Читать книгу Ein Findelkind und eine bedrohte Liebe: Wildbach Bergroman Sammelband 3 Romane - Friebel G. S. - Страница 21

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Agnes hing mit Walburga die Wäsche auf, als ein junger Mann mit Wanderstab und Rucksack vor ihr stehenblieb.

„Grüß Gott“, sagte er freundlich.

Die Bäuerin hielt ihn für einen Feriengast.

„Entschuldigen Sie meine Frage, aber ist dies der Trollerhof?“

„Ja, freilich ist er das. Aber wir vermieten nicht an Gäste.“

„Ich will auch kein Zimmer“, erklärte der Fremde. „Ich suche nur einen Freund. War unten in Auffach, und man sagte mir, ich würde ihn hier antreffen.“

„Und wen suchen Sie?“

„Ich suche den Florian Höfer. Wir sind Studienkollegen in Innsbruck. Mein Name ist Ewald Wagner. Florian hat mir so viel von seiner Heimat erzählt, da wollt ich sie auch mal kennenlernen. Und ich muss ihm recht geben, sie ist wirklich wunderschön.“

Agnes fand den jungen Mann recht sympathisch und lud ihn ein, mit ihnen Kaffee zu trinken.

„Auf den Florian müssen Sie noch eine Weile warten. Wird wohl Abend werden.“

„Das macht nichts. Ich hab viel Zeit“, sagte der junge Mann.

Als dann Florian seinen Freund sah, freute er sich von Herzen.

„Ich bin gekommen, um dein Versprechen einzulösen. Hast mir doch in Innsbruck versprochen, mir deine Heimat zu zeigen. Nun bin ich hier. Gleich morgen können wir loswandern. Ich bin schon recht gespannt darauf.“

„Morgen? Da musst bis Sonntag warten. Da hab ich Zeit, Ewald. Ich arbeite in den Ferien hier, weißt.“

„Aber Florian“, sagte Johannes Troller. „Wenn du die Berge besteigen willst, da machen wir mal eine Ausnahme. Nun ist doch dein Freund gekommen.“

„Vertrag ist Vertrag“, erklärte Florian.

Ewald Wagner hatte einen Vorschlag.

„Ich helf dir mit, Florian. Dann geht es schneller, und du hast Zeit.“

„Abgemacht“, lachte Troller.

„Was ist, Frau? Wir haben doch die blaue Kammer frei. Der junge Mann bekommt Kost und Unterkunft und wir eine Arbeitskraft, und der Florian kann mit seinem Freund auf Bergtour gehen.“

Ewald freute sich mächtig über diese Einladung. Die ganzen Ferien wollte er bleiben. Seine Geldbörse war ziemlich schmal, und wer sagte da nicht ja, wenn er so ein gutes Angebot bekam?

Nun willigte auch Florian ein. Und so arbeiteten sie an fünf Tagen in der Woche, und zwei Tage waren sie mit Rucksack und Wanderstock unterwegs. Ewald konnte nun verstehen, warum Florian nicht fort wollte.

Er lernte den Zauberwinkel kennen. Sie stiegen auf das Marchbachjoch und hatten einen herrlichen Blick auf die Gletscherwelt. Sie durchwanderten den Niederauer Talboden, stiegen den Lampersberg hinauf und besuchten die umliegenden Almhütten.

„Und was unternehmen wir am nächsten Wochenende?“, wollte Ewald in der dritten Woche wissen.

„Dann?“ Florian überlegte und zog die Karte zu Rate. „Wie ist es, Ewald, traust dir eine harte Kletterei zu? Mit Pickel und Seil? Wird kein Spaziergang sein. Bist fit genug, oder sollen wir noch warten?“

„Wo willst denn hin?“, wollte nun auch Johannes wissen.

Sie saßen alle zusammen nach dem Abendbrot im Laubengang und rauchten ihr Abendpfeifchen.

„In die Kundler Klamm möcht ich steigen“, sagte Florian.

„Hui!“, meinte Ewald, als er die Bilder sah, die Florian zeigte.

„Sollen wir uns den Leckerbissen bis zum Schluss aufsparen?“

„Nein, nein. Du machst mich neugierig.“

„Das ist kein Sonntagsspaziergang“, sagte nun Johannes Troller ernst.

„Aber der Florian wird mir ein guter Führer sein. Ich richte mich ganz nach ihm. Da wird wohl nichts schiefgehen.“

„Also - abgemacht?“

„Natürlich. Im Herbst will ich doch auf der Schule was erzählen. Bis jetzt sind wir ja zum größten Teil geschlendert, nit richtig gestiegen.“

„Am Sonntag wirst mich bestimmt verfluchen“, lachte Florian.

Ewald lachte und schüttelte den Kopf.

„Morgen werde ich gleich das Seil nachsehen. Und in zwei Tagen geht es dann los.“

„Agnes!“, rief Johannes Troller. „Hast gehört, was die beiden vorhaben?“

„Mir wird’s jetzt schon ganz kalt“, sagte sie mit ernster Stimme. „Seid bloß vorsichtig!“

„Aber das ist der Florian doch immer“, verteidigte Ewald seinem Freund.

So machten sich die beiden Freunde also am Sonntag auf den Weg. Es war morgens um fünf Uhr, und die Sonne stieg gerade über die Bergspitzen. Als sie dann in der Klamm waren, bekam Ewald doch schwache Knie.

„Was ist das für ein Krach?“, wollte er wissen.

„Das ist die Ache, die sich mit Gewalt einen Weg durch das Felsengestein sucht.“

„Und da hinauf willst?“

„Angst?“

„Vergiss bloß nicht, ein Foto von mir zu machen! Damit ich in der Schule gehörig angeben kann.“

„Wird gemacht“, lachte Florian. „Und jetzt vergiss nit, was ich dir alles gesagt habe. Ich seil mich jetzt an. Und du gehst nur immer dann weiter, wenn ein Fuß festen Tritt hat, verstanden? Ich sichere dich ab, aber du musst auch darauf achten, dass das Seil mich absichert, dann kann nichts passieren.“

„Also – los! Ich will endlich wieder die Sonne sehen. Hier kriegt man ja eine Gänsehaut.“

So machten sie sich denn an den Anstieg. Und Ewald hatte wirklich gut aufgepasst. Bald verflog die Angst, und sie scherzten miteinander.

„Zurückschauen tu nit. Das ist nichts für Leute, die das erste Mal so eine Steigerei mitmachen.“

„Ich werd mich hüten!“, lachte Ewald.

Und dann hatten sie es wirklich geschafft. Die Aussicht war einmalig. Ewald konnte sich nicht satt sehen. Viele Fotos wurden gemacht.

„Schön ist das!“

„Ja“, sagte auch Florian. „Ich selbst war noch nie hier oben.“

„Ich möcht gern wissen, wie der Fluss sich da durchzwingt. Meinst, dass wir ihm nachsteigen können?“

„Warum nit? Abwärts geht es meist einfacher. Aber recht eng und düster wird es auf dem Grund wohl sein.“

„Glaubst, dass dort die Hölle ist?“

„Komm, stärken wir uns erst, und dann geht es weiter.“

Über eine Stunde ruhten sie sich oben aus und genossen die herrliche Aussicht. Dann seilten sie sich wieder an und Florian ging zuerst. Verbissen kämpfte er mit dem Felsen. An der anderen Seite war es gar nicht so einfach. Glitschig war der Felsen und überhaupt nicht griffig. Schon wollte Florian wieder aufgeben, denn schließlich war er für das Leben seines Freundes verantwortlich, als es plötzlich viel besser ging.

„Sind wir noch immer nicht auf dem Grund?“

„Bald!“

„Müssen wir dann wieder rauf — oder können wir am Fluss entlang hinaus?“

„Ich weiß es nicht!“, schrie Florian zurück. Dann fühlte sein Fuß festen Boden unter sich. Geschafft! Bald darauf stand sein Freund neben ihm.

„Jetzt kann ich allein weiter.“ Florian drehte sich um und sah sich die Umgebung genauer an. Es war gar nicht so dunkel, wie er gedacht hatte. Hin und wieder drang ein Lichtstrahl herunter.

Und dann machte er einen grausigen Fund. Das Blut gefror ihm in den Adern.

„Ewald!“, rief er erschreckt. „Was hast du?“

„Hier unten liegt eine Leiche.“

„Was sagst du da?“, rief der Freund erschrocken.

„Schau ... dort in der Ecke. Siehst du es?“

Ewald kam näher. Was sie sahen, war ein menschliches Skelett.

„Mein Gott“, sagte der Freund. „Wie lange mag sie oder er schon dort liegen?“

„Ziemlich lange“, sagte Florian. „Bestimmt über zehn Jahre.“

„Schrecklich. Und niemand hat jemanden vermisst?“

„Ich weiß es nicht. Warum auch? Vielleicht war es ein Feriengast.“

Zwischen den Rippen glitzerte etwas. Florian bückte sich und fand einen runden Gegenstand an einer Kette. Als er mit dem Taschenmesser den Schmutz abschabte, kam Gold zum Vorschein.

„Eine Kette“, sagte er. „Darin ist es eine Frau.“

„Wir müssen den Fund melden, Florian.“

„Ja“, sagte dieser und steckte das Kettchen in seine Jackentasche. „Komm, suchen wir einen Weg heraus aus dieser Gruft!“

Die frohe Sonntagsstimmung war dahin. Lange Zeit gingen sie am Bach entlang und fanden tatsächlich nach vielen vergeblichen Versuchen den Ausgang. Zu ihrer Verblüffung kamen sie in Oberau heraus. Jetzt wollten sie so schnell wie möglich nach Hause. Ein Bus brachte sie nach Auffach zurück.

Johannes Troller sah sie ankommen, müde, erschöpft, mit ernsten Gesichtern. Unterwegs hatten sie beschlossen, zuerst dem Bauern Mitteilung davon zu machen. Er würde dann wissen, was zu tun sei.

„Schau, Agnes, ich glaub, sie haben es nit geschafft. Hast du schon mal so müde Krieger gesehen?“

„Es ist auch hart“, sagte die Frau.

„Grüß Gott! Wir sind wieder zurück“, sagte Florian.

„Das sehen wir. Was ist denn mit euch los? Gar nit lustig. Die Köpfe lasst ihr hängen. Ist euch etwas über die Leber gelaufen?“

„So kann man es auch nennen, Johannes Troller. Wir haben nämlich einen grausigen Fund gemacht.“

„Was denn?“

„Auf dem Grund der Kundler Klamm liegt eine Leiche. Das heißt, nur noch die Knochen davon.“

„Mein Gott!“, sagte Agnes und setzte sich. „Das ist ja furchtbar!“

„Bestimmt ein übermütiger Feriengast.“

„Ich weiß nit, bestimmt liegt sie schon über zehn Jahre dort, wenn nicht länger.“

„Woher weißt du, dass es eine Frau ist? Erkennst du das an den Knochen?“

„Nein, das hier hab ich gefunden.“ Florian zog das Kettchen mit dem Anhängsel hervor.

Johannes nahm es und besah es sich von allen Seiten.

Plötzlich stieß seine Frau einen Schrei aus.

„Zeig her, Mann! Zeig doch her!“ Und sie entriss es ihm. „Ja, erkennst du es denn nit wieder, Johannes?“

„Meinst du wirklich?“, fragte er, weiß werdend.

„Ich erkenne es genau. Hier, man kann es öffnen. Es ist ein Medaillon. Johannes, rasch, öffne es! O du mein Gott!“

Die beiden jungen Männer sahen sich erstaunt an. Was sollte das bedeuten?

Der Bauer öffnete mit zittrigen Händen des Schmuckstück. Ein Stöhnen drang aus seiner Brust. Er ließ das Medaillon kraftlos auf den Tisch fallen und legte dann die Hände vor das Gesicht. Agnes hatte längst die vergilbten Bildchen gesehen. Sie stellten Johannes und Agnes Troller dar.

„Margaretha!“, sagte Agnes und lief weinend ins Haus.

Nun hatte Florian begriffen.

„Komm“, sagte er zu seinem Freund. „Gehen wir nach hinten! Wir müssen sie jetzt eine Weile allein lassen. Es ist besser so.“

Im Garten erzählte er ihm, dass die Tochter der Trollers seit zwanzig Jahren verschwunden sei.

„Und wir haben sie jetzt gefunden?“

„Ja, bestimmt. Das ist furchtbar.“

Bald sprach es sich in Auffach herum. Und man stellte eine Gruppe zusammen. Unter Leitung von Ewald und Florian wollte man die Gebeine der Trollertochter holen und sie auf dem Friedhof beerdigen. Einen ganzen Tag brauchten sie dazu. Als sie dann mit dem Segen der Kirche unter der Erde lag, blieb Florian lange vor dem Grab stehen. Mit ihr hatten die alten Eltern ihre Hoffnung begraben. Bis zum Schluss hatten sie immer noch einen Funken Hoffnung besessen. Aber nun wussten sie, die Tochter kam nie mehr zurück.

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