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So, wie die Achenbauer über die Zukunft sprachen, so unterhielten sich auch Johannes und Agnes. Johannes hatte ihr gleich von der Unverschämtheit des Achenbauers berichtet. Lange hatte sie stumm in der Ecke gesessen und auf ihre gefalteten Hände geblickt.

„Ach, Johannes, wie oft denke ich an die Zukunft.“

„Gräm dich nicht! Das führt zu nichts. Der Herrgott lässt uns nicht im Stich. Noch sind wir rüstig und können den Hof bewirtschaften. Wenn es soweit ist, dann können wir noch immer darüber reden, wie es weitergehen soll.“

„Du hast also auch aufgegeben zu hoffen?“

„Ja, Agnes. Die Margaretha lebt nicht mehr. Wir haben alles versucht. Sie ist irgendwo in der Fremde verstorben und unter fremdem Namen begraben worden. Darum bekommen wir keine Nachricht.“

Es war Sommer, als sie darüber sprachen. Die Bienen summten vor dem Haus, und die Ferienzeit war angebrochen. Walburga, die Magd, war immer noch bei Trollers, auch Alois. Sie gehörten zur Familie. Walburga war es jetzt auch, die die Wohnstubentür aufriss. Sie lachte über das ganze Gesicht.

„Wir haben Besuch bekommen!“

„Oh“, rief Agnes, „und ich hab noch meine Schürze an. Wart einen Augenblick, Walburga! Wer ist es denn?“

Aber da stand auch schon der Besuch mitten in der Stube.

„Florian!“, rief Johannes Troller freudig und stand auf und gab dem jungen Mann die Hand. „Du bist auch wieder da? Wie schön!“ '

Agnes begrüßte ihn herzlich.

„Dass du uns besuchen kommst, wie nett von dir. Komm, setz dich! Hast doch bestimmt Hunger.“

Florian lachte.

„Dasselbe hat mich auch schon die Walburga gefragt. Glaubt ihr denn tatsächlich, in der Stadt verhungern wir?“

„Nein, das nit, aber so gut wie daheim schmeckt es bestimmt nicht.“

„Da habt ihr recht, Tante Agnes“, lachte Florian. „An die gute Kost denke ich immerzu.“

Johannes lachte dröhnend. Die düstere Stimmung war einmal wieder gebannt.

„Ich denk, du lernst in der Stadt?“

„Freilich, das auch“, gab er zurück.

„Lass dich doch mal richtig anschauen, Florian. Du bist ja gewachsen. Arg groß und breit bist geworden. Nein, man kennt dich ja kaum mehr wieder“, staunte Agnes.

Der kleine Bub von damals war wirklich ein großer hübscher Bursche geworden. Man konnte sich nicht sattsehen. Agnes’ Augen hingen gebannt an seinen Lippen. Manchmal dachte sie, mir ist, als hätte er Ähnlichkeit mit dem Johannes. Aber dann lachte sie sich selbst aus. Sie wollte sie einfach sehen, weil ihre ganze Mutterliebe diesem Burschen gehörte.

„Was macht die Schule?“, wollte nun Johannes Troller wissen.

Walburga lief geschäftig hin und her und tischte auf, was sie grad hatte. Und das war wirklich nicht wenig. Die Augen des jungen Mannes leuchteten auf.

„Selbstgemachte Wurst?“

„Klar“, lachte Johannes. „Oder glaubst, wir kaufen sie vom Krämer?“

„Wenn du wieder fort musst, geb ich dir davon was mit“, sagte Agnes.

„Aber Frau“, schalt Johannes sie aus. „Ist er grad gekommen, da sprichst du schon wieder vom Fortgehen.“

„Vielleicht ist sie froh“, sagte Florian spitzbübisch. „Tante Agnes denkt mit Schrecken daran, dass ich alle ihre Vorräte aufess.“

Johannes schmauchte an seinem Pfeifchen und sah ihnen lachend zu, wie sie sich neckten. Aber dann wollte er doch wissen, wie es ihm in der Stadt ging.

„Nach den Ferien beginnen die Prüfungen“, sagte Florian jetzt ernst werdend.

„Soll das heißen, dann bist du fertig?“

„Nein, das sind die Vorprüfungen, dann noch ein Jahr und der Abschluss.“

„Und dir gefällt es dort noch immer?“

„Aber sicher.“

Florian ging in Innsbruck auf die Landwirtschaftsschule und ließ sich dort zum Inspektor ausbilden. Als Johannes und Agnes gemerkt hatten, welch ein schlaues Bürschchen Florian war, da beschlossen sie, ihn auf die höhere Schule zu schicken. Selbstverständlich zahlten sie auch dies.

Florian hatte große Freude am Lernen. Und so fuhr er dann als zehnjähriger Bub jeden Tag nach Wörgl auf die Oberschule.

„Ich melde mich wieder zur Stelle“, sagte er jetzt mit fröhlicher Stimme. „Sechs Wochen Zeit! Herrlich!“

Das mit der zur Stelle melden, war so. Als Florian größer wurde, da machte er sich so seine Gedanken. Seine Pflegeeltern waren arm und konnten ihm unmöglich das Geld für die Schule geben. Also fragte er immerzu. Zuerst wich man ihm aus, doch dann erzählte ihm der Urban, dass Johannes Troller all das bezahlen würde. Damals war er gerade fünfzehn Jahre gewesen. Florian besaß einen ausgeprägten Stolz. So war er zum Trollerhof hinaufgestiegen und hatte um eine Unterredung mit dem Bauern gebeten. Dieser hatte ein wenig geschmunzelt, aber so getan, als nähme er ihn sehr ernst.

„Na, Florian, was hast du denn auf dem Herzen? Du machst ja ein gar so wichtiges Gesicht.“

Die Backen röteten sich noch mehr, und der Junge wusste gar nicht, wie er beginnen sollte. Dann brachte der Bauer selbst das Gespräch darauf.

„Wie geht es denn in der Schule, Florian?“

Jetzt war der Augenblick gekommen.

„Pflegemutter sagte mir, Ihr zahlt alles. Die Bücher, das Fahrgeld. Und noch so einiges mehr.“

Johannes Troller setzte sich und sah den Bub an.

„So“, sagte er ruhig. „Das hat dir also die Herta Höfer verraten.“

„Ja, aber nur, weil ich immerzu gefragt hab.“

„Jetzt weißt du also, dass ich es bezahle, Florian. Ich kann es mir leisten, und du siehst, ich brauch deswegen nit zu hungern.“ Es sollte scherzhaft klingen. Aber der Bub war noch nicht damit zufrieden. Stotternd sagte er: „Ich geh nimmer zur Schule. Es tut mir leid, dass Sie das viele Geld für mich bezahlt haben.“

„Ja, willst du denn nicht das Abitur machen?“, wunderte sich Johannes Troller. „Ich denk, das ist dein größter Wunsch. Und dann willst doch auch noch studieren.“

„Aber ich hab kein Geld, und ich kann kein Geld annehmen. Das kann ich net, ich bin kein Bettler. Auch wenn ich ein Findelkind bin, so brauch ich net zu betteln. Den Pflegeeltern werde ich später durch Arbeit alles zurückzahlen, das hab ich mir schon vorgenommen.“

Johannes war bewegt. Er stand auf und ging zum Buben, legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn freundlich an.

„Recht so, Junge. Du hast das Herz auf dem rechten Fleck. So muss der Mann sein, edel, stolz und niemals kriechen. Immer den Kopf hochhalten. Aber trotzdem bitte ich dich, auch weiterhin zur Schule zu gehen und nicht davon abzulassen, einen guten Beruf zu erlernen. Du hast das Zeug in dir, und es wäre doch schad, wenn du es nit tun würdest, bloß weil du kein Geld hast. Florian, mir macht es Spass, für dich zu zahlen. All die Jahre war es mir eine große Freude. Durch Zufall bist du zu uns gekommen, und ich hab halt gedacht, der Himmel hat es so gewollt. Mach mir also die Freude und lern fleißig, dann wirst du später einmal etwas, worauf ich und auch deine Pflegeeltern recht stolz sein können.“

Über diese lange Rede war der Junge verwirrt. Obwohl es ihm ganz warm ums Herz wurde, schüttelte er doch den Kopf.

„Ich schäm mich so, dass ich all die Zeit von Eurem Geld gelebt habe. Ich kann es nicht mehr annehmen, jetzt wo ich es weiß.“

„Junge, Florian, so überlege doch mal. Du verstehst doch etwas von der Geldwirtschaft. Oft steckt man viele Jahre Geld in eine Sache, bis man einen Gewinn davon hat. So sehen wir das jetzt mal bei dir. Im Augenblick kannst du noch kein Geld verdienen. Aber später, wenn du das Abitur hast und studiert hast, dann kannst du spielend das alles zurückzahlen. Nennen wir es ein Darlehen, was ich dir gebe.“

Florian hörte aufmerksam zu. Das klang nicht schlecht.

„Sie müssen aber dann auch alles aufschreiben, damit nichts vergessen wird.“

„Nein, du kannst es selbst immer überprüfen, Bub. Gleich nachher hole ich eine dicke Kladde, und dort schreiben wir es auf.“

Da endlich war der Knabe zufrieden und versprach, auch fleißig weiterzulernen.

„Wart, Junge, ich mach dir noch einen Vorschlag. Du kannst sogar schon früher alles zurückzahlen, indem du in den Ferien zu mir auf den Hof kommst und arbeitest. Wir schreiben dann alle Stunden auf und ziehen es ab. Gute Kräfte kann ich immer gebrauchen.“

„Das kann ich wirklich tun?“, fragte er mit glückstrahlenden Augen. „Hier arbeiten? O ja, das werde ich sehr gern. Nichts wird mir mehr Spass machen.“

In all den Jahren hatten sie also Buch geführt. Und mit jedem Jahr stieg natürlich der Lohn des Jungen. Ja, sie machten sich sogar einen Spass daraus und feilschten herum. Johannes hätte gern von sich aus einen hohen Lohn angeschlagen, aber er kannte ja nun die Seele des Kindes. Und als junger Mann war er nicht weniger empfindlich.

Nichts war lustiger, als wenn Florian auf dem Hof half. Treu und brav kam er all die Jahre herauf. So auch heute!

„Na, dann werden wir dich gleich morgen in Brot und Lohn nehmen“, sagte nun Johannes.

Florian selbst hatte darum gebeten. Damit er möglichst viele Stunden auf dem Hof bleiben konnte und nicht alle Tage rauf und runter steigen musste, blieb er in den Ferien ganz auf dem Trollerhof. Dabei wurde er von den Frauen maßlos verwöhnt.

Bei diesen Arbeiten kam die Liebe zur Landwirtschaft. Sein Wunsch war, Verwalter zu werden. Selbst konnte er sich ja nie einen Hof kaufen. Seit drei Jahren hielt der Troller auch ein Gestüt. Den Tieren galt Florians ganze Liebe.

Und auch jetzt an der Kaffeetafel fragte er gleich, ob sich was verändert habe.

Da hatte Johannes Troller auf einmal eine Idee.

„Höre Junge, hast du dir denn auch schon überlegt, wenn du mit der vielen Studiererei fertig bist, wo du hingehen wirst?“

„Nein, noch nicht. Einfach wird es halt nicht sein. Vielleicht muss ich sogar nach Deutschland. Denn einen Verwalter kann sich nit jeder leisten. Es müsste ein riesiger Hof sein.“

„Und du würdest wirklich gern nach Deutschland gehen?“

„Nein, gar nicht. Ich bin ein Kind der Berge. Meine Heimat verlassen? Arg schwerfallen würd es mir. Aber ich habe nun mal diesen Beruf gewählt.“

„Ich hätte eine Stelle für dich, Florian“, sagte der Troller.

Agnes sah ihn überrascht an.

„Du? Hast mir ja gar nichts davon gesagt.“

Florian wurde ganz aufgeregt. „Wirklich? In den Bergen?“

„Freilich!“

„Und wo? Kenne ich das Gut?“

„Kennen tust du es schon. Aber ich weiß nicht, ob du es willst. Ich mein, ob es groß genug für deinen Schaffensdrang ist. Ein Rittergut ist es nit. Aber du mit deinem Elan könntest noch viel daraus machen.“

Agnes hatte plötzlich begriffen. Ihre Augen fingen an zu leuchten.

„Ich verstehe nichts“, sagte Florian.

Agnes legte ihre Hand auf Florians Arm.

„Junge, der Bauer meint, ob du unseren Hof übernehmen möchtest?“

Für einen Augenblick war es totenstill im Raum. Würde er wieder denken, es sei ein Almosen?

„Natürlich tät ich meine Bedingungen stellen“, knurrte Johannes Troller. „Nicht, dass du denkst, wegen der langen Freundschaft könntest du mich übers Ohr hauen. Einen Verwalter muss ich mir nehmen. Mit jedem Tag merk ich das mehr. Der Hof braucht eine starke Hand. Man könnt noch soviel unternehmen. Das mit den Pferden war nur ein Anfang. Aber ich kann nit mehr. Wenn ich einen Sohn hätte oder wenigstens einen Enkel, aber ich hab nichts und muss auf fremde Leute zurückgreifen. Sag, hättest du wohl Lust daran?“

Verwalter auf dem Trollerhof? Gab es noch etwas Schöneres? Das Fleckchen Erde, das er wie seine Hosentasche kannte und liebte? Nicht fort müssen, in der Heimat bleiben? Hier, auf dem schönsten Hof walten und schalten dürfen? Sprengt das Herz nit die Brust? Laut aufjubeln hätte er mögen. Gedacht hatte er daran, aber nie so recht geglaubt.

„Du sagst ja gar nichts“, meinte Agnes ängstlich.

„Oh, ihr ...!“, rief da der junge Mann. „Mir fehlen einfach die Worte. Ich weiß gar nit, was ich dazu sagen soll.“

„Du sollst mir nur erklären, ob ich mit dir rechnen kann. Sonst muss ich mich nach einer anderen Hilfe umsehen. Grad heut nach dem Kirchgang ist mir das wieder aufgefallen. Da hat man mir nämlich ein Angebot gemacht. Ich soll den Trollerhof verkaufen.“

„O nein!“, rief Florian erschrocken. „Das dürft ihr niemals. Das lass ich nit zu. Wenn Ihr nit mehr könnt, dann werd ich schuften Tag und Nacht. Der Trollerhof wird immer das sein, was er war.“

„Eines Tages muss ich ihn doch verkaufen, Florian. Du weißt doch, ich habe keinen Erben.“

„Aber viele Jahre, werdet Ihr noch leben, Johannes Troller. Jetzt kann ich alles Gute, das Ihr mir angetan habt, wieder gutmachen. Und für mich wird es eine große Freude sein, hier immer arbeiten zu dürfen.

„Also ist es abgemacht?“

„Abgemacht!“

Die beiden Männer schlugen kräftig ein.

„In den Ferien werden wir dann gleich einen Vertrag aufsetzen, damit man mir die gute Kraft nicht abspenstig machen kann.“

Florian lachte.

Ein Findelkind und eine bedrohte Liebe: Wildbach Bergroman Sammelband 3 Romane

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