Читать книгу Taubenjahre - Franziska C. Dahmen - Страница 7
Auf dem Revier
ОглавлениеWie stets wurde Rafael auch auf diesem Revier zunächst auf die Eckdaten seines statistischen Daseins reduziert.
»Name?«
»Zlobek.«
»Vorname?«
»Rafael.«
»Zigeunername?«
»Rafael Zlobek«
»Geburtstag?«
»18.3.1907«
»Geburtsort?«
»Frankfurt am Main.«
»Staatsangehörigkeit?«
»Deutsches Reich.«
»Beruf?«
»Pferdehändler und Musikant.«
»Personenstand?«
»Verwitwet.«
»Zeit und Ort der Eheschließung?«
»16.5.1925, Friedrichshafen.«
»Name der Ehefrau?«
»Margita Tylo.«
»Sterbedatum und – ort?«
»18.2.1927, Graz, Österreich.«
»Kinder?«
»Nein.«
»Name des Vaters?«
»Anton Zlobek.«
»Name der Mutter?«
»Rupa Zlobek, geborene Grave.«
»Besondere Kennzeichen?«
»Ein um 4,2 Grad abstehender kleiner Zeh am rechten Fuß.«
Der Blick des Beamten schnellte nach oben. »Sie wollen mich wohl verarschen, was?«
»Nein, Herr Wachtmeister. Das wurde amtlich so festgestellt.«
»Mhm …Gut. Wenn sie hier ihre Fingerabdrücke setzten würden?!« Der grobknochige Polizist mit der routiniert geschulten, trockenen Karteikartenstimme schob ihm zusammen mit dem Stempelkissen einen Bogen entgegen und wartete, bis Rafael seine Fingerlabyrinthe in jedes dafür vorgesetzte Kästchen gesetzt hatte, ehe er beides wieder an sich nahm.
»Können sie sich ausweisen? Bescheinigungen etc …?«
Rafael nickte und reichte ihm ein fein säuberlich in Leinen eingewickeltes Papierbündel, das dieser entschleierte, um sämtliche schwarz auf weiß fixierten Angaben mit den seinigen zu vergleichen. Ein letzter prüfender Blick auf zwei Verwirbelungen seines Daumenabdrucks einerseits sowie ein kurzer Vergleich zwischen gestempeltem Passfoto und höchst vitalem Original andererseits und Rafael bekam sein Papierbündel samt Leinentuch zurück.
»Alles in Ordnung, Herr Zlobek. Sie können dort Platz nehmen. Wachtmeister Hundgeburth wird sie dann aufrufen.«
Die personifizierte Breitbeinigkeit hieß also Hundgeburth, dachte Rafael und versuchte das geistige Bild, das im Bruchteil von einer Sekunde aus dem kreisrunden Kopf des Wachtmeisters den einer französischen Bulldogge moduliert hatte, zu vertreiben, indem er sich umschaute.
Das Revier schien unterbesetzt zu sein. Ein langer, hölzerner Tresen trennte den Raum in zwei fast gleichgroße Hälften. Die eine um einige Zentimeter dezimierte Hälfte blieb der Öffentlichkeit vorbehalten, die breitere den Dienern des Staates. Letztere wurde momentan von der zur Büste mutierten Karteikartenstimme beherrscht, die immer noch hinter dem Tresen stand und einige Papiere ordnete. Ein weiterer Beamter saß fest verankert am Schreibtisch und füllte Formular aus.
Die gemächliche Ruhe wurde erst unterbrochen als eine ältere Dame zusammen mit ihrem laut kläffenden Pudel die Wache betrat und damit den Beamten mit der Karteikartenstimme aus seiner Ruhestellung erweckte.
»Kann ich ihnen behilflich sein, gnädige Frau?«, fragte er beflissen und griff automatisch nach einem Stapel Karteikarten.
Die ältere Dame, die in der Zwischenzeit ihren Pudel auf den Arm genommen hatte, stieß ein aufgeregtes: »Herr Wachtmeister …«, aus. Weiter kam sie jedoch nicht, da ihr Pudel sie mit einem laut vernehmlichen Wau, Wau, Wau unterbrach.
»Still Mimi!«
Der Pudel leckte ihr das Gesicht ab.
»Herr Wachtmeister …«
Wau, Wau, Wau…
Ob sich dieses Wau wohl im Bericht wiederfinden wird?, fragte Rafael sich insgeheim, als die alte Dame ihren Namen angab und prompt von ihrem Pudel unterbrochen wurde. Es wäre zu schön. Hen-ri-et-te – Wau – Sie-mo-ni-tas - Wau. Vier Silben und ein Wau. Gerade als Rafael darüber nachsann, ob der Pudel vielleicht in der Lage war, Silben zu zählen, wurde er von einer bekannten Stimme aus seinen Gedanken gerissen.
»Herr Zlobek?«
Wachtmeister Hundgeburth stand in seiner natürlichen Breitbeinigkeit vor ihm. »Sofern sie die Stadt die nächsten zwei Tage nicht verlassen, können sie gehen. Melden sie sich jeden Morgen um 9 Uhr im Revier. Guten Tag.«
Rafael nickte nur. Er hatte nicht vor, zu fragen, warum er sich weiter zur Verfügung halten sollte, geschweige denn, nachzuhaken, was mit Karl sei. Solange er das Revier als freier Mann verlassen konnte, war ihm alles Weitere egal.
Noch während er die Tür schloss, ging ihm auf, dass der schwarze Pudel den Redefluss des Wachtmeisters mit keinem einzigen Wau unterbrochen hatte.