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Zusammenfassung

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In seinen Frühwerken legt Platon noch keine ausgearbeitete Wahrheitstheorie vor. Jedoch lassen sich in dieser Phase folgende Akzente ausmachen:

1. Gewährsmann für die ganze, reine Wahrheit ist Sokrates in seiner Person und mit seinen Worten. Diese sokratisch verkündete Wahrheit ist für das Leben und Sterben des Menschen von göttlicher Qualität: Führt doch ein Leben in der Haltung der Wahrheit auf den Tugendpfad und zur Erkenntnis der Unsterblichkeit der Seele.

2. Die gelingende Form der Wahrheitssuche ist die durch Sokrates geübte Seelsorge. Diese versteht es nämlich, zur Gesundung und Heilung der kranken Seelen beizutragen, indem diese zu dem wahrhaft Schönen hingeführt werden und so im Totengericht bestehen können.

3. Wahrheit ist ein vernünftiges Geschäft und darum dem lebendigen Bereich des Göttlichen zuzuordnen. Nur wer in der Haltung der Wahrheit lebt, kann zum Wesen der Dinge, also zur Wirklichkeit gelangen. Darum zeigt die Wahrheit auch, wie etwas oder wer jemand wirklich ist.

In seiner mittlerer Schaffensphase entwickelt Platon eine dezidierte Wahrheitskonzeption, die ohne Sokrates als Gewährsmann gedanklich erschlossen wird und folgende Merkmale aufweist:

1. Wahrheit ist eine allen menschlichen Autoritäten enthobene, überpersonale und uneingeschränkte metaphysische Instanz, die mittels der Ideenlehre Schritt für Schritt erschlossen werden kann.

2. Der Wahrheit Ziel und zugleich Wirkung ist das richtige Denken des Philosophen in Bezug auf alles, was der Fall ist. Darum ist die Wahrheit als höchstes Gut eine Zierde für die Seele.

3. Daraus resultiert ein veritativer Sprachgebrauch der Wahrheit: Das Sein und die Wahrheit fallen so zusammen, dass beide einander entsprechen. Deswegen ist die Wahrheit von der Lüge als Unwahrheit zu unterschieden. Die Götter und der Philosoph lieben daher das Sein der Wahrheit, während sie die Lüge hassen.

4. Demgemäß entfaltet Platon einen attributiven Sprachgebrauch der Wahrheit als Weisheit, Ebenmaß und Schönheit. Darum ist die Wahrheit mit der Idee des Guten verwandt.

5. Der Leib des Menschen aber verhindert diese wahrhaftige Erkenntnis. Nur die denkende Seele des Menschen kann die reine Wahrheit erkennen. So sucht die erwachte Seele die Ideen als das wahre Wesen des Seienden und will dabei das Gute und die Wahrheit finden. Hierbei muss sie sich der philosophischen Erkenntnis der Unterscheidung zwischen bloßer Meinung und Vorstellung als Schein und dem Sein der Wahrheit bedienen.

6. So aber sind Wahrheit und wissenschaftliche Einsicht als sinngleich zu verstehen, sodass die Wahrheit auch die wesentliche Erkenntnis über einen gedanklich gewonnenen Sachverhalt oder Gegenstand beinhaltet. Das aber ist für den Wahrheitssuchenden beschwerlich, mit Mühe und gedanklicher Anstrengung verbunden, sodass die Wahrheit letztlich nur den Philosophen zugänglich ist. Zugleich kann die Wahrheitserkenntnis für ihn – gegenüber der einfachen Menge – auch gefährlich werden, weil sie die Wahrheitserkennenden im Gegenüber zu den Wahrheitsunkundigen als Elite auszeichnet.

In seiner späten Zeit ergänzt Platon seine bisherige Wahrheitstheorie noch um folgende Aspekte:

1. Indem die Wahrheit ordnend und heilend an das Göttliche heranführt, ist sie die Seelenführerin des Menschen.

2. Dem entspricht das Ziel der Wahrheitserkenntnis: die Erlangung der göttlichen Harmonie, der Eudaimonia.

3. Diese göttliche Harmonie spiegelt sich in der mathematischen Erschließung des Lebens als vernünftiges Geschehen wider, weswegen Vernunft und Wahrheit als sinngleich zu verstehen sind.

4. Des Menschen entsprechend rechte Haltung hierzu ist der Glaube, welcher die Wahrheit als metaphysische Größe begreift. Wirklich wird darum die Wahrheit mithilfe eines tugendhaften Lebens, welches einen wahrhaftigen Nutzen für den Einzelnen und die Stadt (Polis) mit sich bringt.

5. Für die solcherart noch Unkundigen ist die pädagogische Lüge insofern von Nutzen, als sie es versteht, aus dem Geist der Wahrheit heraus gesprochen, eben zur Wahrheit zu führen. Da aber niemand freiwillig irrt, hebt allein die Kenntnis der Wahrheit diesen Irrtum auf.

In Summa lassen sich somit folgende Hauptaspekte von Platons Wahrheitsverständnis ausmachen:

1. Die Wahrheit gibt es nur im Singular und ist eine metaphysische Größe. Als Seelenführerin will sie die Seele zur ewigen göttlichen Harmonie hinführen. Der wahrhaftige Seelsorger ist Sokrates.

2. Die Erkenntnis der Wahrheit ist nur der denkenden Seele zugänglich, das leibliche Gebundensein des Menschen hingegen verhindert die Wahrheitserkenntnis.

3. Die aus den nachthaften Tagen erwachte Seele erkennt sodann in Schönheit das Sein, die Vernunft und die Idee des Guten als sinnverwandt mit der Wahrheit.

4. Wirklich wird die Wahrheit im Leben des Menschen in der Führung eines tugendhaften Lebens. Die entsprechende Haltung des Menschen hierzu ist der Glaube.

1 Vgl. Liddell-Scott-Jones, A Greek-English Lexicon, Oxford 19619, Artikel: (ἀλήθεια) = altheia, S. 63 und Pape-GDHW, Bd. 1, S. 94f.

2 Zu diesen zählen folgende Dialoge: Apologie, Kriton, Protagoras, Ion, Hippias I und II, Euthydemos, Laches, Euthyphron, Charmides, Gorgias, Kratylos und Menexenos. Vgl. Michael Erler, Kleines Werklexikon Platon, Stuttgart 2007, S. 16.

3 Ein weiterer Textbefund ergibt keine neue Einsicht gegenüber dem oben Dargestellten. Vgl. etwa: Ion 532d; Protagoras 323b; 339e; 340c; 348a; 356d–e. Hippias I 370e; Euthydemos 307a; Charmides 175d.

4 Apologie 17a–b.

5 Ebd. 18a: ήτόϱός δὲ τἀληθῆ λέγει ν = Es ist Sache des Redners, die Wahrheit zu reden.

6 Ebd. 20d.

7 Ebd. 39a–b.

8 Ebd. 40c–42a.

9 Gorgias 475b–c.

10 Ebd. 523a.

11 Vgl. Gorgias 523a–524a.

12 Ebd. 524a.

13 Ebd. 525a.

14 Ebd. 526d–e.

15 Kratylos 385e–386a.

16 Ebd. 386c–d.

17 Der im obigen Text verwendete Begriff „vernünftig“ heißt im Griechischen ϕϱóνιμός = phrónimos und bedeutet „bei Verstande, vernünftig, einsichtsvoll, klug“. Vgl. Pape-GDHW, Bd. 2, S. 1309.

18 Kratylos 421b.

19 Die im griechischen Text gegebenen Formulierung (421b): ῇτ „ἀληθεíᾳ“ ὡς θεíα όὖσα ἄλη Wlh kann auch übersetzt werden mit „Wahrheit, als eine göttlich seiende heitere Wanderung“. Vgl. ἄλη (álê) in der Bedeutung „Umherschweifen“: Pape-GDHW, Bd. 1, S. 94.

20 Ebd. 438d.

21 Zu diesen rechnet man allgemein folgende Dialoge: Phaidon, Staat, Phaidros, Gastmahl, die unter der Rubrik „Ideendialoge“ zusammengefasst werden, und die „ideenkritischen“ Dialoge Parmenides und Theaitetos. Vgl. Michael Erler, Kleines Werklexikon Platon, Stuttgart 2007,S. 16.

22 Parmenides lebte ca. 515–445 v. Chr., war u.a. Gesetzgeber seiner Vaterstadt Elea und Verfasser des fragmentarisch überlieferten philosophischen Lehrgedichts „Über die Natur“.

23 Zenon d. Ältere aus Elea lebte ca. 490–430 v. Chr. und war ein Schüler des Parmenides. Zudem gilt er als Schöpfer der Dialektik.

24 Vgl. Parmenides 133e.

25 Ebd. 134a.

26 Ebd. 135d.

27 Vgl. ebd. 134b–135a.

28 Ebd. 136c.

29 Ebd. 136d–e.

30 Gastmahl 199a–b.

31 Vgl. ebd. 201d–212c.

32 Ebd. 201c.

33 Vgl. Phaidon 66a–c.

34 Vgl. ebd. 65c.

35 Ebd. 68b.

36 Ebd. 114d–115a.

37 Ebd. 99d–e.

38 Ebd. 91b–c.

39 Staat 595b–c.

40 Ebd. 382c.

41 Vgl. ebd. 501d.

42 Vgl. ebd. 485c; 486d.

43 Vgl. zum Sonnengleichnis: ebd. 506e–509b.

44 Ebd. 508e–509a.

45 Vgl. zum Liniengleichnis ebd. 509c–511e.

46 Vgl. zum Höhlengleichnis ebd. 514a–517a.

47 Ebd. 521c.

48 Vgl. ebd. 517b–c.

49 Ebd. 517a.

50 Ebd. 520c.

51 Vgl. Phaidros 262c. Vgl. hierzu auch Theaitetos 262c, wo der gleiche Gedanke des Zusammenhangs von Vorstellung bzw. Meinung und Wahrheit thematisiert wird.

52 Zu diesen zählen die „ideenkritischen“ Dialoge: Sophistes, Politikos, Philebos und die „Ideendialoge“: Timaios, Kritias und Gesetze. Vgl. Michael Erler, Kleines Werklexikon Platon, Stuttgart 2007, S. 16.

53 Vgl. Sophistes 228c–d.

54 Vgl. Der Staatsmann 309c–e. Das Wort „Dämonisches“ (daimónion = δαιμόνιόν) bedeutet hier, dem griechischen Sprachgebrauch zurzeit Platons gemäß: „die Wirkung der Gottheit, die im Menschen wohnende Stimme des Göttlichen“. Vgl. Pape-GDHW, Bd. 1, S. 514.

55 Vgl. Philebos 20b–23b.

56 Vgl. ebd. 37b–c.

57 Vgl. ebd. 52c–53d.

58 Der Begriff Mathematik ist hier dem griechischen μάθημα (máhêma) in der Bedeutung „Gelerntes, die Wissenschaft“ entnommen, welches zwar durchaus in Arithmetik, Geometrie und Astronomie unterteilt wird, jedoch nicht unserem gebräuchlichen Mathematikverständnis entspricht. Vgl. Pape-GDHW, Bd. 2, S. 81.

59 Philebos 57c–d.

60 Vgl. ebd. 58d.

61 Ebd. 58e.

62 Vgl. ebd. 65c. „Denn die Lust ist das Unzuverlässigste unter allen Dingen.“ Das mit „Unzu-verlässigste“ übersetzte Adjektiv ἀλαζόνίστατόν (alazonístaton) bedeutet betrügerisch, aufschneiderisch, prahlerisch. Vgl. Pape-GDHW, Bd. 1, S. 88.

63 Philebos 65d.

64 Timaios 29c.

65 Vgl. ebd. 70e–72d.

66 Ebd. 71d–e.

67 Das griechische Wort μαντεῖόν = manteíon bedeutet: Orakelspruch, Weissagung, Orakel, Orakelsitz. Vgl. Pape-GDHW, Bd. 2, S. 93.

68 Vgl. Timaios 71e–72b.

69 Ebd. 90c–d.

70 Vgl. Gesetze 709b.

71 Gesetze 663d–e.Vgl.zur pädagogischen Lüge auch: Staat 331c–d; 389b; 414b–415c; 459c–d.

72 Gesetze 667c.

73 Vgl. ebd. 731e; 732a.

74 Ebd. 730c.

75 Vgl. ebd. 734d.

76 Vgl. ebd. 746b.

77 Ebd. 966b.

78 Dieser Brief setzt die zweite Reise Platons nach Sizilien im Jahre 366/365 v. Chr. voraus. Hierüber schreibt Diogenes Laertius in seiner antiken Philosophiegeschichte „Leben und Meinungen berühmter Philosophen“, Bd. 1, hg. von Klaus Reich, Hamburg 2008, S. 148 Folgendes: „Seine zweite Reise führte ihn zum jüngeren Dionysios, den er um Land und Leute bat, welche das von ihm entworfene Staatsideal verwirklichen sollten. Dionysios sagte das zwar zu, hielt aber nicht Wort.“ Insgesamt sind im Corpus Platonicum 13 Briefe überliefert, an deren Echtheit jedoch bis heute mitunter philologische Zweifel angemeldet werden. Vgl. Michael Erler, Kleines Werklexikon Platon, Stuttgart 2007, S. 31–34.

79 Dionysios II. (430–367 v. Chr.) war Tyrann von Syrakus auf Sizilien. Dion (geb. 409 v. Chr.) war dort Tyrann zwischen 357 und 354. Er war Anhänger und Freund Platons, den er zu sich beruft, um eine Verfassungsreform vorzubereiten; Dion stirbt 354 durch Meuchelmord.

80 Vgl. Zweiter Brief 312d–313b. Vgl. hierzu auch Dritter Brief 319e.

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