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Bianca hatte wie an jedem Morgen das Frühstück für ihren Freund Manuel zubereitet, während er unter der Dusche stand. Nahrhaft sollte es sein, gesund und lecker. Seit der Kleine da war. Als ob er mit Stillen beschäftigt gewesen wäre! Sie schmunzelte kurz bei dem Gedanken, wurde aber sofort wieder ernst.

Während sie das Obst für sein Müsli in mundgerechte Stücke schnippelte, ging sie ihren geheimen Plan noch einmal durch. Wenn sie ihn diesmal wieder nicht umsetzte – wie schon so oft –, dann würde sie es wohl nie schaffen, ihr Leben und das des kleinen Julian in die eigenen Hände zu nehmen.

Gestern Abend.

Er hatte sie geschlagen. Schon wieder.

Vorsichtig betastete sie die schmerzenden Stellen im Gesicht, am Körper. Ließ die Finger auf der Wunde an der Stirn nur flüchtig verweilen, strich vorsichtig über die geplatzte Lippe und fragte sich, ob es ihr gelingen würde, das schicke Veilchen zu überschminken, das er ihr verpasst hatte.

Zum Glück schlief Julian in der Regel tief.

Oder tat zumindest so. Bianca fragte sich, ob schon so kleine Kinder spürten, wann es für sie besser war, nicht auf sich aufmerksam zu machen, selbst wenn sie schreckliche Angst hatten.

Auch gestern Abend war er nicht ein einziges Mal unruhig geworden. Selbst dann nicht, als sein Vater die Lampe in den Glasschrank geworfen hatte, in dem Weingläser und Sektkelche standen. Stunden dauerte es danach, all die Scherben aus dem hohen Flor des Teppichs zu klauben. Unter Manuels wachsamem Blick und im Schein einer lichtstarken Taschenlampe, mit der er die kleinsten Splitter aufblitzen lassen konnte.

»Gib dir gefälligst Mühe! Wenn dein Blödmann hier morgen rumkrabbelt, soll er sich doch nicht verletzen, oder?«

Manuel hatte ihr sogar die Pinzette aus dem Bad geholt, die sie für ihre Augenbrauen verwendete. Damit sie die winzigsten Partikel aufnehmen konnte. Als der Lichtkegel nichts mehr fand, erlaubte er ihr, den Staubsauger zu benutzen.

»Man darf es dir nicht zu einfach machen! Sonst lernst du ja wieder nichts! Du kapierst nicht! Du allein bist schuld. Wenn du nicht mit anderen rummachen würdest, hätte ich keinen Grund, dich zu bestrafen! Sieh mal in den Spiegel! Du siehst verboten aus! Die Lippe aufgeplatzt, die Augenbraue, eine Schwellung unter dem Auge. Es ist nicht zu fassen, dass du mich zu so etwas zwingst! Da möchte ich doch am liebsten gleich noch mal zuschlagen!«

Schweigend hörte sie ihm zu.

Sie war keine Schönheit – war es nie gewesen. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte Manuel das nicht gestört. Im Gegenteil. Mit einer Art Besitzerstolz hatte er ihre üppigen Rundungen gestreichelt und über andere Frauen im Freundeskreis abwertend als »Hungerhaken« gesprochen. Das galt längst nicht mehr. Zu dick, zu wenig Haar, die Augen zu weit auseinanderstehend, der Mund nicht sinnlich, die Lippen nicht voll genug. Da fielen die aktuellen Blessuren kaum ins Gewicht, fügten sich eher ins Gesamtbild. Seine Kritik nahm kein Ende und die »Hungerhaken« zogen mittlerweile seine Blicke magisch an.

Sie saugte den Teppich ab.

Tupfte immer wieder vorsichtig und unauffällig das Blut von Lippe und Stirn, damit es keine Flecken im hellen Flor gäbe.

Dem Mann ihrer Freundin Hella hatte es hinterher wenigstens immer leidgetan.

Nach jeder Prügelattacke heulte der und bat um Verzeihung, schwor, dass er nie wieder die Hand gegen sie erheben würde. Eilig drängte sie den Gedanken an Hella zurück. Erst vor zwei Wochen war die Beerdigung gewesen. Hella, nur eines von mehr als hundert weiblichen Todesopfern häuslicher Gewalt pro Jahr. Hirnblutung nach stumpfer Gewalteinwirkung gegen den Schädel, hatte in der Zeitung gestanden. Hellas Mann benutzte gern Gegenstände zur Züchtigung, um seine empfindlichen Hände zu schonen. Chirurgenhände. Das Desinfektionsmittel brannte sonst in offenen Abschürfungen und möglicherweise wären Erklärungen fürs OP-Team notwendig geworden. Das ließe sich ja vermeiden, hatte er Hella erklärt.

Der Prügler wartete in Handschellen vor dem Sarg. Der Mörder. Unerträglich. Und vor allem: zu spät verhaftet. Zu spät, um das Prügeln zu verhindern, zu spät, um die Freundin zu retten.

Am Grab von Hella hatte sie beschlossen, ihr Leben und das von Julian zu retten.

Heute.

Als Manuel sich mit feuchten Haaren an den Tisch setzte, eilte sie in die Küche und brachte ihm frischen Kaffee. Versuchte, sich möglichst natürlich zu bewegen. Sollte er bemerken, dass sie Schmerzen hatte, könnte das schnell einen neuen Übergriff auslösen. Eine weitere Strafe, weil sie schuld daran war, dass er sie geschlagen hatte und ihr Schmerzen zufügen musste, weil … Eine Begründung fand sich ohnehin immer. Bianca konnte nur versuchen, das Risiko zu minimieren.

Schweigend griff er nach dem Müsli, goss Milch darüber. Das Hemd spannte sich über seinen Bizepsen.

Bianca schauderte. Bemühte sich, ihren Körper vom Zittern abzuhalten.

Diese Arme waren wie Schraubstöcke.

Die Pranken nahmen einem mühelos alle Luft.

Nachdem sie gegen Morgen alles aufgeräumt hatte, war er über sie hergefallen.

Vergewaltigung.

Eigentlich ein viel zu harmlos klingendes Wort für die Schmerzen, die Angst, die Verzweiflung. Die Wehrlosigkeit, das Ausgeliefertsein, die Hoffnungslosigkeit und – ja – die Scham. Auch darüber, den brutalen Kerl noch immer nicht verlassen zu haben!

»Damit dir klar ist, wer dein Stecher ist! Du alte Schlampe!«

Eine der Lieblingsbeschuldigungen Manuels.

Jeder Mann in ihrer Nähe konnte unter Verdacht geraten und selbstverständlich war Manuel in jedem Fall der Überzeugung, die Initiative zum Sex sei von ihr ausgegangen, die anderen Männer beinahe Opfer.

Nach einer von Manuels Bestrafungsaktionen hatte dieser Verdacht bei ihr eine fatale Reaktion ausgelöst.

Lange her.

Nur dies eine Mal – vor einem gefühlten Jahrhundert – hatte sie ihn unbedacht gefragt: »Warum verprügelst du dann nicht den, der angeblich mein Liebhaber sein soll? Den vermeintlichen Nebenbuhler? Wieso schlägst du mich?«

Ein großer Fehler.

Am nächsten Tag schon wurde Bianca von ihrem Chef persönlich entlassen.

Natürlich hatte es nie eine Beziehung gegeben, nicht einmal eine Nähe oder Vertrautheit.

Alles nur ein Hirngespinst Manuels.

Eines von vielen.

Ihr Chef hatte sie einbestellt.

Mit zwei gebrochenen Armen war es ihm nicht möglich gewesen, die fristlose Kündigung eigenhändig zu unterschreiben. Die Sekretärin hatte diese Aufgabe übernommen, in Vertretung. Das, was man von seinem Gesicht sehen konnte, war schmerzverzerrt, der Kopfverband an einigen Stellen blutig. Er blieb im Bett hinter dem wackligen Krankenhaustischchen sitzen, stand nicht auf. Bianca wusste, dass er es nicht konnte – seine Beine hatten dem Baseballschläger-Angriff nicht standhalten können. Wo ihr Mann hinschlug, blieben nur heißer Schmerz und Qual.

Offiziell stammten die Verletzungen von einem folgenschweren Sturz vom Hausdach, auf dem ein Ziegel ausgewechselt werden musste.

Daran würde ihr Chef festhalten.

Manuels Drohungen in Bezug auf künftige Begegnungen waren sehr eindrucksvoll, ihre Wirkung nachhaltig.

Natürlich verstand sie die Entscheidung.

Wie hätte sie auch weiter dort arbeiten können?

Das war nur der Anfang vom Ende.

Die Konsequenzen lagen auf der Hand.

Weniger Geld für die Familie.

Ab sofort musste sie in der Wohnung bleiben, wo Manuel sie noch besser kontrollieren konnte.

Strafantrag wegen des Überfalls wurde nicht gestellt. Also kein Gefängnisaufenthalt für Manuel, keine Verschnaufpause zum Nachdenken für sie selbst.

Eine einzige Katastrophe!

Von nun an erschien er in unregelmäßigen Intervallen – konnte jederzeit vor der Tür stehen. Er zwang sie, ihren geplanten Tagesablauf beim Frühstück »anzumelden«. Mit der Folge, dass er bewertete, welche Termine wichtig waren, welche nicht. Der vorgesehene Besuch beim Zahnarzt – sinnlos, teuer, unnötig. Nur weil er ihr den einen Zahn rausgeschlagen hatte, war das kein Grund, gleich heulend zum Zahnarzt zu rennen. Die Lücke sei schließlich kaum zu sehen. Und ein Termin beim Friseur? Wozu? Wenn man so fett und hässlich war, konnte auch der Friseur nichts mehr retten!

Damit ist jetzt Schluss, dachte sie, ich muss mich nur trauen, Manuel kann nichts dagegen tun.

Früher, ja, da war er manchmal liebevoll.

Zärtlich.

Inzwischen schon längst nicht mehr. Wenn sie ehrlich war, musste sie einräumen, dass sie sich gar nicht mehr daran erinnern konnte, wie es sich angefühlt hatte.

Und seit er wusste, dass Julian nicht ganz gesund war – ihre Schuld natürlich –, nannte er ihn nur noch den Blödmann. Behauptete gar, der Junge sei ein Bastard. In keinem Fall könne er der Vater eines Kindes mit Entwicklungsdefiziten sein! Ausgeschlossen!

Fortan färbte sich ihre graue Welt schwarz.

Schloßstraße

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