussieren und dieses eine fokussierte Muster gegen konkurrierende Eindrücke (Muster) abzuschotten. Es begünstigt also eher ein Entweder-oder statt eines Sowohl-als-auch.
Unsere gesamte psychologische und biologische Programmierung ist darauf ausgerichtet, der Welt Muster, Regeln und vor allem Kausalität überzustülpen. Manchmal werden sie der Wirklichkeit auch halbwegs gerecht. Oft produzieren sie aber nur heiße Luft und nichts anderes als eine Verzerrung, die zwar mit der Wirklichkeit kaum oder gar nicht übereinstimmt, aber sich gut anfühlt.