Читать книгу Wie ein Schmetterling im Käfig - Frauke Bielefeldt - Страница 23
Löcher im sozialen Netz
ОглавлениеSo müssen also trotz der relativ guten Sicherungssysteme in Deutschland viele chronisch Kranke irgendwann um ihr Recht kämpfen, sei es für die Rente, den Behindertenausweis oder die Rückerstattung bei der Krankenkasse. In vielen Fällen ist es angesagt, sich einen Anwalt zu suchen, der sich im Sozialrecht auskennt. Viele wenden sich an den Sozialverband VdK („Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner Deutschlands“), um Beratung und Rechtsbeistand zu bekommen. Der VdK ist ein starker Verband mit über einer Million Mitgliedern, der bei Regierungen und anderswo die Interessen von Behinderten und anderen sozial Benachteiligten vertritt. Er verfügt über ein dichtes Netz von Zweigstellen und die erste Rechtsberatung dort ist sogar für Nichtmitglieder kostenlos.
Doch manchmal kann auch die beste juristische Hilfe nicht verhindern, dass man durch die Maschen des sozialen Netzes fällt. Das Problem der irrtümlichen Psychiatrisierungen haben wir schon in Kapitel 2 angesprochen, nun kommt also der Simulantenverdacht hinzu. Bei ME/CFS wird gleich das ganze Krankheitsbild psychosomatisiert; in Deutschlands Medizinerkreisen hält sich die Vorstellung immer noch hartnäckig, dass wir an einer „falschen Krankheitsauffassung“ leiden, d. h. dass wir uns letztlich die Kraftlosigkeit nur einbilden, weil wir von einem Infekt genesen sind, ohne es gemerkt zu haben. Es ist ein Skandal, wie viele Schwerkranke aufgrund dieser Verharmlosung nicht nur um Anerkennung und Behandlung ihrer Krankheit gebracht werden, sondern auch um die finanzielle Unterstützung, die ihnen eigentlich zusteht.
Und dann gibt es noch den unglücklichen Umstand, dass man einfach zu früh in seinem Leben krank geworden ist. Wenn die Krankheit (wie bei mir) noch zu Schulzeiten ausbricht, hat man keinen Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente, selbst wenn man einige Jahre in die Sozialsysteme einzahlen könnte. Abgesehen davon würde sie minimal ausfallen, wenn man von vornherein nur teilzeitig arbeiten konnte und die Rentenhöhe entsprechend anteilig berechnet wird. So bleibt nur die Grundsicherung (früher Sozialhilfe, heute nach Sozialgesetzbuch/SGB 12), für die man fast keinerlei Erspartes im Rücken haben darf. Rücklagen für das nächste Auto, das einem die müden Beine ersetzt, oder Medikamente und Therapien, die einem (noch) keine Kasse zahlt, sind nicht möglich, sodass man in diese Situation eigentlich erst als älterer Mensch kommen darf, wenn das erlaubte Vermögen wächst und die durchzuhaltenden Jahre abnehmen.
Es ist sicher vernünftig, dass alles versucht wird, um unnötige Kosten im Gesundheitswesen zu vermeiden. Doch wer wirklich schwer krank ist und Unterstützung verdient, hat es nicht leicht: Er muss nicht nur mit seiner Krankheit mit all ihren Auswirkungen im Alltag fertigwerden, sondern oft auch noch um sein finanzielles Überleben kämpfen. Wer meint, dass man bequem auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung leben wolle, macht sich keine Vorstellungen davon, wie viel Nerven und Stehvermögen einem der Weg durch die Instanzen abverlangen kann.
Ist dieser Schritt erst einmal geschafft, kann man aufatmen. Wer seine finanzielle Grundlage gesichert hat, ist meist ganz anders in der Lage, sich konstruktiv mit seinen verbleibenden Möglichkeiten auseinanderzusetzen. Wenn der Schmetterling weiß, wo seine Nahrung herkommen wird, kann er sich beruhigter seinem Käfig zuwenden und Wege suchen, das Beste aus diesem Ort zu machen.
Hier geht es um Ihr Recht!
Der Sozialverband VdK bietet Infos und persönliche Beratung zu allen sozialrechtlichen Fragen: www.vdk.de. Bundesgeschäftsstelle Linienstraße 131, 10115 Berlin; Tel.: 030 9210580-0, Fax: 030 9210580-110. E-Mail: kontakt@vdk.de.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD, www.sovd.de) bietet ebenfalls Informationen und Auskünfte zu sozialrechtlichen Fragen. SoVD-Geschäftsstelle, Stralauer Straße 63, 10179 Berlin, Tel.: 030 726222-0, Fax: 030 726222-311, E-Mail: kontakt@sovd.de.
Oft lohnt ein Gang zur nächstgelegenen EUTB-Fachstelle (Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung, www.teilhabeberatung.de), um Infos und Tipps zur Unterstützung zu bekommen.
Auch bei den Verbraucherzentralen lassen sich viele Einkünfte einholen. Je nach Ort sind sie unterschiedlich umfassend aufgestellt und verfügen ggf. über Experten aus dem sozialmedizinischen Bereich (www.verbraucherzentrale.de).
Infos zum aktuellen Stand des Gesundheitswesens gibt es auch direkt beim Bundesgesundheitsministerium (www.bmg.bund.de), Ihrer Krankenkasse oder beim www.dimdi.de (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information).
Infos zu Medikamenten und ihrer Erstattungsfähigkeit: Bundesvereinigung Deutscher Apothekenverbände (ABDA), Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Jägerstr. 49/50, 10117 Berlin, Tel. 030 40004-0, Fax 030 40004-598, E-Mail: aponet@abda.de, www.aponet.de.
Infos und Antrag zur Erwerbsminderungsrente: Deutsche Rentenversicherung (ehemals Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, BfA), Servicetelefon: 0800 1000 48070, www.deutsche-rentenversicherung.de.
Alles Wissenswerte zum Rentenverfahren und zum Antrag auf einen Schwerbehinderungsgrad bietet die neue Broschüre Rente und Schwerbehinderung bei ME/CFS, 48 S., Schriftenreihe Informationen, Konzepte und Erfahrungen Nr. 29, Fatigatio 2020. Weitere aktuelle Informationen zu sozialrechtlichen Themen auf www.fatigatio.de.
Informationen zum Schwerbehindertenrecht finden sich auch auf www.anhaltspunkte.de („die Internetseite zum Schwerbehindertenrecht“), mit ständig aktuellen Informationen über das Schwerbehindertenrecht sowie Kranken-, Pflege-, Renten- und Unfallversicherung.
Infos zur Pflegeversicherung: bei allen Sozialämtern oder Ihrer Krankenkasse.
Anwälte, die sich im Sozialrecht auskennen, finden Sie z. B. über den VdK oder den SoVD (s. o.). Dort gibt es kostenlose Rechtsberatung, beim ersten Mal auch für Nichtmitglieder.
Sie liegen im Krankenhaus? In vielen Krankenhäusern gibt es die Einrichtung der ehrenamtlichen „Patientenfürsprecher“ (in manchen Bundesländern sogar gesetzlich vorgeschrieben), die sich als Interessenvertreter der Patienten für deren Belange engagieren sollen und kostenfrei auf Fragen, Missstände etc. ansprechbar sind.
Für Ihre spezielle Situation wichtige Tipps und Adressen bekommen Sie vermutlich am besten bei einem Selbsthilfegruppenverband Ihres Krankheitsbildes.
Kontakt z. B. über: Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen (NAKOS), Wilmersdorfer Straße 39, 10627 Berlin, Tel. 030 31018960, Fax 030 31018970, selbsthilfe@nakos.de, www.nakos.de.
Anstoß für Kranke
Ich nehme mir Zeit, um mich über meine rechtliche Lage zu informieren und finanzielle Hilfen abzuchecken.
Wenn ich aktiv für mein Recht kämpfen muss, suche ich mir Hilfe: wohlwollende Ärzte, andere Erkrankte, Selbsthilfegruppenverbände und einen guten Anwalt im Bereich Sozialrecht.
Ich mache mir bewusst, dass dies Zeit, Kraft und Nerven kosten wird, und plane meinen Alltag entsprechend.
Anstoß für Familie und Freunde
Ich mache mir bewusst, dass chronische Krankheit häufig auch in finanzielle Schwierigkeiten führen kann. Ich überlege, wie ich dem Kranken bei seinen finanziellen und rechtlichen Kämpfen zur Seite stehen könnte – mental und vielleicht, wo nötig und möglich, auch finanziell.