Читать книгу Ein Findelkind und eine bedrohte Liebe: Wildbach Bergroman Sammelband 3 Romane - Friebel G. S. - Страница 15

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Wenn sie alle in der Nacht auch wenig Schlaf gefunden hatten, so waren sie am nächsten Morgen doch wieder früh heraus. Die Kühe mussten gemolken werden, und dann musste man hinauf auf die Wiesen und das erste Heu in der Sonne wenden. Agnes war dabei, den kleinen fremden Buben zu versorgen. Walburga war schon in aller Frühe ins Dorf gelaufen und hatte die Krämerin herausgeklopft, um ein Fläschchen mit Sauger zu bekommen. Diese staunte nicht schlecht. Seit wann brauchte man auf dem Trollerhof Babyartikel?

„Wir haben ein Findelkind, Josephine. Kannst mir glauben. Seit gestern Nacht.“

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch das ganze Dorf.

Johannes stand neben Agnes und sah ihr zu. Ein eigenartiges Gefühl war in seinem Herzen. Ein Prachtbub war das. Wirklich!

Agnes hatte ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Sie war in diesem Augenblick glücklich.

„Können wir es nicht behalten, Johannes? Ist es nicht ein Geschenk des Himmels?“

Johannes schluckte, wandte sich um und ging zum Fenster. Er blickte ins Tal. Heller Sonnenschein lag auf den Hängen. Seiner Frau würde er einen Gefallen damit tun. Und Geld besaßen sie ja auch, so ein kleines Wurm großzuziehen. Freude würde es schon machen, und Agnes würde schneller über den Kummer mit der Tochter hinwegkommen.

Langsam drehte er sich herum.

„Agnes“, begann er mit weicher Stimme, „nun kann man es noch fortgeben, jetzt reißt es noch keine Wunden. Aber wenn wir ihn länger behalten, dann lieben wir ihn auch, und fortschicken kann man den Buben dann nicht mehr. Hast du daran gedacht?“

„Aber warum sollen wir ihn je fortschicken, Johannes?“

„Weil wir es eines Tages müssen“, sagte er müde. „Wir haben ein Kind. Wenn wir alt sind, gehört ihr das ganze Anwesen. Und wenn dann dieser fremde Bub da ist, dann kann man ihn doch nicht ohne Geld und Gut fortjagen. Wir werden ihn wie einen eigenen Buben lieben, Agnes. Und es wird uns das Herz brechen.“

„Margaretha ...“, begann sie leise.

„Du wirst jetzt sagen, ich hab damals erklärt, ich enterbe sie. Sie ist unser Fleisch und Blut, und wir wissen jetzt, dass sie bitter bereut, und sie hat gelitten, Warum wir sie im Augenblick nicht halten können, weißt du. Aber sie braucht keine Not mehr zu leiden. Ich werd ihr immer Geld schicken. In einigen Jahren ist Gras über die Sache gewachsen, oder sie wird wieder ehrbar und findet einen guten Mann in der Fremde. Dann werde ich ihr schreiben, sie soll für immer heimkommen. Niemand wird dann wagen, mit dem Finger auf Margaretha zu zeigen. Und sollte sie nicht heiraten, so sagen wir, ihr Mann sei gestorben, und sie käme heim, weil es sonst keine Verwandten mehr gibt. Wir müssen ihr die Tür zum Elternhaus offen lassen. Und wenn dann dieser Bub da ist, Agnes! Vielleicht haben wir ihn eines Tages lieber als die Margaretha, und das darf einfach nicht sein. Darum können wir ihn nicht bei uns behalten.“

Agnes hielt den kleinen Körper an sich gepresst. So hatte der Mann also die Tochter nicht für alle Zeiten verbannt. Ihr Herz wurde leichter. Nun konnte sie wieder hoffen. Sobald die Tochter Nachricht gab, würde sie ihr all das schreiben. Und eines Tages würde sie heimkommen. Vielleicht hatte sie auch Kinder. Oder sie würde einen Mann hier aus der Umgebung heiraten. Sie war eine reiche Erbin, da sah man vielleicht über ihre Jugendtorheit hinweg.

„Ja“, flüsterte sie leise. „Du hast recht, Johannes.“ Dann blickte sie in die Augen des fremden Kindes. „Aber wenn ich daran denke, dass man es irgendwohin bringt, wo man es nicht lieben wird, wo es herumgestoßen wird, dann bricht mir das Herz, Johannes.“

„Sei ohne Sorgen, Agnes! Ich werde dafür sorgen, dass es gut untergebracht wird.“

„Ich danke dir, Johannes!“

Er lächelte etwas schmerzlich. Dann strich er ganz zart über das Köpfchen des Kindes.

„Es ist schön, so ein Kleines, nicht?“

Sie nickte.

„Ich geh jetzt zum Bürgermeister. Er muss Mitteilung davon erhalten. Und zu Mittag wissen wir dann mehr.“ Festen Schrittes verließ er die Kammer. Wenig später sah sie ihn den Berg hinuntergehen.

Walburga kam ins Zimmer geschlüpft.

„Dürfen wir ihn behalten?“

Agnes schüttelte den Kopf. Sie konnte unmöglich der Magd die Wahrheit sagen.

„Der Bauer hat mir aber versprochen, dafür zu sorgen, dass es gut unterkommt.“ Natürlich hatte Bürgermeister Mallinger schon die Neuigkeit erfahren. Als nun der Troller in die Amtsstube trat, fand er diesen missmutig hinter seinem Schreibtisch sitzen.

„Wenn was kommt, dann kommt alles auf einmal“, sagte er wütend. „Erst die Schule und jetzt auch noch ein Findelkind, für das wir sorgen müssen.“

„Über die Schule reden wir später, Mallinger. Jetzt ist der fremde Bub wichtig.“

„Wenn er in unserer Gemeinde gefunden wurde, dann sind wir nach dem Gesetz verpflichtet, ihn großzuziehen. Oder wir bekämen einen Platz in einem öffentlichen Heim. Aber ich hab schon angerufen, es ist alles besetzt. Nun müssen wir eine Pflegestelle finden und zahlen. Sag mal, Troller, kannst du den Kleinen fürs Erste nicht bei dir behalten? Ich meine, nicht ewig können die Heime voll sein. Nur so lange, bis wir einen Platz gefunden haben.“

„Ich hab meiner Agnes versprochen, gut für das Kind zu sorgen. Aber ich kann es nicht bei mir halten. Kennst doch die Frauen. Haben sie erst mal so ein Kind, dann geben sie es nicht mehr her. Doch ich will gern für den Kleinen sorgen, darauf kommt es mir nicht an.“

„Du willst den Pflegesatz bezahlen, Troller?“

„Ja! Jetzt heißt es nur noch, eine gute Pflegefamilie zu finden.“

„Hm.“ Mallinger überlegte angestrengt. „Wie ist es mit dem Urban und der Herta? Fleißige und saubere Leute. Und das Geld könnten sie schon gebrauchen. Ihre eigenen Kinder sind ja schon groß. Und die Herta könnte sich um das Kind kümmern. Haben ja nur die kleine Hütte, das Feld und die drei Ziegen. Der Urban hilft bei dem Achenbauern und bekommt so seinen kargen Lohn.“

„An den Höfer hab ich auch schon gedacht“, sagte Johannes Troller. „Auch ist die Hütte nicht weit, und man kann immer ein Auge auf den Kleinen halten.“

Mallinger nickte. „Bist also einverstanden? Und du zahlst dem Urban das Pflegegeld. Machen wir es gleich schriftlich?“

„Gilt mein Wort nicht mehr, Mallinger?“

„Gut, wenn wir uns einig sind, gehen wir los und fragen die Herta.“

Als sie ankamen, befand sich Herta gerade in ihrem Gemüsegarten und pflanzte Kartoffeln. Rasch wischte sie sich die Hände an der Arbeitsschürze ab.

„Höferin, wir haben mit dir zu reden. Kannst einen Augenblick einhalten mit der Arbeit?“

„Freilich, wollt ihr nicht eintreten?“

„Gern!“

Da saßen sie nun in der einfachen Stube, und Johannes erzählte.

„Ein Findelkind soll ich aufnehmen? Einen kleinen Buben? Ja, aber ich hab nichts für ihn, keine Sachen, kein Bettchen. Wir sind arme Leute.“

„Die Sachen würde dir Agnes schon geben“, sagte Johannes Troller. „Und ein Bett wird sich auch finden. Ich hab noch eins auf dem Speicher stehen. Wenn du den Kleinen nimmst, werd ich dir jeden Monat ein Pflegegeld zahlen.“

Als Herta hörte, dass es sonst in eines der Heime käme, da sagte sie sofort zu. Sie hatte Kinder sehr gern. Die beiden Männer wussten, das Kind würde es gut bei der Herta haben. Eine bessere Ziehmutter konnten sie gar nicht finden.

„Abgemacht“, sagte Troller. „Noch heute wird der Alois alles bringen. Das Bübchen wird dir die Agnes wohl selbst bringen. Bestimmt wird sie auch weiterhin nach dem Kind sehen - kennst doch meine Frau.“

Herta nickte und blickte Johannes an. Ja, auch sie kannte den Kummer des reichen Trollers, aber sie war nicht schadenfroh.

Die beiden Männer gingen fort. Am Kreuzweg trennten sie sich. Der eine schritt hinunter ins Tal, und Johannes ging zum Hof zurück. Agnes stand schon im Laubengang und wartete auf ihn.

„Komm in die Stube!“, sagte er.

Agnes sah ihn fragend an.

„Die Herta wird ihn nehmen. Ich hab mich verpflichtet, das Pflegegeld zu zahlen.“

„Ich danke dir, Johannes.“

Walburga hörte sich ruhig an, was die Trollerin ihr sagte.

„So, der Bauer will für ihn zahlen. Ich versteh net, warum er dann den Kleinen nicht gleich bei sich behält.“

„Die Höferin wird gut für ihn sorgen, Walburga. Und wir können ja auch immer nach dem Kleinen sehen. Jetzt komm mit in die Kammer. Wir werden die Sachen zusammenpacken. Der Alois kann sie dann mit dem Bettchen runterbringen.“

Beide Frauen standen vor der wertvollen geschnitzten Bauernwiege und blickten auf das kleine Kind. Walburga wischte sich über die Augen.

„Ich hab ihn schon richtig lieb gewonnen“, schluchzte sie. „Und jetzt muss er fort.“

Wie es Agnes zumute war, das konnte sie nicht wissen. Ihr selbst war es plötzlich, als würde man ihr einen Arm abhacken. dass man so schnell jemanden liebhaben konnte.

Ein letztes Mal zogen sie ihn an. Dann legte Agnes ein großes Umschlagtuch um den Buben, und so gingen sie fort.

Johannes stand oben auf dem Söller. Ihm war ganz eigen zumute, als würde heute zum dritten Male seine Tochter fortgehen. Und wenn er es einfach behielt? Aber dann würden die Dörfler glauben, er wolle sein eigenes Kind vergessen und für alle Zeiten verstoßen. Nein, er brauchte keinen Trost. Jetzt, wo Margaretha dagewesen war. wusste er, es würde noch einmal alles gut werden. Niemand hatte sie kommen und gehen gesehen. Sonst hätte man schon längst im Dorf darüber getratscht.

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