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Das deutsche Gesundheitssystem

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Dabei haben wir in Deutschland noch vergleichsweise hoch entwickelte Sozialsysteme, sodass wir nicht gleich vor dem finanziellen Abgrund stehen. Wer bisher sozialversicherungspflichtig beschäftigt war (also als Angestellter oder Beamter), kommt normalerweise in den Genuss folgender Absicherungssysteme:

Wenn ein Arzt Sie krankschreibt, bekommen Sie in den ersten 6 Wochen Ihr volles Gehalt vom Arbeitgeber weitergezahlt (Lohnfortzahlung im Krankheitsfall).

Danach springt die Krankenkasse mit dem Krankengeld ein. Parallel wird versucht, Sie über Rehamaßnahmen etc. in den Arbeitsprozess zurückzuführen. Das Krankengeld gilt für 72 Wochen, sodass man zusammen mit der Lohnfortzahlung für 78 Wochen (= anderthalb Jahre) abgedeckt ist.

Sehen Sie die Möglichkeit, einen Teil Ihrer bisherigen Arbeitszeit zu schaffen, können Sie eine Wiedereingliederungsmaßnahme in Anspruch nehmen: Sie steigen an Ihrem alten Arbeitsplatz mit einer Teilzeitbeschäftigung ein, die Sie je nach Vereinbarung stufenweise auf die alte Arbeitszeit erhöhen. Ihren Lohnausfall gleicht in diesem Fall die Krankenkasse anteilig aus. Der Prozess kann sich auf bis zu sechs Monate erstrecken und wird jeweils individuell mit dem Arbeitgeber vereinbart und ggf. nachjustiert (Hamburger Modell). Sie gelten in dieser Zeit weiterhin als krankgeschrieben, sodass die Krankenkasse weiterhin das Krankengeld zahlt.

Als Drittes springt das Arbeitsamt ein: Solange Sie von Ihrem Hausarzt krankgeschrieben sind, haben Sie je nach Alter für 12–24 Monate Anspruch auf Arbeitslosengeld 1.

Hindert die Erkrankung Sie langfristig daran, ins Berufsleben zurückzukehren, haben Sie gesetzlichen Anspruch auf eine krankheitsbedingte Frührente, die sogenannte Erwerbsminderungsrente. Das alte System der Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitsrente wurde 2001 ersetzt durch die neue Erwerbsminderungsrente. Sie ist in zwei Stufen eingeteilt: Die teilweise Erwerbsminderungsrente erhält, wer zwischen 3 und 6 Stunden täglich arbeiten kann; die volle Erwerbsminderungsrente bekommt derjenige, der auch keine 3 Stunden täglich schafft. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Erwerbsunfähigkeit und Berufsunfähigkeit: Wer beispielsweise wegen einer Allergie nicht mehr in der Lage ist, einen bestimmten Beruf auszuüben, gilt als berufsunfähig (BU); wer so schwer eingeschränkt ist, dass er im Sinne des Gesetzgebers (mind. 3 Stunden werktäglich) gar nicht arbeiten kann, gilt als erwerbsunfähig (EU).

Eine EU-Rente zu bekommen, ist oft ein extrem schwieriges Unterfangen, das für die meisten mehrjährige Auseinandersetzungen mit Gutachtern und Gerichten bedeutet. Außerdem werden diese meistens nur noch befristet bewilligt, in der Regel 2–3 Jahre. So beginnt für manche Patienten bald nach der ersehnten Zusage schon wieder der nächste Prozess, alles für die nötigen Unterlagen in die Wege zu leiten. Die Berechnung erfolgt wie allgemein bei der Rente nach komplizierten Formeln, in die Faktoren wie Arbeitsjahre, Arbeitszeiten und anrechnungsfähige Anrechnungszeiten (wie Studium, Kindererziehungszeiten etc.) einbezogen werden.

Unabhängig von der Versicherungsart und dem Arbeitsstatus hat jeder in Deutschland die Möglichkeit, eine Schwerbehinderung zu beantragen, und zwar beim Städtischen Sozialamt (Versorgungsamt). Je nach Schweregrad (GdB) erhält man im Arbeitsleben, bei der Steuer und bei öffentlichen Dienstleistungen verschiedene Vorteile.

Wenn eine erhebliche Pflegebedürftigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen festgestellt worden ist, tritt seit 1995 die Pflegeversicherung ein. Die Höhe der Leistungen ist nach oben begrenzt und hängt vom Grad der Pflegebedürftigkeit ab (seit 2017: fünf Pflegegrade). Die Einstufung wird vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) vorgenommen. Um sich auf den Besuch vorzubereiten, ist es empfehlenswert, sich auf die zu erwartenden Fragen einzustellen, etwa über einen der im Internet zugänglichen Pflegegradrechner (z. B. unter www.pflege.de oder www.pflegegrad-berechnen.de). Beim Sozialverband VdK (www.vdk.de) gibt es Auskünfte online oder auch telefonisch oder vor Ort (vgl. Kasten).

Das Bundesteilhabegesetz soll Menschen mit Behinderung zusätzlich helfen, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und selbstbestimmt leben zu können. Dazu sind in vielen Städten Fachstellen zur „Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung“ geschaffen worden (EUTB, vgl. Kasten).

So weit die Theorie. In der Praxis ist es oft weit schwerer, an seine Brötchen zu kommen, wie wir weiter unten sehen werden. Außerdem ändern sich die Gegebenheiten häufig. Als dieses Buch 2005 erschien, war die große Gesundheitsreform von 2004 noch ziemlich frisch und es lohnte sich, über die Änderungen zu informieren. Seitdem ist so vieles wieder zurückgenommen oder weiter verändert worden, dass man sich aktuelle Informationen am besten nicht aus Büchern holt, sondern aus dem Internet, in Selbsthilfegruppen oder von den Sozialverbänden (vgl. Kasten).

Was sich mit den Jahren ebenfalls geändert hat, ist die Sparpolitik der Krankenkassen: Immer häufiger wird die Erstattung von Medikamenten, Untersuchungen und Therapien verweigert, die nicht genau dem schulmedizinischen Konsens entsprechen. Auch Privatkassen zahlen inzwischen Mittel wie Vitamine und Mineralien, die bei manchen chronischen Krankheiten nachweislich eine wichtige Rolle spielen, nicht mehr, da diese offiziell auf dem Katalog der „Nahrungsergänzungsmittel“ stehen, die nicht mehr als erstattungspflichtig gelten.

Wie ein Schmetterling im Käfig

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