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3. Kratylos
ОглавлениеIm Dialog Kratylos (oder von der Richtigkeit der Benennungen) geht es um die sprachphilosophische Frage nach der Richtigkeit der Wörter, also um die Frage, ob die Wörter das hergeben, was sie aussagen. Die sokratischen Gesprächspartner Kratylos und Hermogenes haben Sokrates als Schiedsrichter für ihren Gedankenaustausch angerufen, damit er zur Entscheidung und Klärung der strittigen Frage beitragen kann. Kratylos vertritt folgende These: Jedes Ding hat von Natur aus seinen richtigen Namen. Der Gegenspieler Hermogenes behauptet hingegen, dass Name und sprachliche Bezeichnung allein auf Konventionen beruhen. Für Sokrates ist letztlich keine der beiden Positionen überzeugend. Denn Wörter an sich sind keine selbstständigen Erkenntnismittel, vielmehr muss dem Ganzen schon ein unveränderliches Wissen vom wahren Wesen der Dinge und der Sachen vorausgehen. Während des Gesprächs spielt zudem noch die Meinung des Sophisten Protagoras eine entscheidende Rolle, der behauptet, dass der Mensch das Maß aller Dinge sei. So fragt Sokrates:
„So wollen wir denn sehen, Hermogenes, ob sich die seienden Dinge nach deiner Absicht auch so verhalten, daß sie alle für einen jeden ein besonderes Wesen haben, wie das Protagoras meint, wenn er sagte, aller Dinge Maß sei der Mensch – daß also für mich die Dinge so, wie sie mir zu sein scheinen, auch wirklich sind, für dich aber so, wie sie dir scheinen. Oder meinst du, sie hätten eine feste Bestimmtheit ihres eigenen Wesens?“15
Die Antwort, die gefunden werden wird, lautet dann, dass das vernünftige philosophische Suchen sich der unveränderlichen Welt des wahren Seins gedanklich zu nähern hat, andernfalls verliert sich die Philosophie in Beliebigkeit.
„SOKRATES: Wenn nun Protagoras recht hat und wenn das die Wahrheit ist, daß die Dinge so beschaffen sind, wie sie einem jeden scheinen – ist es dann möglich, daß die einen von uns vernünftig und die anderen unvernünftig sind?
HERMOGENES: Gewiss nicht.
SOKRATES: Ich nehme also an, daß du wenigstens mit folgendem ganz einverstanden bist: Wenn es Vernunft und Unvernunft gibt, so ist es gar nicht möglich, daß Protagoras recht hat. Denn in Wahrheit wäre der eine nicht vernünftiger als der andere, wenn doch für jeden das wahr ist, was ihm scheint.
HERMOGENES: Ja, so ist es.“16
Der hier gebräuchliche Wahrheitsbegriff widerspricht dem sophistisch vorgetragenen Relativismus von Wirklichkeit, ist dieser doch insofern nicht einsichtsvoll und vernünftig, weil er der allgemeinen Klugheit, dem gesunden Menschenverstand also, zuwider ist.17 Umgekehrt wird die Haltung der Vernunft dann eingenommen, wenn man sich der wahren und unveränderlichen Welt der Dinge an sich zuwendet. Zu dieser gehört auch die Wahrheit, die sich einer begrifflichen Definition insofern entzieht, weil sie im göttlichen Bereich beheimatet ist. So trägt Sokrates überzeugend vor:
„Die ‚Wahrheit‘ (altheia) aber scheint ähnlich wie die anderen Wörter zusammengehämmert zu sein. Denn offenbar ist die göttliche Bewegung des Seienden in diesem Wort ‚altheia‘ ausgedrückt, als ob sie ein ‚göttliches Umherschweifen‘ (theía álê) sei. Die ‚Lüge‘ (pseúdos) aber ist das Gegenteil der Bewegung. … Das ‚Seiende‘ (on) aber und das ‚Wesen‘ (usía) stimmen mit der Wahrheit überein.“18
Wahrheit ist demnach für Platon ein dynamisches, lebendiges und zugleich wesendes Geschehen, das dem Bereich des Göttlichen zugehört. Deswegen ist die Wahrheit auch mit einer, man könnte fast sagen, verschmitzt-heiteren Qualität ausgezeichnet, die Sokrates immer wieder zur Sprache bringt.19 So bleibt der einzig richtige Weg zur Schlichtung des Streites zwischen Kratylos und Hermogenes der von Sokrates vorgeschlagene Ausweg, sich zu dem Wesen der Dinge an sich als Wahrheit gedanklich vorzutasten:
„Es herrscht also nun ein Streit zwischen den Namen: die einen behaupten, sie seien der Wahrheit ähnlich, und die anderen sagen nein, sie seien es – wonach sollen wir da eine Entscheidung treffen, und woran sollen wir uns halten? Gewiß nicht an andere Namen als diese; das führt zu nichts. Sondern wir müssen offenbar etwas anderes suchen als Namen, das uns ohne diese darüber Klarheit verschaffen kann, welche von den beiden Arten wahr ist, indem sie uns offenbar die Wahrheit über das Seiende zeigt.“20
Platons Wahrheitsverständnis zentriert sich hier demnach auf die Unverborgenheit und Klarheit des Seienden, welches – als das Eine und absolut Gute – wiederum ohne das Göttliche nicht zu denken ist, ja letztendlich das Göttliche selbst ist.