Читать книгу Schloßstraße - Franziska Steinhauer - Страница 3
Prolog
ОглавлениеDer Mann zwängte sich in sein schwarzes Outfit.
Hauteng – das verminderte die Gefahr, irgendwo hängen zu bleiben.
Keine Label.
Keine auffälligen Nähte.
Nichts Individuelles. Extravagantes.
Die Stiefel waren bis zur halben Wade geschnürt, die Hose tief hineingeschoben. Kein Fähnchen mit Logo – alles schwarz.
Einen leichten, schwarzen Seesack trug er über der Schulter, den er wärmend und verbergend über sich legen konnte. Die Dinge, die sich darin befanden, machten kein Geräusch. Jedes Teil war sorgsam in schwarzen Samt gewickelt. Das gesamte Arsenal in kleinen Teilen.
Handschuhe – schwarz.
Sturmhaube. Hochgeschoben sah sie wie eine harmlose Mütze aus.
Der Schädel – glattrasiert. Nichts, was man als Frisur identifizieren konnte.
In wenigen Minuten würde er seinen Platz einnehmen. Er – den ganz Deutschland in ein paar Stunden unter dem Namen Mr. No Mercy kennen würde.
No Mercy wohnte erst seit sechs Monaten hier.
Gerade so lang, wie er brauchte, um seinen Plan auszuarbeiten und alles für die Durchführung in die Wege zu leiten, zu besorgen, auszuprobieren. Dennoch hatte er es nicht versäumt, sich mit den Nachbarn locker zu befreunden. Keine Hürde, wenn man so ein sympathischer Typ war wie er. Offen, freundlich, höflich, hilfsbereit …
Er hatte die Katze des linken Nachbarn versorgt, die Enkelin des rechten von der Schule abgeholt, als der plötzlich zum Zahnarzt musste, war für die alte Frau Meister in der dritten Etage einkaufen gegangen. Alle waren froh, ihn als Mitmieter in der Hausgemeinschaft zu haben.
Er grinste abschätzig in den Spiegel.
Wenn man wusste, wie es funktionierte, war es kein Problem, Menschen zu manipulieren. In seinem letzten Job gehörte diese Fähigkeit quasi zur Stellenbeschreibung. Wie sollte man sich sonst Vertrauen erschleichen, um in die Häuser misstrauischer Menschen eingeladen zu werden. Seine Nachbarn würden alle ziemlich entsetzt sein, wenn sie bemerkten, wem sie da so grenzenlos vertraut und sogar ihre Liebsten zur Betreuung überlassen hatten.
Während er also über die persönlichen Verhältnisse der anderen Hausbewohner bestens informiert war, würden diese erst bei den Interviewfragen der Boulevardblätter feststellen, dass sie selbst nichts über seinen persönlichen Hintergrund zu erzählen wussten. Sorgfältig hatte er darauf geachtet weder von Familie, Alter, Beruf oder gar Hobbys zu sprechen, im Gegenteil, er war derjenige, der sich jederzeit und jedermann als Zuhörer anbot. Aktives Zuhören war eine Spezialbegabung bei ihm, die er zur Perfektion trainiert hatte.
Die Menschen erzählten – alles.
Er verschwieg.
Dunkle Geheimnisse blieben eben lieber im Dunkel. Das hatte er schon früh begriffen.
Zufrieden mit seinem Outfit, schulterte er den Seesack, verließ seine Wohnung, in der außer einem Bett kaum andere Möblierung vorhanden war, und machte sich auf den Weg.
Ab sofort war er die Quelle maßlosen Schreckens.
Es wurde Zeit, dass auch Berlin das bemerkte!