Читать книгу Schloßstraße - Franziska Steinhauer - Страница 11

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Bianca liegt auf dem Bauch.

Atmet möglichst flach.

Der Kerl hat eine Waffe – und den ersten Menschen aus ihrer Gruppe schon erschossen.

Seither ist es ziemlich still.

Sie hört nur das Atmen der anderen.

Der schwarzgekleidete Mann spricht nicht.

Gar nicht.

Dirigiert seine Geiseln mit Handzeichen, Stößen, Tritten. Emotionslos. Offensichtlich ist es ihm vollkommen gleichgültig, dass er Einzelnen heftige Schmerzen zugefügt hat.

Der alten Dame zum Beispiel.

Seit dem Tritt gegen ihren Kopf wimmert sie nur noch leise. Bianca kann sehen, wie Blut in ihre grauen Haare sickert.

Andere Geiseln hat der Vermummte genötigt, die mobilen Displays mit Waren aus dem Weg zu räumen, damit die Gänge frei werden. Alles wird verschoben. Ein Stuhl steht nun so, dass er alles überblicken kann, auch jede gefangene Person jederzeit mit nur einem Schuss treffen wird.

Alle sind voller Angst, einige stehen sicher unter Schock.

Wenn der Kerl doch wenigstens sagen würde, was er mit der ganzen Aktion bezweckt! Aber nein! Keine Silbe, kein Laut.

Die meisten liegen mit dem Gesicht nach unten. Ihr Atem lässt den Boden feucht werden, Speichel tropft über die geöffneten Lippen. Bianca ekelt sich vor sich selbst, dem Geruch, den sie verströmt.

Der Kerl hatte mit seinen Händen signalisiert, dass sie sich alle bäuchlings hinzulegen hätten.

Schnell.

Einige waren nicht so fix, waren gebrechlich, alt oder schlicht unbeweglich. Schafften es nicht schnell genug.

Wie die jüngere Frau im grünen Mantel und der weißen Bluse. Die ist nun tot.

Erstaunen in ihrem Gesicht.

Dann Fassungslosigkeit.

Zum Schluss Leere.

Der Kerl hat sie vor die Tür werfen lassen. Wie Müll.

Bianca würde gern auf die Uhr sehen. Traut sich aber nicht. Möchte die Bewegung nicht mit dem Leben bezahlen.

Julian.

Normalerweise schläft er um diese Zeit noch fest, versucht sie sich zu beruhigen und weiß, dass ihr Sohn sicher bald aufwachen wird. Und dann? Was wird er tun, wenn sie nicht kommt, um ihn aus dem Bett zu heben, anzuziehen, zu füttern? Was passiert, wenn er merkt, dass er in der Wohnung ganz allein ist? Ein eisiger Schreck zuckt durch ihren Körper, als sie versucht, sich daran zu erinnern, ob sie die Tür abgeschlossen hat. Je mehr ihre Gedanken um Julian kreisen, desto unruhiger wird sie. Lässt Revue passieren, was sie getan hat, bevor sie noch schnell zum Cube flitzen wollte.

Reisekasse.

Geld, das sie vom Haushaltsgeld abgezweigt und auf einem eigenen Konto »geparkt« hat.

Immer nur winzige Beträge.

Natürlich ohne Manuels Wissen.

Sie wollte nur schnell am Automaten … und nun hat sie ihren kleinen Julian dem Vater ausgeliefert.

Panik flutet ihren Körper, lässt ihn abwechselnd kalt und heiß werden.

Die Koffer! Sie stehen fertig gepackt im Flur. Parat für den Aufbruch in eine wunderbare Zukunft. Sollte Manuel vor ihr nach Hause kommen, wird er sie sofort sehen und wissen, was sie vorhatte. Und Julian wird seinem Papa dann hilflos ausgeliefert sein. Es kostet sie beinahe übermenschliche Kraft, den Schrei zu unterdrücken, der sich Bahn brechen will.

Das ist alles nur meine Schuld, erkennt Bianca glasklar. Den initialen Fehler habe ich schon vor Jahren begangen, danach war ich zu schwach für Korrekturversuche – und nun das! Jetzt überlasse ich auch noch meinen Julian dem brutalen, prügelnden Vater.

Mit ein bisschen Glück hört die Nachbarin Julians Weinen und hilft ihm, keimt Hoffnung in ihr auf. Doch dann fällt ihr ein, wie Manuel die Frau gestern zurechtgewiesen hatte, als sie bei ihnen klingelte – mitten in einer seiner Bestrafungsaktionen.

»Soll ich die Polizei verständigen?«, wollte sie von Bianca wissen, die zitternd im geöffneten Spalt der Tür stand und verzweifelt den Kopf schüttelte. »Man muss sich nicht alles gefallen lassen. Als Frau nicht und als Mutter schon gar nicht«, insistierte sie.

Manuel baute sich hinter ihr auf und beschimpfte die freundliche Nachbarin laut und unbeherrscht. Blockwartin, nannte er sie, meinte, sie hätte vor vielen Jahren eine steile Karriere als Spitzel machen können, heute jedoch gäbe es Privatsphäre!

Nun, Silvana würde wohl doch nicht wagen, noch einmal zu stören.

Zumal Bianca sich noch nicht entschuldigt hat. Sie hatte es vor, ja, es aber dann heute Morgen wieder vergessen. Und jetzt wäre es … Sie versucht, diese kreisenden Gedanken abzuschalten. Julian schläft. Manuel wird ihm nichts antun, wenn er vor ihr nach Hause kommt – er wird das Kind nicht anrühren! Und überhaupt, redet sie sich ein, die Sache hier wird schnell beendet, die Polizei ist sicher schon vor Ort. Im Fernsehen hat sie gesehen, dass das ganz einfach ist. Sie muss nur auf den roten Punkt warten, der das Ziel markiert, dann kommt der Schuss und sie gehen alle nach Hause. Kein Problem.

Doch ihre Angst ist nicht so leicht zu überzeugen. Sie speist sich aus den erinnerten Bildern. Und Bianca bleibt nur zu versuchen, nicht aufzufallen.

Zu ihrer Linken liegt ein Mann.

Weißhaarig, Zopf, schlank, feingliedrige Hände. Der starrt nur auf den Boden. Atmet ruhig.

Ganz bestimmt hat der nie in seinem Leben eine Frau geschlagen.

Er ist sicher ein verständnisvoller Mann.

Einer, der sein Leben im Griff hat.

Ihre Zuversicht wächst.

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